Lily (Susan Sarandon) und ihr Mann Paul (Sam Neill) freuen sich auf ein gemeinsames Wochenende mit ihrer Familie in ihrem Landhaus am Meer, ein Ort, der voller glücklicher Momente und Erinnerungen steckt. Ihre beiden Töchter, die angepasste Jennifer (Kate Winslet) und die rebellische Anna (Mia Wasikowska), kommen mit ihren Partnern und Kindern zu Besuch, sowie Lilys beste und älteste Freundin Liz (Lindsay Duncan). Zwischen den ungleichen Schwestern kommt es bald zum Streit. Im Laufe des Wochenendes kommen immer mehr alte Verletzungen, unangenehme Wahrheiten und Geheimnisse ans Licht, die alle Anwesenden schicksalshaft miteinander verbinden. Am Ende muss sich zeigen, ob sie es schaffen, als Familie wieder zusammen zu finden, um ihrer Mutter einen letzten Wunsch zu erfüllen.
Bonusmaterial
TrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2020Ihr letztes Wochenende
Kann es sein, dass man ein Drama über Sterbehilfe gerne sieht? Ja, weil man Susan Sarandon in Roger Michells Film "Blackbird - Eine Familiengeschichte" einfach alles zutraut
Es gibt Schauspielerinnen, denen sieht man beim Sterben lieber zu als anderen beim Spaß ihres Lebens. So eine Schauspielerin ist Susan Sarandon. Und "Blackbird" von Roger Michell ist ihr Film.
Sie spielt darin Lily, etwa Mitte sechzig Jahre alt. Sie ist verheiratet mit Paul (Sam Neill), Mutter zweier erwachsener Töchter (Kate Winslet und Mia Wasikowska) und lebt in einem Haus auf Long Island. Und sie ist schwer erkrankt an multipler Sklerose. Deshalb hat sie beschlossen, ihr Leben zu beenden, solange sie noch selbst dazu in der Lage ist. Paul, der Arzt ist, hat das Gift besorgt, seit Monaten wurde die Entscheidung mit der Familie besprochen.
Der Film handelt vom letzten gemeinsamen Wochenende, bevor Lily stirbt. Tochter Jennifer ist mit Mann Michael (Rainn Wilson) und Teenager-Sohn Jonathan (Anson Boon) angereist, die jüngere Anna mit ihrer Partnerin Chris (Bex Taylor-Klaus). Auch Lilys beste Freundin Liz (Lindsay Duncan) ist dabei, die schon früher jeden Urlaub mit der Familie verbracht hat. Sie kochen und streiten, sie sind mal verlegen vermeidend und mal offen konfrontativ. Konflikte zwischen den Schwestern und schließlich zwischen einer Tochter und der Mutter brechen auf, Lebensmodelle werden in Frage gestellt - und immer wieder auch Lilys Entscheidung, an diesem Sonntag zu sterben.
Die wichtigste Frage, die man sich beim Zusehen stellt, lautet dagegen: Wie kann es sein, dass man ein Drama über Sterbehilfe so gerne sieht, sich darin gar geborgen fühlt, obwohl doch alles auf den Tod zusteuert? Und auch die: Ist das richtig? Ob Lilys Entscheidung richtig ist (legal ist sie, das wird erwähnt, im Staat New York nicht), ist in "Blackbird" jedoch keine Frage der Ethik, sondern der Emotionen. Der Film handelt deshalb nur vermeintlich von Sterbehilfe. Eigentlich geht es um das Leben, und das ist dort definiert über menschliche Beziehungen.
Alle Figuren interessieren einen hier, und ihr Zusammenspiel mit Lily erst recht. Da ist Jennifer, die ältere der beiden Schwestern, mit dem starken Willen zum Kontrollieren und Alles-richtig-Machen. Anna, in den Zwanzigern, die sich von abgebrochenem Studium zu abgebrochener Ausbildung hangelt, psychisch labiler ist, als es zunächst wirkt, und mit ihrer Freundin in einer ständigen On-and-off-Beziehung lebt. Die Männer Paul und Michael, die vor allem als Stützen und Anspielpartner ihrer Frauen in Erscheinung treten und dem Wort "zuverlässig" eine neue Bedeutung geben. Chris und Liz, die zeigen, dass Nebenrollen dann am besten sind, wenn sie neugierig genug machen, über jede von ihnen einen eigenen Film sehen zu wollen. Und Enkel Jonathan, der, Berufswunsch Schauspieler, seine Zurückhaltung langsam aufgibt.
