An einem wunderschönen Sommertag wacht in einem kleinen französischen Dorf Madame Claire (Catherine Deneuve) auf - überzeugt davon, dass heute ihr letzter Tag auf Erden sei. Claire beschließt, ihr gesamtes Hab und Gut im Garten ihres großzügigen Landhauses zu verkaufen, von wertvollen Uhren, lieb gewonnenen Antiquitäten bis hin zu handgefertigten Unikaten. Wenn sich schon ihre Erinnerungen mehr und mehr verflüchtigen, benötigt Claire auch ihre ans Herz gewachsenen Möbel und Sammlerstücke nicht mehr - das ganze Dorf kommt bei dem außergewöhnlichen Flohmarkt auf seine Kosten. Von einer alten Freundin alarmiert, kehrt Claires Tochter Marie (Chiara Mastroianni) zum ersten Mal nach 20 Jahren in ihr Zuhause zurück. Doch sie scheint nicht das einzige Gespenst aus der Vergangenheit zu sein, das die exzentrische Dame erneut aufspürt. Mit jeder Erinnerung begegnet Claire nicht nur einem Echo ihrer Jugend und ihrer Liebhaber, sondern tragischen Geheimnissen, unausgesprochenen Differenzen und alten Familiendramen, die erneut zum Leben erweckt werden - auf einer aufregenden Reise ins Herz der vergangenen Zeit.
Bonusmaterial
Kino-TrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2019Schwächen spielen ist nicht ihr Ding
Da soll noch mal einer sagen, aus Frankreich kämen nur triste Neuigkeiten über Krawall und Feuer: Der Film "Der Flohmarkt von Madame Claire" sucht die versponnene Seite des Lebens.
In alten Häusern wohnen häufig Geister. Sie müssen gar nicht spuken, sie sind einfach da, meistens machen sie sich auf eine ganz einfache Art bemerkbar: als Erinnerungen. Das Haus von Madame Claire Darling ist besonders groß, es war früher einmal ein Schloss. In einem Dorf im Norden von Paris ist das Château Darling der Mittelpunkt. Wenngleich der Reichtum der Darlings nicht eben aus feudalen Verhältnissen stammt: Man machte in Zement.
Immerhin hat das für ein Leben gereicht, das Claire Darling nun allerdings als bedrückend empfindet. Sie ist achtzig Jahre alt und lebt allein mit einem Inventar, mit dem man ein Museum füllen könnte: Automaten und zahllose andere Antiquitäten, vieles davon sehr wertvoll. Es gibt sogar ein Bild mit zwei Seerosen, bei dem ist aber nicht ganz klar, ob es von dem Monet oder von einem (anderen) Monet stammt.
Automaten kann man aufziehen, und dann spulen sie ein Programm ab, eins greift ins andere, häufig erklingt dazu eine Melodie. Es ist aber immer dieselbe. Automaten können nicht improvisieren. Menschen aber zeichnen sich dadurch aus, dass sie gern einmal etwas Unerwartetes tun. So ist es auch bei Madame Darling. Sie will die Geister loswerden, die in ihrem Haus leben, und die einzige Möglichkeit, die sie dazu sieht, ist ein Flohmarkt. Alles muss raus. Und so stöbert bald das halbe Dorf in den Intimitäten, manche nehmen für zwanzig Euro ganz besondere Pretiosen mit, andere staunen nur über den Firlefanz, mit dem reiche Leute ihre Räume füllen.
Julie Bertuccellis Film "Der Flohmarkt von Madame Claire" heißt im französischen Original "La dernière folie de Claire Darling": eine letzte Narretei. Die bisher eher mit Dokumentarfilmen hervorgetretene Regisseurin fand die Geschichte in einem amerikanischen Roman, "Faith Bass Darling's Last Garage Sale" von Lynda Rutledge, und transferierte sie aus Texas in die idyllische französische Provinz. Faith Bass Darling, wenn man sich so etwas von fiktionalen Charakteren überhaupt ausmalen mag, hätte sich sicher nicht einmal im Traum vorstellen können, dass sie eines Tages von Catherine Deneuve im Kino verkörpert wird.
