Eine Schießerei in Brooklyn, N.Y., bei der ein kleiner Junge erschossen wird, löst einen Skandal aus, der Kreise bis in die höchste politische Ebenen zieht. Der stellvertretende Bürgermeister Kevin Calhoun bemüht sich um eine lückenlose Aufklärung - doch dabei begibt er sich in einen unvorstellbaren Sumpf aus Verbrechen, Verrat und Korruption. Ein meisterhaft inszenierter Polit-Thriller von Regisseur Harold Becker (Sea of Love - Melodie des Todes). Al Pacino (An jedem verdammten Sonntag) brilliert als verlogener Politiker neben John Cusack (Con Air, Der schmale Grat), Bridget Fonda (Lake Placid, Jackie Brown) Danny Aiello, Martin Landau, Tony Franciosa und David Paymer
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / SzenenanwahlFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.1996Detektive im Rathaus
"City Hall": Ein Film sieht New York als Korruptions-Babel
NEW YORK, im März
Niemand weiß genau, wie - doch New York ist eine Stadt, die wider Erwarten funktioniert. Schnee wird geräumt und Müll gesammelt, wenn auch in undurchschaubarem Rhythmus. Das Transportsystem ist zwar eine anerkannte Katastrophe, doch jeder hat sich darauf eingestellt. In manchen Schulen wird in Teeküchen und Umkleidekabinen unterrichtet, in der Kinderfürsorge gibt es wöchentlich Skandale. Warenlieferungen von und nach New York werden immer noch über die löchrigen Straßen abgewickelt, was zwar konkurrenzlos teuer ist, doch jahrzehntelang zu keiner Ausweitung des Schienenverkehrs geführt hat. Aber irgendwie hat es die Stadt bisher geschafft, den Übergang vom Chaos zum Kollaps zu blockieren. Grundstücke in heruntergekommenen Gegenden erleben märchenhafte Wertsteigerungen, und Firmen, die aus Steuergründen nach New Jersey abwandern wollten, ändern wundersamerweise ihre Pläne und bleiben.
Die private Erfahrung mit jedweder Dienstleistung legt nahe, daß all dies so ist, weil auch im öffentlichen Bereich das Getriebe der Stadt kräftig geschmiert wird, damit es in die Gänge kommt - was nicht notwendig zu Veränderungen führt, sondern häufig nur dazu, daß alles bleibt, wie es immer war. Manchmal, wie im Fall von Donald R. Manes, dem Vizebürgermeister unter Ed Koch, kommt ans Tageslicht und vor Gericht, was in den Hinterzimmern und Clubs, bei den täglichen Frühstücken und auf den Gängen des Rathauses verabredet wurde. Im Falle Manes, der nicht nur Vizebürgermeister, sondern auch Vorsitzender der Demokratischen Partei im Stadtteil Queens und Wahlhelfer von Jimmy Carter war, ging es um Absprachen zwischen Autohändlern und der Behörde für Parkvergehen, die Manes vermittelt und an denen er viel Geld verdient haben soll. Er trat zurück und nahm sich das Leben. Das war Mitte der achtziger Jahre.
Im Film "City Hall" begegnet man einer Figur wieder, die zum Teil auf Donald R. Manes verweist, zum Teil auf andere gefallene Helden von New York. Frank Anselmo, den Danny Aiello mit der melancholischen Würde des Korrupten spielt, ist ein Parteifunktionär aus Brooklyn, der die diplomatischen Beziehungen zwischen der Mafia und dem Büro des Bürgermeisters aufrechterhält. Im Film geht es um einen U-Bahnhof in Brooklyn, den die Mafia fordert, und um ein neues Bürohochhaus in Manhattan, das der Bürgermeister will. Wahrscheinlich sind die meisten Geschäfte, die das Stadtgefüge New Yorks zusammenhalten, so banal wie jene, die Anselmo nach dem Muster von Donald R. Manes zustande bringt. Martin Scorsese mit seiner großen katholischen Überzeugung hätte in ihrer Mechanik die Unausweichlichkeit von Versuchung, Verdammnis und Erlösung finden können; bei ihm wäre New York wenigstens auf der Leinwand endlich in jenem apokalyptischen Feuer versunken, das der Stadt schon seit Jahrzehnten vorhergesagt wird. Doch "City Hall" ist ein Film von Harold Becker, einem soliden Handwerker, der aus der Geschichte um Macht und Geschäfte auf Gegenseitigkeit einen Kriminalfilm mit Anleihen bei Frank Capra macht, der, etwas unschlüssig, gleichzeitig eine Vater-Sohn-Dramatik entwickelt und auch noch Ansätze eines Stadtporträts.
