Wien, 1948: Der amerikanische Schriftsteller Holly Martins will in der besetzten Stadt seinen alten Freund Harry Lime besuchen. Er kommt gerade noch rechtzeitig zu dessen Beerdigung. Seine Nachforschungen führen ihn zu Limes Geliebter, der Schauspielerin Anna Schmidt, die aus dem russischen Sektor geflohen ist und ihm bei seinen Ermittlungen hilft. Martins Suche nach der Wahrheit zieht ihn immer tiefer in einen gefährlichen Teufelskreis aus Betrug, Korruption und Mord. Schließlich führt ihn die Jagd nach dem "dritten Mann" in das unterirdische Kanalisationsnetz der Stadt...
Bonusmaterial
SW-Film/ Bewegtmenüs/ Deutsche Untertitel sind aus rechtlichen Gründen nicht ausblendbar. Audiodeskription für Blinde. Beste Kamera 1950 (S/W). Großer Preis in Cannes 1949.Oscar 1951. - Starinfos als Texttafeln - deutsche Hörfilmfassung für Blinde - TrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.12.2023Schwierige Freunde
Mit seinen Fragen nach Täuschung und Verrat unter geliebten Menschen ist Carol Reeds Film aktueller denn je.
Wie konnte man sich im Gegenüber nur so täuschen? Während der letzten Jahre mit ihren polarisierenden Krisen - der Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und nun jenem in Nahost - dürften sich viele diese Frage gestellt haben. Freunde taten oder sagten Dinge, mit denen man nie gerechnet hätte, man lernte an ihnen Seiten kennen, von denen man nichts ahnte. Der Schmerz über das zerrissene Freundschaftsband geht dabei über den Verlust einer liebgewonnenen Gesellschaft hinaus, hat man doch auch mit sich selbst ins Gericht zu gehen: Wie konnte man nur so blind sein?
Solche Fragen um Freundschaft und Verrat stehen im Zentrum von "Der dritte Mann", im Jahr 1949 von Carol Reed im damals noch unter den Alliierten aufgeteilten Wien gedreht. Der Westernautor Holly Martins kommt in die Stadt, weil ihm sein Freund Harry Lime dort einen Job angeboten hat - und taumelt nach seiner Ankunft von einer Enttäuschung in die nächste: Von der Nachricht über den Tod seines besten Freundes ("best friend I ever had") hin zur Erkenntnis, dass dieser noch lebt, aber in üble Schwarzmarktschiebereien mit Penizillin verstrickt war, durch die zahlreiche Kinder für ihr Leben entstellt wurden: "Ich kannte ihn seit zwanzig Jahren, zumindest dachte ich, dass ich ihn kannte. Er lachte immer nur über solche Dummköpfe wie uns."
Hat man den Freund nicht etwa nur trotz, sondern gerade auch wegen jener Eigenschaften bewundert und um seine Anerkennung geworben, die nun in all ihrer Hässlichkeit zutage traten? Auch als sie an seinen horrenden Taten nicht mehr zweifeln können, hadern der von Joseph Cotten gespielte Holly Martins und Limes Geliebte, die von der großartigen Alida Valli dargestellte Anna Schmidt, mit sich und ihrer Beziehung zum gemeinsamen Freund, rekapitulieren gemeinsam schöne Erinnerungen an ihn, die im Rückblick in so ganz anderem Licht erscheinen, und schwanken zwischen dem Wunsch, der Polizei zu helfen, einen Verbrecher zu schnappen, und ihren Freund nicht zu verraten. Die Zerrissenheit bringt die Freundin, Anna Schmidt, auf den Punkt, wenn sie sagt, dass sie ihn nie wieder sehen will, er aber dennoch immer ein Teil von ihr bleiben wird und sie ihn nie verraten könne ("I don't want him anymore. I don't want to see him or hear him. But he is still a part of me, that's a fact. I couldn't do a thing to harm him."). Der film noir mit expressionistischer Bildsprache räumt diese Zweifel erst mit der von Orson Welles famos improvisierten Kuckucksuhr-Rede aus.
