Kolumbien 1968: Lange bevor der Name Pablo Escobar in aller Munde ist, legt eine Familie des matriarchalisch geprägten Wayuu-Stammes den Grundstein für den Drogenhandel, für den das Land später so berühmt-berüchtigt werden wird.
Der junge Rapayet verkauft etwas Marihuana an Amerikaner des Friedenskorps. Das Geschäft boomt und er steigt bald zum reichsten Mann der abgelegenen Steppenregion auf. Doch der Reichtum ist mit einem hohen Preis verbunden. Ein brutaler Krieg um Macht und Geld bricht aus und setzt nicht nur das Leben des Stammes, sondern auch ihre Kultur und Traditionen aufs Spiel.
Der junge Rapayet verkauft etwas Marihuana an Amerikaner des Friedenskorps. Das Geschäft boomt und er steigt bald zum reichsten Mann der abgelegenen Steppenregion auf. Doch der Reichtum ist mit einem hohen Preis verbunden. Ein brutaler Krieg um Macht und Geld bricht aus und setzt nicht nur das Leben des Stammes, sondern auch ihre Kultur und Traditionen aufs Spiel.
Bonusmaterial
Wendecover Trailer TrailershowFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2019Matriarchalische Mafiasaga
Was ein Pate für einen kriminellen Clan bedeutet, wissen wir aus dem Kino schon lange. Bei den Ureinwohnern Kolumbiens aber kann es auch eine Patin sein: "Birds of Passage" erzählt davon.
Ursula erklärt ihrer Tochter die Regeln: Solange es die Familie gibt, gibt es Respekt. Wenn es Respekt gibt, gibt es Ehre. Wenn es Ehre gibt, gibt es das Wort. Und das Wort bedeutet Frieden. Die beiden Frauen sitzen in einer Holzhütte, durch die der Steppenwind pfeift. Ursula malt ihrer Tochter Zaida rote Kringel auf Stirn und Wangen. Wenn sie die Hütte verlässt, ist sie eine Frau und kann eine Familie gründen. Damit beginnt das Drama. Respekt, Ehre, Frieden werden zermahlen, bis nur noch Staub zurückbleibt.
Man sollte sich also nicht von den ruhigen Bildern der Steppenlandschaft zu Beginn von "Birds of Passage" täuschen lassen. Das hier ist kein elegischer Arthouse-Film, das ist ein großes kolumbianisches Mafia-Epos. Man tut besser daran, dem Gespräch der Frauen zu vertrauen, denn wie Ursula schon erklärt hat, gilt das Wort - und damit ist man bereits mittendrin in der Kultur der Wayuu, auf deren Stammesgebiet im Norden Kolumbiens sich in den 1960er bis 1980er Jahren die Ereignisse zutrugen, die dem Film zugrunde liegen. Zaida (gespielt von der Kolumbianerin Natalia Reyes, die im Herbst im nächsten Terminator-Film zu sehen ist) manifestiert ihre Frauwerdung vor der Clangemeinschaft im Tanz. Ihr feuerrotes Gewand umfängt sie wie die Schwingen eines großen Vogels, als sich Rapayet tanzend in ihren Kreis wagt. Der junge Mann gehört nicht zum Clan. Die Trommeln werden schneller. Begehren blitzt auf. Erst in seinem Blick. Dann, als er mit ihrem Tempo mitzuhalten versteht, auch in ihrem. Als die Trommeln verstummen, flüstert er ihr zu: "Du gehörst mir."
Mit diesen drei Worten ist er charakterisiert. Getrieben von Gier, sucht Rapayet Sicherheit durch Besitz. Die Frau wird ihm nicht reichen. Doch da die Wayuu eine matriarchalische Kultur pflegen, versucht die Mutter das Schicksal noch abzuwenden. Sie trägt dem Brautwerber auf, eine Mitgift zu beschaffen, von der sie weiß, dass er sie unmöglich aus seinen Mitteln aufbringen kann. Doch Rapayet rechnet nicht nur auf den Besitz der Frau, er weiß, dass die Hochzeit mit Zaida ihm die Unterstützung ihres gesamten Clans einbringt.
