Jedes Jahr kurz vor den Weihnachtsferien listen alle in Olivia Meads (Izabela Vidovic) Klasse ihre unerfüllbarsten Weihnachtwünsche auf. Auch dieses Jahr ein wunderschönes Ritual, das allen Kindern viel Freude bringt. Doch plötzlich scheint es, als sollten sich all diese Wünsche aus heiterem Himmel erfüllen: Olivia hatte sich schon lange gewünscht, dass ihre alleinerziehende Mama wieder einen Mann fürs Leben findet, der sie glücklich macht und der auch für Olivia eine liebevoller Vater wäre... und plötzlich taucht ein neuer Mann in Ihrem Leben auf!
Olivia ist sich sicher, dass der Grund für die Erfüllung ihres geheimsten Wunsches nur in dem alten, verlassenen Haus auf der anderen Straßenseite liegen kann. Ein Haus, das sie und ihre Freunde schon lange heimlich das Wunschhaus nennen.
Ein seltsames Licht in der Nacht und eine schemenhafte Frauengestalt am Fenster überzeugen Olivia: In dem Haus wohnt ein Engel...!
Olivia ist sich sicher, dass der Grund für die Erfüllung ihres geheimsten Wunsches nur in dem alten, verlassenen Haus auf der anderen Straßenseite liegen kann. Ein Haus, das sie und ihre Freunde schon lange heimlich das Wunschhaus nennen.
Ein seltsames Licht in der Nacht und eine schemenhafte Frauengestalt am Fenster überzeugen Olivia: In dem Haus wohnt ein Engel...!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2021Das bisschen Zivilität
Eine koreanische Familie belebt den amerikanischen Pioniermythos, Daniel Brühl schwankt zwischen Penthouse und Theke, und Radu Jude setzt in Bukarest ein Zeichen.
Ein Mann aus Korea steht im tiefen Arkansas auf einer Wiese und lässt die Krumen der Erde durch seine Fingern rieseln. Er heißt Jacob, er hat hier etwas vor. Er will einen neuen Garten Eden schaffen, ein Paradies mit einem kulturellen Akzent. Denn das Gemüse, das Jacob aus der Erde ziehen will, ist speziell: Minari, auch Wassersellerie genannt, ist eine Köstlichkeit, die in Amerika schwer zu bekommen ist. Für die koreanisch-amerikanischen Gemeinden stellt es eine Verbindung zu den Geschmackserlebnissen aus der Heimat dar. Minari ist also ein Wort, bei dem Menschen das Wasser im Mund zusammenläuft. Und bald wohl nicht mehr nur solchen mit Beziehungen nach Korea.
Der gleichnamige Film von Lee Isaac Chung dürfte auch die Pflanze sehr populär machen. Was vor einer Weile noch der Koriander war, eine neue exotische Zutat, könnte demnächst Minari werden. Bei den Oscars 2021 war der Film "Minari - Wo wir Wurzeln schlagen" sechsmal nominiert, es reichte dann zwar nur für eine Auszeichnung in der Kategorie beste Nebendarstellerin (für die Schauspielerin Yoon Yeo-jeong), aber einem Siegeszug durch die Programmkinos und mittleren Multiplex-Säle steht nach der erfolgreichen Premiere in Sundance nichts im Wege. Dafür sorgen Mentoren wie Brad Pitt, der als Executive Producer mit seiner Firma Plan B beteiligt ist.
Das Drehbuch durchlief wohl alle Stadien des "script doctoring", so perfekt ist hier alles aufeinander abgestimmt. Jacob ist der Mann mit der Vision. An seiner Seite ist Monica die Frau mit den Sorgen. Denn ihrer Meinung nach ist das Stück Land zu weit von Little Rock entfernt, der nächsten Großstadt. Erst dort gibt es ein Krankenhaus, ein Umstand, der wichtig ist, weil der kleine Sohn David an einer Herzkrankheit leidet. Seine etwas ältere Schwester Anne ist die Figur dazwischen: Sie hat daher am wenigsten Gelegenheit, ein Eigenleben zu entwickeln.
Das zerbrechliche Gleichgewicht in der Familie ordnet sich neu, als die Großmutter mütterlicherseits dazu- stößt: eine schräge Dame, die vor allem bei dem kleinen David Argwohn erregt. Für den Film ist Soon-ja ein Gewinn, denn nun entwickelt sich so etwas wie ein geheimes Leben, von dem die Erziehungsberechtigten nichts wissen. Die Schauspielerin Yoon Yeo-jeong, die sich für ihren Oscar mit einer pfiffigen Rede bedankte, ist in Korea ein Superstar (man kann sie auch in einigen Filmen von Hong Sang-soo sehen), sie verbindet also zwei Welten, ganz so, wie es sich für eine Migrationsgeschichte gehört.
