Italien, Ende des 15. Jahrhunderts:
Es war das Zeitalter von Da Vinci und Michelangelo - eine Zeit der Erleuchtung, unbändiger Kreativität und beispielloser geistiger Weiterbildung. Im Zentrum der Weltordnung thronte ein Mann, dessen Name zum Synonym für Skrupellosigkeit und Machtgier wurde. Seine Regiment als Papst Alexander VI. ging als das denkwürdigste Kapitel in die Geschichte der katholischen Kirche ein - RODRIGO BORGIA.
Es war das Zeitalter von Da Vinci und Michelangelo - eine Zeit der Erleuchtung, unbändiger Kreativität und beispielloser geistiger Weiterbildung. Im Zentrum der Weltordnung thronte ein Mann, dessen Name zum Synonym für Skrupellosigkeit und Machtgier wurde. Seine Regiment als Papst Alexander VI. ging als das denkwürdigste Kapitel in die Geschichte der katholischen Kirche ein - RODRIGO BORGIA.
Frankfurter Allgemeine ZeitungAuf ein Bier mit fiesen Serienhelden
Beim Filmfestival in Deauville ist längst nicht nur das unabhängige amerikanische Kino zu Hause, sondern auch die Erfinder der besten Serien des Abendlands.
DEAUVILLE, im Oktober
Ein eleganter Badeort in der Normandie ist so etwas wie die zweite Heimat für das amerikanische Independent-Kino geworden: Viele Filmliebhaber aus den Vereinigten Staaten pilgern jedes Jahr zum Festival nach Deauville, weil sie hier Kino-Kostbarkeiten zu sehen bekommen, die kaum je einen Verleiher finden. Auch dieses Jahr glänzte das Filmfest wieder mit einem Wettbewerb auf höchstem Niveau, wobei die drei herausragenden Beiträge von Menschen erzählten, die unerwartet mit inneren Dämonen konfrontiert werden. In Tony Kayes packendem Drama "Detachment" ist das ein Aushilfslehrer, der an eine Schule in einem New Yorker Problemviertel geschickt wird. In Mark Jacksons irritierendem Film "Without" trifft es eine Abiturientin, die sich auf einer einsamen Insel um einen pflegebedürftigen alten Mann kümmert. Und in Jeff Nichols' "Take Shelter" wird ein Familienvater von beklemmend realistischen Visionen eines verheerenden Sturms heimgesucht; der raffinierte, mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnete Thriller fand als bisher einziger der vierzehn Wettbewerbsbeiträge einen deutschen Verleih.
Die Festivalleitung hat seit einigen Jahren auch immer wieder ambitionierte Fernsehfilme ins Programm aufgenommen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Bezahlsender wie HBO oft mehr Mut beweisen und Interessanteres produzieren als die Hollywood-Studios. Seit vergangenem Jahr wurden die Kinotüren in Deauville zudem für Fernsehserien geöffnet und die Schöpfer einiger bahnbrechender Serien eingeladen, um Meisterklassen abzuhalten. Diesmal waren es Tom Fontana, der Erfinder von "Oz", und Shawn Ryan, der kreative Kopf hinter "The Shield".
Der dreifache Emmy-Gewinner Fontana gilt als Pionier, nicht nur deshalb, weil in einer von ihm verfassten Folge der preisgekrönten Arztserie "St. Elsewhere" zum ersten Mal auf amerikanischen Bildschirmen das Wort "Hoden" ausgesprochen wurde. Er habe nie Skrupel gehabt, Hauptfiguren seiner Serien plötzlich sterben zu lassen, sagte er in seiner Meisterklasse: "Ich will die Zuschauer so oft wie möglich verblüffen und wachrütteln." Als Autor müsse man sich klarmachen, dass es nur eine begrenzte Zahl dramatischer Grundsituationen gebe, die sich nicht neu erfinden, sondern nur variieren ließen. "Insofern glaube ich nicht, dass das Geschichtenerzählen eine Kunst ist", meinte Fontana. "Aber eines gibt es definitiv: die Kunst des Stehlens!" Es komme darauf an, sich möglichst elegant bei Vorbildern wie Shakespeare oder Tschechow zu bedienen. Von den griechischen Dramatikern habe er sich die Idee für einen Ein-Mann-Chor geliehen, der die Handlungsstränge seiner Gefängnisserie "Oz" verknüpfte und kommentierte. "Oz" sei jedoch nur zustande gekommen, weil der damalige HBO-Chef Chris Albrecht ihm völlige Freiheit gewährt habe - mit den Worten: "Tom, es ist mir egal, ob deine Figuren sympathisch sind. Hauptsache, sie sind interessant!"
