Nach sechs gemeinsamen Jahren ist Deans (Ryan Gosling) und Cindys (Michelle Williams) Ehe am Ende. Was als romantische Leidenschaft mit unbedingter Hingabe begann, ist schleichender Ernüchterung gewichen: Aus Liebeserklärungen per Ukulele und Stepptanz wurden banale Streits um Geld, um fehlgeschlagene Ambitionen und um Tochter Frankie (Faith Wladyka). Wie es so weit kommen konnte, weiß keiner von ihnen. Den Kampf scheinen beide bereits verloren zu haben. Als letzten Rettungsversuch für ihre Ehe verbringen Dean und Cindy eine Nacht in einem Motel, in der sowohl zärtliche Erinnerungen an die erste Zeit als Paar als auch die brutale Gewissheit wach werden, dass sie vor der härtesten Veränderung ihres Lebens stehen.
Bonusmaterial
- Deleted Scenes - Making of - AudiokommentarFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2011Kammerspiel des Lebens
Derek Cianfrances meisterlicher Film über den Untergang der Liebe: "Blue Valentine"
Als alles vorbei ist, als es keine Hoffnung mehr für Dean und Cindy gibt, ihre Familie, ihre Ehe - da zieht Dean seinen Ehering vom Finger und wirft ihn wie ein Stück Unrat ins Gebüsch. Dann aber, nach kurzem Zögern, beginnt er den Ring genau dort zu suchen, wo er ihn gerade hingeschleudert hat. Und Cindy steigt aus dem Wagen und hilft ihm dabei. Das ist das sprechendste, zugleich komischste und traurigste, verzweifeltste Bild dieses Films: wie zwei, die sich trennen werden, im Unterholz nach dem Relikt jener Liebe tasten, die sie verloren haben.
Wenn die Geschichte vom Jungen, der ein Mädchen trifft, die älteste der Welt ist, dann ist die vom Ende der Liebe die zweitälteste. Das Kino aber mag diese zweite Geschichte nicht, es fürchtet ihre dunklen und deprimierenden Seiten und versteckt sie deshalb gern in Genrefilmen, in denen Detektive und Agentinnen einfach keine Zeit haben, sich um ihre Liebespartner zu kümmern. Nur in den amerikanischen Scheidungsdramen der siebziger und achtziger Jahre, wie Robert Bentons "Kramer gegen Kramer", war die Trennung eine Zeitlang das zentrale Thema. Aber damals ging es mehr um Emanzipation, Unterhalt und Sorgerecht, um die Verteilung realer und symbolischer Macht, als um den Totengesang der Gefühle. Der Raum der Klage, in dem jede abgestorbene Liebe endet, hat sich auf der Leinwand nur selten aufgetan.
Dieser Raum öffnet sich in "Blue Valentine", dem zweiten Spielfilm des Amerikaners Derek Cianfrance, auf bestürzende und beglückende Art. Er öffnet sich, weil Cianfrance nicht nur die eine, bittere, sondern auch die andere, ihr vorangehende Geschichte erzählt, den Anfang des gemeinsamen Glücks; und weil er die beiden Geschichten, die von der Morgenröte und die vom Untergang der Liebe, nicht nacheinander abspult, sondern ineinander spiegelt, so dass zwischen ihnen der Abgrund sichtbar wird, in dem die Leidenschaften des Lebens versinken: der Abgrund der Zeit, die vergeht.
Der Film beginnt mit einem Tag im Leben von Cindy (Michelle Williams) und Dean (Ryan Gosling), die mit ihrer kleinen Tochter in einem Haus am Rand der Landstraße wohnen, irgendwo in Pennsylvania. Das Kind sucht seinen Hund, der im Wald verschwunden ist, die Eltern zanken sich beim Frühstück, am Nachmittag gibt es eine Schulfeier, und anschließend wird die kleine Frankie zu den Großeltern gebracht, wo sie das Wochenende über bleiben soll. Ein ganz normaler Familienalltag also - nur dass die Kamera in Cindys Gesicht etwas entdeckt, das mehr als stressbedingte Müdigkeit ist, ein Verzagen und jähes Erschrecken, in dem sich der kommende Gang der Dinge schon abzeichnet. Auf dem Weg zur Schule fährt sie an den Straßenrand und sinkt über dem Lenkrad zusammen; und als sie endlich neben Dean im Auditorium sitzt, hat sie Tränen in den Augen.