"City Hall" beginnt als Großstadt-Thriller. An einem jener erbitternden Regentage, für die New York berüchtigt ist, treffen in Brooklyn ein Polizist in Zivil und ein Drogendealer aufeinander. Beide schießen sofort, der Polizist ist tot, der Dealer ebenfalls und auch ein schwarzes Kind, das zufällig die Straße überqueren wollte. Der Bevollmächtigte des Bürgermeisters und einer seiner größten Bewunderer, Kevin Calhoun (John Cusack), versucht herauszufinden, was an diesem Regentag wirklich geschah, und entdeckt, daß der Dealer eigentlich im Gefängnis sitzen müßte, hätte ihn ein gemeinhin strenger Richter nicht auf Bewährung freigelassen. Der tote Dealer war der Neffe eines Mafiabosses, der Richter ein Freund des Bürgermeisters.
Calhoun ist ein bißchen zu idealistisch fürs politische Geschäft, in dem er Karriere macht. Aus seiner Perspektive ist "City Hall" erzählt, doch das Publikum glaubt bei weitem nicht so lange an die moralische Redlichkeit des Bürgermeisters John Pappas wie dessen junger Zögling. Der Populismus von Pappas, dessen Rollenvorbilder die Bürgermeister Mario Cuomo und Fiorello La Guardia gewesen sein sollen, ist pathetisch und deshalb so passend für eine Stadt, die in ihren bittersten Momenten - wie bei der Beerdigung eines unschuldigen Kindes - auf Geschmack weniger Wert legt als auf sentimentalen Trost. Al Pacino, der in Michael Manns Thriller "Heat" und nun in "City Hall" nach längerer Pause endlich wieder im Kino zu sehen ist, spielt diesen Bürgermeister, den alle lieben, und er spielt ihn vor allem für Calhoun. Solange dieser ihm vertraut, glaubt er selbst daran, noch nicht alle Ideale verraten zu haben.
"City Hall" zeigt weder die bekannten Bilder des ehrgeizigen New Yorker Finanzbezirks noch der bedrohlichen Straßenzüge an den Rändern Manhattans, sondern die alte, inzwischen ein bißchen schäbige Stadt mit den traditionsreichen Brooklyn-Clubs, dem Rathaus und den patinierten Verwaltungsgebäuden. Das entschädigt für die zahlreichen Ungereimtheiten des Drehbuchs, an dem vier Autoren gearbeitet haben: Ken Lipper, einst Bevollmächtiger des New Yorker Bürgermeisters Ed Koch und seit einiger Zeit unter anderem Filmproduzent, hat den ersten Entwurf geschrieben; Paul Schrader und Nicholas Pileggi haben ihn umgeschrieben, und nachdem Al Pacino als Hauptdarsteller verpflichtet war, kam Bo Goldman und hat nochmals Hand an Plot und Dialoge gelegt. Einige Figuren, für die bereits großartige Darsteller verpflichtet waren, sind dabei offenbar verlorengegangen. Bridget Fonda hat fast ebensowenig zu tun wie Martin Landau, der als schuldbeladener Richter nur einen Kurzauftritt absolviert.
