Sechs Angehörige der High Society planen ein Abendessen gehobener Klasse in elitärem Kreis. Doch das stilvolle Dinner muss aufgrund verschiedener Missverständnisse und Pannen dauernd verschoben werden. Ob die Gäste den Termin vergessen haben, ein toter Restaurantbesitzer im Nachbarzimmer den Appetit verdirbt, die Gastgeber über ihren Sextrieb das Menü vernachlässigen oder das Militär einmarschiert - das elegante Mahl scheint einfach nicht zustande zu kommen ...
Bonusmaterial
Fotogalerie, TrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2010Die Gespenster sind unter uns
Blick ins absurde Weltzentrum: Zehn Filme aus dreißig Jahren von Luis Buñuel
Luis Buñuel Edition.
Kinowelt. 10 DVDs. Deutsche Untertitel, Dokumentationen, Trailer, Fotogalerien. 946 Minuten.
Eine Edition mit zehn Filmen von Luis Buñuel, gedreht zwischen 1947 und 1977, mit einem deutlichen Schwerpunkt bei den späteren, das sind inklusive Bonusmaterial etwa sechzehn Stunden vornehmlich surrealistischer, teilweise mit religiöser Symbolik beladener Geschichten - warum sollen wir uns das noch mal anschauen? Gibt es jenseits des filmhistorischen, kanonischen Interesses einen Grund, da noch mal hinzugucken?
Ja und nein. Nein bei Filmen wie der schwerfälligen Musicalparodie "Gran Casino" von 1947, die Buñuel selbst für einen "schlechten Film" hielt; möglicherweise, lautet die Antwort bei dem weithin bekannten "Belle de jour" (1966), wobei man hier dem großen Kritiker Manny Farber (der kein besonderer Buñuel-Fan war) folgen muss, der Catherine Deneuve als Freizeithure nicht nur fehlbesetzt fand, sondern auch bemerkte, die "blonde Schönheit" bewege sich hier "wie eine Großmutter". "Na ja, vielleicht", kann man sagen, wenn es um einen Film wie "Das junge Mädchen" von 1960 geht, allein schon deshalb, weil dies Buñuels einziger englischsprachiger Film ist und es ein wunderschönes Klarinettensolo des schwarzen Darstellers Bernie Hamilton gibt und weil die junge Key Meersman ein Mädchen zwischen Verschlagenheit und Unschuld spielt, das eindeutig vergewaltigt wird, aber dennoch eine vieldeutige Figur bleibt. Und "Ja, unbedingt ansehen" muss man rufen, wenn es sich um die Filme "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" aus dem Jahr 1972 und "Das Gespenst der Freiheit" von 1974 handelt. Natürlich gilt das auch für Buñuels letzten Film, "Dieses obskure Objekt der Begierde", der auf einer Doppel-DVD im vergangenen Jahr bereits herauskam (F.A.Z. vom 13. Mai 2009) und ebenfalls zu dieser Box gehört. (Leider fehlt der vierte Buñuel-Film dieser Kategorie, "Der Würgeengel" von 1962, in der jetzt vorgelegten Edition.)
Zwei Männer und zwei Frauen aus der offenbar besseren Gesellschaft besuchen auf dem Land ein drittes Paar zum Essen. Die Gastgeberin hatte sie erst am nächsten Abend erwartet. Im Restaurant, das die Gruppe dann ansteuert, ist gerade der Besitzer gestorben, die ersatzweise getroffene Verabredung am kommenden Tag geht ebenfalls schief, beim nächsten Mal, als sich die sechs treffen, rückt die Armee an, um sich während eines Manövers im Landhaus einzuquartieren, und als sich schließlich alle irgendwann doch einmal zum Essen hinsetzen, klirren Scheiben, und eine wüste Schießerei beginnt, die dem Mahl ein Ende setzt. Dazwischen wird mit Kokain gehandelt, ein Bischof nimmt die Stelle des Gärtners an, den er zuvor erschossen hat, es kommen blutige Erinnerungen ins Bild, wichtige Dialoge werden vom Geratter vorbeifahrender Züge übertönt, und zwischen den Episoden gehen die drei Paare auf einer Straße ins Nirgendwo ganz entspannt spazieren.
