Jacques und sein jüdischer Freund Simon starten in den 30er Jahren in Paris eine erfolgreiche Karriere als Ganoven und haben immer die Polizei im Nacken. Das ändert sich während des Zweiten Weltkriegs, als sie plötzlich auf einer Seite stehen. Doch schon bald nach Kriegsende nimmt der Polizist Blanchot die Verfolgung wieder auf und das alte Katz-und-Maus-Spiel beginnt von vorne.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2007Das Problem mit dem langsamen Tanzen
Ewig flüchtig: "Der Gute und die Bösen" von Claude Lelouch
Claude Lelouch: "Der Gute und die Bösen".
Warner Home Video. Frankreich 1973. 117 Minuten. Deutsch, Französisch, Mono. Keine Extras.
Eine Gangsterfilm-Charmeoffensive des notorischsten aller französischen Leichtfuß-Regisseure der Sechziger und Siebziger. Gaunerkomödie, Zeitbild des grotesken Vichy-Staats. Gleichzeitig eine Tragödie, erzählt sozusagen in milden Pastellfarben, gedreht in Schwarzweiß. Jacques Dutronc als Butch-Cassidy-Verschnitt in einem Paris der hereinbrechenden Dunkelheit des Naziregimes. Mit Marlène Jobert und mit dem knuddeligen Jacques Villeret, der bei Lelouch oft den besten Freund des Helden spielt. Mit Bruno Cremer als Polizisten-Gegenspieler. Und als dessen Gattin Brigitte Fossey, die eine unglaubliche Figur abgibt. Es geht darum, dass Dutronc als hochbegabter Automechaniker (und total erfolgloser Boxer) die Fluchtwagen der Gangster auf so hohe Geschwindigkeiten frisieren kann, dass die ganze Pariser Polizei nicht mehr hinterherkommt. Konsequenterweise beschließt Dutronc, selber eine Räuberbande zu gründen. Ziemlich erfolgreich, sogar während der deutschen Okkupation. Aber gegen Ende des Kriegs muss er sich dann massiv mit den Lemuren der Nazis (darunter sehr faszinierend Georg Marischka!) und mit den Kollaborateuren auf der französischen Seite auseinandersetzen.
Einen typischen Lelouch-Kennenlern-Dialog gibt es, als Dutronc die Hure Marlène Jobert zum ersten Mal beim Tanzen in einem (wirklich wundervoll gefilmten) kleinen Pariser Lokal sieht: "Wollen Sie tanzen?" - "Nein, keine langsamen Tänze." - Daraufhin verschafft er sich mit einem Trick bei ihr Zutritt. Danach muss sie aus Dankbarkeit mit ihm tanzen, weil er sie heldenhaft gegen einen Typen verteidigt hat, der sich sein Tanzrecht bei ihr mit Gewalt nehmen wollte (in Wirklichkeit war der Schläger aber von Dutronc und Villeret bezahlt). Also tanzen sie jetzt doch "slow" miteinander. Er nun wieder: "Was ist denn das Problem mit den langsamen Tänzen?" - Sie: "Das Problem ist das, was nachher passiert." - "Aha. Und woher haben Sie die hübsche kleine Narbe im Gesicht?" - "Eben daher." - "Ach, ein Slowfox, der in einen Kriegstanz übergegangen ist?" - Sie, völlig ausdruckslos in seinen Armen wie eine Holzpuppe: "Sehr witzig." Er ahnt schon, dass sie nur an der Oberfläche eine derart schnoddrige Dame ist. Bald sind sie ein Liebespaar und bald danach Geschäftspartner.
Und eine sehr üble - in ihrer Bosheit völlig überraschende - Szene kommt dann gegen Ende des Films: Als der zuvor so kultiviert auftretende Nazikommandant Marischka den hündisch untergebenen Polizisten Bruno Cremer dazu auffordert, entweder die eigene, untreue Ehefrau wegen vermutlicher Zusammenarbeit mit der Résistance hier und jetzt in seinem Büro zu erschießen . . . oder sich selbst. Wenn er nicht schießt - dann werden sie beide sofort liquidiert.
Sicher einer von Lelouchs besten Filmen. Fast jede Szene ist nur in einer einzigen (und meistens sehr bewegten) Einstellung gedreht, was das Ganze stark im Fluss hält. Es gab 1975 noch keine echte Steadycam, aber Lelouch nimmt ihre automatisierten Sog-Bewegungen hier bereits vorweg. Manchmal wirkt dieses one-scene/one-shot-Konzept zwar ein wenig gezwungen. Aber es macht auch das Dramatische ebenso wie das Witzige so beiläufig. Und es ergibt sich dabei ein Gefühl, als ob wir alle - auch als Zuschauer - im Grunde dem Schicksal anderer Leute gegenüber viel gleichgültiger sind, als wir wahrhaben wollen.
