Chuck Noland ist ein Workaholic. Als Controller einer Transportfirma reist er durch die ganze Welt und ist deshalb selten zu Hause anzutreffen. Mit seiner Freundin Kelly hat er großes Glück - sie hält trotz der knappen gemeinsamen Zeit fest zu ihm. Auf einer Geschäftsreise, die ihn an das andere Ende der Welt führt, passiert es: Sein Flugzeug stürzt mitten über den Ozean ab. Chuck hat schon mit dem Leben abgeschlossen, doch er erreicht den rettenden Strand einer Insel. Er ist der einzig Überlebende dieses Absturzes, doch das einsame Inselparadies bedeutet für einen zivilisierten Menschen wie ihn die Hölle.
Er muss sich um die Beschaffung von Trinkwasser, Nahrung und einen Unterschlupf kümmern. Und daraus wird für ihn ein täglicher Überlebenskampf. Sein einziger Ansprechpartner auf dieser Insel wird "Wilson", ein Volleyball, zu dem er eine ungewöhnliche Beziehung aufnimmt. So vergeht Tag um Tag und Jahr um Jahr. Nach vier Jahren kehrt er zurück in die Zivilisation, zurück zu den Menschen, die ihm die Hoffnung und die Willenskraft gaben, zu überleben. Doch nichts ist mehr so wie es einmal war...
Er muss sich um die Beschaffung von Trinkwasser, Nahrung und einen Unterschlupf kümmern. Und daraus wird für ihn ein täglicher Überlebenskampf. Sein einziger Ansprechpartner auf dieser Insel wird "Wilson", ein Volleyball, zu dem er eine ungewöhnliche Beziehung aufnimmt. So vergeht Tag um Tag und Jahr um Jahr. Nach vier Jahren kehrt er zurück in die Zivilisation, zurück zu den Menschen, die ihm die Hoffnung und die Willenskraft gaben, zu überleben. Doch nichts ist mehr so wie es einmal war...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2001Alle Zeit der Welt ist gerade genug
Erkenntnisse eines ewig Ungeduldigen: Tom Hanks strandet in Robert Zemeckis' Film "Cast Away - Verschollen"
So weit das Auge reicht, erstrecken sich die Felder, bewachsen von spärlichem Gras, zerschnitten von einer staubigen Straße. Aus der Ferne nähert sich ein Wagen. Gleich in seiner ersten Einstellung zeigt uns der Film "Cast Away - Verschollen" einen jener Orte in the middle of nowhere, an denen die Helden amerikanischer Filme verlorengehen können wie Cary Grant in "Der unsichtbare Dritte", weil ihnen das eigene Land dort zur Terra incognita wird. Doch vom Horizont kommt diesmal nicht das Unheil, sondern ein Lieferwagen von Federal Express. Während er sich nähert, wendet sich die Kamera provozierend langsam zur Seite, um die zweite Straße, die im rechten Winkel abbiegt, in den Blick zu nehmen. Wir erfahren: Egal, in welche Richtung man von dieser Kreuzung aus blickt, Raum und Zeit gibt es hier mehr als genug.
Ein Schnitt ans andere Ende der Welt: In Moskau bringt Chuck Noland (Tom Hanks), Controller bei FedEx, seine Mitarbeiter auf Trab. Der Mann hängt an der Uhr wie ein Junkie an der Nadel. Die Handkamera folgt ihm in Bewegungen, die seiner inneren Unruhe Ausdruck verleihen, und ist ihm so dicht auf den Fersen, daß sich der Blick nur ab und zu zur Totale weiten kann. Schnitte verkürzen den Weg des Films von einem Ort zum anderen und raffen gierig die Zeit, die für Chuck Noland so wertvoll scheint wie das eigene Leben. Schnitt über den Ozean: Weihnachten. Als Chuck mit seiner Freundin Kelly Frears (Helen Hunt) beim Festmahl sitzt, vibriert die Kamera, die ihm über die Schulter blickt, wie der Pieper an seinem Gürtel. Hektisch bricht Chuck auf, ein flüchtiger Kuß, ein letztes Geschenk, er eilt zum Flieger - und dann kommt der Moment, von dem ab die Zeit stillsteht.