Das ist im Groben, was im "Diskreten Charme der Bourgeoisie" geschieht. Geschehnisse, die keine Geschichte werden. Die zum Lachen sind, manchmal zum Weinen, und wenn man den Film mehrere Male gesehen hat, kann es sein, dass die Tränen fließen, wo man vorher gelacht hatte, und umgekehrt. Es ist ein ständiges Umherschweifen, das ausdrücklich kein Thema finden will, eine Gesellschaftssatire voller Bezüge auf frühere Filme Buñuels, ein großer Publikumserfolg und ein unbeschwerter Umgang mit Erzählprinzipien, wie er sich dann im "Gespenst der Freiheit" vollends durchsetzt.
Jean-Claude Carrière, der zu beiden Filmen mit Buñuel das Drehbuch geschrieben hat, erzählt in einer der beigefügten Dokumentationen, kaum etwas sei schwieriger, als ohne Ziel zu erzählen. Der Film dringe ins Herz des Surrealismus vor, sozusagen, und je häufiger man ihn sieht, desto deutlicher kristallisiert er sich als dessen filmisches Hauptwerk heraus, eher noch als der "Andalusische Hund" - weil er ständig die Versöhnung und Auflösung unvereinbarer Gegensätze variiert und uns vorführt. Seine Figuren sind ironische Konstrukte. Da sitzen Mönche nicht nur in einem Zimmer und spielen rauchend, trinkend Karten, sondern es findet auch noch eine sadomasochistische Auspeitscherei direkt vor ihren Augen statt. Da sitzen sich zwei Doppelgänger gegenüber und unterhalten sich, als machte nicht einer dem anderen dessen Stuhl streitig. Da verschwindet ein Mädchen, das vor aller Augen anwesend ist, und die Suche geht los, als sei sie nicht da. Ein Arzt zeigt einem Patienten katastrophale Röntgenbilder und behauptet, da sei nichts, aber eine Operation halte er schon für sinnvoll. Ein Scharfschütze schießt gezielt, aber wahllos auf Passanten, wird zum Tode verurteilt und verlässt das Gericht als freier Mann, und so geht das immer weiter, keineswegs unverbunden, aber eben derart miteinander verknüpft, dass wir immer wieder vom einmal eingeschlagenen Erzählweg abgeführt werden und trotzdem weiterschauen.
Meistens sind es die Figuren, welche die einzelnen Szenen verbinden, aber nicht die vermeintlichen Haupt-, sondern in die Szene stolpernde Nebenfiguren, denen der Film folgt, während er den vorherigen Strang der Erzählung verlässt. Er bleibt bei der Sprechstundenhilfe zum Beispiel, nicht beim Patienten. Eine Überraschung folgt auf die nächste, eine Schicht wird auf die andere gestapelt, aber nicht, um uns einen Zusammenhang zu geben, sondern um jeden Ansatz von Logik zu zerstören. Carrière macht klar, welch harte Arbeit dahintersteckt, alles wie Zufall aussehen zu lassen.
Es gebe keine Freiheit und keine Gerechtigkeit, schreibt Buñuel in seinem Buch "Die Flecken der Giraffe", das habe ihn der Surrealismus gelehrt (und ihm dafür eine Moral gegeben). Die Freiheit, die er sich nimmt, ist die Freiheit des Erzählens. "Das Gespenst der Freiheit", dessen Titel sich auf einen Satz von Karl Marx im Kommunistischen Manifest bezieht, ist der Beweis für und gleichzeitig eine ganz gelöste Übung in dieser Freiheit. Der Film ist eine Befreiung von Konventionen (wer spielt hier die Hauptrolle, wo fängt die Geschichte an, wo führt sie hin?), er vollzieht die Abnabelung von der Notwendigkeit, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden, er verpasst der Wahrscheinlichkeit einen Fußtritt. Um uns am Ende mit dem Bild eines Vogel Strauß, der doch bekanntlich seinen Kopf in den Sand steckt, zu entlassen. Mit hochgerecktem Hals betrachtet das Tier, das zuvor schon mal durch einen Traum stolziert war, ein Geschehen, das wir nur hören können: einen Aufruhr.
