Die schöne, junge Severine lebt ein scheinbar normales, großbürgerliches Leben an der Seite ihres Ehemannes Pierre. Während sie sich ihrem Mann sexuell verweigert, läßt sie in masochistischen Zwangsvorstellungen ihrer Phantasie freien Lauf. Nachdem sie durch einen Bekannten zufällig die Adresse eines Bordells erfahren hat, beginnt sie ein Doppelleben und arbeitet dort stundenweise unter dem Namen "Belle de jour". Eines Tages folgt ihr der Gangster Marcel, ein Freier, der sich in sie verliebt hat, nach Hause und schießt aus Eifersucht auf ihren nichtsahnenden Gatten. Dieser überlebt zwar, bleibt aber sowohl blind als auch gelähmt, und wird in der Folgezeit von Severine liebevoll gepflegt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2009Eine Reise durchs Kino in acht Filmen
Das blaue Wunder: Arthaus bringt Klassiker auf Bluray
Studio Canal Collection auf Bluray.
Arthaus. Acht Filme. Jeweils Original, Deutsch und Untertitel. Begleithefte und zahllose Extras.
Acht Filmklassiker erscheinen am Freitag bei Arthaus auf Bluray. Das ist schon deswegen ein echtes Ereignis, weil die Aufarbeitung des Filmerbes in dem neuen Format eher schleppend vorangeht. Zur Erinnerung: Blurays sind die neuen hochauflösenden Scheiben, die aussehen wie DVDs, aber ein besseres, schärferes Bild haben und für die man ein entsprechendes Abspielgerät braucht. Wer nicht einen FullHD-Bildschirm oder gar einen Beamer sein eigen nennt, der wird keine allzu großen Unterschiede zur herkömmlichen DVD feststellen, und doch wachsen der Markt und das Angebot langsam, aber stetig. Nun also erweitert um die acht Titel der "Studio Canal Collection": "Die Verachtung" von Jean-Luc Godard, "Belle de jour" von Luis Buñuel, "Die drei Tage des Condor" von Sydney Pollack, "Ran" von Akira Kurosawa, "Der Elefantenmensch" von David Lynch, "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von Volker Schlöndorff, "Die durch die Hölle gehen" von Michael Cimino und "Letztes Jahr in Marienbad" von Alain Resnais.
Lauter Filme, die es auf DVD schon gibt und die nun aber als Bluray nicht nur hübsch als Digipack mit Begleitheft aufbereitet wurden, sondern zum Teil auch mit aufsehenerregenden Extras versehen wurden.
Vielleicht sollte man seine Reise durch diese Sammlung deshalb mit einem Kurzfilm beginnen, der bislang bei uns noch nicht erhältlich war und der zu den schönsten überhaupt gehört: "Toute la mémoire du monde" von Alain Resnais, eine Dokumentation über die Pariser Bibliothèque nationale von 1956, in der die Kamera von Ghislain Cloquet durch die Gänge und Regalreihen gleitet, als erforsche sie ein Buch von Borges. "Da ihr Gedächtnis kurz ist", schnarrt da die Stimme von Jacques Dumesnil am Anfang, "haben die Menschen sich unzählige Eselsbrücken erschaffen." Er meint natürlich in dem Fall die Druckerzeugnisse, all die Bücher und Zeitschriften, die von Hand erfasst und einsortiert werden, aber wenn man dann einen Alten sieht, der mit dem Handkarren die Neuerwerbungen durch die Korridore an ihren Bestimmungsort fährt, und die Buchrücken, die noch handschriftlich mit einer Signatur versehen sind, dann wird einem umso deutlicher bewusst, wie sehr sich das Gedächtnis der Welt im letzten halben Jahrhundert verändert hat, besonders wenn man sich vor Augen führt, dass auch die Bluray nur eine jener Eselsbrücken ist, mit denen wir unserem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Was für ein Segen das ist, denkt man in dem Moment, wird aber auch angeweht vom Verlust der eigentümlichen Schönheit dieses schwerfälligen Hirnersatzes namens Bibliothek, die der Film beschwört.
