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Eine Stadt im Norden Chinas, im ausgehenden 20. Jahrhun­dert. Liyun und Yaojun sind ein glückliches Paar. Sie leben mit ihrem Sohn Xingxing im Wohnheim der Metallfabrik, in der sie arbeiten, Wand an Wand mit ihren Freunden Haiyan und Yingming, deren Sohn Haohao am gleichen Tag geboren ist wie Xing. Als Xing eines Tages bei einem Unfall ums Le­ben kommt, trennen sich ihre Wege. Yaojun und Liyun ziehen in die Provinz Fujian im Süden des Landes. Doch die Fami­lien bleiben durch die Tragödie und die Suche nach Wahrheit und Versöhnung untrennbar miteinander verbunden.
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Produktbeschreibung
Eine Stadt im Norden Chinas, im ausgehenden 20. Jahrhun­dert. Liyun und Yaojun sind ein glückliches Paar. Sie leben mit ihrem Sohn Xingxing im Wohnheim der Metallfabrik, in der sie arbeiten, Wand an Wand mit ihren Freunden Haiyan und Yingming, deren Sohn Haohao am gleichen Tag geboren ist wie Xing. Als Xing eines Tages bei einem Unfall ums Le­ben kommt, trennen sich ihre Wege. Yaojun und Liyun ziehen in die Provinz Fujian im Süden des Landes. Doch die Fami­lien bleiben durch die Tragödie und die Suche nach Wahrheit und Versöhnung untrennbar miteinander verbunden.

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2019

Das ganze Leben in einem Moment

Eine chinesische Familiengeschichte malt das alltägliche Porträt einer tragischen Epoche: Wang Xiaoshuais Film "Bis dann, mein Sohn" ist ein Meisterwerk des epischen Kinos.

Politisches Kino hatte nie eine gute Presse. Es gilt als verkopft, konstruiert, als Kunst im Dienst fremder Zwecke, also keine Kunst. Erst recht gilt das für Filme, die das Politische in klassische Erzählformen zu fassen versuchen, etwa das Familiendrama. Die Anstrengung, die ein Drehbuchautor oder Regisseur unternimmt, um allgemeine Zustände in einer besonderen Geschichte abzubilden, wird ihm als Verzerrung angekreidet. Einer Dokumentation gesteht man zu, aus der Menge der Beispiele, die sie zeigen könnte, die sprechendsten auszuwählen; einer filmischen Fiktion wird ebendies routinemäßig vorgehalten. Aber dieser kritische Reflex ist so falsch wie der Affekt gegen die Gefühlsdramaturgie der Familienfilme. Er geht an einer elementaren Möglichkeit des Kinos vorbei: anschaulich zu machen, was sich hinter den Begriffen und Statistiken der Geschichtsbücher verbirgt.

Dies ist die Geschichte eines alternden Paares, das in einer Hafenstadt der chinesischen Küstenprovinz Fujian lebt, Liyun und Yaojun. Yaojun, der Mann, betreibt eine kleine Bootswerkstatt, Liyun führt den Haushalt in einem kärglichen Holzhaus am Meer. Sie haben einen Sohn, Liu Xing, der gerade in die Pubertät kommt und entsprechend aufmüpfig ist, er hängt vor seinem Smartphone, schwänzt die Schule, treibt sich im Hafen herum. Als er wegen eines Diebstahls von der Schule verwiesen werden soll, rennt er von zu Hause fort. Am nächsten Tag steht die Werkstatt seiner Eltern nach einem Wolkenbruch unter Wasser. Liyun rettet ein altes Familienfoto aus den Fluten. Es zeigt Yaojun und sie mit einem anderen Kind.

Das ist die Gegenwart der Geschichte, ihre Vorderseite. Auf ihrer Rückseite liegt eine Tragödie, die an einem weit entfernten Ort spielt, einer Industriestadt im Norden Chinas in den achtziger Jahren. In den ersten Bildern des Films sieht man, wie zwei Jungen am Fluss spielen, einer will ins Wasser, der andere nicht. Als es dem Mutigeren nicht gelingt, seinen schüchternen Freund zu überreden, droht er ihm: "Dann bleibst du allein." Später erfahren wir, dass dies Xingxing und Haohao sind, der eine der Sohn von Liyun und Yaojun, der andere das Kind ihrer besten Freunde, die wie sie in der Maschinenfabrik beschäftigt sind und mit denen sie Tür an Tür in einer Wohnbaracke der Arbeitersiedlung leben. Aber da ist das Unglück schon geschehen. In einer zweiten Rückblende sitzt Haohao nackt und frierend auf einem Hügel über dem Fluss, während hinter ihm, in der grauen Tiefe des Bildes, der Körper seines Freundes aus dem Wasser gezogen wird. Ende einer Kindheit.

Die dritte Rückblende führt noch weiter in die Vergangenheit zurück. Ende der siebziger Jahre herrscht in China die Ein-Kind-Politik. Damit der Bevölkerungszuwachs gestoppt wird, dürfen Ehepaare nur noch ein Kind bekommen. Aber Liyun wird ein zweites Mal schwanger. Haiyan, die Mutter von Haohao, ist die Beauftragte für Geburtenkontrolle in der Fabrik. Sie zwingt ihre Freundin, das Kind abzutreiben. Liyun wird in einen Krankenwagen gestoßen, und als ihr Mann auf dem Krankenhausflur auf sie wartet, erfährt er, dass sie einen Blutsturz hatte. Sie wird nie wieder ein Kind bekommen.

