Miss Novak, Ernährungscoach an einer Eliteschule, schart fünf "Conscious Eating"-Fans um sich, manipuliert sie, ihr Essen zu reduzieren - auf null. Der titelgebende "Club Zero" ermöglicht es, halb im Geheimen mit der Bürgerlichkeit der Eltern- und Konsumkultur zu brechen. Ein Gruppen-Ego in Selbsterhöhung: Die Welt ist dumm, ich bin dünn. Das neue Werk der österreichischen Autorenfilmerin Jessica Hausner ist eine hoch stilisierte, eigenwillig entrückte, gesellschaftskritische Thrillersatire rund um die Themen Konsum, sektenhafte Extreme und schlechte Essgewohnheiten.
Frankfurter Allgemeine ZeitungNichts im Magen ist das stärkste Gift
In Jessica Hausners Kinofilm "Club Zero" wird Verzicht zum Studentenkult
Mit bewusster Ernährung könne man alles erreichen, was man will; das verspricht Miss Novak ihren Schülern in der ersten Kursstunde. Und dann erzählt sie von Überproduktion und Selbstkontrolle und drückt den Schülern eine Tafel Schokolade in die Hand, die sie meditativ anatmen dürfen, ohne sie zu essen. Die meisten Eltern, die ihre Kinder auf das Eliteinternat schicken, an dem Miss Novak ihren Kurs abhält, sind zunächst begeistert von der neuen Lehre. Es sei so wichtig, dass die Kinder Konsumverzicht lernten, sagt ein Vater, während er mit seiner Partnerin über einen wohlgestutzten Garten blickt, der nahtlos an die bodentiefen Fenster der Villa anschließt.
Jessica Hausner, die all das in ihrem neuen Film "Club Zero" zeigt, ist geschickt darin, solche Doppelmoral sichtbar zu machen. Wie schon im Wallfahrtsfilm "Lourdes" (wo aus den entsättigten Bildern der Pilger die rote Mütze der Hauptfigur herausstrahlt) oder dem Horrorthriller "Little Joe" (in dem experimentelle Musik pures Grauen über die Bilder goss) nutzt die österreichische Regisseurin alle Mittel, die das Medium Film ihr bietet. Beleuchtung und Farbgebung ziehen den Räumen eine Schicht befremdlicher Künstlichkeit über. Ein Krankenhausflur flüstert von Horror, wenn im grellen weißen Licht apfelgrüne Plastikstühle vor mintgrünen Wänden stehen. Die Schüler tragen zu beigefarbenen Hosen und Röcken kobaltblaue Kniestrümpfe und limonengelbe Polohemden, das kühle Gelb wirkt am Ende immer greller und wird die Schatten, die sich auf den Gesichtern der in Askesephantasie hungernden Jugendlichen abzeichnen, nur noch stärker hervorheben. Die Inneneinrichtung der Landhäuser und Villen, in denen die Schüler bei ihren Eltern leben, fügt dem Leitmotiv der Reduktion eine weitere Facette hinzu, wird aber zumeist so beleuchtet, dass hier alles zugleich steril und wenig wohnlich wirkt. Solche Verfremdung irritiert zum einen, zum anderen lenkt sie die Aufmerksamkeit noch stärker auf das, was die Protagonisten sagen - und vor allem tun.
Wenn etwa eines der Mädchen die Lehren aus dem Kurs zu Hause umsetzt, bringt das zunächst beim Abendessen den Vater auf die Palme ("Nur weil deine Mutter nichts isst, musst du damit nicht auch anfangen."). Die junge Frau verschwindet nach dem Dinner ins Badezimmer. Ihre Mutter geht ihr nach, lauscht, wartet im weißen Flur vor der weißen Tür, aus der die Tochter kurz darauf wieder auftaucht. Die beiden tauschen einen Blick aus, dann geht die Mutter kommentarlos in ihr Zimmer. Auch so kann man Bulimie und die Vererbung eines gestörten Körperideals von einer Generation auf die nächste darstellen.
Doch das ist eher ein Nebenaspekt von Hausners Stoffgestaltung. Anhand der Figur Miss Novak denkt sie aber im Zentrum des Films konsequent zu Ende, was geschieht, wenn aus Nachhaltigkeitsideen eine Religion wird. Mia Wasikowska macht diese Miss Novak zur Kultführerin, spielt sie mit dem kühlen Lächeln einer Fensterscheibe, auf der sich die Morgensonne spiegelt, obwohl dahinter die Dunkelheit gegen das Glas drückt. Immer weiter treibt die Ernährungsberaterin ihre Schüler in der Askese, ermuntert sie zur gegenseitigen Kontrolle, übt Druck auf jene aus, die nicht von Anfang an aus Überzeugung beim Verzicht dabei sind, sondern den Kurs nur für den Notenschnitt benötigen, der den Schülern aus sozialschwächeren Familien das Stipendium für die Eliteschule sichert. Ein solcher Schüler ist Ben, und er sträubt sich am längsten gegen das Sektenhafte des Kurses. Seine Mutter, alleinerziehende Arbeiterin, die ihre Liebe zum Kind über Hackbraten ausdrückt, begreift als Erste, wie gefährlich die Predigten sind, die Novak den Jugendlichen ins Ohr summt.