Sie ist seine Chance, ein besseres Leben zu führen. Also ergreift er die nächste Gelegenheit, an Geld zu kommen. Die bietet sich in einer Kneipe in Gestalt eines Amerikaners, der für das Friedenskorps durchs Land zieht. "Er sagt, er sammelt gegen den Kommunismus", erklärt der Wirt. "Aber was die eigentlich wollen, ist Marihuana." Rapayet begreift schnell, verabschiedet sich vom Amerikaner mit: "Lang lebe der Kapitalismus." Und überredet seinen Onkel, dass er statt Kaffee von nun an Marihuana anbaut, das ihm den sechsfachen Preis einbringt.
Es ist der Beginn eines Drogenimperiums. Bald schon werden die Maultiere, die "das wilde Gras" von den Bergen hinuntertransportieren in langen Reihen gehen, Polizisten werden, dicke Bündel Bestechungsgeld entgegennehmen, Flugzeuge werden gekapert, ein Mann wird für Geld Fäkalien essen, und Zaida wird mit ihren Kindern in einem weißen Haus leben, das einsam in der Weite der Steppe thront. Bis Rapayet feststellen muss, dass Besitz keine Sicherheit, sondern nur immer mehr Gier mit sich bringt.
Ciro Guerra und Cristina Gallego haben bereits den oscarnominierten "Der Schamane und die Schlange" (2015) gemeinsam gedreht, einen Zweistundentrip in Schwarzweiß, in dem zwei Forscher Anfang des 19. Jahrhunderts die drogeninduzierten Weisheiten eines Indio-Stamms am Amazonas suchen. Schon damals entschieden sie sich dafür, die Geschichte aus Perspektive der Ureinwohner zu erzählen und übersetzten ihr Drehbuch in deren vielfältige Sprachen.
Für "Birds of Passage" haben sie sich in die nördliche Steppe ihrer kolumbianischen Heimat begeben, ihre Themen aber sind gleich geblieben: Subtil erzählen sie anhand einzelner Schicksale, was Kolonialismus und Eroberung mit den Ureinwohnern machten, was Raubwirtschaft und Gier mit einer Kultur anstellen, die solche Probleme zwar im kleinen Kreis der Stammesgemeinschaft kannte und dort ahndete, deren Regeln den Auswüchsen des kapitalistischen Machtstrebens jedoch nicht gewachsen sind.
In "Birds of Passage" nehmen sie, weil es um einen matriarchalen Stamm geht, die Frauen in den Fokus. Regisseurin Gallego erklärte während der Weltpremiere im vergangenen Jahr in Cannes, dass es nicht leicht sei, diese Geschichte zu erzählen, besonders wenn man selbst eine Frau aus einem Entwicklungsland sei. "In der Gemeinschaft der Wayuu regeln die Frauen das Geschäft und die Politik. Auf der anderen Seite ist es trotzdem eine Kultur, die vom männlichen Chauvinismus geprägt ist. Als wir unsere Recherchen gemacht haben, bemerkten wir, dass viele Menschen die Beteiligung der Frauen am Drogenhandel abgestritten haben", erklärte sie später. Sie habe keinen weiteren "Der Pate"-Film drehen wollen, sondern die Geschichte einer "Patin" erzählen.
Trotz all dieser politischen Brisanz und Themenschwere ist es ihr und Ciro Guerra gelungen, einen Gangsterfilm zu drehen, der im Gegensatz zu Serien wie "Narcos" oder "Pablo Escobar" nichts glorifiziert. Dass der Film dabei so bildgewaltig ist, liegt auch an der Geduld, die sie für den Dreh aufbrachten. So entstanden Details, für die man Zeit braucht und den Zufall, den sie mit sich bringt. Da ruht dann die Kamera in der Steppe lange auf einer großen buntschillernden Heuschrecke, die langsam aus dem Bild schwirrt, um Platz zu machen für einen blauen staubumwirbelten Bus, der Rapayet zu seinem Schicksal, dem Treffen mit dem Amerikaner, bringen wird. Die Heuschrecken werden später wiederkommen, in biblischer Vielzahl, wenn der Film mit unaufhaltsamer Härte dem Ende und dem Untergang der Familie, den Rapayets Gier besiegelt hat, entgegensteuert.