Kurz danach setzt die erste Rückblende ein. Und wir sehen, wie Dean und Cindy, sechs Jahre früher, sich kennenlernen. Er hat die Schule abgebrochen und arbeitet bei einer Umzugsfirma, sie bereitet sich auf ein Medizinstudium vor und betreut ihre Großmutter im Pflegeheim. Dort treffen sie sich, und für Dean ist es Liebe auf den ersten Blick, während Cindy, die sich gerade erst von ihrem gewalttätigen Collegefreund getrennt hat, zunächst auf Abstand geht. Aber dann sehen sie sich im Bus wieder, flirten und verbringen einen langen Abend in New York, Dean spielt auf seiner Ukulele, und Cindy tanzt dazu: "You always hurt / The ones you love ..." Wenig später sind sie ein Paar.
Ein Zeitsprung von fünfzig Jahren, sagen viele Schauspieler, sei leichter zu spielen als einer von fünf. Beim Schnitt vom Jüngling zum Greis erledigt der Maskenbildner das Wesentliche, während etwa die kurze Etappe vom Anfangs- zum Endzwanziger nur an Nuancen abzulesen ist: ein Lidzucken, ein härterer Zug um den Mund, eine kahle Stelle auf der Stirn. Cianfrance hat diesen Prozess mit seinen Darstellern nicht nur mimisch, sondern biographisch eingeübt: Nachdem der Rückblenden-Teil des Films abgedreht war, mietete er für Williams und Gosling ein Haus, in dem sie gemeinsam einige Zeit wohnten, einkaufen gingen, aufräumten, ihre Abende verbrachten. Sie sollten lernen, einander auf die Nerven zu gehen wie ein alterndes Paar. Es ist dieser einfache Kunstgriff, der sich in "Blue Valentine" hundertfach bezahlt macht. Das method acting, das im amerikanischen Kino ausgestorben schien, kehrt mit diesem Film im Triumph zurück - nicht als lärmendes Virtuosentum, sondern als Kammerspiel des gescheiterten Lebens.
Der Hund ist tot. Dean begräbt ihn, Cindy räumt das Haus auf. Dann fahren sie in ein Motel - "to make love", sagt Dean, aber Cindy will die Cupido-Suite nicht, also buchen sie das Zukunftszimmer, einen Raum, der, wie sich herausstellt, kein Tageslicht hat, nur ein verspiegeltes Bad und ein rotierendes Bett. Sie versuchen es trotzdem, rauchen, tanzen, trinken sich Mut an, wälzen sich auf dem Flur; aber das, was einmal da war zwischen ihnen, was immer noch da ist in den Rückblenden, in denen sie zärtlich und innig miteinander sind, in denen Dean sich für Cindy zusammenschlagen lässt und Cindy die bereits begonnene Abtreibung abbricht und sich entschließt, das Kind eines anderen Mannes mit Dean zusammen großzuziehen - es ist verschwunden, es hat sich verflüchtigt zwischen den Bildern, in denen die nüchterne Bilanz der Liebe geschrieben steht: dass es mit dem Versprechen, die Tage zu teilen, "bis dass der Tod euch scheidet", nichts werden wird.
Cindy, die als Krankenschwester in einer Geburtsklinik arbeitet, hat das als Erste begriffen, während Dean, der sich immer noch an den Job und die Lebensweise seiner Jugend klammert, die verlorene Zeit mit Gewalt zurückholen will. An dieser Stelle gerät der Film, der bis dahin einen fließenden, elegischen Rhythmus hat, für Momente aus dem Takt und wird zum Ehedrama im Fernsehformat. Aber dann findet er sofort wieder zu der dokumentarischen Schlichtheit zurück, mit der er seine Geschichte in den Provinzalltag der amerikanischen Ostküste einschreibt. Der Welt da draußen kann es schließlich gleichgültig sein, ob die blonde Frau und der angetrunkene Mann im Gebüsch ihren Ehering wiederfinden; nur für die beiden stirbt dort ein Teil ihres Lebens. Darin, dass er uns dieses Ende mitempfinden lässt, ohne es zu verkitschen, liegt die herzzerreißende Wahrheit von "Blue Valentine".