Lee Isaac Chung wurde 1978 in Denver geboren. Der kleine David ist sein Stellvertreter im Film, die Farm in seiner Kindheit lag in den Ozark Mountains. Zum Kino wollte er, weil er diese Geschichte erzählen wollte. "Minari" schlägt einige sehr interessante Brücken. Im Kern ist der Film ein Familienporträt, bei dem man durchaus an die japanischen Vorbilder von Yasujiro Ozu denken kann, der Generationen, Geschlechter, Verantwortungen oft in diskrete Spannungsverhältnisse versetzte.
Zugleich ist "Minari" aber auch ein amerikanischer Pioniermythos, eine Saga mit einem Hang in den Transzendentalismus, in die Feier der Natur als der einzigen Religion, die auf dem Weg durch den Wilden Westen übrig blieb. Dieser Mythos, von dem seit den Tagen von John Ford nicht viel blieb, wird von Lee Isaac Chung wiederbelebt, modernisiert, kulturell gebrochen. Das Ergebnis ist ein global attraktiver Film.
Bis in die hintersten Winkel der Städte begleitet uns inzwischen diese Spannung zwischen einem lokalen Flair, das nach Möglichkeit Bestand haben sollte, und einer Kultur, die alles auf große Nenner bringt: auf die Selfies in Instagram, auf den Kaffee, an dessen Stelle sich das Gebräu einer amerikanischen Kette gesetzt hat, auf das Englisch, das man erst wirklich spricht, wenn man einen gewissen Hipster-Twang mitschwingen lässt.
In dem Film "Nebenan", dem Regiedebüt des Schauspielers Daniel Brühl, entspricht dieser Spannung auch eine konkrete Architektur: Der Schauspieler Daniel lebt in einer Wohnung, zu der ein Aufzug führt, der nur dort oben hält. Da hat sich jemand auf ein angestammtes Leben draufgesetzt, ganz buchstäblich, und nun möchte er auch noch teilhaben an diesem Leben. Daniel biedert sich in der Eckkneipe an, macht auf dem Weg zum Flughafen (zu einem Casting in London!) noch kurz dort halt und trifft auf einen Mann, der ihn die Gegensätze deutlich spüren lässt, über die Daniel gern hinweggehen würde.
Bruno (Peter Kurth) verwickelt ihn in ein manipulatives Spiel, er weiß verdächtig viel von seinem Nachbarn, bald liegen die kleinen und die großen Pläne des international gefragten Idols offen zutage, und sie sind gründlich zertrümmert.
Das Drehbuch zu "Nebenan" stammt von Daniel Kehlmann. Daniel Brühl hat sich konsequenterweise dafür entschieden, selbst die Hauptrolle zu spielen. Das passt zu der Fantasie, die dem Duell zwischen Daniel und Bruno zugrunde liegt. Denn "Nebenan" versucht tatsächlich, beiden Seiten einer unlösbaren Spannung zu entsprechen, allerdings beide Male im Modus eines Ressentiments. Zuerst widerfährt Daniel das, was sich all die Kiezfundis erträumen, von denen es in Berlin wimmelt, er wird Bruno zum Fraß vorgeworfen, er muss den Sündenbock machen, hinter dessen Opferung auf dem Alter einer allerdings biederen Lächerlichkeit sich genau das ortlose Kino abzeichnet, das Daniel Brühl mit "Nebenan" perfekt vertritt.
Am Ende aber bekommt auch Bruno sein Fett weg, denn er muss hinter die Vorhänge seiner Dunkelmännerwohnung die ganzen Ossi-Klischees mitnehmen, die Kehlmann der Figur bedenkenlos aufbürdet, als wäre die DDR als Überwachungsstaat im Prenzlauer Berg verewigt oder "verewiggestrigt" worden. "Nebenan" ist vermutlich der "danebenste" Film, der über das Berlin (also das Deutschland) nach der Wende gemacht wurde.
Wie man einen Ort, einen gesellschaftlichen Zustand, einen historischen Moment perfekt einfängt, wie man ihn vielleicht auch komisch aufspießt, dafür ist "Bad Luck Banging or Loony Porn" von Radu Jude, der Gewinner des Goldenen Bären bei der diesjährigen Berlinale, ein herausragendes Beispiel. Es ist der Sommer 2020, in dem Emilia Cilibiu, eine angesehene Geschichtslehrerin an einer Schule in Bukarest, zum Mittelpunkt eines Skandals wird.
