Ewan McGregor gibt sein Regiedebüt und spielt zudem Seymour "Swede" Levov, einem einst legendären High-School-Sportler, jetzt erfolgreicher Geschäftsmann und verheiratet mit der ehemaligen Schönheitskönigin Dawn. Über Nacht wird Swede aus dem ersehnten Idyll gerissen, als seine Teenager-Tochter Merry eines Bombenanschlags auf ein Postamt beschuldigt wird und verschwindet. Erschüttert bis ins Mark muss Swede unter die Oberfläche schauen und sich dem Chaos seiner Welt um ihn herum stellen.
Bonusmaterial
Audiokommentare von Regisseur Ewan McGregor Featurette B-RollFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2016Vater, Mutter, Knochengerippe
Die entsetzlich entschlackte Anatomie eines Albtraums: Ewan McGregor verfilmt Philip Roths Roman "Amerikanisches Idyll", doch er bleibt neben seiner Figur stehen.
In geglückten Romanverfilmungen steckt eine unbequeme Wahrheit. Wenn der Abspann läuft, wünscht man sich, man hätte sie nicht gesehen. Nicht dass wir Büchern, die wir lieben, keinen Anteil am Bildergedächtnis und ihren Autoren keinen Zugriff auf die klingenden Kinokassen gönnen würden. Aber so banal und servierfertig, dass sie ohne große Umstände ins Hundertminutenkorsett eines Spielfilms passt, hatten wir die Geschichte dann doch nicht in Erinnerung. Nur dass wir sie jetzt, da sie ein Film ist, uns nicht mehr anders in Erinnerung rufen können als in den Bildern dieses Films. Das Kino ist ein Vampir: Es saugt unserer Phantasie die Bilder aus und ersetzt sie durch seine eigenen. Normalerweise merken wir das kaum. In Literaturverfilmungen sehen wir es.
Und dann gibt es Bücher, die wir nicht lieben. Nicht alle sind schlecht oder langweilig, ein paar der besten, berühmtesten sind darunter. Umso lieber überlassen wir sie dem Kino, damit es sie noch besser macht. Das Hundertminutenkorsett hat Vorteile: Es saugt den Geschichten das Fett ab, den Pomp, den Stil, oft das, worauf die Autoren stolz sind. Dialoge, die Kapitel füllten, schnurren zu kurzen Wortwechseln zusammen. Seitenlange Beschreibungen verdampfen zur Kulisse. Ein kunstvoll geklöppeltes Gewebe aus Einschüben und Abschweifungen verdichtet sich zum Handlungsfaden. Vom epischen Elefanten bleibt ein Skelett, aber dieses Knochengespenst rennt wie ein Tiger.
Vielleicht ist das der Grund, warum man Ewan McGregors Adaption von Philip Roths "Amerikanisches Idyll" mit so viel Bedauern betrachtet. Das Buch, 1998 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, ist der krachend gelungene Versuch, amerikanische Zeitgeschichte mit den Mitteln eines Familienromans zu erzählen. Nie arbeitete Roths elegante Prosa schwerer als bei der Schilderung des Schicksals von Seymour "Swede" Levov, der jüdischen Sportskanone aus Newark, New Jersey, die die Jugendrebellion der sechziger Jahre aus der Elternperspektive erlebt. So mustergültig repräsentativ ist Levovs Lebenslauf, dass der Autor ihn einfach zuklappt, als er über den Vietnam-Krieg, die Studentenbewegung, die Newark-Krawalle und den Terror der "Weathermen" bei Watergate angekommen ist. Es ist, als traute Roth seiner Figur nicht zu, ohne historisches Geländer durch seine Biographie zu gehen. Aber dafür gibt es ja den Film.
