Allan Karlsson (Robert Gustaffson) hat Geburtstag - er wird 100 Jahre alt. Doch anstatt sich auf die geplante Geburtstagsfeier zu freuen, verschwindet er lieber kurzerhand aus dem Altersheim und macht sich in seinen Pantoffeln auf den Weg zum örtlichen Busbahnhof. Raus aus der Langeweile und rein in ein neues Abenteuer, dass ist Allans Ziel. Während seiner Reise kommt er erst zu einem riesigen Vermögen, findet neue Freunde und trifft auf Gauner, Ganoven und Kriminelle, bevor er sich mit Elefantendame Sonja auf den Weg nach Indonesien macht. All das ist für Allan aber schon lange nichts Besonderes mehr, hat er doch die letzten 100 Jahre maßgeblich dazu beigetragen das politische Geschehen in der Welt unbewusst auf den Kopf zu stellen...
Bonusmaterial
Making of, Interview, Trailer, Wendecover.Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2014Der ahnungslose Anarch
Sprengen und saufen: "Der Hundertjährige" im Kino
Kein Buch, das in 35 Sprachen übersetzt und allein in Deutschland mehr als zwei Millionen Mal verkauft wurde, ist auf Dauer vor seiner Verfilmung sicher. Literarisch betrachtet, ist der Erfolg von Jonas Jonassons Weltbestseller ein gigantisches Rätsel. Im Kino hingegen lässt "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" nicht die kleinste Frage offen: eine filmgewordene Altherrenstrickjacke mit viel Platz für die ganze Familie. Nach spätestens einer Stunde sind dem Zuschauer Filzpantoffel gewachsen, mit denen er wie der Held Allan Karlsson aus dem Fenster steigen möchte, um zu verschwinden. Aber so einfach ist die Sache nicht: Kinosäle haben keine Fenster. Erst nach 114 Minuten ist endlich alles vorbei.
Was in diesem Zeitraum geschieht? Sehr viel, fast das gesamte zwanzigste Jahrhundert zieht vorüber. Karlsson flüchtet an seinem hundertsten Geburtstag aus dem Altersheim und tut, was er sein Leben lang getan hat: Er lässt sich treiben und hofft auf eine günstige Gelegenheit, den beiden einzigen Leidenschaften zu frönen, die er kennt, Dynamit und Schnaps. Beides hat mehr miteinander zu tun, als es zunächst den Anschein hat.
Denn obwohl im Buch wie im Film schal gewordene Lebensweisheiten zuhauf und meistens lauwarm serviert werden, folgt Karlsson im Grunde nur dieser einen Maxime: Was man nicht trinken kann, sollte man am besten gleich in die Luft sprengen. Von Kindheit an ist er vom Dynamit besessen, mit geringfügiger Verzögerung kommt die Lust am Schnaps hinzu: zum Sprengen geboren, zum Saufen bestellt.
Also sprengt er erst einmal den dicken Kolonialwarenhändler in die Luft. Das ist noch ein Versehen, wird aber hart bestraft: Einweisung in die Psychiatrie sowie Zwangssterilisation. Dann sprengt er Brücken im Spanischen Bürgerkrieg und rettet zufällig Franco das Leben, was ihm später Stalin so übel nehmen wird, dass er Karlsson ins Arbeitslager nach Wladiwostok verbannt, wo der Held die Gelegenheit nutzt, die ganze Stadt in die Luft zu jagen - und mit ihr die russische Pazifikflotte, die hier vor Anker liegt.
All dies und noch viel mehr wird in Rückblenden von Karlsson selbst erzählt, während der Alte auf der Gegenwartsebene mit ein paar Zufallsbekanntschaften samt einer Elefantendame auf der Flucht ist vor einigen Mitgliedern der schwedischen Räuber-Hotzenplotz-Mafia, denen er ebenso absichtslos-beiläufig einen Koffer mit fünfzig Millionen Kronen gestohlen hat, wie er Robert Oppenheimer in Los Alamos zum entscheidenden Schritt bei der Entwicklung der Atombombe verhalf.
Karlsson ist ein prototypischer Held des zwanzigsten Jahrhunderts: Mitläufer und Doppelagent, absolut unbeteiligt und in alles verwickelt, harmlos und tödlich, auf banale Weise genial und auf banale Weise böse. Ein einfältiger Mann ohne Eigenschaften und Interessen, der seine Bomben zündet, wie er seine zahllosen Schnäpse herunterkippt: als wäre das alles nichts. Eigentlich ist dieser Hundertjährige also eine durch und durch unheimliche Figur. Kein reiner Tor, sondern ein Anarch aus Ahnungslosigkeit, der Dominostein, der nicht zum Spiel gehört, aber absichtslos dessen Ausgang entscheidet.
