Havanna 1948: Der junge Jazzpianist Chico begegnet in einem Nachtclub der wunderschönen Sängerin Rita. Ihre Stimme greift ihm ins Herz, doch schon die erste Nacht endet mit einer wilden Eifersuchtsszene. Ein Musikwettbewerb führt sie wieder zusammen, doch als nunmehr Chico ausrastet, geht Rita schweren Herzens mit einem Yankee nach New York, um dort Karriere zu machen. Chico verkauft sein Klavier und folgt ihr mit seinem Freund Ramon, um New Yorks Jazzszene aufzumischen - voller Hoffnung, dabei die Liebe seines Lebens zurückzugewinnen ...
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Interviews, Making of, Bildergalerie, TrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2012Als Kuba Amerika eroberte
Musikgeschichte als animierte Liebeshandlung: Der Zeichentrickfilm "Chico & Rita" verzaubert uns im Kino
Keine Geschichte eines anderen Filmgenres ist so mit Musik verknüpft wie die des Zeichentrickfilms. Der Anfang war noch normal: Zu den bewegten Bildern wurde Livemusik gespielt. Aber als der Tonfilm aufkam, erkannte Walt Disney als Pionier auf dem Feld der Animation deren spezifische Stärke in der Verbindung von Melodien und Bewegung. Das nutzte die Erkenntnisse des Tanzes, ging aber über ihn hinaus, weil die beiden Sphären wechselseitige Akzentuierungen gestatteten, die dem Geschehen zusätzlich Humor oder Dramatik verschafften. Doch nachdem der Reiz des Neuen daran verflogen war, rückte ein Phänomen in den Mittelpunkt, das generell für Filmmusik entscheidend ist, durch Animation aber noch mehr betont wird, weil hier meist die Bilder der Musik folgen, nicht umgekehrt: die Stimmung. "Fantasia" war 1940 der frühe Höhepunkt.
Nun kommt ein spanischer - oder seien wir korrekt: katalanischer - Trickfilm in die Kinos, der wiederum ganz auf Stimmung setzt, aber keine Episoden, sondern eine Spielfilmhandlung bietet. "Chico & Rita" erzählt die Geschichte eines kubanischen Jazzpianisten, der sich 1948 in eine junge Sängerin verliebt. Sie macht Karriere in den Vereinigten Staaten, er reist ihr nach, sie küssen und sie schlagen sich, und als sie heiraten wollen, kommt die kubanische Revolution dazwischen: Er bleibt 1959 auf der Insel, sie im Land des neuen Erzfeinds. Castro verbietet den Jazz, und mit der Karriere von Chico ist es aus. Er wird Schuhputzer.
Hier setzt die Handlung ein und erzählt dann in Rückblenden von dem, was vor fünfzig, sechzig Jahren war. Und Javier Mariscal, ein spanischer Comiczeichner und Gestalter, der sowohl das Maskottchen der Olympischen Spiele von Barcelona als auch das der Hannoveraner Weltausstellung entworfen hat, ein Grande seiner Zunft also, hat für den Film ein Havanna ins Bild gesetzt, das mit "schwelgerisch" noch zurückhaltend beschrieben wäre: Mariscals unverwechselbare Entwürfe, die von den Animatoren verblüffend originalgetreu auf die Leinwand gebracht wurden, atmen die Atmosphäre der kubanischen Hauptstadt, lassen ihre welke Pracht und die Hitze spüren, die Farben der Karibik sehen, und sie scheren sich nicht um sklavisch korrekte Perspektiven, sondern stellen alle Bilder in den Dienst der Stimmung.
Dadurch wird die schablonenartige Handlung, das stete amouröse und musikalische Auf und Ab von Chico und Rita, eingebettet in ein ständig fließendes Dekor, das dem Rhythmus des Jazz entspricht. Schon die Erinnerung Chicos setzt ein, als ein kubanischer Sender, der ausgerechnet "Radio Progresso" heißt, "Melodien von gestern" ausstrahlt - die Verdammung des Jazz ist hinfällig, und die Reminiszenzen entstehen aus dem Klang der Musik wie bei Proust aus dem Geruch einer Tasse Tee. Das elegische Havanna der Gegenwart wandelt sich in die pulsierende Metropole der vierziger Jahre, die den amerikanischen Touristen ein enthemmtes Nachtleben bietet. Und mit den Gringos ist auch der Bebop in die Stadt gekommen: Chico träumt von einem Engagement bei Charlie Parker oder Dizzy Gillespie.