Ewan McGregor gibt mit "Amerikanisches Idyll" sein Regiedebüt. Nach allem, was über die Produktionsgeschichte in Erfahrung zu bringen ist, übernahm McGregor neben der Hauptrolle auch die des Regisseurs, nachdem der ursprünglich vorgesehene Phillip Noyce abgesprungen war. Das muss nichts Böses heißen, zumal wenn man, wie McGregor, auf eine von "Trainspotting" bis zu "Star Wars" reichende glänzende Kinokarriere zurückblicken kann. Als der Hollywoodstar Robert Redford einmal einen Film drehen wollte, wurde daraus "Ordinary People"; als Warren Beatty von den Anweisungen anderer genug hatte, entstand "Der Himmel kann warten".
Auch McGregors Roth-Verfilmung beginnt vielversprechend. Nathan Zuckerman, das Alter Ego des Autors, fährt zum Jahrgangstreffen in seine alte Schule nach Newark, wo ihm ein ehemaliger Klassenkamerad die Geschichte seines Bruders erzählt, ebenjenes Seymour Levov. Und weil Zuckerman von David Strathairn und die erzamerikanische Schönheit, die der "Schwede" Levov zur Frau nimmt, von Jennifer Connelly gespielt wird, glauben wir die Geschichte, bevor sie richtig angefangen hat Denn alles sieht so aus, wie es aussehen muss: Amerika, ein Kinoidyll.
Dann aber, nicht plötzlich, sondern allmählich und schleichend, macht sich eine Leerstelle im Film bemerkbar. Keine Lücke in der Geschichte (die McGregor und sein Drehbuchautor John Romano angemessen gestrafft und chronologisch sortiert haben), sondern eine Leere des Blicks. Der Zauber von Roths Büchern - der auch, obwohl etwas schwächer, in "Amerikanisches Idyll" zu spüren ist - liegt ja darin, dass sie gleichzeitig von innen und von außen erzählen; dass Seymour Levov für Nathan Zuckerman (und für Philip Roth) ein Fremder und zugleich der Mann ist, der er in einem anderen Leben gern gewesen wäre.
McGregors Darstellung dagegen klebt so hoffnungslos an der Oberfläche dieser Figur wie seine Adaption an der Außenseite von Roths Roman. Er spielt Levov mit aller physischen Präsenz, zu der ein gewesener Jedi-Ritter fähig ist, und er packt seine Geschichte in Bilder, die nicht schlechter aussehen als die von Redford, dessen Erstling von einer ähnlichen Familienselbstzerstörung handelte, oder von Robert Bentons "Der menschliche Makel", der den bis heute gültigen Maßstab für Philip-Roth-Verfilmungen gesetzt hat. Doch er kommt nicht hinein in die Figur, sein Levov wirkt wie ein Mann, der sein Leben bei einem Reiseveranstalter gebucht hat und nicht begreift, dass die Reiseroute geändert wurde. Das liegt nicht daran, dass dem Schotten McGregor, wie amerikanische Kritiker mutmaßten, der American Way of Life fremd wäre. Es liegt daran, dass ihm die historische Erfahrung fremd ist, von der Roths Roman berichtet.
Irgendwann explodiert in "Amerikanisches Idyll" ein Postamt. Seymour Levov will nicht glauben, dass seine Tochter Merry (Dakota Fanning) die Bombe gelegt hat. Es wäre der Bankrott seines Lebensmodells, das Ende seiner Welt. Jahre später findet er Merry, die nach der Tat untergetaucht ist, in einer Absteige. Jetzt ist sie eine Jaina, ein von schmutzigen Tüchern bedecktes, mit indischer Mystik infiziertes Knochengerippe. Bei Roth ist das eine Szene von herzzerreißender Traurigkeit. Bei McGregor ist es ein Stück lauwarmer Ausdruckskunst. Bis dahin ist man, auch dank der seltsam untoten, wie von David Lynch geborgten Interieurs des Ausstatters Daniel Clancy, immer wieder bereit, dem Film auf seiner unsicheren Bahn durch den amerikanischen Albtraum zu folgen. In der Jaina-Szene ist diese Geduld erschöpft. Seymour Levov zerbricht, Ewan McGregor erstarrt nur zur Salzsäule der Vaterliebe.