Das Flugzeug gerät in einen Sturm; es beginnt die Notlandung unserer Zivilisation. Chuck Noland steht in diesem Film für mehr als eine bloße Hauptfigur: Er ist der moderne Mensch an der Jahrtausendwende, ein von der Karriere und den Zeitläuften Getriebener, der, ohne es zu merken, an der Kreuzung des Lebens steht und nicht die Muße findet, sich in Ruhe nach allen Seiten umzusehen, um zu entscheiden, in welche Richtung er gehen soll. So muß Chuck, gestrandet auf einer einsamen Insel, einen hohen Berg besteigen. Mühsam ist der Weg dorthin, Blut strömt aus zahlreichen Wunden in seinen Fußsohlen. Dann ist er auf dem Gipfel angekommen. Die Kamera schwebt gut einen Meter über ihm und folgt ganz langsam seinem rundum schweifenden Blick: so weit das Auge reicht, nur Wasser, vier Himmelsrichtungen, die ihm so offenstehen wie noch nie in seinem Leben - und doch keinen Ausweg bieten.
Vier Jahre später ist er noch immer da, ein Robinson, dem kein Freitag vergönnt ist, ihm zu helfen, die Last der erzwungenen inneren Läuterung auf den schmaler gewordenen Schultern zu tragen. Seine Rippen treten hervor, die Muskeln zeichnen sich deutlich ab: Chuck wird so zur Inkarnation dieses Films. Denn "Cast Away" ist ein Film ohne Fett, ohne überflüssige Pfunde: daraus bezieht er seine Kraft. Andererseits ist das Skelett unter der Haut immer sichtbar. Jedes Wort, jede Geste und jeder Gegenstand haben eine symbolische Bedeutung. Um seinen Mitarbeitern Dampf zu machen, verschickt Chuck zu Beginn in einem FedEx-Paket eine Uhr und stoppt nach der Auslieferung die Zeit. Später schenkt ihm seine Freundin eine alte Taschenuhr; obwohl das kleine Schmuckstück nach dem Flugzeugabsturz nicht mehr tickt, hütet er es jahrelang wie seinen Augapfel. Am Ende gibt er die Uhr seiner Freundin zurück: Ihre gemeinsame Zeit ist abgelaufen.
Manchmal stoßen die Knochen des Films so weit durch, daß man kein Fleisch mehr sieht. In den Tagen nach dem Absturz werden nach und nach FedEx-Pakete aus dem Wrack am Strand angespült. Es dauert Tage, bis Chuck sich durchringt, sie zu öffnen. Man sieht die Idee der Filmemacher: Selbst in dieser existentiellen Notsituation bleibt der Inhalt der Pakete für diesen Mann sakrosankt. Ein Paket, das mit der Zeichnung zweier Engelsflügel verziert ist, läßt Chuck bis zum Ende unangetastet. Es eines Tages abzuliefern ist die Aufgabe, die seinem Leben eine Perspektive geben soll. Doch der Zuschauer muß seiner Phantasie schon Flügel verleihen, um sich vorzustellen, daß ein Mann, der Tag für Tag ums Überleben kämpft, sich freiwillig einer möglichen Verbesserung seiner Situation oder gar der Rettung beraubt. Was wäre, wenn sich im Paket tatsächlich ein Geschenk des Himmels befände - ein Handy zum Beispiel?
"Cast Away" hat seine stärksten Momente, wenn er den ureigenen amerikanischen Pragmatismus gerade nicht dem Idealismus opfert, sondern - im Gegenteil - voll ausspielt. Die frühen Szenen auf der Insel, wenn Chuck die grundlegenden Dinge des Lebens lernen muß, zeigen die Erfindungsgabe des Menschen bei der Arbeit. Wie sammelt und speichert man Wasser? Wie macht man Feuer? Wie fängt man Fische? Diese Fragen sind alt, doch dem Film gelingt es bisweilen, pfiffige Antworten zu geben. Es kostet Chuck große Mühe, eine Kokosnuß zu öffnen: Er schleudert sie mit voller Wucht gegen einen Felsen und schlägt mit aller Kraft auf sie ein - bis ein Teil des Steins absplittert: Chuck hält eine Art Faustkeil in der Hand. Damit beginnt die Steinzeit.