Hätte Buñuel die Hoffnung, er könne irgendetwas ändern, hätte er ihn uns gezeigt. Aber Buñuel war ein Pessimist und glaubte nicht an Aufstände. Eher schon an eine aus Zufällen geborene Wahrscheinlichkeit, die uns nirgendwo in seinem Werk näher liegt als im "Gespenst der Freiheit". Dass wir nach solchen Filmen, deren Regisseur immerhin schon länger als ein Vierteljahrhundert tot ist, immer noch über Realismus reden, ist Grund genug, mal wieder seine Filme anzuschauen.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Blick ins absurde Weltzentrum: Zehn Filme aus dreißig Jahren von Luis Buñuel
Luis Buñuel Edition.
Kinowelt. 10 DVDs. Deutsche Untertitel, Dokumentationen, Trailer, Fotogalerien. 946 Minuten.
Eine Edition mit zehn Filmen von Luis Buñuel, gedreht zwischen 1947 und 1977, mit einem deutlichen Schwerpunkt bei den späteren, das sind inklusive Bonusmaterial etwa sechzehn Stunden vornehmlich surrealistischer, teilweise mit religiöser Symbolik beladener Geschichten - warum sollen wir uns das noch mal anschauen? Gibt es jenseits des filmhistorischen, kanonischen Interesses einen Grund, da noch mal hinzugucken?
Ja und nein. Nein bei Filmen wie der schwerfälligen Musicalparodie "Gran Casino" von 1947, die Buñuel selbst für einen "schlechten Film" hielt; möglicherweise, lautet die Antwort bei dem weithin bekannten "Belle de jour" (1966), wobei man hier dem großen Kritiker Manny Farber (der kein besonderer Buñuel-Fan war) folgen muss, der Catherine Deneuve als Freizeithure nicht nur fehlbesetzt fand, sondern auch bemerkte, die "blonde Schönheit" bewege sich hier "wie eine Großmutter". "Na ja, vielleicht", kann man sagen, wenn es um einen Film wie "Das junge Mädchen" von 1960 geht, allein schon deshalb, weil dies Buñuels einziger englischsprachiger Film ist und es ein wunderschönes Klarinettensolo des schwarzen Darstellers Bernie Hamilton gibt und weil die junge Key Meersman ein Mädchen zwischen Verschlagenheit und Unschuld spielt, das eindeutig vergewaltigt wird, aber dennoch eine vieldeutige Figur bleibt. Und "Ja, unbedingt ansehen" muss man rufen, wenn es sich um die Filme "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" aus dem Jahr 1972 und "Das Gespenst der Freiheit" von 1974 handelt. Natürlich gilt das auch für Buñuels letzten Film, "Dieses obskure Objekt der Begierde", der auf einer Doppel-DVD im vergangenen Jahr bereits herauskam (F.A.Z. vom 13. Mai 2009) und ebenfalls zu dieser Box gehört. (Leider fehlt der vierte Buñuel-Film dieser Kategorie, "Der Würgeengel" von 1962, in der jetzt vorgelegten Edition.)
Zwei Männer und zwei Frauen aus der offenbar besseren Gesellschaft besuchen auf dem Land ein drittes Paar zum Essen. Die Gastgeberin hatte sie erst am nächsten Abend erwartet. Im Restaurant, das die Gruppe dann ansteuert, ist gerade der Besitzer gestorben, die ersatzweise getroffene Verabredung am kommenden Tag geht ebenfalls schief, beim nächsten Mal, als sich die sechs treffen, rückt die Armee an, um sich während eines Manövers im Landhaus einzuquartieren, und als sich schließlich alle irgendwann doch einmal zum Essen hinsetzen, klirren Scheiben, und eine wüste Schießerei beginnt, die dem Mahl ein Ende setzt. Dazwischen wird mit Kokain gehandelt, ein Bischof nimmt die Stelle des Gärtners an, den er zuvor erschossen hat, es kommen blutige Erinnerungen ins Bild, wichtige Dialoge werden vom Geratter vorbeifahrender Züge übertönt, und zwischen den Episoden gehen die drei Paare auf einer Straße ins Nirgendwo ganz entspannt spazieren.
Das ist im Groben, was im "Diskreten Charme der Bourgeoisie" geschieht. Geschehnisse, die keine Geschichte werden. Die zum Lachen sind, manchmal zum Weinen, und wenn man den Film mehrere Male gesehen hat, kann es sein, dass die Tränen fließen, wo man vorher gelacht hatte, und umgekehrt. Es ist ein ständiges Umherschweifen, das ausdrücklich kein Thema finden will, eine Gesellschaftssatire voller Bezüge auf frühere Filme Buñuels, ein großer Publikumserfolg und ein unbeschwerter Umgang mit Erzählprinzipien, wie er sich dann im "Gespenst der Freiheit" vollends durchsetzt.