Filmhistorisch ist der Film völlig nichtsnutzig. Weder richtig innovativ, noch damals ein Hit. Er bekam weder einen gewichtigen Preis, noch wurde er jemals von irgendeinem Filmkritiker dieser Welt hervorgehoben. Er war einfach nur ein unerheblicher, schöner Film. Und er war im Meer der Siebziger-Filme versunken, bis ihn vor anderthalb Jahren eine recht lieblose (dafür aber ziemlich vollständige) Edition von Lelouch-Filmen in sechs Paketen bei uns wieder an die Oberfläche gespült hat.
Dieses Jahr wird Lelouch siebzig Jahre alt. Vielleicht wollte er ja mit seinen Filmen immer viel mehr sagen, als es die schlichte Botschaft im Titel eines seiner erfolgreichsten Filme suggeriert: "Vivre pour vivre" (Lebe das Leben). Aber die schönste Errungenschaft bei ihm scheint einem ja gerade die, dass ihm das Große, Schwere so selten gelungen ist. Meistens sind seine Geschichten wie unabsichtlich in Leichtigkeit gefangen. Alle seine formalen und inhaltlichen Überkonstruktionen, all seine Kamerakonzepte, raffinierten Rückblenden, alle Übertreibungen sind letztlich nur dazu da, um selbst schwerwiegendste Themen (Gestapo, Judenvernichtung, Denunziation während der Résistance etcetera) geradezu in einem Schwebezustand eingekerkert zu halten. Um sie letztlich nicht zu nah an sich herankommen zu lassen. Beim Zusehen denkt man manchmal, dass eigentlich die meisten Regisseure mit viel Aufwand recht wenig zu sagen haben - und dass es aber ein sehr schöner Lebenszeitvertreib sein kann, diese Tatsache möglichst eloquent und selbstironisch zu kaschieren.
Anstatt also allenthalben auf einen wie Lelouch zu schimpfen - "prätentiös!", "Hochglanzbilder!", "Leere hinter der Fassade!" -, könnte man auch mal dankbar dafür sein, dass seine Filme sich so oft bereits in dem Moment, in dem sie vorübergezogen sind, in Luft auflösen. Und dabei einen meistens sanften Nachgeschmack hinterlassen. So wie ihn ein Schweizer Schokoladenfabrikant einst auf seiner Verpackung umschreiben ließ: "Leicht wiederholbar bleibt er dennoch flüchtig."
DOMINIK GRAF
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ewig flüchtig: "Der Gute und die Bösen" von Claude Lelouch
Claude Lelouch: "Der Gute und die Bösen".
Warner Home Video. Frankreich 1973. 117 Minuten. Deutsch, Französisch, Mono. Keine Extras.
Eine Gangsterfilm-Charmeoffensive des notorischsten aller französischen Leichtfuß-Regisseure der Sechziger und Siebziger. Gaunerkomödie, Zeitbild des grotesken Vichy-Staats. Gleichzeitig eine Tragödie, erzählt sozusagen in milden Pastellfarben, gedreht in Schwarzweiß. Jacques Dutronc als Butch-Cassidy-Verschnitt in einem Paris der hereinbrechenden Dunkelheit des Naziregimes. Mit Marlène Jobert und mit dem knuddeligen Jacques Villeret, der bei Lelouch oft den besten Freund des Helden spielt. Mit Bruno Cremer als Polizisten-Gegenspieler. Und als dessen Gattin Brigitte Fossey, die eine unglaubliche Figur abgibt. Es geht darum, dass Dutronc als hochbegabter Automechaniker (und total erfolgloser Boxer) die Fluchtwagen der Gangster auf so hohe Geschwindigkeiten frisieren kann, dass die ganze Pariser Polizei nicht mehr hinterherkommt. Konsequenterweise beschließt Dutronc, selber eine Räuberbande zu gründen. Ziemlich erfolgreich, sogar während der deutschen Okkupation. Aber gegen Ende des Kriegs muss er sich dann massiv mit den Lemuren der Nazis (darunter sehr faszinierend Georg Marischka!) und mit den Kollaborateuren auf der französischen Seite auseinandersetzen.