Es gibt Bücher, denen man ein zweites Leben im Kino wünscht. "Amerikanisches Idyll" gehört dazu. Die Chance ist vertan, vielleicht für immer. Philip Roths Roman hat seinen Meister nicht gefunden.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die entsetzlich entschlackte Anatomie eines Albtraums: Ewan McGregor verfilmt Philip Roths Roman "Amerikanisches Idyll", doch er bleibt neben seiner Figur stehen.
In geglückten Romanverfilmungen steckt eine unbequeme Wahrheit. Wenn der Abspann läuft, wünscht man sich, man hätte sie nicht gesehen. Nicht dass wir Büchern, die wir lieben, keinen Anteil am Bildergedächtnis und ihren Autoren keinen Zugriff auf die klingenden Kinokassen gönnen würden. Aber so banal und servierfertig, dass sie ohne große Umstände ins Hundertminutenkorsett eines Spielfilms passt, hatten wir die Geschichte dann doch nicht in Erinnerung. Nur dass wir sie jetzt, da sie ein Film ist, uns nicht mehr anders in Erinnerung rufen können als in den Bildern dieses Films. Das Kino ist ein Vampir: Es saugt unserer Phantasie die Bilder aus und ersetzt sie durch seine eigenen. Normalerweise merken wir das kaum. In Literaturverfilmungen sehen wir es.
Und dann gibt es Bücher, die wir nicht lieben. Nicht alle sind schlecht oder langweilig, ein paar der besten, berühmtesten sind darunter. Umso lieber überlassen wir sie dem Kino, damit es sie noch besser macht. Das Hundertminutenkorsett hat Vorteile: Es saugt den Geschichten das Fett ab, den Pomp, den Stil, oft das, worauf die Autoren stolz sind. Dialoge, die Kapitel füllten, schnurren zu kurzen Wortwechseln zusammen. Seitenlange Beschreibungen verdampfen zur Kulisse. Ein kunstvoll geklöppeltes Gewebe aus Einschüben und Abschweifungen verdichtet sich zum Handlungsfaden. Vom epischen Elefanten bleibt ein Skelett, aber dieses Knochengespenst rennt wie ein Tiger.
Vielleicht ist das der Grund, warum man Ewan McGregors Adaption von Philip Roths "Amerikanisches Idyll" mit so viel Bedauern betrachtet. Das Buch, 1998 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, ist der krachend gelungene Versuch, amerikanische Zeitgeschichte mit den Mitteln eines Familienromans zu erzählen. Nie arbeitete Roths elegante Prosa schwerer als bei der Schilderung des Schicksals von Seymour "Swede" Levov, der jüdischen Sportskanone aus Newark, New Jersey, die die Jugendrebellion der sechziger Jahre aus der Elternperspektive erlebt. So mustergültig repräsentativ ist Levovs Lebenslauf, dass der Autor ihn einfach zuklappt, als er über den Vietnam-Krieg, die Studentenbewegung, die Newark-Krawalle und den Terror der "Weathermen" bei Watergate angekommen ist. Es ist, als traute Roth seiner Figur nicht zu, ohne historisches Geländer durch seine Biographie zu gehen. Aber dafür gibt es ja den Film.
Ewan McGregor gibt mit "Amerikanisches Idyll" sein Regiedebüt. Nach allem, was über die Produktionsgeschichte in Erfahrung zu bringen ist, übernahm McGregor neben der Hauptrolle auch die des Regisseurs, nachdem der ursprünglich vorgesehene Phillip Noyce abgesprungen war. Das muss nichts Böses heißen, zumal wenn man, wie McGregor, auf eine von "Trainspotting" bis zu "Star Wars" reichende glänzende Kinokarriere zurückblicken kann. Als der Hollywoodstar Robert Redford einmal einen Film drehen wollte, wurde daraus "Ordinary People"; als Warren Beatty von den Anweisungen anderer genug hatte, entstand "Der Himmel kann warten".