Obwohl es sich bei "Der dritte Mann" heute um den Wien-Film schlechthin handelt, traf er bei den Wienern selbst zunächst auf wenig Gegenliebe. Er lief nur wenige Wochen in den Kinos und erhielt in den Zeitungen schlechte Kritiken. Offenbar fand man die eigene Stadt nicht gerade von ihrer schönen Seite gezeigt und wollte nicht an die jüngste Vergangenheit erinnert werden, die auch im Film hie und da aufflackert. So etwa, als es dem von Paul Hörbiger gespielten Hausmeister zu bunt wird, weil ihn Martins dazu aufruft, gegenüber der Polizei auszusagen: Er wirft ihm an den Kopf: "Also von mir aus gehen S' zur Gasanstalt." "You'll never teach these Austrians to be good citizens", sagt dazu der charmante, ebenfalls in Limes Schwarzmarktgeschäfte verstrickte Popescu im Film.
Wer in Wien zu Besuch ist, kann sich den Film im Burgkino ansehen, wo er seit Jahrzehnten nahezu täglich läuft. Wichtige Schauplätze sind im Anschluss in wenigen Gehminuten zu erreichen - etwa die pittoreske Kreuzung beim Haus Schreyvogelgasse 8, in dessen Türsturz Welles mit dem ihm eigenen schelmischen Lächeln seinen ersten Auftritt im Film hat. Glücklicherweise wird im Burgkino die Originalfassung gezeigt, die von ihrer englisch-deutsch-russischen Mehrsprachigkeit lebt. Nur so kann man die Erfahrung Martins - und vieler damaliger Kinobesucher in den USA und Großbritannien, die aus dem Krieg heimkehrten - teilen, sich in einem feindlich gesinnten Territorium zu bewegen, dessen Sprache man nicht versteht. Und nur so erschließt sich der Witz vieler Passagen, etwa der ebenso unermüdlich wie vergeblich gegen die in ihr Haus eindringende Polizei polternden Hausbesorgerin, vom damaligen Burgtheaterstar Hedwig Bleibtreu gespielt: "Hier sind früher Fürsten aus- und eingegangen, hier hat sogar ein Metternich verkehrt!"
Wer den Film gesehen hat, dem wird die Zithermusik Anton Karas tagelang im Ohr klingen. Dass die Musik in diesem Film eine besondere Rolle spielt, macht schon der Vorspann klar, der vor den schwingenden Saiten des Instruments abläuft.
Lange vor Falco gelang es dem Heurigenmusiker als erstem Österreicher mit dem "Harry Lime Theme" in den USA und Großbritannien einen Platz-eins-Hit zu landen. Auch wenn seine Musik längst Klischee geworden ist, erfasst sie wie kaum eine andere jene von tiefen Abgründen durchfurchte Heiterkeit, die bis heute das Lebensgefühl in Wien prägt. MIGUEL DE LA RIVA
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit seinen Fragen nach Täuschung und Verrat unter geliebten Menschen ist Carol Reeds Film aktueller denn je.
Wie konnte man sich im Gegenüber nur so täuschen? Während der letzten Jahre mit ihren polarisierenden Krisen - der Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und nun jenem in Nahost - dürften sich viele diese Frage gestellt haben. Freunde taten oder sagten Dinge, mit denen man nie gerechnet hätte, man lernte an ihnen Seiten kennen, von denen man nichts ahnte. Der Schmerz über das zerrissene Freundschaftsband geht dabei über den Verlust einer liebgewonnenen Gesellschaft hinaus, hat man doch auch mit sich selbst ins Gericht zu gehen: Wie konnte man nur so blind sein?
Solche Fragen um Freundschaft und Verrat stehen im Zentrum von "Der dritte Mann", im Jahr 1949 von Carol Reed im damals noch unter den Alliierten aufgeteilten Wien gedreht. Der Westernautor Holly Martins kommt in die Stadt, weil ihm sein Freund Harry Lime dort einen Job angeboten hat - und taumelt nach seiner Ankunft von einer Enttäuschung in die nächste: Von der Nachricht über den Tod seines besten Freundes ("best friend I ever had") hin zur Erkenntnis, dass dieser noch lebt, aber in üble Schwarzmarktschiebereien mit Penizillin verstrickt war, durch die zahlreiche Kinder für ihr Leben entstellt wurden: "Ich kannte ihn seit zwanzig Jahren, zumindest dachte ich, dass ich ihn kannte. Er lachte immer nur über solche Dummköpfe wie uns."
