Carla Nowak (Leonie Benesch), eine engagierte Sport- und Mathematiklehrerin, tritt ihre erste Stelle an einem Gymnasium an. Im neuen Kollegium fällt sie durch ihren Idealismus auf. Als es an der Schule zu einer Reihe von Diebstählen kommt und einer ihrer Schüler verdächtigt wird, beschließt sie, der Sache eigenständig auf den Grund zu gehen. Zwischen empörten Eltern, rechthaberischen Kollegen und angriffslustigen Schülern versucht Carla zu vermitteln, wird dabei jedoch schonungslos mit den Strukturen des Systems Schule konfrontiert. Je verzweifelter sie sich bemüht, alles richtig zu machen, desto mehr droht die junge Lehrerin daran zu zerbrechen.
Bonusmaterial
Trailer WendecoverFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2023Der Spielraum
Mathe, Sport und Wahrheit - eine Begegnung mit dem
Regisseur Ilker Catak und dessen Film "Das Lehrerzimmer", der einen Schulalltag zeigt, ohne je didaktisch zu werden
Die Mathematikerin Emmy Noether, geboren 1882 in Erlangen, brachte es in ihrer Disziplin bis zu einem eigenen Theorem. Als Jüdin verlor sie 1933 ihre Lehrbefugnis in Deutschland, an dem Frauencollege Bryn Mawr in Pennsylvania fand sie eine Stelle, starb aber schon zwei Jahre später. Heute ist ein Supercomputer nach ihr benannt und in Berlin eine Schule. In Ilker Cataks Film "Das Lehrerzimmer" ist der Name des Emmy-Noether-Gymnasiums einmal kurz zu lesen, es ist die flüchtigste aller Referenzen, und vielleicht verdankt sie sich auch nur dem Location Scouting, das dann aber einen passenden Zufall produziert hätte. Denn Mathematik spielt auf mehrfache Weise eine Rolle in diesem spannenden Versuch, Schule als System und sozialen Kosmos erzählbar zu machen. Im Mittelpunkt steht eine junge Lehrerin namens Carla Nowak. Sie unterrichtet Mathematik und Sport. Sie ist neu an ihrer Schule, ihrer Aufgabe widmet sie sich mit Engagement, den Schulkindern zugewandt . Im Lehrerzimmer muss sie erst ihre Position finden.
Ein paar Diebstähle sorgen für Unruhe. Die Direktorin hat eine "Null Toleranz"-Politik ausgerufen, ermittelt wird vorerst intern, dabei profiliert sich der eine oder andere Kollege mit Strenge. Und mit Vorurteilen. Eines der ersten befragten Kinder stammt aus einer Zuwandererfamilie. Bei einer Begegnung in Berlin Anfang April erzählt Ilker Catak, wie er auf die Idee zu "Das Lehrerzimmer" kam: "Anfangs ging es gar nicht um Schule. Ich war mit meinem Freund und Ko-Autor Johannes Duncker im Wanderurlaub. Und da erzählte ich ihm von einem Vorfall bei meinen Eltern zu Hause. Die hatten eine Putzkraft, die hat geklaut und wurde überführt, und meine Eltern haben diskutiert: Geben wir ihr noch eine Chance? Mein Vater war dagegen, meine Mutter dafür, sie hat sich letztlich durchgesetzt. Die Person bekam eine zweite Chance - und hat es wieder getan. Wir fanden das beide spannend. Denn da zeigt sich ja auch ein Gerechtigkeitssinn, dass sich jemand sagt: Hey, mir wurde vom Leben nichts geschenkt, deswegen nehme ich mir die Dinge. Interessant war aber auch die Dynamik, die zwischen meinen Eltern entstand, weil das auch für Reibung gesorgt hat. Dann hat Johannes von seiner Schwester erzählt, die Mathematiklehrerin in NRW ist und in ihrer Schule einen ähnlichen Vorfall hatte, wie er im Film erzählt wird. Und so haben wir angefangen, über die Figuren nachzudenken."