Es sind natürlich noch ein paar Vermittlungsschritte mehr zwischen Roman und Film. In erster Linie ist es aber doch die Hauptdarstellerin, die Madame Darling zu einer überreichen Figur werden lässt: Einen Film mit Catherine Deneuve kann man schwerlich von den vielen Rollen trennen, die sie davor gespielt hat, und so schillert Claire Darling nicht nur als die Inhaberin der Dingwelt, die sie auf den Flohmarkt wirft; sie schillert auch als ein Echoraum zahlloser Figuren, denen die Deneuve davor ihre kühle, häufig ein wenig majestätische Erscheinung verliehen hat. Und in "Der Flohmarkt von Madame Claire" treffen diese Erinnerungen auf eine Frau, die an ihren eigenen Erinnerungen allmählich zu verzweifeln droht. Denn es ist nicht ganz klar, was noch Gedächtnis und was vielleicht schon Verwirrung ist. Claire Darling ist jedenfalls fest davon überzeugt, dass sie nur noch diesen einen Tag zu leben hat, und in diesen Tag drängt nun alles, was ihr Leben ausgemacht hat.
So taucht auch die Tochter auf, in Panik herbeigerufen von einer befreundeten Antiquitätenhändlerin, die nicht mit ansehen kann, wie der Wert der feilgebotenen Dinge grob missachtet wird. Zwanzig Jahre war Marie nicht mehr im Schloss, zwanzig Jahre hat sie die Mutter mit sich allein gelassen. Mutter und Tochter sind voneinander entfremdet aufgrund von Vorfällen, die in "Der Flohmarkt von Madame Claire" allmählich enthüllt werden. Das geläufige Mittel dafür sind Rückblenden, doch Julie Bertuccelli sucht nach einer etwas anderen Form: Sie verschränkt die Zeiten, sie faltet Damals und Heute ineinander, als wollte sie dem Chaos im Kopf von Madame Claire möglichst genau - oder möglichst sensibel - entsprechen.
Eine Familiengeschichte nimmt Gestalt an oder zumindest Fragmente einer solchen. Szenen einer angespannten Ehe, Szenen mit einer unnahbaren Mutter, Szenen eines großbürgerlichen Haushalts, in dem Bargeld in Büchern versteckt wird, weil in Frankreich gerade eine Vermögensteuer eingeführt wurde. Im Innersten dieser nicht vergangenen Vergangenheit finden sich die Motive für Claire Darlings Konfusion: Sie hat Schuld auf sich geladen, und sie ist diese Schuld nie losgeworden. Nicht einmal die jahrzehntelange Beziehung zu dem Priester Père Georges hat ihr dafür den Mut verliehen. Stattdessen missversteht sie dessen sehr menschlichen Glauben und bittet ihn um einen Exorzismus, um eine Geisteraustreibung.
"Der Flohmarkt von Madame Claire" hat ein starkes Ensemble, nicht zuletzt dank Chiara Mastroianni, die als Tochter bestens zu der übermächtigen Mutter passt; auch Johan Leysen in der Rolle des Priesters bleibt in Erinnerung. Und doch ist der mutmaßlich größte Vorzug des Films auch sein Handicap. Catherine Deneuve scheint sich in die "Narretei" von Madame Claire eher demonstrativ denn wirklich empfunden zu fügen. Das hat eben viel mit ihrer Aura zu tun: Sie ist eine Schauspielerin, die man kaum mit Schwäche assoziiert. Und wenn sie auch in diesem Fall mit hastig angezündeten Zigaretten immer wieder innere Unruhe signalisiert, so wirkt das doch eher wie eine Demonstration. Den Fans könnte bei Madama Darling auch immer wieder Suzanne Pujol in die Quere kommen, also eine Rückblende in die Karriere von Catherine Deneuve: In "Das Schmuckstück" machte sie vor wenigen Jahren noch als Gattin eines Regenschirmfabrikanten eine großartige Komödienfigur in einem vergleichbaren Milieu.