Es ist dann noch einmal eine Frau, eine Älteste des Clans, die den Krieg der Familien abzuwenden versucht und erinnert: "Unsere Vorfahren haben unser Land vor Piraten geschützt, vor Engländern, vor den Spaniern, vor den Regierungen, die versucht haben, es uns wegzunehmen und uns zu sagen, was wir tun sollen." Doch wenn Gier und Gewalt regieren, hat das Wort keine Bedeutung mehr.
MARIA WIESNER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was ein Pate für einen kriminellen Clan bedeutet, wissen wir aus dem Kino schon lange. Bei den Ureinwohnern Kolumbiens aber kann es auch eine Patin sein: "Birds of Passage" erzählt davon.
Ursula erklärt ihrer Tochter die Regeln: Solange es die Familie gibt, gibt es Respekt. Wenn es Respekt gibt, gibt es Ehre. Wenn es Ehre gibt, gibt es das Wort. Und das Wort bedeutet Frieden. Die beiden Frauen sitzen in einer Holzhütte, durch die der Steppenwind pfeift. Ursula malt ihrer Tochter Zaida rote Kringel auf Stirn und Wangen. Wenn sie die Hütte verlässt, ist sie eine Frau und kann eine Familie gründen. Damit beginnt das Drama. Respekt, Ehre, Frieden werden zermahlen, bis nur noch Staub zurückbleibt.
Man sollte sich also nicht von den ruhigen Bildern der Steppenlandschaft zu Beginn von "Birds of Passage" täuschen lassen. Das hier ist kein elegischer Arthouse-Film, das ist ein großes kolumbianisches Mafia-Epos. Man tut besser daran, dem Gespräch der Frauen zu vertrauen, denn wie Ursula schon erklärt hat, gilt das Wort - und damit ist man bereits mittendrin in der Kultur der Wayuu, auf deren Stammesgebiet im Norden Kolumbiens sich in den 1960er bis 1980er Jahren die Ereignisse zutrugen, die dem Film zugrunde liegen. Zaida (gespielt von der Kolumbianerin Natalia Reyes, die im Herbst im nächsten Terminator-Film zu sehen ist) manifestiert ihre Frauwerdung vor der Clangemeinschaft im Tanz. Ihr feuerrotes Gewand umfängt sie wie die Schwingen eines großen Vogels, als sich Rapayet tanzend in ihren Kreis wagt. Der junge Mann gehört nicht zum Clan. Die Trommeln werden schneller. Begehren blitzt auf. Erst in seinem Blick. Dann, als er mit ihrem Tempo mitzuhalten versteht, auch in ihrem. Als die Trommeln verstummen, flüstert er ihr zu: "Du gehörst mir."
Mit diesen drei Worten ist er charakterisiert. Getrieben von Gier, sucht Rapayet Sicherheit durch Besitz. Die Frau wird ihm nicht reichen. Doch da die Wayuu eine matriarchalische Kultur pflegen, versucht die Mutter das Schicksal noch abzuwenden. Sie trägt dem Brautwerber auf, eine Mitgift zu beschaffen, von der sie weiß, dass er sie unmöglich aus seinen Mitteln aufbringen kann. Doch Rapayet rechnet nicht nur auf den Besitz der Frau, er weiß, dass die Hochzeit mit Zaida ihm die Unterstützung ihres gesamten Clans einbringt.
Sie ist seine Chance, ein besseres Leben zu führen. Also ergreift er die nächste Gelegenheit, an Geld zu kommen. Die bietet sich in einer Kneipe in Gestalt eines Amerikaners, der für das Friedenskorps durchs Land zieht. "Er sagt, er sammelt gegen den Kommunismus", erklärt der Wirt. "Aber was die eigentlich wollen, ist Marihuana." Rapayet begreift schnell, verabschiedet sich vom Amerikaner mit: "Lang lebe der Kapitalismus." Und überredet seinen Onkel, dass er statt Kaffee von nun an Marihuana anbaut, das ihm den sechsfachen Preis einbringt.
