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Technische Angaben: Bildformat: 1:1.66 (anamorph) Sprachen/Tonformate: Persisch (Dolby Digital Mono) Untertitel: Deutsch Ländercode: 2 Extras: Making of u. a.
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DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl

Produktbeschreibung
Technische Angaben:
Bildformat: 1:1.66 (anamorph)
Sprachen/Tonformate: Persisch (Dolby Digital Mono)
Untertitel: Deutsch
Ländercode: 2
Extras: Making of u. a.

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.1998

Der Stand der Sonne
Abbas Kiarostami kennt keinen Gott, doch er sucht die Erlösung: "Der Geschmack der Kirsche" im Kino

Ein Mann mittleren Alters fährt im Kreis. Sein Gesichtsausdruck ist regungslos und träge, seine Kleidung gepflegt - gepflegter zumindest als die der Menschen um ihn herum -, sein Gefährt, ein Range Rover, weist auf Wohlstand hin. Doch der Mißmut, der sich in seiner Miene festgefressen hat, deutet an, daß es mit der Gleichgültigkeit nicht weit her ist. Die Augen des Mannes unter den tief herabhängenden Lidern sind hellwach und in ständiger Bewegung. Als lägen sie auf der Lauer.

Scheinbar ungerührt fährt der Mann im Kreis. Der Kreis ist der sonnenbeschienene Platz einer Stadt in der vorderasiatischen Welt - Teheran, wie man später erfahren wird. Das Licht läßt darauf schließen, daß es früh am Tag ist. Männer treten an den Wagen heran und bieten ihre Dienste an. "Suchen sie Arbeiter?" Der Mann schweigt. Manchmal mustert er einen trägen Augenaufschlag lang einen der Anwärter, dann wendet er sich ab.

Was immer er sucht, auf dem Platz in der Stadt hat er es nicht gefunden. Nach einer kleinen Ewigkeit lenkt er den Wagen aus dem Kreisverkehr. Man sieht den Range Rover ein ausgetrocknetes Flußbett durchqueren. Ein wüstes, von vielerlei Zivilisationsspuren gezeichnetes Land erstreckt sich hier. Kaum läßt sich der Industrieschrott von den noch intakten Gerätschaften unterscheiden, die in diese zerfurchte Mondlandschaft ragen. Bei manchen der Schrotthaufen scheint es sich um kleine Handwerksbetriebe zu handeln; jedenfalls finden Menschen hier ein Auskommen.

Eine tiefe Stille lastet über der erodierten Landschaft, die seltsamerweise durch das gelegentlich einsetzende Kindergeschrei, durch die Geräusche von Hämmern und Baggern und Förderbändern noch deutlicher wird. Bagger rangieren halsbrecherisch auf schmalen sandigen Straßen am Rand sandiger Schluchten. Erde, Sand und Staub, so scheint es, sind die Haupterzeugnisse dieser Region. Hie und da hat ein Aufforstungsprojekt Hänge mit jungen Bäumen hinterlassen.

Die Sonne steht jetzt etwas höher. Von dem Mann im Range Rover ist inzwischen bekannt, daß er auch lächeln kann. Ein kurzer Dialog mit zwei Kindern, die am Straßenrand in einem Autowrack spielen, hat ihm diese Regung entlockt. Im Gespräch mit einem Arbeiter, der soeben ein öffentliches Telefon verläßt, entpuppt sich der Mann bald darauf als ein beachtlicher Kasuist, zumindest als rhetorischer Könner. Doch der Angesprochene, athletisch gebaut und gutaussehend, widersetzt sich den Angeboten des Mannes. Weder will er in das Auto einsteigen, noch möchte er sich von seinen Geldsorgen befreien lassen.

Dann wird die Leinwand schwarz. Jetzt erst, nach ungefähr zehn Minuten, erscheint rot auf schwarz der Titel des Films, und der Vorspann wird abgerollt. "Der Geschmack der Kirsche" - ein Film des iranischen Regisseurs Abbas Kiarostami, unter anderem mit deutschen Fördermitteln finanziert und letztes Jahr in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet - hat mit den Konventionen des amerikanischen Erzählkinos wenig zu tun. Auch eine CD zum Film wird es schwerlich geben, denn noch während des Vorspanns läuft jener authentische Soundtrack aus Kinderschreien, Vogelkreischen, Hämmern und Baggern weiter. Er wird freilich im weiteren Verlauf der neunundneunzig Filmminuten eine hypnotische Kraft eigener Art entwickeln.