Es gibt eine Menge Figuren im "Lehrerzimmer". Catak bemüht sich darum, mit so vielen Beteiligten wie möglich zumindest kleine, differenzierende Akzente zu setzen. Vieles von dem, was die Gesellschaft im Großen beschäftigt - der schwierige Umgang mit Vielfalt, mehrdimensionalen Identitäten, kulturellen Stereotypen -, in der Schule konkretisiert sich das wie unter einem Brennglas. Carla Nowak wird in dem Moment zu einer perfekten, ambivalenten Identifikationsfigur, in dem sie einen begründeten Verdacht erheben kann, wer die Diebstähle begangen hat. Sie verdankt ihr Wissen allerdings einem unerlaubten Vorgehen.
Für Leonie Benesch ist das eine große Rolle, mit der sie jetzt auch beim Deutschen Filmpreis beste Chancen haben dürfte. "Das Lehrerzimmer" kommt auf sieben Nominierungen, nur "Im Westen nichts Neues" hat mehr. Für Ilker Catak war ein Kriterium wesentlich für die Besetzung von Carla Nowak: "Ich hatte Leonie auf dem Schirm seit 'Das weiße Band'. Beim Schreiben habe ich schon oft an sie gedacht, denn die Frau, die Carla Nowak spielen sollte, musste in der Lage sein, zu erröten. Bei ihr wusste ich immer, sie kann das."
Auch über dieses bezeichnende Detail hinaus ist die Besetzung einer der Vorzüge des Films. Catak arbeitete dabei mit Simone Bär zusammen, der über viele Jahre wohl wichtigsten deutschen Casting-Direktorin, die im Januar gestorben ist. "Nehmen wir die Rolle von Liebenwerda, dem Kontrahenten von Carla Nowak im Kollegium. Liebenwerda-Wasser stand beim Schreiben neben meinem Computer, so kam ich auf diesen Namen, der klingt extrem deutsch. Und da hat Simone Bär gesagt: Das machen wir mit Michael Klammer, einer Person of Color. Das hat eine Tür aufgemacht. Natürlich haben wir auch nachgedacht, was wäre, wenn Carla eine Türkin ist oder etwa schwarz? Das ging mir aber alles zu sehr auf die Zwölf, dieses ganze Spiel um diverses Besetzen wollte ich nicht mitspielen." Trotzdem ist Diversität ein entscheidender Aspekt in "Das Lehrerzimmer", denn eine Schule hat ja die anspruchsvolle Aufgabe, Individualität zu fördern und zugleich möglichst gleich hohe Bildungserfolge zu erzielen, also einen Gleichheitseffekt zu schaffen.
Und obwohl beim Thema Schule alle mitreden können, kommt es dann doch vor allem auf die Details an. Sie sind so klug über die Geschichte verteilt, dass man dem Film selbst eine pädagogische Funktion zusprechen könnte - ohne dass er im Geringsten didaktisch wäre. "Schule ist ein Reizthema", so Ilker Catak . "Wenn es um Pädagogik geht, muss man wasserdicht sein, deswegen haben wir viel recherchiert. Wir haben mit allen Parteien gesprochen, zum Beispiel mit der Schulleiterin meiner alten Schule, mit Psychologinnen, mit Schülerinnen und auch mit Eltern. Man hat gemerkt, dass den Leuten da auch etwas auf der Seele brennt. Mir wurde schnell klar: Wenn da etwas im Detail nicht stimmt, dann fliegt dir das um die Ohren. Wir haben zum Beispiel eine Szene: Zwei Mädchen kommen in das Sekretariat und fragen nach einem Hygieneartikel. Das fällt dir nicht beim Schreiben ein. Das ist Hospitanz."
Für den Regisseur schloss sich im Februar bei der Berlinale, als "Das Lehrerzimmer" in der Reihe Panorama präsentiert wurde, ein Kreis. Er kommt aus einer türkisch-deutschen Familie und ging in Berlin und Istanbul zur Schule. "Als Kind bin ich immer mit meinem Vater sonntags in den Zoopalast gegangen, nun saß mein Vater da bei einem Film von mir im Publikum. Aktiv habe ich selbst das Kino mit Anfang 20 entdeckt. In dem Moment, in dem du durch die Brille eines Filmemachers auf das Leben schaust, schärft das deinen Blick, und du siehst: Hey, dieser Beruf ist so viel mehr."
