Die Engel Damiel und Cassiel wandern durch das geteilte Berlin, beobachten die Menschen und lauschen ihren Gedanken. Als Damiel sich in die Trapezkünstlerin Marion verliebt, erwächst in ihm das Verlangen, selbst Mensch zu werden. Er gibt seine Unsterblichkeit auf, um das zu erleben, was Engeln vorenthalten bleibt: die irdische Existenz und die sinnliche Erfahrung des Menschseins...
Bonusmaterial
- Kinotrailer - Kapitel- / Szenenanwahl - Audiokommentar von Wim Wenders - Audiokommentar von Wim Wenders und Peter Falk - geschnittene Szenen - Wim Wenders befragt von Roger WillemsenFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.1999Der Schimmel über Berlin
Wim Wenders' Stadtepos hat mit den Jahren an Charme gewonnen
Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein Engel fällt vom Himmel, verliebt sich, hängt die Flügel an den Nagel und tauscht seine Unsterblichkeit gegen eine blond gelockte Braut vom Zirkus ein. Daraus wäre, unter Kaliforniens gütiger Sonne gedreht, ein netter Ferienfilm für die ganze Familie geworden, eine prima Folie, um kollektiv Popcorn zu naschen und einen Augenblick lang zu vergessen, welches Loch die Kirchensteuer Monat für Monat ins häusliche Budget reißt. Aber dieser Streifen hat mit der Sonne wenig am Hut. Er spielt unter Wolken, vermutlich im Herbst, vermutlich im November, denn er ist ein Meister aus Deutschland, ein Klassiker aus den Achtzigern. Ort der Handlung ist, hier lügt der Titel nicht, Berlin.
Nur drei Jahre noch trennen die Stadt vom Fall der Mauer, 41 sind bereits vergangen, seit hier die Bomben des letzten Krieges fielen. Die Zwischenzeit neigt sich dem Ende zu, doch davon weiß weder Berlin noch Regisseur Wim Wenders etwas, der sich und seine Mannschaft über die Brachen der Mauerstadt treibt, um uns die Geschichte des von einer Sinnkrise gebeutelten Engels Damiel zu erzählen.
Im Gegenteil. Wir sehen Berlin mit den Augen der himmlischen Kollegen grau in grau. Die Stadt als Geisel ihrer blutigen Vergangenheit, von der Welt scheinbar verdammt, bis in alle Ewigkeit in der Warteschleife zu kreisen. NS-Wochenschaufetzen hier und dort, und wo nicht, versucht ein amerikanisches Filmteam, die Zeit des 45er Knockout mit einem Großaufgebot an Statisten einzufrieren. Die Zukunft findet woanders statt und so ist es nur folgerichtig, dass die von Gott und Wim gesandten Engel mehrheitlich auf Leute treffen, die anscheinend allein die Frage quält: Springe ich oder nicht, und wenn ja, jetzt oder doch erst später? Freilich, in so eine triste Welt für immer hineinzutauchen ist selbst solch melancholisch gestimmten Himmelsboten, wie sie kongenial von den angegrauten Herren Ganz und Sanders gespielt werden, nicht zuzumuten. Helfen kann da nur, wir sind schließlich im Film, die Liebe. Die hängt in diesem Fall etwas ratlos am Seil und in der Kuppel, spricht mit französischem Akzent und ist, wie bereits erwähnt, beim Zirkus. Wo sonst, schließlich geht es um Freiheit und Zauber und natürlich um den Tod, der, so will es Wenders, auch Engel Damiel droht, sobald er sein irdisch-weibliches Glück mit Händen fassen kann. Das alles wird einem immer wieder unter die Nase gerieben, weil die in die Jahre gekommenen Engel ihre Berliner Zeit zumeist damit verbringen, sich gegenseitig die bedeutungsschwangeren Sätze an den Kopf zu werfen, die ihnen Wenders mit Unterstützung Peter Handkes ins Drehbuch schrieb. Offensichtlich, so ahnen wir schnell, ist die Welt über den Wolken auch nicht viel besser als zu unseren Füßen. Vielleicht sogar noch schlimmer, denn außer an der Gelegenheit zum Sex mangelt es dort oben sogar an Kaffee. Also fast wie im Osten, von dem man allerdings hier nicht viel mehr sieht als den langen Wall, den er aus Selbsterhaltungstrieb um sich zog. Irgendwann versteht man schließlich, warum es Damiel in die Sterblichkeit treibt, und als er, nach gut zwei Kinostunden, den Schritt schließlich wagt, möchte man ihm am liebsten anerkennend auf die Schulter klopfen. Jedenfalls kommt nun Farbe in den Film, Berlin wird wieder bunt, erst die Mauer, dann die Maus vom Zirkus und auch unser Engel, Bruno Ganz, der ihr jetzt endlich als Mensch und Mann zu Nick Daves düster-schönen Gesängen die Treue schwören kann. Über zwölf Jahre nach seiner umjubelten Erstaufführung hat dieser Film zwar nicht an Pep, wohl aber an Charme gewonnen. Das liegt weniger an Wenders' Story, die zwar an Patina, aber nicht an Dramatik gewinnt, als vielmehr an den öden Orten und den dunklen Stimmungen, durch die uns der Film zieht und die täglich und mit jeder Baukrandrehung ein Stück weiter in die Ferne rücken.