Jean-Claude Carrière, der zu beiden Filmen mit Buñuel das Drehbuch geschrieben hat, erzählt in einer der beigefügten Dokumentationen, kaum etwas sei schwieriger, als ohne Ziel zu erzählen. Der Film dringe ins Herz des Surrealismus vor, sozusagen, und je häufiger man ihn sieht, desto deutlicher kristallisiert er sich als dessen filmisches Hauptwerk heraus, eher noch als der "Andalusische Hund" - weil er ständig die Versöhnung und Auflösung unvereinbarer Gegensätze variiert und uns vorführt. Seine Figuren sind ironische Konstrukte. Da sitzen Mönche nicht nur in einem Zimmer und spielen rauchend, trinkend Karten, sondern es findet auch noch eine sadomasochistische Auspeitscherei direkt vor ihren Augen statt. Da sitzen sich zwei Doppelgänger gegenüber und unterhalten sich, als machte nicht einer dem anderen dessen Stuhl streitig. Da verschwindet ein Mädchen, das vor aller Augen anwesend ist, und die Suche geht los, als sei sie nicht da. Ein Arzt zeigt einem Patienten katastrophale Röntgenbilder und behauptet, da sei nichts, aber eine Operation halte er schon für sinnvoll. Ein Scharfschütze schießt gezielt, aber wahllos auf Passanten, wird zum Tode verurteilt und verlässt das Gericht als freier Mann, und so geht das immer weiter, keineswegs unverbunden, aber eben derart miteinander verknüpft, dass wir immer wieder vom einmal eingeschlagenen Erzählweg abgeführt werden und trotzdem weiterschauen.
Meistens sind es die Figuren, welche die einzelnen Szenen verbinden, aber nicht die vermeintlichen Haupt-, sondern in die Szene stolpernde Nebenfiguren, denen der Film folgt, während er den vorherigen Strang der Erzählung verlässt. Er bleibt bei der Sprechstundenhilfe zum Beispiel, nicht beim Patienten. Eine Überraschung folgt auf die nächste, eine Schicht wird auf die andere gestapelt, aber nicht, um uns einen Zusammenhang zu geben, sondern um jeden Ansatz von Logik zu zerstören. Carrière macht klar, welch harte Arbeit dahintersteckt, alles wie Zufall aussehen zu lassen.
Es gebe keine Freiheit und keine Gerechtigkeit, schreibt Buñuel in seinem Buch "Die Flecken der Giraffe", das habe ihn der Surrealismus gelehrt (und ihm dafür eine Moral gegeben). Die Freiheit, die er sich nimmt, ist die Freiheit des Erzählens. "Das Gespenst der Freiheit", dessen Titel sich auf einen Satz von Karl Marx im Kommunistischen Manifest bezieht, ist der Beweis für und gleichzeitig eine ganz gelöste Übung in dieser Freiheit. Der Film ist eine Befreiung von Konventionen (wer spielt hier die Hauptrolle, wo fängt die Geschichte an, wo führt sie hin?), er vollzieht die Abnabelung von der Notwendigkeit, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden, er verpasst der Wahrscheinlichkeit einen Fußtritt. Um uns am Ende mit dem Bild eines Vogel Strauß, der doch bekanntlich seinen Kopf in den Sand steckt, zu entlassen. Mit hochgerecktem Hals betrachtet das Tier, das zuvor schon mal durch einen Traum stolziert war, ein Geschehen, das wir nur hören können: einen Aufruhr.
Hätte Buñuel die Hoffnung, er könne irgendetwas ändern, hätte er ihn uns gezeigt. Aber Buñuel war ein Pessimist und glaubte nicht an Aufstände. Eher schon an eine aus Zufällen geborene Wahrscheinlichkeit, die uns nirgendwo in seinem Werk näher liegt als im "Gespenst der Freiheit". Dass wir nach solchen Filmen, deren Regisseur immerhin schon länger als ein Vierteljahrhundert tot ist, immer noch über Realismus reden, ist Grund genug, mal wieder seine Filme anzuschauen.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main