Die Binnenhandlung erzählt die Geschichte des wahnsinnigen Dr. Caligari, der mit Hilfe des Somnambulen Cesare eine kleine Stadt in Angst und Schrecken versetzt. Tagsüber läßt Caligari Cesare auf dem Jahrmarkt die Zukunft vorhersagen. Nachts begeht Cesare unter dem Einfluß seines Herrn furchtbare Morde. Eines Nachts wird Alan ermordet, nachdem Cesare ihm den nahen Tod prophezeit hatte. Alans Freund Francis ahnt, dass Dr. Caligari mit der Sache zu tun hat. Als Francis´ Freundin Jane von Cesare entführt wird, wird der Verdacht zur Gewißheit. Francis Verfolgung Caligaris endet in einer Irrenanstalt, deren Direktor Dr. Caligari ist. Die Rahmenhandlung schafft die Doppelbödigkeit des Films: Francis, der die Geschichte von Dr. Caligari erzählt, ist selbst Insasse der Nervenheilanstalt.
Bonusmaterial
20-seitiges Booklet Making Of Restaurierungsbeispiel Dokumentation: »Dr. Caligari - Die Geburt des Horrors im ersten Weltkrieg«Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2024Exzellente neue Töne
Karl Bartos' "Caligari" in der Alten Oper
FRANKFURT. Genau 104 Jahre liegen zwischen der Berliner Uraufführung des Stummfilmklassikers "Das Cabinet des Dr. Caligari" und der Premiere seiner Neuvertonung durch den Komponisten Karl Bartos in der Frankfurter Alten Oper. Eine vor geraumer Zeit erteilte Auftragsarbeit des Konzerthauses, nun erstaufgeführt in Kooperation mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung: Für den Elektronikpionier Bartos, von 1975 bis 1991 Mitglied der visionären deutschen Elektropop-Formation Kraftwerk und seither künstlerisch zumeist als Solist unterwegs, erfüllte sich mit dem Auftrag ein lang gehegter Wunschtraum. Beschäftigte sich der Musiker und Ko-Autor diverser Kraftwerk-Klassiker mit dem expressionistischen Meisterwerk von Regisseur Robert Wiene, dessen Premiere am 26. Februar 1920 im Berliner Filmtheater "Marmorhaus" stattfand, doch schon seit Jahrzehnten.
Bartos und Klangregisseur Mathias Black, zuständig auch für die technische Leitung, werden von stürmischem Applaus empfangen. Im Auditorium der seit Wochen komplett ausverkauften Alten Oper tummeln sich Neugierige, Stummfilmenthusiasten, Kunstinteressierte ebenso wie viele Kraftwerk-Fans. Zum Einsatz auf der Großleinwand kommt die 2014 von der Wiesbadener Murnau-Stiftung optimal restaurierte Fassung des Films.
In erster Linie möchte das unterhalb der Leinwand hinter seinem elektronischen Equipment platzierte Duo mit seiner Neuvertonung Gefühlswelten transportieren, wie es im Anschluss an die Premiere in einem Café-Gespräch erläutert. Dabei kann Bartos einerseits auf die Errungenschaften seines klassischen Musikstudiums (Klavier, Vibraphon und Schlagzeug) zurückgreifen. Andererseits kommen aber auch die vielfältigen Einflüsse in den Dekaden danach, sowohl als Mitglied von Kraftwerk wie auch als Solist, zum Zuge.
Zu hören ist ein wahres Sammelsurium an Inspirationen durch diverse Komponisten und Genres - von Mozart bis Schönberg, von Bach bis Strawinsky, von John Cage bis Philip Glass, von Brian Eno bis Steve Reich. Sie fügen sich zu einem homogenen Klangbild zusammen, stets auf künstlerischer Augenhöhe mit dem Stummfilmklassiker, aber ohne ihn zu dominieren oder gar übertrumpfen zu wollen. Es erklingt symphonische Orchestermusik, freilich elektronisch moduliert. Da ertönen sowohl Spinett als auch Synthesizer, kommen Streicher, Bläser und auch Perkussion zum Einsatz.
Jeder Ton, jede Sequenz erweist sich als synchron zu den jeweiligen Handlungssträngen. Etwa wenn der Schauplatz Jahrmarkt mit turbulentem Dreivierteltakt unterlegt ist oder gemurmelte Stimmfragmente wie unter Wasser erklingen. Es ist ein Sisyphus-Konzept, nicht bloß eine x-beliebige thematische Stimmungsmusik zum Einsatz zu bringen, sondern eine minutiös passgenaue Angleichung an das surreale Sujet. Und das besitzt noch immer eine ungeheure Sogwirkung. Wie diverse weitere deutsche Kinofilme der Weimarer Republik ereilte auch dieses frühe Paradebeispiel aus Horror-, Mystery- und Psychothriller-Elementen mit dem Nationalsozialismus ein zunächst herbes Schicksal: 1933 in Deutschland verboten, wurde der Film 1937 zum Bestandteil der Ausstellung "Entartete Kunst".
Inszeniert in einem bizarren Licht-und-Schatten-Ambiente von Walter Reimann, Hermann Warm und Walter Röhrig, brillieren Schauspielergrößen der Epoche in pittoresken bis grotesken Kostümierungen und Masken: Werner Krauß als satanischer Dr. Caligari, Conrad Veidt glänzt in der Rolle des von Caligari zum Morden angestifteten Somnambulen Cesare. Lil Dagover, die man Jahrzehnte später kongenial in der Hauptrolle des Edgar-Wallace-Klassikers "Die seltsame Gräfin" besetzt sah, spielt die von den Freunden Alan (Hans Heinrich von Twardowski) und Franzis (Friedrich Fehér) umworbene Jane. Rudolf Klein-Rogge, wenig später in der Titelrolle von Regisseur Fritz Langs "Dr. Mabuse, der Spieler" zu sehen, gibt einen der Morde Cesares irrtümlich verdächtigten Kleinkriminellen.