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Derek Cianfrances meisterlicher Film über den Untergang der Liebe: "Blue Valentine"
Als alles vorbei ist, als es keine Hoffnung mehr für Dean und Cindy gibt, ihre Familie, ihre Ehe - da zieht Dean seinen Ehering vom Finger und wirft ihn wie ein Stück Unrat ins Gebüsch. Dann aber, nach kurzem Zögern, beginnt er den Ring genau dort zu suchen, wo er ihn gerade hingeschleudert hat. Und Cindy steigt aus dem Wagen und hilft ihm dabei. Das ist das sprechendste, zugleich komischste und traurigste, verzweifeltste Bild dieses Films: wie zwei, die sich trennen werden, im Unterholz nach dem Relikt jener Liebe tasten, die sie verloren haben.
Wenn die Geschichte vom Jungen, der ein Mädchen trifft, die älteste der Welt ist, dann ist die vom Ende der Liebe die zweitälteste. Das Kino aber mag diese zweite Geschichte nicht, es fürchtet ihre dunklen und deprimierenden Seiten und versteckt sie deshalb gern in Genrefilmen, in denen Detektive und Agentinnen einfach keine Zeit haben, sich um ihre Liebespartner zu kümmern. Nur in den amerikanischen Scheidungsdramen der siebziger und achtziger Jahre, wie Robert Bentons "Kramer gegen Kramer", war die Trennung eine Zeitlang das zentrale Thema. Aber damals ging es mehr um Emanzipation, Unterhalt und Sorgerecht, um die Verteilung realer und symbolischer Macht, als um den Totengesang der Gefühle. Der Raum der Klage, in dem jede abgestorbene Liebe endet, hat sich auf der Leinwand nur selten aufgetan.
Dieser Raum öffnet sich in "Blue Valentine", dem zweiten Spielfilm des Amerikaners Derek Cianfrance, auf bestürzende und beglückende Art. Er öffnet sich, weil Cianfrance nicht nur die eine, bittere, sondern auch die andere, ihr vorangehende Geschichte erzählt, den Anfang des gemeinsamen Glücks; und weil er die beiden Geschichten, die von der Morgenröte und die vom Untergang der Liebe, nicht nacheinander abspult, sondern ineinander spiegelt, so dass zwischen ihnen der Abgrund sichtbar wird, in dem die Leidenschaften des Lebens versinken: der Abgrund der Zeit, die vergeht.
Der Film beginnt mit einem Tag im Leben von Cindy (Michelle Williams) und Dean (Ryan Gosling), die mit ihrer kleinen Tochter in einem Haus am Rand der Landstraße wohnen, irgendwo in Pennsylvania. Das Kind sucht seinen Hund, der im Wald verschwunden ist, die Eltern zanken sich beim Frühstück, am Nachmittag gibt es eine Schulfeier, und anschließend wird die kleine Frankie zu den Großeltern gebracht, wo sie das Wochenende über bleiben soll. Ein ganz normaler Familienalltag also - nur dass die Kamera in Cindys Gesicht etwas entdeckt, das mehr als stressbedingte Müdigkeit ist, ein Verzagen und jähes Erschrecken, in dem sich der kommende Gang der Dinge schon abzeichnet. Auf dem Weg zur Schule fährt sie an den Straßenrand und sinkt über dem Lenkrad zusammen; und als sie endlich neben Dean im Auditorium sitzt, hat sie Tränen in den Augen.