In "City Hall" wird deutlich, daß kein Bürgermeister New Yorks jemals tun kann, was er will und was er für richtig hält, ohne sich in Geschäften und Absprachen mit mächtigen Leuten zu arrangieren, die er für seine Absichten braucht, ohne daß dies die ihren wären und umgekehrt. Doch am Filmende wird diese im Grunde schlichte, aber überaus engagiert und unterhaltsam vorgetragene Erkenntnis von einer umfassenden "Ich liebe New York"-Naivität unterspült. Harold Becker hat zwar einiges darüber herausgefunden, wie New York funktioniert. Doch am Schluß wußte er nichts mehr damit anzufangen. VERENA LUEKEN
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"City Hall": Ein Film sieht New York als Korruptions-Babel
NEW YORK, im März
Niemand weiß genau, wie - doch New York ist eine Stadt, die wider Erwarten funktioniert. Schnee wird geräumt und Müll gesammelt, wenn auch in undurchschaubarem Rhythmus. Das Transportsystem ist zwar eine anerkannte Katastrophe, doch jeder hat sich darauf eingestellt. In manchen Schulen wird in Teeküchen und Umkleidekabinen unterrichtet, in der Kinderfürsorge gibt es wöchentlich Skandale. Warenlieferungen von und nach New York werden immer noch über die löchrigen Straßen abgewickelt, was zwar konkurrenzlos teuer ist, doch jahrzehntelang zu keiner Ausweitung des Schienenverkehrs geführt hat. Aber irgendwie hat es die Stadt bisher geschafft, den Übergang vom Chaos zum Kollaps zu blockieren. Grundstücke in heruntergekommenen Gegenden erleben märchenhafte Wertsteigerungen, und Firmen, die aus Steuergründen nach New Jersey abwandern wollten, ändern wundersamerweise ihre Pläne und bleiben.
Die private Erfahrung mit jedweder Dienstleistung legt nahe, daß all dies so ist, weil auch im öffentlichen Bereich das Getriebe der Stadt kräftig geschmiert wird, damit es in die Gänge kommt - was nicht notwendig zu Veränderungen führt, sondern häufig nur dazu, daß alles bleibt, wie es immer war. Manchmal, wie im Fall von Donald R. Manes, dem Vizebürgermeister unter Ed Koch, kommt ans Tageslicht und vor Gericht, was in den Hinterzimmern und Clubs, bei den täglichen Frühstücken und auf den Gängen des Rathauses verabredet wurde. Im Falle Manes, der nicht nur Vizebürgermeister, sondern auch Vorsitzender der Demokratischen Partei im Stadtteil Queens und Wahlhelfer von Jimmy Carter war, ging es um Absprachen zwischen Autohändlern und der Behörde für Parkvergehen, die Manes vermittelt und an denen er viel Geld verdient haben soll. Er trat zurück und nahm sich das Leben. Das war Mitte der achtziger Jahre.
Im Film "City Hall" begegnet man einer Figur wieder, die zum Teil auf Donald R. Manes verweist, zum Teil auf andere gefallene Helden von New York. Frank Anselmo, den Danny Aiello mit der melancholischen Würde des Korrupten spielt, ist ein Parteifunktionär aus Brooklyn, der die diplomatischen Beziehungen zwischen der Mafia und dem Büro des Bürgermeisters aufrechterhält. Im Film geht es um einen U-Bahnhof in Brooklyn, den die Mafia fordert, und um ein neues Bürohochhaus in Manhattan, das der Bürgermeister will. Wahrscheinlich sind die meisten Geschäfte, die das Stadtgefüge New Yorks zusammenhalten, so banal wie jene, die Anselmo nach dem Muster von Donald R. Manes zustande bringt. Martin Scorsese mit seiner großen katholischen Überzeugung hätte in ihrer Mechanik die Unausweichlichkeit von Versuchung, Verdammnis und Erlösung finden können; bei ihm wäre New York wenigstens auf der Leinwand endlich in jenem apokalyptischen Feuer versunken, das der Stadt schon seit Jahrzehnten vorhergesagt wird. Doch "City Hall" ist ein Film von Harold Becker, einem soliden Handwerker, der aus der Geschichte um Macht und Geschäfte auf Gegenseitigkeit einen Kriminalfilm mit Anleihen bei Frank Capra macht, der, etwas unschlüssig, gleichzeitig eine Vater-Sohn-Dramatik entwickelt und auch noch Ansätze eines Stadtporträts.