Sie hat mit ihrem Mann Eugen ein intimes Video gedreht, das zu Beginn des Films auch vollständig zu sehen ist, mit "dirty talk" ("Lutsch ihn, Messalina") und Verkehr a tergo. Dieses Video hat den vertrauten Kreis aufgeschlossener Erwachsener verlassen und kursiert nun auf Seiten, die auch Emilias Schüler nicht fremd sind. Radu Jude erzählt davon, wie Emilia sich durch die Stadt bewegt, Blumen für ihre Vorgesetzte kauft, sie daheim besucht, wie sie in einer Apotheke ein Beruhigungsmittel kaufen will und wie sie sich schließlich am Abend zu einer Elternversammlung einfindet, bei der darüber diskutiert und abgestimmt werden soll, ob sie ihre Arbeit behalten kann.
In einem Insert zu Beginn wird "Bad Luck Banging or Loony Porn" als Skizze zu einem "film popular" ausgewiesen - der deutsche Verleih übersetzt das als "Heimatfilm", aber es soll wohl die ganze Bandbreite von populär bis volksnah mitgemeint sein. Jude fängt enorm viele bedeutsame Kleinigkeiten aus einer Welt ein, in der die Menschen nicht nur wegen Corona aufgebracht und gereizt sind. Die Beobachtung aus dem Digitalen, dass viele Menschen jegliche Selbstdistanz hinter sich lassen, gilt hier auch im richtigen Leben. Zugleich ist jede Kleinigkeit in dem Film maximal aufgeladen, zum Beispiel das Wort "Informanten-Fresse", das jemand auf der Straße Emilia gegenüber verwendet, eine exzessive Beleidigung, die implizit auch dreißig Jahre postrevolutionäre rumänische Geschichte einkassiert. Die Gesellschaft, die Radu Jude zeigt, ist in ihrer Sexualmoral verlogen und damit auch in ihrer Geschichtspolitik, in ihrer Corona-Politik und nebenbei auch in ihrer Verkehrspolitik, denn Bukarest erscheint hier (wer die Stadt kennt, weiß: realistisch) als ein Moloch in der Geiselhaft von Monstertrucks und aggressiven Falschparkern. Es hängt alles mit allem zusammen, wogegen in "Nebenan" alles mit allem in der dünnen Luft eines abgehobenen Drehbuchs hängt.
"Bad Luck Banging or Loon Porn" ist kein großes Filmkunstwerk und hätte vielleicht ganz anders ausgesehen, hätte nicht auch das Drehen im Vorjahr unter besonderen Vorzeichen gestanden. Die hellblaue Maske, die Katia Pascariu, die großartige Hauptdarstellerin, durchgehend trägt, ist hier mehr als Accessoire: Der ganze Film ist ein einziges großes Geschichtszeichen, und man kann sich eigentlich hinter nichts anderes zurückziehen als hinter ein kleines Stück Zivilität und Distanz.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine koreanische Familie belebt den amerikanischen Pioniermythos, Daniel Brühl schwankt zwischen Penthouse und Theke, und Radu Jude setzt in Bukarest ein Zeichen.
Ein Mann aus Korea steht im tiefen Arkansas auf einer Wiese und lässt die Krumen der Erde durch seine Fingern rieseln. Er heißt Jacob, er hat hier etwas vor. Er will einen neuen Garten Eden schaffen, ein Paradies mit einem kulturellen Akzent. Denn das Gemüse, das Jacob aus der Erde ziehen will, ist speziell: Minari, auch Wassersellerie genannt, ist eine Köstlichkeit, die in Amerika schwer zu bekommen ist. Für die koreanisch-amerikanischen Gemeinden stellt es eine Verbindung zu den Geschmackserlebnissen aus der Heimat dar. Minari ist also ein Wort, bei dem Menschen das Wasser im Mund zusammenläuft. Und bald wohl nicht mehr nur solchen mit Beziehungen nach Korea.
Der gleichnamige Film von Lee Isaac Chung dürfte auch die Pflanze sehr populär machen. Was vor einer Weile noch der Koriander war, eine neue exotische Zutat, könnte demnächst Minari werden. Bei den Oscars 2021 war der Film "Minari - Wo wir Wurzeln schlagen" sechsmal nominiert, es reichte dann zwar nur für eine Auszeichnung in der Kategorie beste Nebendarstellerin (für die Schauspielerin Yoon Yeo-jeong), aber einem Siegeszug durch die Programmkinos und mittleren Multiplex-Säle steht nach der erfolgreichen Premiere in Sundance nichts im Wege. Dafür sorgen Mentoren wie Brad Pitt, der als Executive Producer mit seiner Firma Plan B beteiligt ist.