Julie Bertuccelli aber versucht, ein französisches Monument ins Wanken zu bringen. Sie bietet dazu auch noch allerlei Effekte auf, ein Zirkus kommt in die Gegend, ein Feuerwerk wird zu einem großen Zeichen für die Zerstörung alles Automatischen. Man spürt die Bewegung, zu der wir angehalten sind, aber was sich nicht einstellt, ist eine Idee davon, was dieser schöne Begriff "folie" enthält: eine Versponnenheit, die auch einen Protest enthalten könnte. Gegen die Geister, auf deren Seite Madame Darling schon beinahe angekommen ist.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Da soll noch mal einer sagen, aus Frankreich kämen nur triste Neuigkeiten über Krawall und Feuer: Der Film "Der Flohmarkt von Madame Claire" sucht die versponnene Seite des Lebens.
In alten Häusern wohnen häufig Geister. Sie müssen gar nicht spuken, sie sind einfach da, meistens machen sie sich auf eine ganz einfache Art bemerkbar: als Erinnerungen. Das Haus von Madame Claire Darling ist besonders groß, es war früher einmal ein Schloss. In einem Dorf im Norden von Paris ist das Château Darling der Mittelpunkt. Wenngleich der Reichtum der Darlings nicht eben aus feudalen Verhältnissen stammt: Man machte in Zement.
Immerhin hat das für ein Leben gereicht, das Claire Darling nun allerdings als bedrückend empfindet. Sie ist achtzig Jahre alt und lebt allein mit einem Inventar, mit dem man ein Museum füllen könnte: Automaten und zahllose andere Antiquitäten, vieles davon sehr wertvoll. Es gibt sogar ein Bild mit zwei Seerosen, bei dem ist aber nicht ganz klar, ob es von dem Monet oder von einem (anderen) Monet stammt.
Automaten kann man aufziehen, und dann spulen sie ein Programm ab, eins greift ins andere, häufig erklingt dazu eine Melodie. Es ist aber immer dieselbe. Automaten können nicht improvisieren. Menschen aber zeichnen sich dadurch aus, dass sie gern einmal etwas Unerwartetes tun. So ist es auch bei Madame Darling. Sie will die Geister loswerden, die in ihrem Haus leben, und die einzige Möglichkeit, die sie dazu sieht, ist ein Flohmarkt. Alles muss raus. Und so stöbert bald das halbe Dorf in den Intimitäten, manche nehmen für zwanzig Euro ganz besondere Pretiosen mit, andere staunen nur über den Firlefanz, mit dem reiche Leute ihre Räume füllen.
Julie Bertuccellis Film "Der Flohmarkt von Madame Claire" heißt im französischen Original "La dernière folie de Claire Darling": eine letzte Narretei. Die bisher eher mit Dokumentarfilmen hervorgetretene Regisseurin fand die Geschichte in einem amerikanischen Roman, "Faith Bass Darling's Last Garage Sale" von Lynda Rutledge, und transferierte sie aus Texas in die idyllische französische Provinz. Faith Bass Darling, wenn man sich so etwas von fiktionalen Charakteren überhaupt ausmalen mag, hätte sich sicher nicht einmal im Traum vorstellen können, dass sie eines Tages von Catherine Deneuve im Kino verkörpert wird.
Es sind natürlich noch ein paar Vermittlungsschritte mehr zwischen Roman und Film. In erster Linie ist es aber doch die Hauptdarstellerin, die Madame Darling zu einer überreichen Figur werden lässt: Einen Film mit Catherine Deneuve kann man schwerlich von den vielen Rollen trennen, die sie davor gespielt hat, und so schillert Claire Darling nicht nur als die Inhaberin der Dingwelt, die sie auf den Flohmarkt wirft; sie schillert auch als ein Echoraum zahlloser Figuren, denen die Deneuve davor ihre kühle, häufig ein wenig majestätische Erscheinung verliehen hat. Und in "Der Flohmarkt von Madame Claire" treffen diese Erinnerungen auf eine Frau, die an ihren eigenen Erinnerungen allmählich zu verzweifeln droht. Denn es ist nicht ganz klar, was noch Gedächtnis und was vielleicht schon Verwirrung ist. Claire Darling ist jedenfalls fest davon überzeugt, dass sie nur noch diesen einen Tag zu leben hat, und in diesen Tag drängt nun alles, was ihr Leben ausgemacht hat.