Schließlich gelingt Chuck die Flucht von der Insel; auf offenem Meer liest ihn ein Ozeanriese auf; er sitzt im Flugzeug, und schon ist er wieder zu Hause, wo ihm ein großer Empfang bereitet wird. Das alles erzählt der Film in zügigem Tempo, ohne daß er seiner Botschaft, sich Zeit zu nehmen, untreu wird. Er läßt Nebensächliches weg, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Der Regisseur Robert Zemeckis plaziert seinen Helden vor einer großen Glasscheibe, hinter der zahllose Menschen auf und ab gehen, und nähert sich ihm langsam, während durch einen Zoomeffekt der Hintergrund näher zurücken scheint: Von beiden Seiten verengt sich der Raum, als Chuck erfährt, daß seine Freundin inzwischen einen anderen Mann geheiratet hat. Er selbst war offiziell für tot erklärt worden. Dann ist es, als atme der Film einmal tief durch. Er stellt den Helden zuerst in ein reinigendes Gewitter und dann an die staubige Kreuzung, an der alles seinen Anfang nahm. Chuck liefert das Paket ab, blickt ruhig abwägend in alle Richtungen und beginnt sein Leben nach dem Tode.
LARS-OLAV BEIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erkenntnisse eines ewig Ungeduldigen: Tom Hanks strandet in Robert Zemeckis' Film "Cast Away - Verschollen"
So weit das Auge reicht, erstrecken sich die Felder, bewachsen von spärlichem Gras, zerschnitten von einer staubigen Straße. Aus der Ferne nähert sich ein Wagen. Gleich in seiner ersten Einstellung zeigt uns der Film "Cast Away - Verschollen" einen jener Orte in the middle of nowhere, an denen die Helden amerikanischer Filme verlorengehen können wie Cary Grant in "Der unsichtbare Dritte", weil ihnen das eigene Land dort zur Terra incognita wird. Doch vom Horizont kommt diesmal nicht das Unheil, sondern ein Lieferwagen von Federal Express. Während er sich nähert, wendet sich die Kamera provozierend langsam zur Seite, um die zweite Straße, die im rechten Winkel abbiegt, in den Blick zu nehmen. Wir erfahren: Egal, in welche Richtung man von dieser Kreuzung aus blickt, Raum und Zeit gibt es hier mehr als genug.
Ein Schnitt ans andere Ende der Welt: In Moskau bringt Chuck Noland (Tom Hanks), Controller bei FedEx, seine Mitarbeiter auf Trab. Der Mann hängt an der Uhr wie ein Junkie an der Nadel. Die Handkamera folgt ihm in Bewegungen, die seiner inneren Unruhe Ausdruck verleihen, und ist ihm so dicht auf den Fersen, daß sich der Blick nur ab und zu zur Totale weiten kann. Schnitte verkürzen den Weg des Films von einem Ort zum anderen und raffen gierig die Zeit, die für Chuck Noland so wertvoll scheint wie das eigene Leben. Schnitt über den Ozean: Weihnachten. Als Chuck mit seiner Freundin Kelly Frears (Helen Hunt) beim Festmahl sitzt, vibriert die Kamera, die ihm über die Schulter blickt, wie der Pieper an seinem Gürtel. Hektisch bricht Chuck auf, ein flüchtiger Kuß, ein letztes Geschenk, er eilt zum Flieger - und dann kommt der Moment, von dem ab die Zeit stillsteht.
Das Flugzeug gerät in einen Sturm; es beginnt die Notlandung unserer Zivilisation. Chuck Noland steht in diesem Film für mehr als eine bloße Hauptfigur: Er ist der moderne Mensch an der Jahrtausendwende, ein von der Karriere und den Zeitläuften Getriebener, der, ohne es zu merken, an der Kreuzung des Lebens steht und nicht die Muße findet, sich in Ruhe nach allen Seiten umzusehen, um zu entscheiden, in welche Richtung er gehen soll. So muß Chuck, gestrandet auf einer einsamen Insel, einen hohen Berg besteigen. Mühsam ist der Weg dorthin, Blut strömt aus zahlreichen Wunden in seinen Fußsohlen. Dann ist er auf dem Gipfel angekommen. Die Kamera schwebt gut einen Meter über ihm und folgt ganz langsam seinem rundum schweifenden Blick: so weit das Auge reicht, nur Wasser, vier Himmelsrichtungen, die ihm so offenstehen wie noch nie in seinem Leben - und doch keinen Ausweg bieten.
