Nach einem Autounfall leidet die italienische Ingenieursfrau Guiliana an extremen neurotischen Ängsten: Ihre Familie wird ihr fremd, sie fühlt sich von der industriellen Umwelt in ihrer Heimatstadt Ravenna bedroht und hat sogar apokalyptische Visionen. Nach einer kurzen Liason mit Zeller, einem Kollegen ihres Mannes, kehrt sie ins alltägliche Leben zurück, dessen Haltlosigkeit sie zu akzeptieren gelernt hat.
Bonusmaterial
Beil.: BookletFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2000Die Grenzen des Wachstums
In "Rote Wüste" zeigt Antonioni den Menschen als Fremdkörper
In den Ebenen Oberitaliens steht eine Skulptur, die auf Kontakt zielt. Das riesige Radioteleskop sucht im Weltall nach Signalen einer fremden Intelligenz, an der die Menschheit endlich den eigenen Fortschritt messen möchte. Müßte man nach der schieren Größe ihrer Artefakte gehen, dann wären die Menschen bereits sehr hoch entwickelt, denn sie irren zwischen den Spinnenbeinen des Teleskops herum wie Mikroorganismen und tun so, als wären sie resistent gegen die Giftwolken, die von einer nahegelegenen Chemiefabrik herüberziehen.
Michelangelo Antonionis "Il deserto rosso" ("Rote Wüste") erzählte 1964 die Geschichte einer Frau, die an einer Immunschwäche gegenüber den Verunreinigungen der Außenwelt leidet. Monica Vitti spielt die Gattin eines Ingenieurs. Sieht man sie mit den Augen eines Psychologen, müßte man sie als Hysterikerin bezeichnen, aber Antonioni interessiert sich nicht für die Aspekte des Seelenlebens, die der Analyse zugänglich sind, sondern für grundsätzlichere Entsprechungen zwischen innen und außen, zwischen der Welt und dem Wesen. Monica Vitti ist deswegen die ideale Besetzung in "Il deserto rosso", Antonionis erstem Farbfilm, in dem es mehr noch als in den vorangegangenen und engverwandten "L'avventura", "La notte" und "L'eclisse" um die Vision eines Lebens nach den Menschen geht. Im Spiel der Vitti findet Antonionis Auffassung der Zivilisation eine Entsprechung: Sie bewegt sich durch die Mondlandschaft rund um Ravenna mit zögerlichen Schritten, als wäre sie ein künstlicher Mensch, dessen Programmierung unvollständig geblieben ist. Aus dem Boden dampft es, Ingenieure stehen herum, und die Frau tritt mit ihrem kleinen Sohn an sie heran, um etwas Rätselhaftes zu tun: Sie kauft einem der Männer ein Sandwich ab, das er bereits zur Hälfte aufgegessen hat.
Mit dem Auftauchen des triestinischen Wirtschaftstreibenden Corrado Zeller (Richard Harris) geht "Il deserto rosso" in den für Antonioni so typischen Mittelteil über, in dem eine Gruppe attraktiver Erwachsener mit kleinen erotischen Tändeleien die Zeit totschlägt. Monica Vitti steht mit roten Haaren vor einer rotgestrichenen Wand, dann wendet sie sich zum Fenster und sieht ein Schiff, an dem gerade die gelbe Quarantäne-Flagge hochgezogen wird. Der Ennui der reichen Leute und die Seuche auf dem lateinamerikanischen Frachter entsprechen einander. Die Frau ist in dieser vergifteten Atmosphäre mehr ein Zeichen als ein Subjekt: Sie verkörpert die Antiquiertheit im technischen Zeitalter, sie ist das Symptom in Antonionis Traktat über die Grenzen des Wachstums.
"Il deserto rosso" ist häufig mit sehr langen Brennweiten gefilmt. Die Fabriken werden dadurch in Natur zurückverwandelt, die Menschen verlieren ihre Individualität, und in dem Kinderzimmerlabor des kleinen Sohns, in dem ein defekter Roboter eine technische Form der Hysterie ausagiert, sieht man die Zukunft der Kultur. Es ist eine Zukunft, in der Menschen wie Fremdkörper erscheinen werden, und Monica Vitti spielt uns das vor.