Als dann Rita den Sprung nach New York schafft, ist die neue Stadt das Gegenteil von Havanna: steile Straßen, brandender Verkehr, kühle Geschäftspraktiken. Der Jazz findet in den Souterrains statt. Aber in die Atmosphäre der Bedrückung bringen erst die Sängerin und dann der Pianist lateinamerikanische Rhythmik, und nun sind sie es, die als Neutöner Furore machen. "Chico & Rita" erzählt also über seine Liebes- einen Ausschnitt Musikgeschichte, und wenn da plötzlich ein stiller Kerl mit Wollmütze am Klavier sitzt, wird nicht groß erklärt, dass es sich um Thelonious Monk handelt.
So durchdringt die Realität immer wieder das fiktive Geschehen um das Liebespaar, obwohl die Karriere (und der Absturz) Chicos nach dem Vorbild von Bebo Valdés gestaltet sind, einem heute über neunzigjährigen Pianisten, der zu den prägenden kubanischen Musikern vor der Revolution zählte und nach Castros Jazzverbot nach Schweden ausreiste, wo er erst in hohem Alter wieder Platten aufnahm. Der spanische Regisseur und Produzent Fernando Trueba, der "Chico & Rita" geschrieben und zusammen mit Mariscal und dessen Bruder Tono Errando auch inszeniert hat, hatte großen Anteil an der Wiederentdeckung von Valdés, und der wiederum bedankte sich dafür mit der Komposition der Musik für den Trickfilm und seiner Mitwirkung als Pianist bei deren Einspielung.
Mehr noch: Wenn man Chico Klavier spielen sieht, dann sind es die Hände von Valdés, die dafür Modell standen. Wie auch etliche Szenen in Havanna nach Filmmaterial geschaffen wurden, das Trueba und Errando in der Stadt gedreht haben, darunter Tanzszenen alter Kubaner, die sich an die Bewegungen ihrer Jugendzeit erinnerten. Selten hat es im Trickfilm einen mitreißenderen Tanz gegeben - und es gibt einige - als Ritas Auftritt zu Chicos Klavierspiel. Da verschmelzen Farben, Formen und Bewegungen zum großen Tableau völliger Hingabe an die Musik - was an alte, längst vergessen geglaubte Animationstraditionen anknüpft.
Das macht "Chico & Rita" so sehenswert: Dass eine Einheit von Form und Thema besteht. Wenn Trueba spektakuläre Kamerafahrten zeichnen lässt und Cinemascope-Ästhetik einsetzt, gleicht das der Experimentierfreude, die Hollywood in jenen fünfziger Jahren auszeichnete, in denen der Hauptteil der Handlung angesiedelt ist. Der Film ist aus einem Guss, ein synästhetischer Glücksfall, dem man das dünne Drehbuch gern nachsieht, weil man ohnehin nur auf die nächste Musikszene wartet. Zu recht, bis zuletzt.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Musikgeschichte als animierte Liebeshandlung: Der Zeichentrickfilm "Chico & Rita" verzaubert uns im Kino
Keine Geschichte eines anderen Filmgenres ist so mit Musik verknüpft wie die des Zeichentrickfilms. Der Anfang war noch normal: Zu den bewegten Bildern wurde Livemusik gespielt. Aber als der Tonfilm aufkam, erkannte Walt Disney als Pionier auf dem Feld der Animation deren spezifische Stärke in der Verbindung von Melodien und Bewegung. Das nutzte die Erkenntnisse des Tanzes, ging aber über ihn hinaus, weil die beiden Sphären wechselseitige Akzentuierungen gestatteten, die dem Geschehen zusätzlich Humor oder Dramatik verschafften. Doch nachdem der Reiz des Neuen daran verflogen war, rückte ein Phänomen in den Mittelpunkt, das generell für Filmmusik entscheidend ist, durch Animation aber noch mehr betont wird, weil hier meist die Bilder der Musik folgen, nicht umgekehrt: die Stimmung. "Fantasia" war 1940 der frühe Höhepunkt.
Nun kommt ein spanischer - oder seien wir korrekt: katalanischer - Trickfilm in die Kinos, der wiederum ganz auf Stimmung setzt, aber keine Episoden, sondern eine Spielfilmhandlung bietet. "Chico & Rita" erzählt die Geschichte eines kubanischen Jazzpianisten, der sich 1948 in eine junge Sängerin verliebt. Sie macht Karriere in den Vereinigten Staaten, er reist ihr nach, sie küssen und sie schlagen sich, und als sie heiraten wollen, kommt die kubanische Revolution dazwischen: Er bleibt 1959 auf der Insel, sie im Land des neuen Erzfeinds. Castro verbietet den Jazz, und mit der Karriere von Chico ist es aus. Er wird Schuhputzer.