Vier Jahre später ist er noch immer da, ein Robinson, dem kein Freitag vergönnt ist, ihm zu helfen, die Last der erzwungenen inneren Läuterung auf den schmaler gewordenen Schultern zu tragen. Seine Rippen treten hervor, die Muskeln zeichnen sich deutlich ab: Chuck wird so zur Inkarnation dieses Films. Denn "Cast Away" ist ein Film ohne Fett, ohne überflüssige Pfunde: daraus bezieht er seine Kraft. Andererseits ist das Skelett unter der Haut immer sichtbar. Jedes Wort, jede Geste und jeder Gegenstand haben eine symbolische Bedeutung. Um seinen Mitarbeitern Dampf zu machen, verschickt Chuck zu Beginn in einem FedEx-Paket eine Uhr und stoppt nach der Auslieferung die Zeit. Später schenkt ihm seine Freundin eine alte Taschenuhr; obwohl das kleine Schmuckstück nach dem Flugzeugabsturz nicht mehr tickt, hütet er es jahrelang wie seinen Augapfel. Am Ende gibt er die Uhr seiner Freundin zurück: Ihre gemeinsame Zeit ist abgelaufen.
Manchmal stoßen die Knochen des Films so weit durch, daß man kein Fleisch mehr sieht. In den Tagen nach dem Absturz werden nach und nach FedEx-Pakete aus dem Wrack am Strand angespült. Es dauert Tage, bis Chuck sich durchringt, sie zu öffnen. Man sieht die Idee der Filmemacher: Selbst in dieser existentiellen Notsituation bleibt der Inhalt der Pakete für diesen Mann sakrosankt. Ein Paket, das mit der Zeichnung zweier Engelsflügel verziert ist, läßt Chuck bis zum Ende unangetastet. Es eines Tages abzuliefern ist die Aufgabe, die seinem Leben eine Perspektive geben soll. Doch der Zuschauer muß seiner Phantasie schon Flügel verleihen, um sich vorzustellen, daß ein Mann, der Tag für Tag ums Überleben kämpft, sich freiwillig einer möglichen Verbesserung seiner Situation oder gar der Rettung beraubt. Was wäre, wenn sich im Paket tatsächlich ein Geschenk des Himmels befände - ein Handy zum Beispiel?
"Cast Away" hat seine stärksten Momente, wenn er den ureigenen amerikanischen Pragmatismus gerade nicht dem Idealismus opfert, sondern - im Gegenteil - voll ausspielt. Die frühen Szenen auf der Insel, wenn Chuck die grundlegenden Dinge des Lebens lernen muß, zeigen die Erfindungsgabe des Menschen bei der Arbeit. Wie sammelt und speichert man Wasser? Wie macht man Feuer? Wie fängt man Fische? Diese Fragen sind alt, doch dem Film gelingt es bisweilen, pfiffige Antworten zu geben. Es kostet Chuck große Mühe, eine Kokosnuß zu öffnen: Er schleudert sie mit voller Wucht gegen einen Felsen und schlägt mit aller Kraft auf sie ein - bis ein Teil des Steins absplittert: Chuck hält eine Art Faustkeil in der Hand. Damit beginnt die Steinzeit.
Schließlich gelingt Chuck die Flucht von der Insel; auf offenem Meer liest ihn ein Ozeanriese auf; er sitzt im Flugzeug, und schon ist er wieder zu Hause, wo ihm ein großer Empfang bereitet wird. Das alles erzählt der Film in zügigem Tempo, ohne daß er seiner Botschaft, sich Zeit zu nehmen, untreu wird. Er läßt Nebensächliches weg, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Der Regisseur Robert Zemeckis plaziert seinen Helden vor einer großen Glasscheibe, hinter der zahllose Menschen auf und ab gehen, und nähert sich ihm langsam, während durch einen Zoomeffekt der Hintergrund näher zurücken scheint: Von beiden Seiten verengt sich der Raum, als Chuck erfährt, daß seine Freundin inzwischen einen anderen Mann geheiratet hat. Er selbst war offiziell für tot erklärt worden. Dann ist es, als atme der Film einmal tief durch. Er stellt den Helden zuerst in ein reinigendes Gewitter und dann an die staubige Kreuzung, an der alles seinen Anfang nahm. Chuck liefert das Paket ab, blickt ruhig abwägend in alle Richtungen und beginnt sein Leben nach dem Tode.
LARS-OLAV BEIER
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