"City Hall" beginnt als Großstadt-Thriller. An einem jener erbitternden Regentage, für die New York berüchtigt ist, treffen in Brooklyn ein Polizist in Zivil und ein Drogendealer aufeinander. Beide schießen sofort, der Polizist ist tot, der Dealer ebenfalls und auch ein schwarzes Kind, das zufällig die Straße überqueren wollte. Der Bevollmächtigte des Bürgermeisters und einer seiner größten Bewunderer, Kevin Calhoun (John Cusack), versucht herauszufinden, was an diesem Regentag wirklich geschah, und entdeckt, daß der Dealer eigentlich im Gefängnis sitzen müßte, hätte ihn ein gemeinhin strenger Richter nicht auf Bewährung freigelassen. Der tote Dealer war der Neffe eines Mafiabosses, der Richter ein Freund des Bürgermeisters.
Calhoun ist ein bißchen zu idealistisch fürs politische Geschäft, in dem er Karriere macht. Aus seiner Perspektive ist "City Hall" erzählt, doch das Publikum glaubt bei weitem nicht so lange an die moralische Redlichkeit des Bürgermeisters John Pappas wie dessen junger Zögling. Der Populismus von Pappas, dessen Rollenvorbilder die Bürgermeister Mario Cuomo und Fiorello La Guardia gewesen sein sollen, ist pathetisch und deshalb so passend für eine Stadt, die in ihren bittersten Momenten - wie bei der Beerdigung eines unschuldigen Kindes - auf Geschmack weniger Wert legt als auf sentimentalen Trost. Al Pacino, der in Michael Manns Thriller "Heat" und nun in "City Hall" nach längerer Pause endlich wieder im Kino zu sehen ist, spielt diesen Bürgermeister, den alle lieben, und er spielt ihn vor allem für Calhoun. Solange dieser ihm vertraut, glaubt er selbst daran, noch nicht alle Ideale verraten zu haben.
"City Hall" zeigt weder die bekannten Bilder des ehrgeizigen New Yorker Finanzbezirks noch der bedrohlichen Straßenzüge an den Rändern Manhattans, sondern die alte, inzwischen ein bißchen schäbige Stadt mit den traditionsreichen Brooklyn-Clubs, dem Rathaus und den patinierten Verwaltungsgebäuden. Das entschädigt für die zahlreichen Ungereimtheiten des Drehbuchs, an dem vier Autoren gearbeitet haben: Ken Lipper, einst Bevollmächtiger des New Yorker Bürgermeisters Ed Koch und seit einiger Zeit unter anderem Filmproduzent, hat den ersten Entwurf geschrieben; Paul Schrader und Nicholas Pileggi haben ihn umgeschrieben, und nachdem Al Pacino als Hauptdarsteller verpflichtet war, kam Bo Goldman und hat nochmals Hand an Plot und Dialoge gelegt. Einige Figuren, für die bereits großartige Darsteller verpflichtet waren, sind dabei offenbar verlorengegangen. Bridget Fonda hat fast ebensowenig zu tun wie Martin Landau, der als schuldbeladener Richter nur einen Kurzauftritt absolviert.
In "City Hall" wird deutlich, daß kein Bürgermeister New Yorks jemals tun kann, was er will und was er für richtig hält, ohne sich in Geschäften und Absprachen mit mächtigen Leuten zu arrangieren, die er für seine Absichten braucht, ohne daß dies die ihren wären und umgekehrt. Doch am Filmende wird diese im Grunde schlichte, aber überaus engagiert und unterhaltsam vorgetragene Erkenntnis von einer umfassenden "Ich liebe New York"-Naivität unterspült. Harold Becker hat zwar einiges darüber herausgefunden, wie New York funktioniert. Doch am Schluß wußte er nichts mehr damit anzufangen. VERENA LUEKEN
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