Ähnlich freie Hand hatte Fontanas Kollege Shawn Ryan bei seiner Polizeiserie "The Shield": Am Ende der Pilotfolge ließ er seine Hauptfigur, Detective Vic Mackey, ein schockierendes Verbrechen begehen. Die Zuschauer konnten fortan verfolgen, wie Vic mit dieser Schuld weiterlebte. In einer späteren Staffel führte Ryan den gesetzestreuen, gewissenhaften Polizisten Jon Kavanaugh ein, der Vic langsam auf die Schliche kam. "Ich dachte, die Hälfte der Zuschauer würde mit Jon sympathisieren, und die andere Hälfte würde Vic die Daumen drücken", sagte Ryan. "Doch es stellte sich heraus, dass hundert Prozent auf Vics Seite waren!" Auch Tom Fontana machte die Erfahrung, dass das Fernsehpublikum selbst zu Protagonisten, die schlimme Dinge tun, ein inniges Verhältnis aufbauen kann: "Als Fan einer Serie schließt man sogar Fieslinge so sehr ins Herz, dass man mit ihnen am liebsten ein Bier trinken möchte."
Fontana hatte Ausschnitte aus seinem neuesten Werk mit nach Deauville gebracht, eines Zwölfteilers, dessen Figuren viele grässliche Dinge treiben: "Borgia" handelt von dem korrupten Clan um den machtgierigen und sexsüchtigen Kardinal Rodrigo Borgia, der 1492 als Alexander VI. den Papstthron bestieg. "Schon seit langem bin ich geradezu besessen von der Geschichte der Päpste", gestand Fontana. "Mich fasziniert vor allem der Widerspruch zwischen der Institution, die die besten Absichten der Menschheit repräsentiert, und den Amtsinhabern, die oft kein Quentchen der geforderten Qualitäten mitbringen." Der Serien-Schöpfer war hier erstmals nicht für einen amerikanischen Auftraggeber tätig: "Borgia" ist eine europäische Koproduktion, an der unter anderem Canal+, ZDF, ORF und EOS Entertainment beteiligt sind.
Pikanterweise hatte erst kurz zuvor der "Tudors"-Erfinder Michael Hirst für den Bezahlsender Showtime einen aufwendigen Neunteiler zum selben Thema produziert - mit Jeremy Irons in der Rolle des Rodrigo Borgia und Neil Jordan als Co-Autor und Regisseur der ersten beiden Folgen. "Dass es jetzt zwei Serien gibt, ist natürlich absoluter Wahnsinn", räumte Tom Fontana ein. "Ich habe mich noch mit Neil Jordan in Dublin getroffen, um zu sehen, ob wir die beiden Projekte zusammenführen können. Aber unsere Vorstellungen waren völlig unvereinbar." So sorgt die berühmt-berüchtigte Borgia-Familie gleich doppelt für eine Renaissance der Renaissance im deutschen Fernsehen: Fontanas Version läuft ab 17. Oktober im ZDF, Hirsts Produktion folgt ab 9. November auf ProSieben.
Der 1,93 Meter große Hüne John Doman, der schon als Darsteller eines Häftlings in "Oz" mit Fontana zusammenarbeitete, verkörpert in "Borgia" die Hauptfigur des Rodrigo. An seiner Seite sind unter anderem Udo Kier als todkranker Papst Innozenz VIII. und Andrea Sawatzki in der Rolle von Rodrigos strenger Cousine Adriana de Mila zu sehen. Ein weiterer Deutscher wurde als Regisseur des adeligen Intrigantenstadls verpflichtet: Oliver Hirschbiegel inszenierte die ersten vier der jeweils zweiundfünfzig Minuten langen Episoden. "Oliver hatte mich schon mit seinen Filmen ,Der Untergang' und ,Das Experiment' beeindruckt", betonte Tom Fontana, "aber wirklich verblüfft war ich, als ich bei unserem ersten Treffen feststellte, dass wir in jeglicher Hinsicht derselben Meinung waren. Wir sind offenbar seelenverwandt."
