Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2001Wenn alle Tage Samstag ist
Nicht alles wie im Buch, aber dafür um so quirliger: "Das Sams", ein Familienfilm nach Paul Maar
Man darf am Anfang nicht zu sehr erschrecken, wenn man das Sams sieht. Es verändert sich später noch. Paul Maar, der berühmte Sams-Erfinder, wollte im Drehbuch möglichst vieles genau so erzählen, wie es auch im Buch steht. Deshalb muß die Geschichte mit einem Sams in Babygröße beginnen, das auf dem Marktplatz dem erschrockenen Herrn Taschenbier in die Arme hüpft, sich dort einkuschelt und den schüchternen Mann zu seinem Papa erklärt. Das Produktionsteam ist sehr stolz auf die mechanische Puppe, die in dieser Szene zum Einsatz kommt. Mag sein, dieses Sams-Gerät kann sehr viel und funktioniert so, wie es soll - aber mit seinen seltsam alten, starren Klapperaugen sieht es einfach zum Fürchten aus. Kein Wunder, daß Herr Taschenbier dieses Getüm unbedingt wieder loswerden will. Schon bald darauf wird es zum Glück auf das munterste ersetzt durch ein Sams aus Fleisch und Blut in Gestalt der Schauspielerin Christine Urspruch.
Paul Maar hat lange gezögert, die Rechte für eine Verfilmung seiner "Sams"-Bücher freizugeben. Zu groß schien ihm die Gefahr, daß ein Produzent dies nur aus kommerziellen Gründen wollte - was bei der Millionenauflage der mittlerweile vier Bände naheliegt. Immer wieder stellte sich in Vorgesprächen heraus, daß die Interessenten die Bücher gar nicht kannten und die Hauptfigur etwa als "Säms" aussprachen, weil ja gemeinhin alles, was Erfolg bei Kindern hat, irgendwie englisch klingt. Auf diese Weise ist das Sams 27 Jahre alt geworden, bevor es nun unter der Regie von Ben Verbong ins Kino kommt.
Die allerfrischeste Geschichte ist die vom Sams also nicht. Im allgemeinen ist das für einen Kinderfilm nicht von Belang. Hier aber wird das leicht Angestaubte, das der Figur aus den siebziger Jahren anhaftet, zusätzlich betont, nicht nur durch Äußerlichkeiten wie die Drehorte in der schmucken Altstadt von Bamberg und in einer liebevoll ausgestalteten, heruntergekommenen Altbauwohnung. Auch die Handlungsweise der Figuren erinnert ein wenig an alte Kindermagazine im Fernsehen: stark konturierte Charaktere, übertriebene Gestik und Mimik, klar erkennbare Spannungsbögen und Späße mit dem Zaunpfahl, keine Irritationen, keine Brüche.
Auch wer das Sams nicht kennt, wird keinerlei Verständnisschwierigkeiten haben. Das gesamte erste Drittel des Films dient der Einführung seiner Person und der Beschreibung der Freuden und Sorgen, die seine Anwesenheit mit sich bringt. Auch seinen ängstlichen Wahlpapa Taschenbier lernen wir ausführlich genug kennen, um zu verstehen, daß er und das draufgängerische Sams sich prächtig ergänzen. Dies alles wird opulent garniert mit Actionszenen, Klamauk und Slapsticknummern. Unter anderem wirken mit: ein echter Eisbär, ein Oldtimerflugzeug, ein reißender Wasserfall in der Altbauwohnung und ein riesiger Würstchenberg auf einem überdimensionalen Tisch. Das wirkt so lange fast ein wenig anbiedernd, bis von den Wunschpunkten im Gesicht des Sams nur noch einer übrig ist und die Geschichte endlich auch von innen heraus dramatisch wird. Die Kinder im Zuschauerraum jedenfalls nehmen die filmischen Gefälligkeiten einigermaßen gelassen hin, werden aber sofort hellwach, wenn die Geschichte so weitergeht, wie sie sie kennen und lieben: "Wie im Buch!" rufen sie dann aufgeregt.