Hier setzt die Handlung ein und erzählt dann in Rückblenden von dem, was vor fünfzig, sechzig Jahren war. Und Javier Mariscal, ein spanischer Comiczeichner und Gestalter, der sowohl das Maskottchen der Olympischen Spiele von Barcelona als auch das der Hannoveraner Weltausstellung entworfen hat, ein Grande seiner Zunft also, hat für den Film ein Havanna ins Bild gesetzt, das mit "schwelgerisch" noch zurückhaltend beschrieben wäre: Mariscals unverwechselbare Entwürfe, die von den Animatoren verblüffend originalgetreu auf die Leinwand gebracht wurden, atmen die Atmosphäre der kubanischen Hauptstadt, lassen ihre welke Pracht und die Hitze spüren, die Farben der Karibik sehen, und sie scheren sich nicht um sklavisch korrekte Perspektiven, sondern stellen alle Bilder in den Dienst der Stimmung.
Dadurch wird die schablonenartige Handlung, das stete amouröse und musikalische Auf und Ab von Chico und Rita, eingebettet in ein ständig fließendes Dekor, das dem Rhythmus des Jazz entspricht. Schon die Erinnerung Chicos setzt ein, als ein kubanischer Sender, der ausgerechnet "Radio Progresso" heißt, "Melodien von gestern" ausstrahlt - die Verdammung des Jazz ist hinfällig, und die Reminiszenzen entstehen aus dem Klang der Musik wie bei Proust aus dem Geruch einer Tasse Tee. Das elegische Havanna der Gegenwart wandelt sich in die pulsierende Metropole der vierziger Jahre, die den amerikanischen Touristen ein enthemmtes Nachtleben bietet. Und mit den Gringos ist auch der Bebop in die Stadt gekommen: Chico träumt von einem Engagement bei Charlie Parker oder Dizzy Gillespie.
Als dann Rita den Sprung nach New York schafft, ist die neue Stadt das Gegenteil von Havanna: steile Straßen, brandender Verkehr, kühle Geschäftspraktiken. Der Jazz findet in den Souterrains statt. Aber in die Atmosphäre der Bedrückung bringen erst die Sängerin und dann der Pianist lateinamerikanische Rhythmik, und nun sind sie es, die als Neutöner Furore machen. "Chico & Rita" erzählt also über seine Liebes- einen Ausschnitt Musikgeschichte, und wenn da plötzlich ein stiller Kerl mit Wollmütze am Klavier sitzt, wird nicht groß erklärt, dass es sich um Thelonious Monk handelt.
So durchdringt die Realität immer wieder das fiktive Geschehen um das Liebespaar, obwohl die Karriere (und der Absturz) Chicos nach dem Vorbild von Bebo Valdés gestaltet sind, einem heute über neunzigjährigen Pianisten, der zu den prägenden kubanischen Musikern vor der Revolution zählte und nach Castros Jazzverbot nach Schweden ausreiste, wo er erst in hohem Alter wieder Platten aufnahm. Der spanische Regisseur und Produzent Fernando Trueba, der "Chico & Rita" geschrieben und zusammen mit Mariscal und dessen Bruder Tono Errando auch inszeniert hat, hatte großen Anteil an der Wiederentdeckung von Valdés, und der wiederum bedankte sich dafür mit der Komposition der Musik für den Trickfilm und seiner Mitwirkung als Pianist bei deren Einspielung.
Mehr noch: Wenn man Chico Klavier spielen sieht, dann sind es die Hände von Valdés, die dafür Modell standen. Wie auch etliche Szenen in Havanna nach Filmmaterial geschaffen wurden, das Trueba und Errando in der Stadt gedreht haben, darunter Tanzszenen alter Kubaner, die sich an die Bewegungen ihrer Jugendzeit erinnerten. Selten hat es im Trickfilm einen mitreißenderen Tanz gegeben - und es gibt einige - als Ritas Auftritt zu Chicos Klavierspiel. Da verschmelzen Farben, Formen und Bewegungen zum großen Tableau völliger Hingabe an die Musik - was an alte, längst vergessen geglaubte Animationstraditionen anknüpft.
Das macht "Chico & Rita" so sehenswert: Dass eine Einheit von Form und Thema besteht. Wenn Trueba spektakuläre Kamerafahrten zeichnen lässt und Cinemascope-Ästhetik einsetzt, gleicht das der Experimentierfreude, die Hollywood in jenen fünfziger Jahren auszeichnete, in denen der Hauptteil der Handlung angesiedelt ist. Der Film ist aus einem Guss, ein synästhetischer Glücksfall, dem man das dünne Drehbuch gern nachsieht, weil man ohnehin nur auf die nächste Musikszene wartet. Zu recht, bis zuletzt.
ANDREAS PLATTHAUS
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