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Produktdetails
  • Hersteller: Moviecard
  • Gesamtlaufzeit: 112 Min.
  • FSK: ohne Alterseinschränkung gemäß §14 JuSchG
  • Sprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch
  • EAN: 4260082490021
  • Artikelnr.: 20768491
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2000

Befreit von der alltäglichen Lieblosigkeit
Ein Blick ist mehr als viele Worte: Bruno Ganz in Silvio Soldinis Film "Brot und Tulpen"

Man braucht einen Menschen nicht anzufassen, wenn man ihn berühren will. Wer einen anderen warm in Liebe hüllen, dessen ganzes Wesen zart umranken möchte, muß nur so schauen können wie Bruno Ganz als Kellner Fernando in Silvio Soldinis wunderschönem Film "Brot und Tulpen". Innig schmiegt sich Fernandos Blick an Rosalba, hält sie fest umschlungen. Es ist ein Blick, der so viel spricht, daß man sich fragt, ob die eigene Phantasie wohl ausreicht, um alles zu hören - und daß man fürchten muß, Rosalba selbst könnte etwas entgehen oder, schlimmer noch, ihre Antwort könnte von ärmerer mimischer Sprache sein. Doch die reife Schönheit Licia Maglietta als Hausfrau Rosalba ist Bruno Ganz eine schauspielerisch ebenbürtige Partnerin. Indem sie - immer noch aus der Distanz - seinen Liebesblick mit einem schlichten, stillen Glühen erwidert, fügt sich das Paar zusammen, löst es sich förmlich aus der Realität.

Diese Realität ist das Parkdeck eines Supermarkts in Pescara. Rosalba und einer ihrer Söhne sind in gelangweilter Routine damit beschäftigt, das kulinarische Programm der Woche im Kofferraum zu verstauen. Auf einmal taucht Fernando aus einem klapprigen Lieferwagen auf. Mit der Hand streckt er Rosalba einen Blumenstrauß entgegen und erklärt dabei dem staunenden halbwüchsigen Sohn in etwas gestelzten Worten, er müsse ihm die nach jüngsten Abwegen gerade erst in den Schoß der Familie zurückgekehrte Mutter leider wieder entführen. Die Begründung formuliert er so knapp wie zwingend: "La amo." Spricht's, lächelt, liest Rosalbas glückliches Einverständnis in deren Blick - und alles hat seine Richtigkeit.

Die Geschichte einer doppelten, symbiotischen Selbstfindung, die diesem befreienden Abschied einer Frau von ihrer in alltäglicher Lieblosigkeit erstarrten Familie vorausgeht, erzählt der Italiener Soldini in schwungvollem Tempo und beschwingter Romantik, mit psychologisch feinem Witz und bizarrem Aberwitz.

Es beginnt auf einem Rastplatz an der Autobahn. Der ungeschickten, hektischen, mit Leggings, Sonnenbrille und Baseballkappe als groteske Karikatur einer Touristin verkleideten Rosalba fährt der Reisebus vor der Nase weg. Drinnen sitzen Ehemann und Kinder - und bemerken ihr Fehlen nicht einmal. Fassungslos bleibt Rosalba zurück, so verstört und verwirrt, daß sie beim Versuch, ihre Sonnenbrille im Ausschnitt zu parken, dortselbst nur orientierungslos herumstochert. Als sie die Familie per Mobiltelefon verständigt, putzt sie ihr Mann derart herunter, daß etwas zerbricht. Sie läßt sich zwar widerspruchslos beschimpfen - nach beendetem Gespräch indes hebt sie den Daumen und fährt per Anhalter davon.

So landet sie schließlich, aus einer Laune heraus, in einem schummerigen, wenig vertrauenerweckenden Viertel von Venedig, ganz allein und mitten in der Nacht. In einer altmodischen, heruntergekommenen Pension, die am nächsten Tage schließen muß, findet sie eine notdürftige Bleibe - und um die Ecke in einem kargen Restaurant, dessen Köchin krank darnieder liegt, dank der Intervention des Kellners Fernando zumindest ein frugales kaltes Mahl. Wieder ruft sie bei der Familie an, um zu erklären, was geschehen ist. Und wieder wird sie angeschrien - woraufhin sie wie gewohnt brav verspricht, am nächsten Abend den Zug nach Pescara zu nehmen.

Doch zuviel ist zuviel. Wer einmal von Freiheit und Abenteuer kostet, kommt auf den Geschmack. Rosalba genießt den Tag, schlendert fröhlich in der Stadt herum - bis sie darüber den Zug verpaßt. Bewußt oder unbewußt, das ist hier nicht einmal die Frage. Aber nun steckt Rosalba wirklich in der Klemme: Die Pension ist geschlossen, sie selbst besitzt nur noch wenige Lire, zu Hause anrufen mag sie nicht mehr. Schließlich kehrt sie in das Restaurant zurück und bittet Fernando um Rat. Der so höfliche wie in sich gekehrte Kellner zeigt Erbarmen und offeriert sein eigenes Sofa. Nur den Strick muß er noch rasch verschwinden lassen, der von der Zimmerdecke baumelt. Am nächsten Morgen hat Fernando das Haus verlassen, als Rosalba aufwacht, nicht ohne zuvor ein Frühstück für sie angerichtet und einen Zettel mit einem - allerdings fast befremdlich nüchternen - Abschiedsgruß hinterlassen zu haben.

In diesem Widerspruch zwischen Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit zeigt sich, was Rosalba und Fernando später zueinander finden läßt: Beide tun, was ihnen ihr Herz befiehlt, wagen jedoch nicht, dies auch offen auszusprechen. Die Gründe dafür sind zu dieser Zeit noch diametral entgegengesetzt: Während Rosalba die Konfrontation und damit alles Negative meidet, flieht Fernando vor dem Positiven, vor allem, was das Herz verletzen könnte.

Bruno Ganz spielt Fernando als anrührenden Ritter von tieftrauriger Gestalt: als einen warmherzigen Menschen, der seine Melancholie, deren Quellen man (noch) nicht kennt, hinter förmlicher Distanz verbirgt. Er verschanzt sich aus Selbstschutz, während es Rosalba an Selbstbewußtsein gebricht. Beieinander und miteinander werden sie finden, was ihnen fehlt, und lernen, erst auf die seelische und dann auch auf die physische Distanz verzichten zu können.

Bis es dazu kommt, muß Rosalba sich erst noch richtig in der Wohnung des Kellners einnisten, eine Freundin finden, bei einem trotzkistischen Blumenhändler anheuern, Fernandos mysteriöse Geschichte ergründen, ihr eigenes Talent zum Akkordeonspiel wiederentdecken und auf höchst vergnügliche Weise den amateurhaften Detektiv in die Irre führen, den der Ehemann ihr auf den Hals hetzt. Am Ende, wie könnte es anders sein, ist jeder glücklich. Vor allem der Zuschauer.

KAREN HORN

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