Catak musste einen Umweg über eine private Hochschule gehen, um sich einen Zugang zu diesem Metier zu verschaffen. "Das Lehrerzimmer" ist sein vierter langer Spielfilm, für ihn auch der Moment, in dem er sich endgültig aus der "Migrantenschublade" emanzipiert - das Denken in solchen Kategorien ist nach wie vor herausragende Gremientugend in Deutschland. Heute sieht Catak das Kino als einen Ort, "der mir Spielraum für eigene Interpretationen lässt, um mir den Rest auszumalen". "Das Lehrerzimmer" musste in der Projektphase gegen den Verdacht verteidigt werden, der Film sei im Fernsehen besser aufgehoben. Zum Glück ließen sich die Förderer überzeugen, denn was Catak auch mit der Kamerafrau Judith Kaufmann macht (im klassischen Format 4:3), ist tatsächlich genuin Kino.
Die Mathematik ist bei Carla Nowak nicht nur einfach ein passendes Schulfach, für das sich eine um Rationalität bemühte Person entscheiden würde. Ilker Catak sieht in der Fächerkombination seiner Hauptfigur ein konzeptuelles Moment: "Bei Sport dachten wir eher visuell. Sport ist das Gemeinschaftsding, man steht aber auch in Konkurrenz, das hatte eine physische Komponente, die wir gut daran fanden. Und Mathematik, weil es in der siebten Klasse tatsächlich so etwas wie eine Beweisführungslehre im Lehrplan gibt, und das ist dann ein großes Thema für den Film: Wie wird Wahrheit passend gemacht? Was bedeutet es, Wahrheit für sich zu beanspruchen? Es geht in unserer Geschichte ja sehr stark darum, wie absolut dieses Wort Wahrheit überhaupt ist."
Wahrheit ist immer relativ, das wäre die billige Gegenposition. "Das Lehrerzimmer" schafft es, einen filmischen Wahrheitsbegriff zu entwickeln, der seine Evidenz in der Verteilung und Ableitung vieler kleiner, relevanter Beobachtungen findet. Ein Rubik-Würfel, der als Dingsymbol dient, lässt sich "lösen". Mit dem Mitteln des erzählenden Kinos entwickelt Ilker Catak eine höhere Mathematik für Wahrheiten, die dem Leben in Gesellschaft zuträglich sind.
BERT REBHANDL
Von Donnerstag an im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mathe, Sport und Wahrheit - eine Begegnung mit dem
Regisseur Ilker Catak und dessen Film "Das Lehrerzimmer", der einen Schulalltag zeigt, ohne je didaktisch zu werden
Die Mathematikerin Emmy Noether, geboren 1882 in Erlangen, brachte es in ihrer Disziplin bis zu einem eigenen Theorem. Als Jüdin verlor sie 1933 ihre Lehrbefugnis in Deutschland, an dem Frauencollege Bryn Mawr in Pennsylvania fand sie eine Stelle, starb aber schon zwei Jahre später. Heute ist ein Supercomputer nach ihr benannt und in Berlin eine Schule. In Ilker Cataks Film "Das Lehrerzimmer" ist der Name des Emmy-Noether-Gymnasiums einmal kurz zu lesen, es ist die flüchtigste aller Referenzen, und vielleicht verdankt sie sich auch nur dem Location Scouting, das dann aber einen passenden Zufall produziert hätte. Denn Mathematik spielt auf mehrfache Weise eine Rolle in diesem spannenden Versuch, Schule als System und sozialen Kosmos erzählbar zu machen. Im Mittelpunkt steht eine junge Lehrerin namens Carla Nowak. Sie unterrichtet Mathematik und Sport. Sie ist neu an ihrer Schule, ihrer Aufgabe widmet sie sich mit Engagement, den Schulkindern zugewandt . Im Lehrerzimmer muss sie erst ihre Position finden.