Kurz danach setzt die erste Rückblende ein. Und wir sehen, wie Dean und Cindy, sechs Jahre früher, sich kennenlernen. Er hat die Schule abgebrochen und arbeitet bei einer Umzugsfirma, sie bereitet sich auf ein Medizinstudium vor und betreut ihre Großmutter im Pflegeheim. Dort treffen sie sich, und für Dean ist es Liebe auf den ersten Blick, während Cindy, die sich gerade erst von ihrem gewalttätigen Collegefreund getrennt hat, zunächst auf Abstand geht. Aber dann sehen sie sich im Bus wieder, flirten und verbringen einen langen Abend in New York, Dean spielt auf seiner Ukulele, und Cindy tanzt dazu: "You always hurt / The ones you love ..." Wenig später sind sie ein Paar.
Ein Zeitsprung von fünfzig Jahren, sagen viele Schauspieler, sei leichter zu spielen als einer von fünf. Beim Schnitt vom Jüngling zum Greis erledigt der Maskenbildner das Wesentliche, während etwa die kurze Etappe vom Anfangs- zum Endzwanziger nur an Nuancen abzulesen ist: ein Lidzucken, ein härterer Zug um den Mund, eine kahle Stelle auf der Stirn. Cianfrance hat diesen Prozess mit seinen Darstellern nicht nur mimisch, sondern biographisch eingeübt: Nachdem der Rückblenden-Teil des Films abgedreht war, mietete er für Williams und Gosling ein Haus, in dem sie gemeinsam einige Zeit wohnten, einkaufen gingen, aufräumten, ihre Abende verbrachten. Sie sollten lernen, einander auf die Nerven zu gehen wie ein alterndes Paar. Es ist dieser einfache Kunstgriff, der sich in "Blue Valentine" hundertfach bezahlt macht. Das method acting, das im amerikanischen Kino ausgestorben schien, kehrt mit diesem Film im Triumph zurück - nicht als lärmendes Virtuosentum, sondern als Kammerspiel des gescheiterten Lebens.
Der Hund ist tot. Dean begräbt ihn, Cindy räumt das Haus auf. Dann fahren sie in ein Motel - "to make love", sagt Dean, aber Cindy will die Cupido-Suite nicht, also buchen sie das Zukunftszimmer, einen Raum, der, wie sich herausstellt, kein Tageslicht hat, nur ein verspiegeltes Bad und ein rotierendes Bett. Sie versuchen es trotzdem, rauchen, tanzen, trinken sich Mut an, wälzen sich auf dem Flur; aber das, was einmal da war zwischen ihnen, was immer noch da ist in den Rückblenden, in denen sie zärtlich und innig miteinander sind, in denen Dean sich für Cindy zusammenschlagen lässt und Cindy die bereits begonnene Abtreibung abbricht und sich entschließt, das Kind eines anderen Mannes mit Dean zusammen großzuziehen - es ist verschwunden, es hat sich verflüchtigt zwischen den Bildern, in denen die nüchterne Bilanz der Liebe geschrieben steht: dass es mit dem Versprechen, die Tage zu teilen, "bis dass der Tod euch scheidet", nichts werden wird.
Cindy, die als Krankenschwester in einer Geburtsklinik arbeitet, hat das als Erste begriffen, während Dean, der sich immer noch an den Job und die Lebensweise seiner Jugend klammert, die verlorene Zeit mit Gewalt zurückholen will. An dieser Stelle gerät der Film, der bis dahin einen fließenden, elegischen Rhythmus hat, für Momente aus dem Takt und wird zum Ehedrama im Fernsehformat. Aber dann findet er sofort wieder zu der dokumentarischen Schlichtheit zurück, mit der er seine Geschichte in den Provinzalltag der amerikanischen Ostküste einschreibt. Der Welt da draußen kann es schließlich gleichgültig sein, ob die blonde Frau und der angetrunkene Mann im Gebüsch ihren Ehering wiederfinden; nur für die beiden stirbt dort ein Teil ihres Lebens. Darin, dass er uns dieses Ende mitempfinden lässt, ohne es zu verkitschen, liegt die herzzerreißende Wahrheit von "Blue Valentine".
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main