"Der Geschmack der Kirsche" erreicht den hiesigen Zuschauer als Botschaft aus einem Land, das die wenigsten aus eigenem Ansehen kennen und das im Kino zuletzt in der Schmonzette "Nicht ohne meine Tochter" als globaler Buhmann Furore machte. Vom Lebensgefühl im Iran und von den kulturellen Implikationen einer Existenz dort wissen wir wenig. Ob der Film mutig oder feige ist, ob er den Alltag in Teheran offen zeigt oder verstellt und ausblendet, bleibt uns verborgen.

Aber das schadet wenig. Denn "Der Geschmack der Kirsche" belohnt mit einer Sensualität, die dem europäischen Kino gar nicht allzu fremd sein sollte, die ihm aber in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren abhanden gekommen ist. Mit seiner getragenen, mahlend-repetitiven Dramaturgie öffnet Abbas Kiarostamis Film die Augen selbst für vermeintlich karge Schauwerte: den Stand der Sonne etwa, die in einem Film, der ausschließlich in Außenräumen spielt und dessen Handlung den Zeitraum eines einzelnen Tages umfaßt, zwangsläufig eine ganz eigene Regie führt.

Dennoch ist "Der Geschmack der Kirsche" alles andere als ein visuelles Exerzitium. Indem er sich ganz der Neugier auf das Schicksal eines Menschen überläßt, folgt der Filmautor Kiarostami einer sehr elementaren Form des Erzählens, die wiederum beim Zuschauer eine sehr elementare Form der Neugier weckt. Und da die Sinne schon einmal gespitzt sind, hört auch der Verstand genauer hin. So entgehen ihm nicht die feinen Unterschiede im Duktus der stets gleichartig strukturierten, ritualisierten Dialoge, in denen der Held des Films versucht, diverse Gesprächspartner auf seine Seite zu ziehen. Im Sinn einer neugierigen, mitleidlosen Anteilnahme entpuppt sich "Der Geschmack der Kirsche" als eminent spannendes Werk.

Wer sich anfangs keine andere als eine unsittliche Vorstellung von der Absicht des Helden machen konnte, sieht sich alsbald düpiert. Der Mann im Auto ist kein Lüstling, sondern ein Herr. Und Herrn Badiis (Homayoun Ershadi) Begehren gilt einer zwar sündigen, aber keuschen Vereinigung. Schließlich gelingt es ihm, einen kurdischen Soldaten zum Mitfahren zu bewegen und an einen abgelegenen Platz zu bringen, wo unter einem Baum ein Loch in der Erde klafft. Dort will Herr Badii sich in der Nacht mit Tabletten vergiften, dort möchte er von dem Soldaten bei Anbruch des Tages mit Erde bedeckt werden. "Denke dir: Ich bin der Dünger für den Baum dort."

Der Soldat weigert sich, und so ist Herr Badii gezwungen, seine einsame Autofahrt fortzusetzen. Einige werden noch zusteigen, ehe sich endlich jemand bereit erklärt, den gewünschten Dienst zu leisten. Man registriert die Absicht Abbas Kiarostamis, in den Gesprächspartnern ein Sozialpanorama Irans zu zeichnen. So folgt dem kurdischen Soldaten ein afghanischer Seminarist, ein angehender Geistlicher also, der mit Herrn Badii die ausstehende religiöse Diskussion über die Verwerflichkeit des Suizids führt. Interessanter aber ist das Spannungsfeld, in das der Held mit der ihn umgebenden Landschaft gerät, in der andauernd die Erde umgeschichtet wird.

"Der Geschmack der Kirsche" erpreßt keine Gefühle und erzwingt keine Erkenntnisse. Der Film maßt sich nicht einmal an, das Gefühl der Verzweiflung angemessen wiederzugeben: Niemals gibt Herr Badii den Grund seiner Todessehnsucht preis. Nicht der Grund, sondern die Tiefe seines Begehrens ist das Thema. Wollte man einen europäischen Vergleich für Abbas Kiarostamis Arbeit suchen, man fände ihn am ehesten in den frühen Filmen Pier Paolo Pasolinis; "Accatone" etwa oder "Mamma Roma" - und das nicht nur, weil hier wie dort die im Staub versickernden Ausläufer der Metropole den Schauplatz bilden, sondern wegen der Konsequenz, mit der beide Regisseure der Sehnsucht ihrer Figuren nach Erlösung folgen - notfalls, ohne zu wissen, wohin die Suche führt. So scheint es zumindest, als der Film am Schluß mit einer enttäuschenden selbstreferentiellen Pointe aufwartet. Doch zu diesem Zeitpunkt ist es für jede Ausflucht in die Metaebene längst zu spät: "Der Geschmack der Kirsche" hat bereits nichts Geringeres als eine areligiöse Erlösungsgeschichte erzählt. STEFFEN JACOBS

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