Ein paar Diebstähle sorgen für Unruhe. Die Direktorin hat eine "Null Toleranz"-Politik ausgerufen, ermittelt wird vorerst intern, dabei profiliert sich der eine oder andere Kollege mit Strenge. Und mit Vorurteilen. Eines der ersten befragten Kinder stammt aus einer Zuwandererfamilie. Bei einer Begegnung in Berlin Anfang April erzählt Ilker Catak, wie er auf die Idee zu "Das Lehrerzimmer" kam: "Anfangs ging es gar nicht um Schule. Ich war mit meinem Freund und Ko-Autor Johannes Duncker im Wanderurlaub. Und da erzählte ich ihm von einem Vorfall bei meinen Eltern zu Hause. Die hatten eine Putzkraft, die hat geklaut und wurde überführt, und meine Eltern haben diskutiert: Geben wir ihr noch eine Chance? Mein Vater war dagegen, meine Mutter dafür, sie hat sich letztlich durchgesetzt. Die Person bekam eine zweite Chance - und hat es wieder getan. Wir fanden das beide spannend. Denn da zeigt sich ja auch ein Gerechtigkeitssinn, dass sich jemand sagt: Hey, mir wurde vom Leben nichts geschenkt, deswegen nehme ich mir die Dinge. Interessant war aber auch die Dynamik, die zwischen meinen Eltern entstand, weil das auch für Reibung gesorgt hat. Dann hat Johannes von seiner Schwester erzählt, die Mathematiklehrerin in NRW ist und in ihrer Schule einen ähnlichen Vorfall hatte, wie er im Film erzählt wird. Und so haben wir angefangen, über die Figuren nachzudenken."
Es gibt eine Menge Figuren im "Lehrerzimmer". Catak bemüht sich darum, mit so vielen Beteiligten wie möglich zumindest kleine, differenzierende Akzente zu setzen. Vieles von dem, was die Gesellschaft im Großen beschäftigt - der schwierige Umgang mit Vielfalt, mehrdimensionalen Identitäten, kulturellen Stereotypen -, in der Schule konkretisiert sich das wie unter einem Brennglas. Carla Nowak wird in dem Moment zu einer perfekten, ambivalenten Identifikationsfigur, in dem sie einen begründeten Verdacht erheben kann, wer die Diebstähle begangen hat. Sie verdankt ihr Wissen allerdings einem unerlaubten Vorgehen.
Für Leonie Benesch ist das eine große Rolle, mit der sie jetzt auch beim Deutschen Filmpreis beste Chancen haben dürfte. "Das Lehrerzimmer" kommt auf sieben Nominierungen, nur "Im Westen nichts Neues" hat mehr. Für Ilker Catak war ein Kriterium wesentlich für die Besetzung von Carla Nowak: "Ich hatte Leonie auf dem Schirm seit 'Das weiße Band'. Beim Schreiben habe ich schon oft an sie gedacht, denn die Frau, die Carla Nowak spielen sollte, musste in der Lage sein, zu erröten. Bei ihr wusste ich immer, sie kann das."
Auch über dieses bezeichnende Detail hinaus ist die Besetzung einer der Vorzüge des Films. Catak arbeitete dabei mit Simone Bär zusammen, der über viele Jahre wohl wichtigsten deutschen Casting-Direktorin, die im Januar gestorben ist. "Nehmen wir die Rolle von Liebenwerda, dem Kontrahenten von Carla Nowak im Kollegium. Liebenwerda-Wasser stand beim Schreiben neben meinem Computer, so kam ich auf diesen Namen, der klingt extrem deutsch. Und da hat Simone Bär gesagt: Das machen wir mit Michael Klammer, einer Person of Color. Das hat eine Tür aufgemacht. Natürlich haben wir auch nachgedacht, was wäre, wenn Carla eine Türkin ist oder etwa schwarz? Das ging mir aber alles zu sehr auf die Zwölf, dieses ganze Spiel um diverses Besetzen wollte ich nicht mitspielen." Trotzdem ist Diversität ein entscheidender Aspekt in "Das Lehrerzimmer", denn eine Schule hat ja die anspruchsvolle Aufgabe, Individualität zu fördern und zugleich möglichst gleich hohe Bildungserfolge zu erzielen, also einen Gleichheitseffekt zu schaffen.