ANDRÉ MEIER.
Heute um 22 Uhr im Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wim Wenders' Stadtepos hat mit den Jahren an Charme gewonnen
Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein Engel fällt vom Himmel, verliebt sich, hängt die Flügel an den Nagel und tauscht seine Unsterblichkeit gegen eine blond gelockte Braut vom Zirkus ein. Daraus wäre, unter Kaliforniens gütiger Sonne gedreht, ein netter Ferienfilm für die ganze Familie geworden, eine prima Folie, um kollektiv Popcorn zu naschen und einen Augenblick lang zu vergessen, welches Loch die Kirchensteuer Monat für Monat ins häusliche Budget reißt. Aber dieser Streifen hat mit der Sonne wenig am Hut. Er spielt unter Wolken, vermutlich im Herbst, vermutlich im November, denn er ist ein Meister aus Deutschland, ein Klassiker aus den Achtzigern. Ort der Handlung ist, hier lügt der Titel nicht, Berlin.
Nur drei Jahre noch trennen die Stadt vom Fall der Mauer, 41 sind bereits vergangen, seit hier die Bomben des letzten Krieges fielen. Die Zwischenzeit neigt sich dem Ende zu, doch davon weiß weder Berlin noch Regisseur Wim Wenders etwas, der sich und seine Mannschaft über die Brachen der Mauerstadt treibt, um uns die Geschichte des von einer Sinnkrise gebeutelten Engels Damiel zu erzählen.
Im Gegenteil. Wir sehen Berlin mit den Augen der himmlischen Kollegen grau in grau. Die Stadt als Geisel ihrer blutigen Vergangenheit, von der Welt scheinbar verdammt, bis in alle Ewigkeit in der Warteschleife zu kreisen. NS-Wochenschaufetzen hier und dort, und wo nicht, versucht ein amerikanisches Filmteam, die Zeit des 45er Knockout mit einem Großaufgebot an Statisten einzufrieren. Die Zukunft findet woanders statt und so ist es nur folgerichtig, dass die von Gott und Wim gesandten Engel mehrheitlich auf Leute treffen, die anscheinend allein die Frage quält: Springe ich oder nicht, und wenn ja, jetzt oder doch erst später? Freilich, in so eine triste Welt für immer hineinzutauchen ist selbst solch melancholisch gestimmten Himmelsboten, wie sie kongenial von den angegrauten Herren Ganz und Sanders gespielt werden, nicht zuzumuten. Helfen kann da nur, wir sind schließlich im Film, die Liebe. Die hängt in diesem Fall etwas ratlos am Seil und in der Kuppel, spricht mit französischem Akzent und ist, wie bereits erwähnt, beim Zirkus. Wo sonst, schließlich geht es um Freiheit und Zauber und natürlich um den Tod, der, so will es Wenders, auch Engel Damiel droht, sobald er sein irdisch-weibliches Glück mit Händen fassen kann. Das alles wird einem immer wieder unter die Nase gerieben, weil die in die Jahre gekommenen Engel ihre Berliner Zeit zumeist damit verbringen, sich gegenseitig die bedeutungsschwangeren Sätze an den Kopf zu werfen, die ihnen Wenders mit Unterstützung Peter Handkes ins Drehbuch schrieb. Offensichtlich, so ahnen wir schnell, ist die Welt über den Wolken auch nicht viel besser als zu unseren Füßen. Vielleicht sogar noch schlimmer, denn außer an der Gelegenheit zum Sex mangelt es dort oben sogar an Kaffee. Also fast wie im Osten, von dem man allerdings hier nicht viel mehr sieht als den langen Wall, den er aus Selbsterhaltungstrieb um sich zog. Irgendwann versteht man schließlich, warum es Damiel in die Sterblichkeit treibt, und als er, nach gut zwei Kinostunden, den Schritt schließlich wagt, möchte man ihm am liebsten anerkennend auf die Schulter klopfen. Jedenfalls kommt nun Farbe in den Film, Berlin wird wieder bunt, erst die Mauer, dann die Maus vom Zirkus und auch unser Engel, Bruno Ganz, der ihr jetzt endlich als Mensch und Mann zu Nick Daves düster-schönen Gesängen die Treue schwören kann. Über zwölf Jahre nach seiner umjubelten Erstaufführung hat dieser Film zwar nicht an Pep, wohl aber an Charme gewonnen. Das liegt weniger an Wenders' Story, die zwar an Patina, aber nicht an Dramatik gewinnt, als vielmehr an den öden Orten und den dunklen Stimmungen, durch die uns der Film zieht und die täglich und mit jeder Baukrandrehung ein Stück weiter in die Ferne rücken.
ANDRÉ MEIER.
Heute um 22 Uhr im Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main