Der Film findet sich als Zugabe auf der Bluray von "Letztes Jahr in Marienbad", zusammen mit dem nicht minder atemberaubenden "Le chant du Styrène", einer Scope- und Farborgie, in der Resnais zu Texten von Raymond Queneau die Plastikproduktion auf den Kopf stellt. Dass beide Kurzfilme ebenfalls hochauflösend vorliegen, ist bei Extras bei weitem nicht selbstverständlich, führt aber auch nicht in jedem Fall zu exzellenten Ergebnissen, denn eine Bluray kann auch nie besser sein als ihr Ausgangsmaterial. Wobei die Detailschärfe von "Toute la mémoire" schon ein deutlicher Fortschritt zur bisherigen französischen DVD-Fassung bietet, aber bei der Plastik-Ode führt das zu einem heftigen Rauschen der knallbunten Farben, das auf der DVD längst nicht so ausgeprägt war. Aber das ist eben eine Begleiterscheinung des Bluray-Hypes, dass man auf Unvollkommenheiten wesentlich ungnädiger reagiert als womöglich angemessen.
Deswegen muss man den Hauptfilm umso heftiger preisen, denn auch wenn es heißt, dass gerade Schwarzweißfilme vom neuen Format wenig profitieren, so kann man an "Letztes Jahr in Marienbad" sehen, dass immer noch Raum nach oben bleibt. Und vermutlich darf man behaupten, dass dieser Film seit seiner Premiere auf dem Filmfestival von Venedig 1961, wo er den Goldenen Löwen gewann, nicht mehr in dieser Perfektion zu sehen war. Wenn Sacha Viernys Kamera den Zierrat der namenlosen Münchner Schlösser abtastet, wenn sie durch endlose Flure schwebt oder Delphine Seyrigs makellose Schönheit umschmeichelt, dann kann man nur staunen, wie nuanciert die Schattierungen und wie plastisch die Bilder sind.
Grundsätzlich muss man sagen, dass die Bluray die knackige digitale Schärfe heutiger Produktionen natürlich begünstigt und dem gröberen Korn der Emulsionen aus dem letzten Jahrhundert weniger abgewinnen kann. Alte Filme werden also durch Bluray auch nicht schärfer, aber die Bilder wirken quasi stabiler, weil die Farben präziser wiedergegeben werden. Es hat schon seinen Grund, warum auf der sehr hilfreichen Website www.blubeaver.ca zur Beschreibung der Bildqualität mitunter der Begriff "Empathie" verwendet wird, weil sich eben oft gar nicht so genau sagen lässt, worin die Vorzüge der jeweiligen Bluray-Umsetzung liegen, außer eben in einem speziellen Einfühlungsvermögen in die ursprünglichen Intentionen des Filmemachers und das Filmerlebnis auf der Leinwand. Das befördert natürlich auch ein Spezialistentum, das zur Erbsenzählerei tendiert, aber von dem neuen Medium eben eine Sorgfalt einfordert, die seinen Möglichkeiten gerecht wird.
Zwei Filme dieser Kollektion, die ebenfalls in dieser Qualität so nur selten zu sehen waren, sind Ciminos "Deer Hunter", der von der ersten Einstellung an eine fabelhafte Tiefenschärfe und Farbigkeit besitzt, die bei dem ebenfalls in den siebziger Jahren entstandenen "Drei Tage des Condor" wesentlich weniger ausgeprägt ist. Dafür ist Sydney Pollacks Thriller erstmals mit einem Audiokommentar des Regisseurs ausgestattet, was schon deswegen toll ist, weil er eine so zurückgelehnte Art hat, über seine Arbeit zu sprechen. Auch er macht übrigens gleich am Anfang darauf aufmerksam, wie die Digitalisierung der Welt fortgeschritten ist, seit er die riesenhaften Computer und ersten Buch-Scanner erblickt hat, die damals noch als fortschrittlich galten.
Ebenfalls atemberaubend ist die Abtastung von Buñuels "Belle de jour", eine geradezu zärtliche Schärfe ist da am Werk und eine Genauigkeit in den Farbabstufungen, die so wahrscheinlich auf keiner Filmkopie mehr zu sehen ist.
Aber ehe man allzu sehr ins Schwärmen verfällt, muss man vielleicht auch erwähnen, dass Kurosawas "Ran" enttäuschend blass und schwammig aussieht und dass auch bei Godards "Verachtung" nicht alles perfekt ist. Wenn sich Piccoli und Bardot beim Anziehen zanken, gibt es nicht nur einige Bildfehler auf der weißen Wand, die durch Bluray eben mehr auffallen, sondern einen ausgesprochen zittrigen Bildstand, der auf der DVD so nicht zu sehen ist. Außerdem gibt es einige Unruhen in den Farben, die wiederum von der DVD übernommen scheinen. Dafür gibt es einige sehr schöne Dokumentationen zu Godard und Fritz Lang.