BERT REBHANDL
Heute abend um 20 Uhr im Kino Blow-Up, Immanuelkirchstraße 14, Prenzlauer Berg. Im Rahmen der Veranstaltung "Hommage an Monica Vitti", die in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Kulturinstitut Berlin und der e.m.a. european media agency stattfindet, wird morgen abend ebenfalls um 20 Uhr "Modesty Blaise - Die tödliche Lady" von Joseph Losey gezeigt.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In "Rote Wüste" zeigt Antonioni den Menschen als Fremdkörper
In den Ebenen Oberitaliens steht eine Skulptur, die auf Kontakt zielt. Das riesige Radioteleskop sucht im Weltall nach Signalen einer fremden Intelligenz, an der die Menschheit endlich den eigenen Fortschritt messen möchte. Müßte man nach der schieren Größe ihrer Artefakte gehen, dann wären die Menschen bereits sehr hoch entwickelt, denn sie irren zwischen den Spinnenbeinen des Teleskops herum wie Mikroorganismen und tun so, als wären sie resistent gegen die Giftwolken, die von einer nahegelegenen Chemiefabrik herüberziehen.
Michelangelo Antonionis "Il deserto rosso" ("Rote Wüste") erzählte 1964 die Geschichte einer Frau, die an einer Immunschwäche gegenüber den Verunreinigungen der Außenwelt leidet. Monica Vitti spielt die Gattin eines Ingenieurs. Sieht man sie mit den Augen eines Psychologen, müßte man sie als Hysterikerin bezeichnen, aber Antonioni interessiert sich nicht für die Aspekte des Seelenlebens, die der Analyse zugänglich sind, sondern für grundsätzlichere Entsprechungen zwischen innen und außen, zwischen der Welt und dem Wesen. Monica Vitti ist deswegen die ideale Besetzung in "Il deserto rosso", Antonionis erstem Farbfilm, in dem es mehr noch als in den vorangegangenen und engverwandten "L'avventura", "La notte" und "L'eclisse" um die Vision eines Lebens nach den Menschen geht. Im Spiel der Vitti findet Antonionis Auffassung der Zivilisation eine Entsprechung: Sie bewegt sich durch die Mondlandschaft rund um Ravenna mit zögerlichen Schritten, als wäre sie ein künstlicher Mensch, dessen Programmierung unvollständig geblieben ist. Aus dem Boden dampft es, Ingenieure stehen herum, und die Frau tritt mit ihrem kleinen Sohn an sie heran, um etwas Rätselhaftes zu tun: Sie kauft einem der Männer ein Sandwich ab, das er bereits zur Hälfte aufgegessen hat.
Mit dem Auftauchen des triestinischen Wirtschaftstreibenden Corrado Zeller (Richard Harris) geht "Il deserto rosso" in den für Antonioni so typischen Mittelteil über, in dem eine Gruppe attraktiver Erwachsener mit kleinen erotischen Tändeleien die Zeit totschlägt. Monica Vitti steht mit roten Haaren vor einer rotgestrichenen Wand, dann wendet sie sich zum Fenster und sieht ein Schiff, an dem gerade die gelbe Quarantäne-Flagge hochgezogen wird. Der Ennui der reichen Leute und die Seuche auf dem lateinamerikanischen Frachter entsprechen einander. Die Frau ist in dieser vergifteten Atmosphäre mehr ein Zeichen als ein Subjekt: Sie verkörpert die Antiquiertheit im technischen Zeitalter, sie ist das Symptom in Antonionis Traktat über die Grenzen des Wachstums.
"Il deserto rosso" ist häufig mit sehr langen Brennweiten gefilmt. Die Fabriken werden dadurch in Natur zurückverwandelt, die Menschen verlieren ihre Individualität, und in dem Kinderzimmerlabor des kleinen Sohns, in dem ein defekter Roboter eine technische Form der Hysterie ausagiert, sieht man die Zukunft der Kultur. Es ist eine Zukunft, in der Menschen wie Fremdkörper erscheinen werden, und Monica Vitti spielt uns das vor.
BERT REBHANDL
Heute abend um 20 Uhr im Kino Blow-Up, Immanuelkirchstraße 14, Prenzlauer Berg. Im Rahmen der Veranstaltung "Hommage an Monica Vitti", die in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Kulturinstitut Berlin und der e.m.a. european media agency stattfindet, wird morgen abend ebenfalls um 20 Uhr "Modesty Blaise - Die tödliche Lady" von Joseph Losey gezeigt.
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