Das Drehbuch durchlief wohl alle Stadien des "script doctoring", so perfekt ist hier alles aufeinander abgestimmt. Jacob ist der Mann mit der Vision. An seiner Seite ist Monica die Frau mit den Sorgen. Denn ihrer Meinung nach ist das Stück Land zu weit von Little Rock entfernt, der nächsten Großstadt. Erst dort gibt es ein Krankenhaus, ein Umstand, der wichtig ist, weil der kleine Sohn David an einer Herzkrankheit leidet. Seine etwas ältere Schwester Anne ist die Figur dazwischen: Sie hat daher am wenigsten Gelegenheit, ein Eigenleben zu entwickeln.
Das zerbrechliche Gleichgewicht in der Familie ordnet sich neu, als die Großmutter mütterlicherseits dazu- stößt: eine schräge Dame, die vor allem bei dem kleinen David Argwohn erregt. Für den Film ist Soon-ja ein Gewinn, denn nun entwickelt sich so etwas wie ein geheimes Leben, von dem die Erziehungsberechtigten nichts wissen. Die Schauspielerin Yoon Yeo-jeong, die sich für ihren Oscar mit einer pfiffigen Rede bedankte, ist in Korea ein Superstar (man kann sie auch in einigen Filmen von Hong Sang-soo sehen), sie verbindet also zwei Welten, ganz so, wie es sich für eine Migrationsgeschichte gehört.
Lee Isaac Chung wurde 1978 in Denver geboren. Der kleine David ist sein Stellvertreter im Film, die Farm in seiner Kindheit lag in den Ozark Mountains. Zum Kino wollte er, weil er diese Geschichte erzählen wollte. "Minari" schlägt einige sehr interessante Brücken. Im Kern ist der Film ein Familienporträt, bei dem man durchaus an die japanischen Vorbilder von Yasujiro Ozu denken kann, der Generationen, Geschlechter, Verantwortungen oft in diskrete Spannungsverhältnisse versetzte.
Zugleich ist "Minari" aber auch ein amerikanischer Pioniermythos, eine Saga mit einem Hang in den Transzendentalismus, in die Feier der Natur als der einzigen Religion, die auf dem Weg durch den Wilden Westen übrig blieb. Dieser Mythos, von dem seit den Tagen von John Ford nicht viel blieb, wird von Lee Isaac Chung wiederbelebt, modernisiert, kulturell gebrochen. Das Ergebnis ist ein global attraktiver Film.
Bis in die hintersten Winkel der Städte begleitet uns inzwischen diese Spannung zwischen einem lokalen Flair, das nach Möglichkeit Bestand haben sollte, und einer Kultur, die alles auf große Nenner bringt: auf die Selfies in Instagram, auf den Kaffee, an dessen Stelle sich das Gebräu einer amerikanischen Kette gesetzt hat, auf das Englisch, das man erst wirklich spricht, wenn man einen gewissen Hipster-Twang mitschwingen lässt.
In dem Film "Nebenan", dem Regiedebüt des Schauspielers Daniel Brühl, entspricht dieser Spannung auch eine konkrete Architektur: Der Schauspieler Daniel lebt in einer Wohnung, zu der ein Aufzug führt, der nur dort oben hält. Da hat sich jemand auf ein angestammtes Leben draufgesetzt, ganz buchstäblich, und nun möchte er auch noch teilhaben an diesem Leben. Daniel biedert sich in der Eckkneipe an, macht auf dem Weg zum Flughafen (zu einem Casting in London!) noch kurz dort halt und trifft auf einen Mann, der ihn die Gegensätze deutlich spüren lässt, über die Daniel gern hinweggehen würde.
Bruno (Peter Kurth) verwickelt ihn in ein manipulatives Spiel, er weiß verdächtig viel von seinem Nachbarn, bald liegen die kleinen und die großen Pläne des international gefragten Idols offen zutage, und sie sind gründlich zertrümmert.