Trotz des etwas atemlosen Überangebots an Einfällen ist es ein Genuß, den Film vom Sams zu sehen. Das liegt vor allem an seiner handwerklichen Solidität in allen Bereichen, von der Ausstattung bis zur Musik. Die Besetzung mit Eva Mattes, August Zirner und Ulrich Noethen ist hervorragend; wirklich begeisternd ist Christine Urspruch in der schwierigen Rolle des kindlich kleinen, rothaarigen Sams mit seiner Rüsselnase. Mit vorgestrecktem Bauch marschiert sie durch die Szenen, hält den Kopf ganz oben und setzt den typischen gutwilligen Stauneblick des Sams auf, besonders gerne nach einem seiner verheerenden Einfälle. Genau so ein kompaktes Energiebündel hat man sich beim Lesen immer vorgestellt.
Die besten Szenen sind jene vergleichsweise unspektakulären, in denen es um zwischenmenschliche Dinge geht. Jemandem mit seiner Wunschsucht ausgeliefert zu sein und gegen den eigenen Willen Dinge tun zu müssen, die einem gar nicht entsprechen, kann zugleich komisch und schrecklich sein. Ulrich Noethen als Herr Taschenbier muß einmal einen langen Tanz aufs Parkett legen, weil das Sams es so wünscht, und wie sein Gesicht und seine Füße dabei zwei völlig verschiedene Leben führen, das vergißt man nicht so schnell. Ein nächtliches Festmahl an der Imbißbude erinnert in seiner schimmernd-blauen Beleuchtung und der verwunschenen Stimmung an ein Bild von Edward Hopper. Kinder haben auch für solche leisen, atmosphärisch dichten Szenen einen Sinn. Ein wenig mehr davon, etwas weniger redlicher Klamauk und der Film ließe nichts zu wünschen übrig.
MONIKA OSBERGHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht alles wie im Buch, aber dafür um so quirliger: "Das Sams", ein Familienfilm nach Paul Maar
Man darf am Anfang nicht zu sehr erschrecken, wenn man das Sams sieht. Es verändert sich später noch. Paul Maar, der berühmte Sams-Erfinder, wollte im Drehbuch möglichst vieles genau so erzählen, wie es auch im Buch steht. Deshalb muß die Geschichte mit einem Sams in Babygröße beginnen, das auf dem Marktplatz dem erschrockenen Herrn Taschenbier in die Arme hüpft, sich dort einkuschelt und den schüchternen Mann zu seinem Papa erklärt. Das Produktionsteam ist sehr stolz auf die mechanische Puppe, die in dieser Szene zum Einsatz kommt. Mag sein, dieses Sams-Gerät kann sehr viel und funktioniert so, wie es soll - aber mit seinen seltsam alten, starren Klapperaugen sieht es einfach zum Fürchten aus. Kein Wunder, daß Herr Taschenbier dieses Getüm unbedingt wieder loswerden will. Schon bald darauf wird es zum Glück auf das munterste ersetzt durch ein Sams aus Fleisch und Blut in Gestalt der Schauspielerin Christine Urspruch.
Paul Maar hat lange gezögert, die Rechte für eine Verfilmung seiner "Sams"-Bücher freizugeben. Zu groß schien ihm die Gefahr, daß ein Produzent dies nur aus kommerziellen Gründen wollte - was bei der Millionenauflage der mittlerweile vier Bände naheliegt. Immer wieder stellte sich in Vorgesprächen heraus, daß die Interessenten die Bücher gar nicht kannten und die Hauptfigur etwa als "Säms" aussprachen, weil ja gemeinhin alles, was Erfolg bei Kindern hat, irgendwie englisch klingt. Auf diese Weise ist das Sams 27 Jahre alt geworden, bevor es nun unter der Regie von Ben Verbong ins Kino kommt.