Es ist der Beginn eines Drogenimperiums. Bald schon werden die Maultiere, die "das wilde Gras" von den Bergen hinuntertransportieren in langen Reihen gehen, Polizisten werden, dicke Bündel Bestechungsgeld entgegennehmen, Flugzeuge werden gekapert, ein Mann wird für Geld Fäkalien essen, und Zaida wird mit ihren Kindern in einem weißen Haus leben, das einsam in der Weite der Steppe thront. Bis Rapayet feststellen muss, dass Besitz keine Sicherheit, sondern nur immer mehr Gier mit sich bringt.
Ciro Guerra und Cristina Gallego haben bereits den oscarnominierten "Der Schamane und die Schlange" (2015) gemeinsam gedreht, einen Zweistundentrip in Schwarzweiß, in dem zwei Forscher Anfang des 19. Jahrhunderts die drogeninduzierten Weisheiten eines Indio-Stamms am Amazonas suchen. Schon damals entschieden sie sich dafür, die Geschichte aus Perspektive der Ureinwohner zu erzählen und übersetzten ihr Drehbuch in deren vielfältige Sprachen.
Für "Birds of Passage" haben sie sich in die nördliche Steppe ihrer kolumbianischen Heimat begeben, ihre Themen aber sind gleich geblieben: Subtil erzählen sie anhand einzelner Schicksale, was Kolonialismus und Eroberung mit den Ureinwohnern machten, was Raubwirtschaft und Gier mit einer Kultur anstellen, die solche Probleme zwar im kleinen Kreis der Stammesgemeinschaft kannte und dort ahndete, deren Regeln den Auswüchsen des kapitalistischen Machtstrebens jedoch nicht gewachsen sind.
In "Birds of Passage" nehmen sie, weil es um einen matriarchalen Stamm geht, die Frauen in den Fokus. Regisseurin Gallego erklärte während der Weltpremiere im vergangenen Jahr in Cannes, dass es nicht leicht sei, diese Geschichte zu erzählen, besonders wenn man selbst eine Frau aus einem Entwicklungsland sei. "In der Gemeinschaft der Wayuu regeln die Frauen das Geschäft und die Politik. Auf der anderen Seite ist es trotzdem eine Kultur, die vom männlichen Chauvinismus geprägt ist. Als wir unsere Recherchen gemacht haben, bemerkten wir, dass viele Menschen die Beteiligung der Frauen am Drogenhandel abgestritten haben", erklärte sie später. Sie habe keinen weiteren "Der Pate"-Film drehen wollen, sondern die Geschichte einer "Patin" erzählen.
Trotz all dieser politischen Brisanz und Themenschwere ist es ihr und Ciro Guerra gelungen, einen Gangsterfilm zu drehen, der im Gegensatz zu Serien wie "Narcos" oder "Pablo Escobar" nichts glorifiziert. Dass der Film dabei so bildgewaltig ist, liegt auch an der Geduld, die sie für den Dreh aufbrachten. So entstanden Details, für die man Zeit braucht und den Zufall, den sie mit sich bringt. Da ruht dann die Kamera in der Steppe lange auf einer großen buntschillernden Heuschrecke, die langsam aus dem Bild schwirrt, um Platz zu machen für einen blauen staubumwirbelten Bus, der Rapayet zu seinem Schicksal, dem Treffen mit dem Amerikaner, bringen wird. Die Heuschrecken werden später wiederkommen, in biblischer Vielzahl, wenn der Film mit unaufhaltsamer Härte dem Ende und dem Untergang der Familie, den Rapayets Gier besiegelt hat, entgegensteuert.
Es ist dann noch einmal eine Frau, eine Älteste des Clans, die den Krieg der Familien abzuwenden versucht und erinnert: "Unsere Vorfahren haben unser Land vor Piraten geschützt, vor Engländern, vor den Spaniern, vor den Regierungen, die versucht haben, es uns wegzunehmen und uns zu sagen, was wir tun sollen." Doch wenn Gier und Gewalt regieren, hat das Wort keine Bedeutung mehr.
MARIA WIESNER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main