So taucht auch die Tochter auf, in Panik herbeigerufen von einer befreundeten Antiquitätenhändlerin, die nicht mit ansehen kann, wie der Wert der feilgebotenen Dinge grob missachtet wird. Zwanzig Jahre war Marie nicht mehr im Schloss, zwanzig Jahre hat sie die Mutter mit sich allein gelassen. Mutter und Tochter sind voneinander entfremdet aufgrund von Vorfällen, die in "Der Flohmarkt von Madame Claire" allmählich enthüllt werden. Das geläufige Mittel dafür sind Rückblenden, doch Julie Bertuccelli sucht nach einer etwas anderen Form: Sie verschränkt die Zeiten, sie faltet Damals und Heute ineinander, als wollte sie dem Chaos im Kopf von Madame Claire möglichst genau - oder möglichst sensibel - entsprechen.
Eine Familiengeschichte nimmt Gestalt an oder zumindest Fragmente einer solchen. Szenen einer angespannten Ehe, Szenen mit einer unnahbaren Mutter, Szenen eines großbürgerlichen Haushalts, in dem Bargeld in Büchern versteckt wird, weil in Frankreich gerade eine Vermögensteuer eingeführt wurde. Im Innersten dieser nicht vergangenen Vergangenheit finden sich die Motive für Claire Darlings Konfusion: Sie hat Schuld auf sich geladen, und sie ist diese Schuld nie losgeworden. Nicht einmal die jahrzehntelange Beziehung zu dem Priester Père Georges hat ihr dafür den Mut verliehen. Stattdessen missversteht sie dessen sehr menschlichen Glauben und bittet ihn um einen Exorzismus, um eine Geisteraustreibung.
"Der Flohmarkt von Madame Claire" hat ein starkes Ensemble, nicht zuletzt dank Chiara Mastroianni, die als Tochter bestens zu der übermächtigen Mutter passt; auch Johan Leysen in der Rolle des Priesters bleibt in Erinnerung. Und doch ist der mutmaßlich größte Vorzug des Films auch sein Handicap. Catherine Deneuve scheint sich in die "Narretei" von Madame Claire eher demonstrativ denn wirklich empfunden zu fügen. Das hat eben viel mit ihrer Aura zu tun: Sie ist eine Schauspielerin, die man kaum mit Schwäche assoziiert. Und wenn sie auch in diesem Fall mit hastig angezündeten Zigaretten immer wieder innere Unruhe signalisiert, so wirkt das doch eher wie eine Demonstration. Den Fans könnte bei Madama Darling auch immer wieder Suzanne Pujol in die Quere kommen, also eine Rückblende in die Karriere von Catherine Deneuve: In "Das Schmuckstück" machte sie vor wenigen Jahren noch als Gattin eines Regenschirmfabrikanten eine großartige Komödienfigur in einem vergleichbaren Milieu.
Julie Bertuccelli aber versucht, ein französisches Monument ins Wanken zu bringen. Sie bietet dazu auch noch allerlei Effekte auf, ein Zirkus kommt in die Gegend, ein Feuerwerk wird zu einem großen Zeichen für die Zerstörung alles Automatischen. Man spürt die Bewegung, zu der wir angehalten sind, aber was sich nicht einstellt, ist eine Idee davon, was dieser schöne Begriff "folie" enthält: eine Versponnenheit, die auch einen Protest enthalten könnte. Gegen die Geister, auf deren Seite Madame Darling schon beinahe angekommen ist.
BERT REBHANDL
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