Außer bei "Oz" habe er noch nie so viel kreative Freiheit genossen wie bei "Borgia", resümierte Fontana in Deauville. Stolz konnte er vermelden, dass die Serie bereits in fünfundvierzig Länder verkauft worden sei. "Menschen aus achtzehn Nationen waren an der Entstehung beteiligt", fügte er hinzu. "Und wenn so viele verschiedene Leute gemeinsam eine Fernsehserie fabrizieren können, dann kann sich der Rest der Welt ja vielleicht auch zusammenraufen und die globale Finanzkrise lösen, oder?"
MARCO SCHMIDT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Beim Filmfestival in Deauville ist längst nicht nur das unabhängige amerikanische Kino zu Hause, sondern auch die Erfinder der besten Serien des Abendlands.
DEAUVILLE, im Oktober
Ein eleganter Badeort in der Normandie ist so etwas wie die zweite Heimat für das amerikanische Independent-Kino geworden: Viele Filmliebhaber aus den Vereinigten Staaten pilgern jedes Jahr zum Festival nach Deauville, weil sie hier Kino-Kostbarkeiten zu sehen bekommen, die kaum je einen Verleiher finden. Auch dieses Jahr glänzte das Filmfest wieder mit einem Wettbewerb auf höchstem Niveau, wobei die drei herausragenden Beiträge von Menschen erzählten, die unerwartet mit inneren Dämonen konfrontiert werden. In Tony Kayes packendem Drama "Detachment" ist das ein Aushilfslehrer, der an eine Schule in einem New Yorker Problemviertel geschickt wird. In Mark Jacksons irritierendem Film "Without" trifft es eine Abiturientin, die sich auf einer einsamen Insel um einen pflegebedürftigen alten Mann kümmert. Und in Jeff Nichols' "Take Shelter" wird ein Familienvater von beklemmend realistischen Visionen eines verheerenden Sturms heimgesucht; der raffinierte, mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnete Thriller fand als bisher einziger der vierzehn Wettbewerbsbeiträge einen deutschen Verleih.
Die Festivalleitung hat seit einigen Jahren auch immer wieder ambitionierte Fernsehfilme ins Programm aufgenommen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Bezahlsender wie HBO oft mehr Mut beweisen und Interessanteres produzieren als die Hollywood-Studios. Seit vergangenem Jahr wurden die Kinotüren in Deauville zudem für Fernsehserien geöffnet und die Schöpfer einiger bahnbrechender Serien eingeladen, um Meisterklassen abzuhalten. Diesmal waren es Tom Fontana, der Erfinder von "Oz", und Shawn Ryan, der kreative Kopf hinter "The Shield".
Der dreifache Emmy-Gewinner Fontana gilt als Pionier, nicht nur deshalb, weil in einer von ihm verfassten Folge der preisgekrönten Arztserie "St. Elsewhere" zum ersten Mal auf amerikanischen Bildschirmen das Wort "Hoden" ausgesprochen wurde. Er habe nie Skrupel gehabt, Hauptfiguren seiner Serien plötzlich sterben zu lassen, sagte er in seiner Meisterklasse: "Ich will die Zuschauer so oft wie möglich verblüffen und wachrütteln." Als Autor müsse man sich klarmachen, dass es nur eine begrenzte Zahl dramatischer Grundsituationen gebe, die sich nicht neu erfinden, sondern nur variieren ließen. "Insofern glaube ich nicht, dass das Geschichtenerzählen eine Kunst ist", meinte Fontana. "Aber eines gibt es definitiv: die Kunst des Stehlens!" Es komme darauf an, sich möglichst elegant bei Vorbildern wie Shakespeare oder Tschechow zu bedienen. Von den griechischen Dramatikern habe er sich die Idee für einen Ein-Mann-Chor geliehen, der die Handlungsstränge seiner Gefängnisserie "Oz" verknüpfte und kommentierte. "Oz" sei jedoch nur zustande gekommen, weil der damalige HBO-Chef Chris Albrecht ihm völlige Freiheit gewährt habe - mit den Worten: "Tom, es ist mir egal, ob deine Figuren sympathisch sind. Hauptsache, sie sind interessant!"