"Club Zero" destilliert solche kleinen Beobachtungen, setzt sie in seiner künstlich-durchgestylten Welt in Szene und erhebt so gesellschaftliche Probleme zu Kunst. Hausner gelingt es dabei, keine Leitartikelmoral vorzubringen, sondern ein Gedankenexperiment vorzustellen, eine Versuchsanordnung, die zu Ende denkt, was manipulative Führungsphanatiker mit Verzichtsideologie anstellen können. MARIA WIESNER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Jessica Hausners Kinofilm "Club Zero" wird Verzicht zum Studentenkult
Mit bewusster Ernährung könne man alles erreichen, was man will; das verspricht Miss Novak ihren Schülern in der ersten Kursstunde. Und dann erzählt sie von Überproduktion und Selbstkontrolle und drückt den Schülern eine Tafel Schokolade in die Hand, die sie meditativ anatmen dürfen, ohne sie zu essen. Die meisten Eltern, die ihre Kinder auf das Eliteinternat schicken, an dem Miss Novak ihren Kurs abhält, sind zunächst begeistert von der neuen Lehre. Es sei so wichtig, dass die Kinder Konsumverzicht lernten, sagt ein Vater, während er mit seiner Partnerin über einen wohlgestutzten Garten blickt, der nahtlos an die bodentiefen Fenster der Villa anschließt.
Jessica Hausner, die all das in ihrem neuen Film "Club Zero" zeigt, ist geschickt darin, solche Doppelmoral sichtbar zu machen. Wie schon im Wallfahrtsfilm "Lourdes" (wo aus den entsättigten Bildern der Pilger die rote Mütze der Hauptfigur herausstrahlt) oder dem Horrorthriller "Little Joe" (in dem experimentelle Musik pures Grauen über die Bilder goss) nutzt die österreichische Regisseurin alle Mittel, die das Medium Film ihr bietet. Beleuchtung und Farbgebung ziehen den Räumen eine Schicht befremdlicher Künstlichkeit über. Ein Krankenhausflur flüstert von Horror, wenn im grellen weißen Licht apfelgrüne Plastikstühle vor mintgrünen Wänden stehen. Die Schüler tragen zu beigefarbenen Hosen und Röcken kobaltblaue Kniestrümpfe und limonengelbe Polohemden, das kühle Gelb wirkt am Ende immer greller und wird die Schatten, die sich auf den Gesichtern der in Askesephantasie hungernden Jugendlichen abzeichnen, nur noch stärker hervorheben. Die Inneneinrichtung der Landhäuser und Villen, in denen die Schüler bei ihren Eltern leben, fügt dem Leitmotiv der Reduktion eine weitere Facette hinzu, wird aber zumeist so beleuchtet, dass hier alles zugleich steril und wenig wohnlich wirkt. Solche Verfremdung irritiert zum einen, zum anderen lenkt sie die Aufmerksamkeit noch stärker auf das, was die Protagonisten sagen - und vor allem tun.
Wenn etwa eines der Mädchen die Lehren aus dem Kurs zu Hause umsetzt, bringt das zunächst beim Abendessen den Vater auf die Palme ("Nur weil deine Mutter nichts isst, musst du damit nicht auch anfangen."). Die junge Frau verschwindet nach dem Dinner ins Badezimmer. Ihre Mutter geht ihr nach, lauscht, wartet im weißen Flur vor der weißen Tür, aus der die Tochter kurz darauf wieder auftaucht. Die beiden tauschen einen Blick aus, dann geht die Mutter kommentarlos in ihr Zimmer. Auch so kann man Bulimie und die Vererbung eines gestörten Körperideals von einer Generation auf die nächste darstellen.
Doch das ist eher ein Nebenaspekt von Hausners Stoffgestaltung. Anhand der Figur Miss Novak denkt sie aber im Zentrum des Films konsequent zu Ende, was geschieht, wenn aus Nachhaltigkeitsideen eine Religion wird. Mia Wasikowska macht diese Miss Novak zur Kultführerin, spielt sie mit dem kühlen Lächeln einer Fensterscheibe, auf der sich die Morgensonne spiegelt, obwohl dahinter die Dunkelheit gegen das Glas drückt. Immer weiter treibt die Ernährungsberaterin ihre Schüler in der Askese, ermuntert sie zur gegenseitigen Kontrolle, übt Druck auf jene aus, die nicht von Anfang an aus Überzeugung beim Verzicht dabei sind, sondern den Kurs nur für den Notenschnitt benötigen, der den Schülern aus sozialschwächeren Familien das Stipendium für die Eliteschule sichert. Ein solcher Schüler ist Ben, und er sträubt sich am längsten gegen das Sektenhafte des Kurses. Seine Mutter, alleinerziehende Arbeiterin, die ihre Liebe zum Kind über Hackbraten ausdrückt, begreift als Erste, wie gefährlich die Predigten sind, die Novak den Jugendlichen ins Ohr summt.
"Club Zero" destilliert solche kleinen Beobachtungen, setzt sie in seiner künstlich-durchgestylten Welt in Szene und erhebt so gesellschaftliche Probleme zu Kunst. Hausner gelingt es dabei, keine Leitartikelmoral vorzubringen, sondern ein Gedankenexperiment vorzustellen, eine Versuchsanordnung, die zu Ende denkt, was manipulative Führungsphanatiker mit Verzichtsideologie anstellen können. MARIA WIESNER
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