Das Drehbuch zu "Nebenan" stammt von Daniel Kehlmann. Daniel Brühl hat sich konsequenterweise dafür entschieden, selbst die Hauptrolle zu spielen. Das passt zu der Fantasie, die dem Duell zwischen Daniel und Bruno zugrunde liegt. Denn "Nebenan" versucht tatsächlich, beiden Seiten einer unlösbaren Spannung zu entsprechen, allerdings beide Male im Modus eines Ressentiments. Zuerst widerfährt Daniel das, was sich all die Kiezfundis erträumen, von denen es in Berlin wimmelt, er wird Bruno zum Fraß vorgeworfen, er muss den Sündenbock machen, hinter dessen Opferung auf dem Alter einer allerdings biederen Lächerlichkeit sich genau das ortlose Kino abzeichnet, das Daniel Brühl mit "Nebenan" perfekt vertritt.
Am Ende aber bekommt auch Bruno sein Fett weg, denn er muss hinter die Vorhänge seiner Dunkelmännerwohnung die ganzen Ossi-Klischees mitnehmen, die Kehlmann der Figur bedenkenlos aufbürdet, als wäre die DDR als Überwachungsstaat im Prenzlauer Berg verewigt oder "verewiggestrigt" worden. "Nebenan" ist vermutlich der "danebenste" Film, der über das Berlin (also das Deutschland) nach der Wende gemacht wurde.
Wie man einen Ort, einen gesellschaftlichen Zustand, einen historischen Moment perfekt einfängt, wie man ihn vielleicht auch komisch aufspießt, dafür ist "Bad Luck Banging or Loony Porn" von Radu Jude, der Gewinner des Goldenen Bären bei der diesjährigen Berlinale, ein herausragendes Beispiel. Es ist der Sommer 2020, in dem Emilia Cilibiu, eine angesehene Geschichtslehrerin an einer Schule in Bukarest, zum Mittelpunkt eines Skandals wird.
Sie hat mit ihrem Mann Eugen ein intimes Video gedreht, das zu Beginn des Films auch vollständig zu sehen ist, mit "dirty talk" ("Lutsch ihn, Messalina") und Verkehr a tergo. Dieses Video hat den vertrauten Kreis aufgeschlossener Erwachsener verlassen und kursiert nun auf Seiten, die auch Emilias Schüler nicht fremd sind. Radu Jude erzählt davon, wie Emilia sich durch die Stadt bewegt, Blumen für ihre Vorgesetzte kauft, sie daheim besucht, wie sie in einer Apotheke ein Beruhigungsmittel kaufen will und wie sie sich schließlich am Abend zu einer Elternversammlung einfindet, bei der darüber diskutiert und abgestimmt werden soll, ob sie ihre Arbeit behalten kann.
In einem Insert zu Beginn wird "Bad Luck Banging or Loony Porn" als Skizze zu einem "film popular" ausgewiesen - der deutsche Verleih übersetzt das als "Heimatfilm", aber es soll wohl die ganze Bandbreite von populär bis volksnah mitgemeint sein. Jude fängt enorm viele bedeutsame Kleinigkeiten aus einer Welt ein, in der die Menschen nicht nur wegen Corona aufgebracht und gereizt sind. Die Beobachtung aus dem Digitalen, dass viele Menschen jegliche Selbstdistanz hinter sich lassen, gilt hier auch im richtigen Leben. Zugleich ist jede Kleinigkeit in dem Film maximal aufgeladen, zum Beispiel das Wort "Informanten-Fresse", das jemand auf der Straße Emilia gegenüber verwendet, eine exzessive Beleidigung, die implizit auch dreißig Jahre postrevolutionäre rumänische Geschichte einkassiert. Die Gesellschaft, die Radu Jude zeigt, ist in ihrer Sexualmoral verlogen und damit auch in ihrer Geschichtspolitik, in ihrer Corona-Politik und nebenbei auch in ihrer Verkehrspolitik, denn Bukarest erscheint hier (wer die Stadt kennt, weiß: realistisch) als ein Moloch in der Geiselhaft von Monstertrucks und aggressiven Falschparkern. Es hängt alles mit allem zusammen, wogegen in "Nebenan" alles mit allem in der dünnen Luft eines abgehobenen Drehbuchs hängt.
"Bad Luck Banging or Loon Porn" ist kein großes Filmkunstwerk und hätte vielleicht ganz anders ausgesehen, hätte nicht auch das Drehen im Vorjahr unter besonderen Vorzeichen gestanden. Die hellblaue Maske, die Katia Pascariu, die großartige Hauptdarstellerin, durchgehend trägt, ist hier mehr als Accessoire: Der ganze Film ist ein einziges großes Geschichtszeichen, und man kann sich eigentlich hinter nichts anderes zurückziehen als hinter ein kleines Stück Zivilität und Distanz.
BERT REBHANDL
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