Auch McGregors Roth-Verfilmung beginnt vielversprechend. Nathan Zuckerman, das Alter Ego des Autors, fährt zum Jahrgangstreffen in seine alte Schule nach Newark, wo ihm ein ehemaliger Klassenkamerad die Geschichte seines Bruders erzählt, ebenjenes Seymour Levov. Und weil Zuckerman von David Strathairn und die erzamerikanische Schönheit, die der "Schwede" Levov zur Frau nimmt, von Jennifer Connelly gespielt wird, glauben wir die Geschichte, bevor sie richtig angefangen hat Denn alles sieht so aus, wie es aussehen muss: Amerika, ein Kinoidyll.
Dann aber, nicht plötzlich, sondern allmählich und schleichend, macht sich eine Leerstelle im Film bemerkbar. Keine Lücke in der Geschichte (die McGregor und sein Drehbuchautor John Romano angemessen gestrafft und chronologisch sortiert haben), sondern eine Leere des Blicks. Der Zauber von Roths Büchern - der auch, obwohl etwas schwächer, in "Amerikanisches Idyll" zu spüren ist - liegt ja darin, dass sie gleichzeitig von innen und von außen erzählen; dass Seymour Levov für Nathan Zuckerman (und für Philip Roth) ein Fremder und zugleich der Mann ist, der er in einem anderen Leben gern gewesen wäre.
McGregors Darstellung dagegen klebt so hoffnungslos an der Oberfläche dieser Figur wie seine Adaption an der Außenseite von Roths Roman. Er spielt Levov mit aller physischen Präsenz, zu der ein gewesener Jedi-Ritter fähig ist, und er packt seine Geschichte in Bilder, die nicht schlechter aussehen als die von Redford, dessen Erstling von einer ähnlichen Familienselbstzerstörung handelte, oder von Robert Bentons "Der menschliche Makel", der den bis heute gültigen Maßstab für Philip-Roth-Verfilmungen gesetzt hat. Doch er kommt nicht hinein in die Figur, sein Levov wirkt wie ein Mann, der sein Leben bei einem Reiseveranstalter gebucht hat und nicht begreift, dass die Reiseroute geändert wurde. Das liegt nicht daran, dass dem Schotten McGregor, wie amerikanische Kritiker mutmaßten, der American Way of Life fremd wäre. Es liegt daran, dass ihm die historische Erfahrung fremd ist, von der Roths Roman berichtet.
Irgendwann explodiert in "Amerikanisches Idyll" ein Postamt. Seymour Levov will nicht glauben, dass seine Tochter Merry (Dakota Fanning) die Bombe gelegt hat. Es wäre der Bankrott seines Lebensmodells, das Ende seiner Welt. Jahre später findet er Merry, die nach der Tat untergetaucht ist, in einer Absteige. Jetzt ist sie eine Jaina, ein von schmutzigen Tüchern bedecktes, mit indischer Mystik infiziertes Knochengerippe. Bei Roth ist das eine Szene von herzzerreißender Traurigkeit. Bei McGregor ist es ein Stück lauwarmer Ausdruckskunst. Bis dahin ist man, auch dank der seltsam untoten, wie von David Lynch geborgten Interieurs des Ausstatters Daniel Clancy, immer wieder bereit, dem Film auf seiner unsicheren Bahn durch den amerikanischen Albtraum zu folgen. In der Jaina-Szene ist diese Geduld erschöpft. Seymour Levov zerbricht, Ewan McGregor erstarrt nur zur Salzsäule der Vaterliebe.
Es gibt Bücher, denen man ein zweites Leben im Kino wünscht. "Amerikanisches Idyll" gehört dazu. Die Chance ist vertan, vielleicht für immer. Philip Roths Roman hat seinen Meister nicht gefunden.
ANDREAS KILB
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