Insgesamt gilt dann aber eben doch, womit auch "Toute la mémoire" endet, dass wir auch mit Bluray einer Utopie näher gekommen sind, in der sich "Stück für Stück die Fragmente ein und desselben Geheimnisses zusammensetzen, das vielleicht einen sehr schönen Namen hat, der sich Glück nennt".
MICHAEL ALTHEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das blaue Wunder: Arthaus bringt Klassiker auf Bluray
Studio Canal Collection auf Bluray.
Arthaus. Acht Filme. Jeweils Original, Deutsch und Untertitel. Begleithefte und zahllose Extras.
Acht Filmklassiker erscheinen am Freitag bei Arthaus auf Bluray. Das ist schon deswegen ein echtes Ereignis, weil die Aufarbeitung des Filmerbes in dem neuen Format eher schleppend vorangeht. Zur Erinnerung: Blurays sind die neuen hochauflösenden Scheiben, die aussehen wie DVDs, aber ein besseres, schärferes Bild haben und für die man ein entsprechendes Abspielgerät braucht. Wer nicht einen FullHD-Bildschirm oder gar einen Beamer sein eigen nennt, der wird keine allzu großen Unterschiede zur herkömmlichen DVD feststellen, und doch wachsen der Markt und das Angebot langsam, aber stetig. Nun also erweitert um die acht Titel der "Studio Canal Collection": "Die Verachtung" von Jean-Luc Godard, "Belle de jour" von Luis Buñuel, "Die drei Tage des Condor" von Sydney Pollack, "Ran" von Akira Kurosawa, "Der Elefantenmensch" von David Lynch, "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von Volker Schlöndorff, "Die durch die Hölle gehen" von Michael Cimino und "Letztes Jahr in Marienbad" von Alain Resnais.
Lauter Filme, die es auf DVD schon gibt und die nun aber als Bluray nicht nur hübsch als Digipack mit Begleitheft aufbereitet wurden, sondern zum Teil auch mit aufsehenerregenden Extras versehen wurden.
Vielleicht sollte man seine Reise durch diese Sammlung deshalb mit einem Kurzfilm beginnen, der bislang bei uns noch nicht erhältlich war und der zu den schönsten überhaupt gehört: "Toute la mémoire du monde" von Alain Resnais, eine Dokumentation über die Pariser Bibliothèque nationale von 1956, in der die Kamera von Ghislain Cloquet durch die Gänge und Regalreihen gleitet, als erforsche sie ein Buch von Borges. "Da ihr Gedächtnis kurz ist", schnarrt da die Stimme von Jacques Dumesnil am Anfang, "haben die Menschen sich unzählige Eselsbrücken erschaffen." Er meint natürlich in dem Fall die Druckerzeugnisse, all die Bücher und Zeitschriften, die von Hand erfasst und einsortiert werden, aber wenn man dann einen Alten sieht, der mit dem Handkarren die Neuerwerbungen durch die Korridore an ihren Bestimmungsort fährt, und die Buchrücken, die noch handschriftlich mit einer Signatur versehen sind, dann wird einem umso deutlicher bewusst, wie sehr sich das Gedächtnis der Welt im letzten halben Jahrhundert verändert hat, besonders wenn man sich vor Augen führt, dass auch die Bluray nur eine jener Eselsbrücken ist, mit denen wir unserem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Was für ein Segen das ist, denkt man in dem Moment, wird aber auch angeweht vom Verlust der eigentümlichen Schönheit dieses schwerfälligen Hirnersatzes namens Bibliothek, die der Film beschwört.
Der Film findet sich als Zugabe auf der Bluray von "Letztes Jahr in Marienbad", zusammen mit dem nicht minder atemberaubenden "Le chant du Styrène", einer Scope- und Farborgie, in der Resnais zu Texten von Raymond Queneau die Plastikproduktion auf den Kopf stellt. Dass beide Kurzfilme ebenfalls hochauflösend vorliegen, ist bei Extras bei weitem nicht selbstverständlich, führt aber auch nicht in jedem Fall zu exzellenten Ergebnissen, denn eine Bluray kann auch nie besser sein als ihr Ausgangsmaterial. Wobei die Detailschärfe von "Toute la mémoire" schon ein deutlicher Fortschritt zur bisherigen französischen DVD-Fassung bietet, aber bei der Plastik-Ode führt das zu einem heftigen Rauschen der knallbunten Farben, das auf der DVD längst nicht so ausgeprägt war. Aber das ist eben eine Begleiterscheinung des Bluray-Hypes, dass man auf Unvollkommenheiten wesentlich ungnädiger reagiert als womöglich angemessen.