Wang Xiaoshuai, der Regisseur dieses Films, gehört zur sogenannten sechsten Generation des Kinos in China - im Unterschied zur fünften, deren Karrieren, wie die von Chen Kaige und Zhang Yimou, vor dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz begonnen haben. Der Unterschied ist ein entscheidender, denn er markiert einen Wechsel von der Liberalisierung zur Repression. Sowohl Wang Xiaoshuai als auch der etwas jüngere Jia Zhangke haben ihre ersten Filme in ständigem Ringen mit der Zensur produziert. Sie haben auf Videomaterial, mit winzigen Budgets und sogar unter falschem Namen gedreht, ehe sie auf internationalen Festivals entdeckt wurden und allmählich auch in China gewisse Freiräume bekamen. Bei Wang, dessen Filme - darunter der 2001 in Berlin preisgekrönte "Bejing Bicycle" - oft über Jahre verboten blieben, dauerte das besonders lang. Aber die staatlichen Schikanen haben ihn nicht von seinem Weg abgebracht. Seit fünfundzwanzig Jahren dreht er unbeirrt Filme, in denen die Umbrüche der chinesischen Geschichte - Zwangsindustrialisierung, Kulturrevolution, Ein-Kind-Politik, Ende der Planwirtschaft - in privaten Schicksalen gespiegelt werden. Das galt für "Bejing Bicycle", ein Familiendrama über Arbeitsmigration, und es gilt auch für "Bis dann, mein Sohn".

Es dauert eine Weile, bis man sich an das Hin und Her von Rückblenden und Rahmenhandlung in Wangs Film gewöhnt hat. Sein Erzählprinzip besteht darin, dass immer ein Motiv das nächste aufruft: Ein altes Foto beschwört ein noch älteres, ein fahrender Zug führt zu einer Fähre im Hafen, ein Lied antwortet auf das andere. Dabei kommt es immer wieder zu vielsagenden Déjà-vus: Die Halle, in der den Arbeitern die Privatisierung ihrer Fabrik verkündet wird, ist dieselbe, in der Liyun und Yaojun einen Preis für Geburtenkontrolle empfangen haben, und Yaojun erfährt von dem Blutsturz seiner Frau auf demselben Krankenhausflur, über den er später seinen Sohn in die Notaufnahme bringen wird. Das historische Verhängnis schreibt sich den einzelnen Lebensläufen als Wiederholung ein. Später, in Fujian, wird Yaojun Liyun quer durch die Stadt ins Krankenhaus tragen, nachdem sie versucht hat, sich umzubringen, weil sie den Schmerz, den sie viele Jahre lang verdrängt hat, nicht mehr aushält.

Unterdessen ist die Rahmenerzählung ein Stück weit vorgesprungen. Eine junge Frau, Moli, hat Yaojun in Fujian besucht; später erfährt man, dass sie dabei von ihm schwanger geworden ist. Moli ist die Tante von Haohao, und sie ist auf dem Sprung nach Amerika, deshalb bietet sie ihrem Liebhaber das Ungeborene zur Adoption an, "als Wiedergutmachung". Das Muster, nach dem Vergangenheit und Gegenwart in "Bis dann, mein Sohn" miteinander verwoben sind, bringt es mit sich, dass dieses Angebot direkt auf die Rückblende in die Zeit der Privatisierung folgt, bei der Liyun ihren Arbeitsplatz verliert, so wie die Sequenz, in der Yaojun das Leben seiner Frau rettet, an jene anschließt, in der die beiden um ihren Sohn trauern. Alles ist gegenwärtig, heißt das, nichts ist vergangen, in jeder Sekunde ist das ganze Leben präsent, das ihr vorausging. Die Ein-Kind-Politik in China endete offiziell 2015. Für Liyun und Yaojun endet sie nie.

Am Ende macht der Film ein wenig zu gründlich reinen Tisch. Haiyan, die einstige Abtreibungsbeauftragte, ist todkrank, an ihrem Sterbebett versöhnen sich die Familien der beiden Kinder am Fluss, und auch Liu Xing, der rebellische Teenager (er wird von dem chinesischen Teeniestar Roy Wang gespielt), kehrt zu seinen Adoptiveltern zurück. Aber auch hier gibt es noch einen Moment stillen Erschreckens, als Yaojun die per Skype aus Kalifornien zugeschaltete Moli mit ihrem Kind erblickt: Es ist seins. Insofern weist der Filmtitel in viele Richtungen, politische wie private. Er zeigt ein Schicksal. Und er porträtiert eine Epoche.

Yong Mei und Wang Jingchun, die Darsteller der beiden Hauptpersonen, wurden auf der Berlinale im vergangenen Februar als beste Schauspieler ausgezeichnet. Zwei Trostpreise für einen großen Film, könnte man meinen. Aber in diesem Fall trifft die Entscheidung der Festivaljury den Punkt, den Wang Xiaoshuai machen wollte. Am Ende ist die Geschichte ein Widerschein in den Gesichtern. Ihren und unseren.

ANDREAS KILB

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