Hat man den Freund nicht etwa nur trotz, sondern gerade auch wegen jener Eigenschaften bewundert und um seine Anerkennung geworben, die nun in all ihrer Hässlichkeit zutage traten? Auch als sie an seinen horrenden Taten nicht mehr zweifeln können, hadern der von Joseph Cotten gespielte Holly Martins und Limes Geliebte, die von der großartigen Alida Valli dargestellte Anna Schmidt, mit sich und ihrer Beziehung zum gemeinsamen Freund, rekapitulieren gemeinsam schöne Erinnerungen an ihn, die im Rückblick in so ganz anderem Licht erscheinen, und schwanken zwischen dem Wunsch, der Polizei zu helfen, einen Verbrecher zu schnappen, und ihren Freund nicht zu verraten. Die Zerrissenheit bringt die Freundin, Anna Schmidt, auf den Punkt, wenn sie sagt, dass sie ihn nie wieder sehen will, er aber dennoch immer ein Teil von ihr bleiben wird und sie ihn nie verraten könne ("I don't want him anymore. I don't want to see him or hear him. But he is still a part of me, that's a fact. I couldn't do a thing to harm him."). Der film noir mit expressionistischer Bildsprache räumt diese Zweifel erst mit der von Orson Welles famos improvisierten Kuckucksuhr-Rede aus.
Obwohl es sich bei "Der dritte Mann" heute um den Wien-Film schlechthin handelt, traf er bei den Wienern selbst zunächst auf wenig Gegenliebe. Er lief nur wenige Wochen in den Kinos und erhielt in den Zeitungen schlechte Kritiken. Offenbar fand man die eigene Stadt nicht gerade von ihrer schönen Seite gezeigt und wollte nicht an die jüngste Vergangenheit erinnert werden, die auch im Film hie und da aufflackert. So etwa, als es dem von Paul Hörbiger gespielten Hausmeister zu bunt wird, weil ihn Martins dazu aufruft, gegenüber der Polizei auszusagen: Er wirft ihm an den Kopf: "Also von mir aus gehen S' zur Gasanstalt." "You'll never teach these Austrians to be good citizens", sagt dazu der charmante, ebenfalls in Limes Schwarzmarktgeschäfte verstrickte Popescu im Film.
Wer in Wien zu Besuch ist, kann sich den Film im Burgkino ansehen, wo er seit Jahrzehnten nahezu täglich läuft. Wichtige Schauplätze sind im Anschluss in wenigen Gehminuten zu erreichen - etwa die pittoreske Kreuzung beim Haus Schreyvogelgasse 8, in dessen Türsturz Welles mit dem ihm eigenen schelmischen Lächeln seinen ersten Auftritt im Film hat. Glücklicherweise wird im Burgkino die Originalfassung gezeigt, die von ihrer englisch-deutsch-russischen Mehrsprachigkeit lebt. Nur so kann man die Erfahrung Martins - und vieler damaliger Kinobesucher in den USA und Großbritannien, die aus dem Krieg heimkehrten - teilen, sich in einem feindlich gesinnten Territorium zu bewegen, dessen Sprache man nicht versteht. Und nur so erschließt sich der Witz vieler Passagen, etwa der ebenso unermüdlich wie vergeblich gegen die in ihr Haus eindringende Polizei polternden Hausbesorgerin, vom damaligen Burgtheaterstar Hedwig Bleibtreu gespielt: "Hier sind früher Fürsten aus- und eingegangen, hier hat sogar ein Metternich verkehrt!"
Wer den Film gesehen hat, dem wird die Zithermusik Anton Karas tagelang im Ohr klingen. Dass die Musik in diesem Film eine besondere Rolle spielt, macht schon der Vorspann klar, der vor den schwingenden Saiten des Instruments abläuft.
Lange vor Falco gelang es dem Heurigenmusiker als erstem Österreicher mit dem "Harry Lime Theme" in den USA und Großbritannien einen Platz-eins-Hit zu landen. Auch wenn seine Musik längst Klischee geworden ist, erfasst sie wie kaum eine andere jene von tiefen Abgründen durchfurchte Heiterkeit, die bis heute das Lebensgefühl in Wien prägt. MIGUEL DE LA RIVA
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main