Humor und Ernst wechseln sich dabei natürlich ab, und es ist neben dem Drehbuch vor allem Roger Michells Gespür für Timing und Rhythmus, das ihre Balance gelingen lässt. Der Regisseur hat schon "Notting Hill" deutlich über das Niveau hinausgehoben, das die bloße Geschichte des Films garantiert hätte. Mag sein, dass einige es bedauern, dass "Blackbird" ein weiteres amerikanisches Remake eines bereits gelungenen und erfolgreichen europäischen Films ist, in diesem Fall von "Silent Heart" (2014) des dänischen Regisseurs Bille August. Es gibt aber keinen Anlass dazu. Der dänische Drehbuchautor Christian Torpe hat auch die neue Version geschrieben, das bringt Kontinuität. Und Susan Sarandons Spiel bringt den Glanz. "Seid ihr schon wach? Kommt herunter zum Frühstück, denn bald bin ich tot!", ruft Lily einmal. Und im Zwiegespräch mit ihrem Enkel, das sie schon mit dem Hinweis eröffnet, ältere Menschen erweckten jüngeren gegenüber bloß aus taktischen Gründen den Eindruck, dass sie aus Lebenserfahrung tatsächlich hilfreiche Hinweise geben könnten, rät sie: "You just show up and give life your best shot."
Es ist diese Philosophie der Lebendigkeit, der auch der Film folgt. Natürlich ist das Mainstreamkino. Aber Mainstreamkino im besten, berührenden Sinn. Die Ästhetik steht im Dienst der Figuren und der Geschichte und lässt sich doch nicht ganz auf sie reduzieren. Immer wieder wechselt die Kamera zwischen Nähe und Distanz. Besonders gut gelingen ihr dabei die Gruppenbilder: die Szenen des vorgezogenen Weihnachtsessens, des Spaziergangs am Strand. Dort entfernt sich der Blick nachdenklich und schwärmerisch, gibt Raum dafür, die Figuren als Gemeinschaft wahrzunehmen. Die auffälligen Kadrierungen und Begrenzungen, die die Bildgestaltung am Anfang dominierten, lösen sich dabei immer mehr auf.
Klar, ein paar kalkulierte Tränen sind auch dabei, vielleicht ein dramatischer Wendepunkt zu viel, zwei etwas zu kalkulierte Musikeinsätze. Aber Susan Sarandons Spiel als Lily, eigenwillig, einfühlsam, beherrscht, ausgelassen, wacht darüber, dass es wirklich kitschig gar nicht werden kann. Man folgt diesem Film so gern, weil er seiner Hauptfigur einfach alles zutraut. Das gilt übrigens nicht für das Filmplakat: Leider zeigt es Lily in einer Strickjacke. Im Film trägt sie ein Abendkleid.
JULIA DETTKE
Ab Donnerstag im Kino.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kann es sein, dass man ein Drama über Sterbehilfe gerne sieht? Ja, weil man Susan Sarandon in Roger Michells Film "Blackbird - Eine Familiengeschichte" einfach alles zutraut
Es gibt Schauspielerinnen, denen sieht man beim Sterben lieber zu als anderen beim Spaß ihres Lebens. So eine Schauspielerin ist Susan Sarandon. Und "Blackbird" von Roger Michell ist ihr Film.
Sie spielt darin Lily, etwa Mitte sechzig Jahre alt. Sie ist verheiratet mit Paul (Sam Neill), Mutter zweier erwachsener Töchter (Kate Winslet und Mia Wasikowska) und lebt in einem Haus auf Long Island. Und sie ist schwer erkrankt an multipler Sklerose. Deshalb hat sie beschlossen, ihr Leben zu beenden, solange sie noch selbst dazu in der Lage ist. Paul, der Arzt ist, hat das Gift besorgt, seit Monaten wurde die Entscheidung mit der Familie besprochen.
Der Film handelt vom letzten gemeinsamen Wochenende, bevor Lily stirbt. Tochter Jennifer ist mit Mann Michael (Rainn Wilson) und Teenager-Sohn Jonathan (Anson Boon) angereist, die jüngere Anna mit ihrer Partnerin Chris (Bex Taylor-Klaus). Auch Lilys beste Freundin Liz (Lindsay Duncan) ist dabei, die schon früher jeden Urlaub mit der Familie verbracht hat. Sie kochen und streiten, sie sind mal verlegen vermeidend und mal offen konfrontativ. Konflikte zwischen den Schwestern und schließlich zwischen einer Tochter und der Mutter brechen auf, Lebensmodelle werden in Frage gestellt - und immer wieder auch Lilys Entscheidung, an diesem Sonntag zu sterben.