Einen typischen Lelouch-Kennenlern-Dialog gibt es, als Dutronc die Hure Marlène Jobert zum ersten Mal beim Tanzen in einem (wirklich wundervoll gefilmten) kleinen Pariser Lokal sieht: "Wollen Sie tanzen?" - "Nein, keine langsamen Tänze." - Daraufhin verschafft er sich mit einem Trick bei ihr Zutritt. Danach muss sie aus Dankbarkeit mit ihm tanzen, weil er sie heldenhaft gegen einen Typen verteidigt hat, der sich sein Tanzrecht bei ihr mit Gewalt nehmen wollte (in Wirklichkeit war der Schläger aber von Dutronc und Villeret bezahlt). Also tanzen sie jetzt doch "slow" miteinander. Er nun wieder: "Was ist denn das Problem mit den langsamen Tänzen?" - Sie: "Das Problem ist das, was nachher passiert." - "Aha. Und woher haben Sie die hübsche kleine Narbe im Gesicht?" - "Eben daher." - "Ach, ein Slowfox, der in einen Kriegstanz übergegangen ist?" - Sie, völlig ausdruckslos in seinen Armen wie eine Holzpuppe: "Sehr witzig." Er ahnt schon, dass sie nur an der Oberfläche eine derart schnoddrige Dame ist. Bald sind sie ein Liebespaar und bald danach Geschäftspartner.
Und eine sehr üble - in ihrer Bosheit völlig überraschende - Szene kommt dann gegen Ende des Films: Als der zuvor so kultiviert auftretende Nazikommandant Marischka den hündisch untergebenen Polizisten Bruno Cremer dazu auffordert, entweder die eigene, untreue Ehefrau wegen vermutlicher Zusammenarbeit mit der Résistance hier und jetzt in seinem Büro zu erschießen . . . oder sich selbst. Wenn er nicht schießt - dann werden sie beide sofort liquidiert.
Sicher einer von Lelouchs besten Filmen. Fast jede Szene ist nur in einer einzigen (und meistens sehr bewegten) Einstellung gedreht, was das Ganze stark im Fluss hält. Es gab 1975 noch keine echte Steadycam, aber Lelouch nimmt ihre automatisierten Sog-Bewegungen hier bereits vorweg. Manchmal wirkt dieses one-scene/one-shot-Konzept zwar ein wenig gezwungen. Aber es macht auch das Dramatische ebenso wie das Witzige so beiläufig. Und es ergibt sich dabei ein Gefühl, als ob wir alle - auch als Zuschauer - im Grunde dem Schicksal anderer Leute gegenüber viel gleichgültiger sind, als wir wahrhaben wollen.
Filmhistorisch ist der Film völlig nichtsnutzig. Weder richtig innovativ, noch damals ein Hit. Er bekam weder einen gewichtigen Preis, noch wurde er jemals von irgendeinem Filmkritiker dieser Welt hervorgehoben. Er war einfach nur ein unerheblicher, schöner Film. Und er war im Meer der Siebziger-Filme versunken, bis ihn vor anderthalb Jahren eine recht lieblose (dafür aber ziemlich vollständige) Edition von Lelouch-Filmen in sechs Paketen bei uns wieder an die Oberfläche gespült hat.
Dieses Jahr wird Lelouch siebzig Jahre alt. Vielleicht wollte er ja mit seinen Filmen immer viel mehr sagen, als es die schlichte Botschaft im Titel eines seiner erfolgreichsten Filme suggeriert: "Vivre pour vivre" (Lebe das Leben). Aber die schönste Errungenschaft bei ihm scheint einem ja gerade die, dass ihm das Große, Schwere so selten gelungen ist. Meistens sind seine Geschichten wie unabsichtlich in Leichtigkeit gefangen. Alle seine formalen und inhaltlichen Überkonstruktionen, all seine Kamerakonzepte, raffinierten Rückblenden, alle Übertreibungen sind letztlich nur dazu da, um selbst schwerwiegendste Themen (Gestapo, Judenvernichtung, Denunziation während der Résistance etcetera) geradezu in einem Schwebezustand eingekerkert zu halten. Um sie letztlich nicht zu nah an sich herankommen zu lassen. Beim Zusehen denkt man manchmal, dass eigentlich die meisten Regisseure mit viel Aufwand recht wenig zu sagen haben - und dass es aber ein sehr schöner Lebenszeitvertreib sein kann, diese Tatsache möglichst eloquent und selbstironisch zu kaschieren.
Anstatt also allenthalben auf einen wie Lelouch zu schimpfen - "prätentiös!", "Hochglanzbilder!", "Leere hinter der Fassade!" -, könnte man auch mal dankbar dafür sein, dass seine Filme sich so oft bereits in dem Moment, in dem sie vorübergezogen sind, in Luft auflösen. Und dabei einen meistens sanften Nachgeschmack hinterlassen. So wie ihn ein Schweizer Schokoladenfabrikant einst auf seiner Verpackung umschreiben ließ: "Leicht wiederholbar bleibt er dennoch flüchtig."
DOMINIK GRAF
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