Die allerfrischeste Geschichte ist die vom Sams also nicht. Im allgemeinen ist das für einen Kinderfilm nicht von Belang. Hier aber wird das leicht Angestaubte, das der Figur aus den siebziger Jahren anhaftet, zusätzlich betont, nicht nur durch Äußerlichkeiten wie die Drehorte in der schmucken Altstadt von Bamberg und in einer liebevoll ausgestalteten, heruntergekommenen Altbauwohnung. Auch die Handlungsweise der Figuren erinnert ein wenig an alte Kindermagazine im Fernsehen: stark konturierte Charaktere, übertriebene Gestik und Mimik, klar erkennbare Spannungsbögen und Späße mit dem Zaunpfahl, keine Irritationen, keine Brüche.
Auch wer das Sams nicht kennt, wird keinerlei Verständnisschwierigkeiten haben. Das gesamte erste Drittel des Films dient der Einführung seiner Person und der Beschreibung der Freuden und Sorgen, die seine Anwesenheit mit sich bringt. Auch seinen ängstlichen Wahlpapa Taschenbier lernen wir ausführlich genug kennen, um zu verstehen, daß er und das draufgängerische Sams sich prächtig ergänzen. Dies alles wird opulent garniert mit Actionszenen, Klamauk und Slapsticknummern. Unter anderem wirken mit: ein echter Eisbär, ein Oldtimerflugzeug, ein reißender Wasserfall in der Altbauwohnung und ein riesiger Würstchenberg auf einem überdimensionalen Tisch. Das wirkt so lange fast ein wenig anbiedernd, bis von den Wunschpunkten im Gesicht des Sams nur noch einer übrig ist und die Geschichte endlich auch von innen heraus dramatisch wird. Die Kinder im Zuschauerraum jedenfalls nehmen die filmischen Gefälligkeiten einigermaßen gelassen hin, werden aber sofort hellwach, wenn die Geschichte so weitergeht, wie sie sie kennen und lieben: "Wie im Buch!" rufen sie dann aufgeregt.
Trotz des etwas atemlosen Überangebots an Einfällen ist es ein Genuß, den Film vom Sams zu sehen. Das liegt vor allem an seiner handwerklichen Solidität in allen Bereichen, von der Ausstattung bis zur Musik. Die Besetzung mit Eva Mattes, August Zirner und Ulrich Noethen ist hervorragend; wirklich begeisternd ist Christine Urspruch in der schwierigen Rolle des kindlich kleinen, rothaarigen Sams mit seiner Rüsselnase. Mit vorgestrecktem Bauch marschiert sie durch die Szenen, hält den Kopf ganz oben und setzt den typischen gutwilligen Stauneblick des Sams auf, besonders gerne nach einem seiner verheerenden Einfälle. Genau so ein kompaktes Energiebündel hat man sich beim Lesen immer vorgestellt.
Die besten Szenen sind jene vergleichsweise unspektakulären, in denen es um zwischenmenschliche Dinge geht. Jemandem mit seiner Wunschsucht ausgeliefert zu sein und gegen den eigenen Willen Dinge tun zu müssen, die einem gar nicht entsprechen, kann zugleich komisch und schrecklich sein. Ulrich Noethen als Herr Taschenbier muß einmal einen langen Tanz aufs Parkett legen, weil das Sams es so wünscht, und wie sein Gesicht und seine Füße dabei zwei völlig verschiedene Leben führen, das vergißt man nicht so schnell. Ein nächtliches Festmahl an der Imbißbude erinnert in seiner schimmernd-blauen Beleuchtung und der verwunschenen Stimmung an ein Bild von Edward Hopper. Kinder haben auch für solche leisen, atmosphärisch dichten Szenen einen Sinn. Ein wenig mehr davon, etwas weniger redlicher Klamauk und der Film ließe nichts zu wünschen übrig.
MONIKA OSBERGHAUS
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