Zum Finale gibt es dann noch eine verblüffende Wendung in der doppelbödigen Spukgeschichte. Die ist ohnehin ein Cineasten-Leckerbissen, aber die dämonische Aura von "Das Cabinet des Dr. Caligari" bekommt durch die exzellente Neuvertonung von Karl Bartos eine ungeahnte Steigerung. MICHAEL KÖHLER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karl Bartos' "Caligari" in der Alten Oper
FRANKFURT. Genau 104 Jahre liegen zwischen der Berliner Uraufführung des Stummfilmklassikers "Das Cabinet des Dr. Caligari" und der Premiere seiner Neuvertonung durch den Komponisten Karl Bartos in der Frankfurter Alten Oper. Eine vor geraumer Zeit erteilte Auftragsarbeit des Konzerthauses, nun erstaufgeführt in Kooperation mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung: Für den Elektronikpionier Bartos, von 1975 bis 1991 Mitglied der visionären deutschen Elektropop-Formation Kraftwerk und seither künstlerisch zumeist als Solist unterwegs, erfüllte sich mit dem Auftrag ein lang gehegter Wunschtraum. Beschäftigte sich der Musiker und Ko-Autor diverser Kraftwerk-Klassiker mit dem expressionistischen Meisterwerk von Regisseur Robert Wiene, dessen Premiere am 26. Februar 1920 im Berliner Filmtheater "Marmorhaus" stattfand, doch schon seit Jahrzehnten.
Bartos und Klangregisseur Mathias Black, zuständig auch für die technische Leitung, werden von stürmischem Applaus empfangen. Im Auditorium der seit Wochen komplett ausverkauften Alten Oper tummeln sich Neugierige, Stummfilmenthusiasten, Kunstinteressierte ebenso wie viele Kraftwerk-Fans. Zum Einsatz auf der Großleinwand kommt die 2014 von der Wiesbadener Murnau-Stiftung optimal restaurierte Fassung des Films.
In erster Linie möchte das unterhalb der Leinwand hinter seinem elektronischen Equipment platzierte Duo mit seiner Neuvertonung Gefühlswelten transportieren, wie es im Anschluss an die Premiere in einem Café-Gespräch erläutert. Dabei kann Bartos einerseits auf die Errungenschaften seines klassischen Musikstudiums (Klavier, Vibraphon und Schlagzeug) zurückgreifen. Andererseits kommen aber auch die vielfältigen Einflüsse in den Dekaden danach, sowohl als Mitglied von Kraftwerk wie auch als Solist, zum Zuge.
Zu hören ist ein wahres Sammelsurium an Inspirationen durch diverse Komponisten und Genres - von Mozart bis Schönberg, von Bach bis Strawinsky, von John Cage bis Philip Glass, von Brian Eno bis Steve Reich. Sie fügen sich zu einem homogenen Klangbild zusammen, stets auf künstlerischer Augenhöhe mit dem Stummfilmklassiker, aber ohne ihn zu dominieren oder gar übertrumpfen zu wollen. Es erklingt symphonische Orchestermusik, freilich elektronisch moduliert. Da ertönen sowohl Spinett als auch Synthesizer, kommen Streicher, Bläser und auch Perkussion zum Einsatz.
Jeder Ton, jede Sequenz erweist sich als synchron zu den jeweiligen Handlungssträngen. Etwa wenn der Schauplatz Jahrmarkt mit turbulentem Dreivierteltakt unterlegt ist oder gemurmelte Stimmfragmente wie unter Wasser erklingen. Es ist ein Sisyphus-Konzept, nicht bloß eine x-beliebige thematische Stimmungsmusik zum Einsatz zu bringen, sondern eine minutiös passgenaue Angleichung an das surreale Sujet. Und das besitzt noch immer eine ungeheure Sogwirkung. Wie diverse weitere deutsche Kinofilme der Weimarer Republik ereilte auch dieses frühe Paradebeispiel aus Horror-, Mystery- und Psychothriller-Elementen mit dem Nationalsozialismus ein zunächst herbes Schicksal: 1933 in Deutschland verboten, wurde der Film 1937 zum Bestandteil der Ausstellung "Entartete Kunst".
Inszeniert in einem bizarren Licht-und-Schatten-Ambiente von Walter Reimann, Hermann Warm und Walter Röhrig, brillieren Schauspielergrößen der Epoche in pittoresken bis grotesken Kostümierungen und Masken: Werner Krauß als satanischer Dr. Caligari, Conrad Veidt glänzt in der Rolle des von Caligari zum Morden angestifteten Somnambulen Cesare. Lil Dagover, die man Jahrzehnte später kongenial in der Hauptrolle des Edgar-Wallace-Klassikers "Die seltsame Gräfin" besetzt sah, spielt die von den Freunden Alan (Hans Heinrich von Twardowski) und Franzis (Friedrich Fehér) umworbene Jane. Rudolf Klein-Rogge, wenig später in der Titelrolle von Regisseur Fritz Langs "Dr. Mabuse, der Spieler" zu sehen, gibt einen der Morde Cesares irrtümlich verdächtigten Kleinkriminellen.
Zum Finale gibt es dann noch eine verblüffende Wendung in der doppelbödigen Spukgeschichte. Die ist ohnehin ein Cineasten-Leckerbissen, aber die dämonische Aura von "Das Cabinet des Dr. Caligari" bekommt durch die exzellente Neuvertonung von Karl Bartos eine ungeahnte Steigerung. MICHAEL KÖHLER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main