Ähnlich freie Hand hatte Fontanas Kollege Shawn Ryan bei seiner Polizeiserie "The Shield": Am Ende der Pilotfolge ließ er seine Hauptfigur, Detective Vic Mackey, ein schockierendes Verbrechen begehen. Die Zuschauer konnten fortan verfolgen, wie Vic mit dieser Schuld weiterlebte. In einer späteren Staffel führte Ryan den gesetzestreuen, gewissenhaften Polizisten Jon Kavanaugh ein, der Vic langsam auf die Schliche kam. "Ich dachte, die Hälfte der Zuschauer würde mit Jon sympathisieren, und die andere Hälfte würde Vic die Daumen drücken", sagte Ryan. "Doch es stellte sich heraus, dass hundert Prozent auf Vics Seite waren!" Auch Tom Fontana machte die Erfahrung, dass das Fernsehpublikum selbst zu Protagonisten, die schlimme Dinge tun, ein inniges Verhältnis aufbauen kann: "Als Fan einer Serie schließt man sogar Fieslinge so sehr ins Herz, dass man mit ihnen am liebsten ein Bier trinken möchte."
Fontana hatte Ausschnitte aus seinem neuesten Werk mit nach Deauville gebracht, eines Zwölfteilers, dessen Figuren viele grässliche Dinge treiben: "Borgia" handelt von dem korrupten Clan um den machtgierigen und sexsüchtigen Kardinal Rodrigo Borgia, der 1492 als Alexander VI. den Papstthron bestieg. "Schon seit langem bin ich geradezu besessen von der Geschichte der Päpste", gestand Fontana. "Mich fasziniert vor allem der Widerspruch zwischen der Institution, die die besten Absichten der Menschheit repräsentiert, und den Amtsinhabern, die oft kein Quentchen der geforderten Qualitäten mitbringen." Der Serien-Schöpfer war hier erstmals nicht für einen amerikanischen Auftraggeber tätig: "Borgia" ist eine europäische Koproduktion, an der unter anderem Canal+, ZDF, ORF und EOS Entertainment beteiligt sind.
Pikanterweise hatte erst kurz zuvor der "Tudors"-Erfinder Michael Hirst für den Bezahlsender Showtime einen aufwendigen Neunteiler zum selben Thema produziert - mit Jeremy Irons in der Rolle des Rodrigo Borgia und Neil Jordan als Co-Autor und Regisseur der ersten beiden Folgen. "Dass es jetzt zwei Serien gibt, ist natürlich absoluter Wahnsinn", räumte Tom Fontana ein. "Ich habe mich noch mit Neil Jordan in Dublin getroffen, um zu sehen, ob wir die beiden Projekte zusammenführen können. Aber unsere Vorstellungen waren völlig unvereinbar." So sorgt die berühmt-berüchtigte Borgia-Familie gleich doppelt für eine Renaissance der Renaissance im deutschen Fernsehen: Fontanas Version läuft ab 17. Oktober im ZDF, Hirsts Produktion folgt ab 9. November auf ProSieben.
Der 1,93 Meter große Hüne John Doman, der schon als Darsteller eines Häftlings in "Oz" mit Fontana zusammenarbeitete, verkörpert in "Borgia" die Hauptfigur des Rodrigo. An seiner Seite sind unter anderem Udo Kier als todkranker Papst Innozenz VIII. und Andrea Sawatzki in der Rolle von Rodrigos strenger Cousine Adriana de Mila zu sehen. Ein weiterer Deutscher wurde als Regisseur des adeligen Intrigantenstadls verpflichtet: Oliver Hirschbiegel inszenierte die ersten vier der jeweils zweiundfünfzig Minuten langen Episoden. "Oliver hatte mich schon mit seinen Filmen ,Der Untergang' und ,Das Experiment' beeindruckt", betonte Tom Fontana, "aber wirklich verblüfft war ich, als ich bei unserem ersten Treffen feststellte, dass wir in jeglicher Hinsicht derselben Meinung waren. Wir sind offenbar seelenverwandt."
Außer bei "Oz" habe er noch nie so viel kreative Freiheit genossen wie bei "Borgia", resümierte Fontana in Deauville. Stolz konnte er vermelden, dass die Serie bereits in fünfundvierzig Länder verkauft worden sei. "Menschen aus achtzehn Nationen waren an der Entstehung beteiligt", fügte er hinzu. "Und wenn so viele verschiedene Leute gemeinsam eine Fernsehserie fabrizieren können, dann kann sich der Rest der Welt ja vielleicht auch zusammenraufen und die globale Finanzkrise lösen, oder?"
MARCO SCHMIDT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main