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Bildformat: 16:9 Widescreen 1:2.10 Sprache / Tonformate: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1) Untertitel: Deutsch Ländercode: 2
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DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - Interviews - Audio Kommentar - Filmographie - Hintergrund - Notizen - DVD-Rom Part

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Produktbeschreibung
Bildformat: 16:9 Widescreen 1:2.10 Sprache / Tonformate: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1) Untertitel: Deutsch Ländercode: 2

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2000

Tanzen in der Todeszelle
Filmfestspiele Cannes: Lars von Triers sozialkritisches Musical

CANNES, 18. Mai

Wer ein ganzes Festival lang Filme sieht, das heißt, wer fast zwei Wochen lang Tag für Tag drei- oder viermal ins Kino geht, kommt unweigerlich an einen Punkt, wo er Zwischenbilanz zieht und seine bisherigen Urteile überprüft. Denn je mehr Filme man sieht, desto häufiger kommt es vor, dass Bewertungen sich ändern. Was anfangs ein Höhepunkt schien, verblasst naturgemäß, sobald ein wirkliches Meisterwerk auftaucht. Umgekehrt wird die Qualität so manchen Films erst richtig sichtbar, wenn man erlebt, wie viele Konkurrenten aus aller Welt vergeblich etwas Ähnliches versuchen.

Das ist beispielsweise der Fall, wenn man jetzt "Les destinées sentimentales" von Olivier Assayas gesehen hat. Der französische Wettbewerbsbeitrag ist ein Kostümfilm, der um die Jahrhundertwende spielt und der vielleicht als makellos durchgehen würde, hätte man nicht einige Tage zuvor "The Golden Bowl" von James Ivory gesehen, der mit prinzipiell gleichen Stilmitteln die gleiche Epoche behandelt. Trotz allem, was sich gegen Ivorys Ausstattungskult einwenden lässt, ist der britische Regisseur, verglichen mit dem kreuzbraven Franzosen, ein besessenes Genie. Und verglichen mit der beklemmenden Suggestivität von "The Golden Bowl", hat "Les destinées sentimentales" die Qualitäten einer Fernsehserie.

Die Hauptfigur von Assayas ist ein protestantischer Pfarrer, der sich scheiden lässt, seine große Liebe heiratet, eine glückliche Ehe führt und sein Amt aufgibt, um die Porzellanfabrik seiner Familie zu retten. Das ist nicht einfach, denn die Zeiten ändern sich, und die Konkurrenz gibt keine Ruhe. Die Nachfrage für kunsthandwerkliche Qualität wird kleiner, immer mehr Käufer sind mit preiswerter Industrieware zufrieden. Also muss die Fabrik modernisiert werden, aber der Expastor, ganz Franzose, macht das so behutsam wie möglich.

Auch der Erste Weltkrieg kann der Fabrik freilich nichts anhaben und der Ehe noch viel weniger, trotz eines kleinen Seitensprungs der Frau, der großmütig verziehen wird. Man schaut sich den Film gerne an, schließlich will man wissen, wie es mit den beiden weitergeht, zumal es hervorragende Schauspieler zu sehen gibt, vor allem Isabelle Huppert als erste Ehefrau und Charles Berling in der Hauptrolle. Emmanuelle Béart dagegen wirkt, wie schon so oft, etwas enttäuschend.

Um eine große Schauspielerin zu werden, steht ihr immer noch die Selbstgefälligkeit im Wege, mit der sie in jedem Film aufs Neue die eigene Hübschheit zu genießen scheint. Als Festivalbeitrag ist der Film eine gepflegte Belanglosigkeit. Keine Sekunde lang erhebt er sich über das Niveau korrekten Regiehandwerks. Dass der Film in der französischen Presse gefeiert wird, macht stutzig - aber nicht etwa, weil der Film gut wäre, sondern weil sich wieder einmal offenbart, wie wenig in einem so kulturchauvinistischen Land der Kritik zu trauen ist.