Deswegen muss man den Hauptfilm umso heftiger preisen, denn auch wenn es heißt, dass gerade Schwarzweißfilme vom neuen Format wenig profitieren, so kann man an "Letztes Jahr in Marienbad" sehen, dass immer noch Raum nach oben bleibt. Und vermutlich darf man behaupten, dass dieser Film seit seiner Premiere auf dem Filmfestival von Venedig 1961, wo er den Goldenen Löwen gewann, nicht mehr in dieser Perfektion zu sehen war. Wenn Sacha Viernys Kamera den Zierrat der namenlosen Münchner Schlösser abtastet, wenn sie durch endlose Flure schwebt oder Delphine Seyrigs makellose Schönheit umschmeichelt, dann kann man nur staunen, wie nuanciert die Schattierungen und wie plastisch die Bilder sind.
Grundsätzlich muss man sagen, dass die Bluray die knackige digitale Schärfe heutiger Produktionen natürlich begünstigt und dem gröberen Korn der Emulsionen aus dem letzten Jahrhundert weniger abgewinnen kann. Alte Filme werden also durch Bluray auch nicht schärfer, aber die Bilder wirken quasi stabiler, weil die Farben präziser wiedergegeben werden. Es hat schon seinen Grund, warum auf der sehr hilfreichen Website www.blubeaver.ca zur Beschreibung der Bildqualität mitunter der Begriff "Empathie" verwendet wird, weil sich eben oft gar nicht so genau sagen lässt, worin die Vorzüge der jeweiligen Bluray-Umsetzung liegen, außer eben in einem speziellen Einfühlungsvermögen in die ursprünglichen Intentionen des Filmemachers und das Filmerlebnis auf der Leinwand. Das befördert natürlich auch ein Spezialistentum, das zur Erbsenzählerei tendiert, aber von dem neuen Medium eben eine Sorgfalt einfordert, die seinen Möglichkeiten gerecht wird.
Zwei Filme dieser Kollektion, die ebenfalls in dieser Qualität so nur selten zu sehen waren, sind Ciminos "Deer Hunter", der von der ersten Einstellung an eine fabelhafte Tiefenschärfe und Farbigkeit besitzt, die bei dem ebenfalls in den siebziger Jahren entstandenen "Drei Tage des Condor" wesentlich weniger ausgeprägt ist. Dafür ist Sydney Pollacks Thriller erstmals mit einem Audiokommentar des Regisseurs ausgestattet, was schon deswegen toll ist, weil er eine so zurückgelehnte Art hat, über seine Arbeit zu sprechen. Auch er macht übrigens gleich am Anfang darauf aufmerksam, wie die Digitalisierung der Welt fortgeschritten ist, seit er die riesenhaften Computer und ersten Buch-Scanner erblickt hat, die damals noch als fortschrittlich galten.
Ebenfalls atemberaubend ist die Abtastung von Buñuels "Belle de jour", eine geradezu zärtliche Schärfe ist da am Werk und eine Genauigkeit in den Farbabstufungen, die so wahrscheinlich auf keiner Filmkopie mehr zu sehen ist.
Aber ehe man allzu sehr ins Schwärmen verfällt, muss man vielleicht auch erwähnen, dass Kurosawas "Ran" enttäuschend blass und schwammig aussieht und dass auch bei Godards "Verachtung" nicht alles perfekt ist. Wenn sich Piccoli und Bardot beim Anziehen zanken, gibt es nicht nur einige Bildfehler auf der weißen Wand, die durch Bluray eben mehr auffallen, sondern einen ausgesprochen zittrigen Bildstand, der auf der DVD so nicht zu sehen ist. Außerdem gibt es einige Unruhen in den Farben, die wiederum von der DVD übernommen scheinen. Dafür gibt es einige sehr schöne Dokumentationen zu Godard und Fritz Lang.
Insgesamt gilt dann aber eben doch, womit auch "Toute la mémoire" endet, dass wir auch mit Bluray einer Utopie näher gekommen sind, in der sich "Stück für Stück die Fragmente ein und desselben Geheimnisses zusammensetzen, das vielleicht einen sehr schönen Namen hat, der sich Glück nennt".
MICHAEL ALTHEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main