Und obwohl beim Thema Schule alle mitreden können, kommt es dann doch vor allem auf die Details an. Sie sind so klug über die Geschichte verteilt, dass man dem Film selbst eine pädagogische Funktion zusprechen könnte - ohne dass er im Geringsten didaktisch wäre. "Schule ist ein Reizthema", so Ilker Catak . "Wenn es um Pädagogik geht, muss man wasserdicht sein, deswegen haben wir viel recherchiert. Wir haben mit allen Parteien gesprochen, zum Beispiel mit der Schulleiterin meiner alten Schule, mit Psychologinnen, mit Schülerinnen und auch mit Eltern. Man hat gemerkt, dass den Leuten da auch etwas auf der Seele brennt. Mir wurde schnell klar: Wenn da etwas im Detail nicht stimmt, dann fliegt dir das um die Ohren. Wir haben zum Beispiel eine Szene: Zwei Mädchen kommen in das Sekretariat und fragen nach einem Hygieneartikel. Das fällt dir nicht beim Schreiben ein. Das ist Hospitanz."
Für den Regisseur schloss sich im Februar bei der Berlinale, als "Das Lehrerzimmer" in der Reihe Panorama präsentiert wurde, ein Kreis. Er kommt aus einer türkisch-deutschen Familie und ging in Berlin und Istanbul zur Schule. "Als Kind bin ich immer mit meinem Vater sonntags in den Zoopalast gegangen, nun saß mein Vater da bei einem Film von mir im Publikum. Aktiv habe ich selbst das Kino mit Anfang 20 entdeckt. In dem Moment, in dem du durch die Brille eines Filmemachers auf das Leben schaust, schärft das deinen Blick, und du siehst: Hey, dieser Beruf ist so viel mehr."
Catak musste einen Umweg über eine private Hochschule gehen, um sich einen Zugang zu diesem Metier zu verschaffen. "Das Lehrerzimmer" ist sein vierter langer Spielfilm, für ihn auch der Moment, in dem er sich endgültig aus der "Migrantenschublade" emanzipiert - das Denken in solchen Kategorien ist nach wie vor herausragende Gremientugend in Deutschland. Heute sieht Catak das Kino als einen Ort, "der mir Spielraum für eigene Interpretationen lässt, um mir den Rest auszumalen". "Das Lehrerzimmer" musste in der Projektphase gegen den Verdacht verteidigt werden, der Film sei im Fernsehen besser aufgehoben. Zum Glück ließen sich die Förderer überzeugen, denn was Catak auch mit der Kamerafrau Judith Kaufmann macht (im klassischen Format 4:3), ist tatsächlich genuin Kino.
Die Mathematik ist bei Carla Nowak nicht nur einfach ein passendes Schulfach, für das sich eine um Rationalität bemühte Person entscheiden würde. Ilker Catak sieht in der Fächerkombination seiner Hauptfigur ein konzeptuelles Moment: "Bei Sport dachten wir eher visuell. Sport ist das Gemeinschaftsding, man steht aber auch in Konkurrenz, das hatte eine physische Komponente, die wir gut daran fanden. Und Mathematik, weil es in der siebten Klasse tatsächlich so etwas wie eine Beweisführungslehre im Lehrplan gibt, und das ist dann ein großes Thema für den Film: Wie wird Wahrheit passend gemacht? Was bedeutet es, Wahrheit für sich zu beanspruchen? Es geht in unserer Geschichte ja sehr stark darum, wie absolut dieses Wort Wahrheit überhaupt ist."
Wahrheit ist immer relativ, das wäre die billige Gegenposition. "Das Lehrerzimmer" schafft es, einen filmischen Wahrheitsbegriff zu entwickeln, der seine Evidenz in der Verteilung und Ableitung vieler kleiner, relevanter Beobachtungen findet. Ein Rubik-Würfel, der als Dingsymbol dient, lässt sich "lösen". Mit dem Mitteln des erzählenden Kinos entwickelt Ilker Catak eine höhere Mathematik für Wahrheiten, die dem Leben in Gesellschaft zuträglich sind.
BERT REBHANDL
Von Donnerstag an im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main