Ginge es nach dem Publikumsbeifall, dann wäre der beste bisher in Cannes gezeigte Film vermutlich Lars von Triers "Dancer in the Dark". Der dänische Wettbewerbsfilm hatte viel Vorauspropaganda. Zum einen, weil Lars von Trier ein mutiger Regisseur ist, den viele als Genie bewundern, zum anderen, weil die Popsängerin Björk die Musik geschrieben und die Hauptrolle übernommen hat. Kein Zweifel, es ist ein ungewöhnlicher Film: ein gesellschaftskritischer Tränendrücker, der unentwegt an unser Mitleid appelliert und der zugleich das Kunststück versucht, ein trostloses, naturalistisch ausgemaltes Melodram in ein Musical zu verwandeln. Die Handlung spielt im Lieblingsland der neueren europäischen Sozialkritik, in den Vereinigten Staaten, wo arme Einwanderer in der Fabrik schuften und notfalls von einem Tag auf den anderen gefeuert werden können. So ergeht es der jungen Selma, die an einer ererbten Augenkrankheit leidet und allmählich blind wird, so dass in der Fabrik kein Platz mehr für sie ist. Ihr kleiner vaterloser Sohn, den sie aus Tschechien mitgebracht hat, soll es besser haben.

Selma hat spartanisch gelebt, Tag und Nacht gearbeitet und jeden Cent gespart, um dem Jungen eine Augenoperation zu bezahlen. Doch der böse Nachbar, der zu feige ist, den Kaufrausch seiner barbiepuppenhaften Ehefrau zu bremsen, stiehlt, was nicht schwer ist, der mittlerweile erblindeten Selma das ganze Geld. Als sie ihn zur Rede stellt, kommt es zu einer bluttriefenden, völlig abstrusen Auseinandersetzung. Der Nachbar weiß nicht recht, ob er Selma ermorden soll oder ob es nicht besser wäre, sich von ihr umbringen zu lassen. Wenigstens hätten seine Seelenqualen dann ein Ende. Der eklige Zweikampf endet damit, dass der Mann auf der Strecke bleibt und Selma als Mörderin ins Gefängnis muss. Schließlich wird sie zum Tod durch Erhängen verurteilt.

Schuld daran ist das dichte Netz der gut gemeinten Lebenslügen, in das sie sich jahrelang eingehüllt hat und in das sie sich jetzt hilflos verstrickt. Im Glauben, dem Sohn zu nützen, hat sie sich ein komplettes zweites Leben zusammenphantasiert, und im Wahn, die Wahrheit könnte dem Jungen schaden, lässt sie selbst dann nicht von ihren an sich so harmlosen Lügen ab, als ihr die Schlinge des Henkers schon um den Hals gelegt wird.

Das alles muss man sich, was nicht ganz einfach ist, mit Musik und Tanz vorstellen. Nicht nur in der Fabrik, auch am Tatort des Mordes und sogar auf den letzten Metern zur Todeszelle fangen die Figuren plötzlich mitten in der realen Handlung zu tanzen und zu singen an. Der Film hat dafür eine gut ausgedachte Motivation parat: Selmas Lebenstraum sind die klassischen amerikanischen Musicals, sie machen ihr das Leben überhaupt erträglich. Sie braucht Musik als seelisches Grundnahrungsmittel, aber es reicht notfalls schon aus, wenn sie nur von Geräuschen umgeben ist. Ihre musikalische Phantasie kommt auch in Gang, wenn die Maschinen rhythmisch stampfen oder der Bleistift des Gerichtszeichners wie der Stock eines sanften Schlagzeugers auf den Zeichenblock klopft.

Kein Zweifel, das sind großartige Regieeinfälle, wie Lars von Trier überhaupt Phantasie und Mut nicht abzusprechen sind. Aber die Freude des Naturalisten an unappetitlichen Details und die Schamlosigkeit, mit der unentwegt unser Mitleid erpresst wird, machen am Ende doch den heroischen Versuch zunichte, ein sozialkritisches Melodram mit all seinem tränenseligen Naturalismus in etwas Opernhaftes zu verwandeln. Lars von Trier will zu viel auf einmal und kann nichts auslassen, am Ende bleibt er doch ein ungezügelter Drauflosfilmer.

Die Sängerin Björk spielt das Mitleid heischende Aschenputtel mit verblüffender Glaubwürdigkeit, und die sonst so elegante Catherine Deneuve bewährt sich in einer proletarischen Rolle. Vielleicht ist ihr dieses Milieu tatsächlich etwas ungewohnt, aber das kommt ihrem Spiel nur zugute. Genauso fremd und unsicher, wie sie sich vielleicht in einer Fabrik fühlen mag, wird den Einwanderern aus kommunistischen Ländern in Amerika zumute gewesen sein.

WILFRIED WIEGAND

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