Die wichtigste Frage, die man sich beim Zusehen stellt, lautet dagegen: Wie kann es sein, dass man ein Drama über Sterbehilfe so gerne sieht, sich darin gar geborgen fühlt, obwohl doch alles auf den Tod zusteuert? Und auch die: Ist das richtig? Ob Lilys Entscheidung richtig ist (legal ist sie, das wird erwähnt, im Staat New York nicht), ist in "Blackbird" jedoch keine Frage der Ethik, sondern der Emotionen. Der Film handelt deshalb nur vermeintlich von Sterbehilfe. Eigentlich geht es um das Leben, und das ist dort definiert über menschliche Beziehungen.
Alle Figuren interessieren einen hier, und ihr Zusammenspiel mit Lily erst recht. Da ist Jennifer, die ältere der beiden Schwestern, mit dem starken Willen zum Kontrollieren und Alles-richtig-Machen. Anna, in den Zwanzigern, die sich von abgebrochenem Studium zu abgebrochener Ausbildung hangelt, psychisch labiler ist, als es zunächst wirkt, und mit ihrer Freundin in einer ständigen On-and-off-Beziehung lebt. Die Männer Paul und Michael, die vor allem als Stützen und Anspielpartner ihrer Frauen in Erscheinung treten und dem Wort "zuverlässig" eine neue Bedeutung geben. Chris und Liz, die zeigen, dass Nebenrollen dann am besten sind, wenn sie neugierig genug machen, über jede von ihnen einen eigenen Film sehen zu wollen. Und Enkel Jonathan, der, Berufswunsch Schauspieler, seine Zurückhaltung langsam aufgibt.
Humor und Ernst wechseln sich dabei natürlich ab, und es ist neben dem Drehbuch vor allem Roger Michells Gespür für Timing und Rhythmus, das ihre Balance gelingen lässt. Der Regisseur hat schon "Notting Hill" deutlich über das Niveau hinausgehoben, das die bloße Geschichte des Films garantiert hätte. Mag sein, dass einige es bedauern, dass "Blackbird" ein weiteres amerikanisches Remake eines bereits gelungenen und erfolgreichen europäischen Films ist, in diesem Fall von "Silent Heart" (2014) des dänischen Regisseurs Bille August. Es gibt aber keinen Anlass dazu. Der dänische Drehbuchautor Christian Torpe hat auch die neue Version geschrieben, das bringt Kontinuität. Und Susan Sarandons Spiel bringt den Glanz. "Seid ihr schon wach? Kommt herunter zum Frühstück, denn bald bin ich tot!", ruft Lily einmal. Und im Zwiegespräch mit ihrem Enkel, das sie schon mit dem Hinweis eröffnet, ältere Menschen erweckten jüngeren gegenüber bloß aus taktischen Gründen den Eindruck, dass sie aus Lebenserfahrung tatsächlich hilfreiche Hinweise geben könnten, rät sie: "You just show up and give life your best shot."
Es ist diese Philosophie der Lebendigkeit, der auch der Film folgt. Natürlich ist das Mainstreamkino. Aber Mainstreamkino im besten, berührenden Sinn. Die Ästhetik steht im Dienst der Figuren und der Geschichte und lässt sich doch nicht ganz auf sie reduzieren. Immer wieder wechselt die Kamera zwischen Nähe und Distanz. Besonders gut gelingen ihr dabei die Gruppenbilder: die Szenen des vorgezogenen Weihnachtsessens, des Spaziergangs am Strand. Dort entfernt sich der Blick nachdenklich und schwärmerisch, gibt Raum dafür, die Figuren als Gemeinschaft wahrzunehmen. Die auffälligen Kadrierungen und Begrenzungen, die die Bildgestaltung am Anfang dominierten, lösen sich dabei immer mehr auf.
Klar, ein paar kalkulierte Tränen sind auch dabei, vielleicht ein dramatischer Wendepunkt zu viel, zwei etwas zu kalkulierte Musikeinsätze. Aber Susan Sarandons Spiel als Lily, eigenwillig, einfühlsam, beherrscht, ausgelassen, wacht darüber, dass es wirklich kitschig gar nicht werden kann. Man folgt diesem Film so gern, weil er seiner Hauptfigur einfach alles zutraut. Das gilt übrigens nicht für das Filmplakat: Leider zeigt es Lily in einer Strickjacke. Im Film trägt sie ein Abendkleid.
JULIA DETTKE
Ab Donnerstag im Kino.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main