Vom Potential her könnte er größer sein als Woody Allens "Zelig" (1983) und Robert Zemeckis "Forrest Gump" (1994). Aber das wollten weder der Autor Jonas Jonasson noch der Regisseur Felix Herngren. Sie haben diesem Hundertjährigen alles Unheimliche ausgetrieben, weil sie ihn lieber gemütlich wollten: ein schwedischer Michel als Zaungast der Weltgeschichte, in der einen Hand eine Stange Dynamit, in der anderen eine Flasche Schnaps. Unverwüstlich. Darin liegt sein Erfolg.
HUBERT SPIEGEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sprengen und saufen: "Der Hundertjährige" im Kino
Kein Buch, das in 35 Sprachen übersetzt und allein in Deutschland mehr als zwei Millionen Mal verkauft wurde, ist auf Dauer vor seiner Verfilmung sicher. Literarisch betrachtet, ist der Erfolg von Jonas Jonassons Weltbestseller ein gigantisches Rätsel. Im Kino hingegen lässt "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" nicht die kleinste Frage offen: eine filmgewordene Altherrenstrickjacke mit viel Platz für die ganze Familie. Nach spätestens einer Stunde sind dem Zuschauer Filzpantoffel gewachsen, mit denen er wie der Held Allan Karlsson aus dem Fenster steigen möchte, um zu verschwinden. Aber so einfach ist die Sache nicht: Kinosäle haben keine Fenster. Erst nach 114 Minuten ist endlich alles vorbei.
Was in diesem Zeitraum geschieht? Sehr viel, fast das gesamte zwanzigste Jahrhundert zieht vorüber. Karlsson flüchtet an seinem hundertsten Geburtstag aus dem Altersheim und tut, was er sein Leben lang getan hat: Er lässt sich treiben und hofft auf eine günstige Gelegenheit, den beiden einzigen Leidenschaften zu frönen, die er kennt, Dynamit und Schnaps. Beides hat mehr miteinander zu tun, als es zunächst den Anschein hat.
Denn obwohl im Buch wie im Film schal gewordene Lebensweisheiten zuhauf und meistens lauwarm serviert werden, folgt Karlsson im Grunde nur dieser einen Maxime: Was man nicht trinken kann, sollte man am besten gleich in die Luft sprengen. Von Kindheit an ist er vom Dynamit besessen, mit geringfügiger Verzögerung kommt die Lust am Schnaps hinzu: zum Sprengen geboren, zum Saufen bestellt.
Also sprengt er erst einmal den dicken Kolonialwarenhändler in die Luft. Das ist noch ein Versehen, wird aber hart bestraft: Einweisung in die Psychiatrie sowie Zwangssterilisation. Dann sprengt er Brücken im Spanischen Bürgerkrieg und rettet zufällig Franco das Leben, was ihm später Stalin so übel nehmen wird, dass er Karlsson ins Arbeitslager nach Wladiwostok verbannt, wo der Held die Gelegenheit nutzt, die ganze Stadt in die Luft zu jagen - und mit ihr die russische Pazifikflotte, die hier vor Anker liegt.
All dies und noch viel mehr wird in Rückblenden von Karlsson selbst erzählt, während der Alte auf der Gegenwartsebene mit ein paar Zufallsbekanntschaften samt einer Elefantendame auf der Flucht ist vor einigen Mitgliedern der schwedischen Räuber-Hotzenplotz-Mafia, denen er ebenso absichtslos-beiläufig einen Koffer mit fünfzig Millionen Kronen gestohlen hat, wie er Robert Oppenheimer in Los Alamos zum entscheidenden Schritt bei der Entwicklung der Atombombe verhalf.
Karlsson ist ein prototypischer Held des zwanzigsten Jahrhunderts: Mitläufer und Doppelagent, absolut unbeteiligt und in alles verwickelt, harmlos und tödlich, auf banale Weise genial und auf banale Weise böse. Ein einfältiger Mann ohne Eigenschaften und Interessen, der seine Bomben zündet, wie er seine zahllosen Schnäpse herunterkippt: als wäre das alles nichts. Eigentlich ist dieser Hundertjährige also eine durch und durch unheimliche Figur. Kein reiner Tor, sondern ein Anarch aus Ahnungslosigkeit, der Dominostein, der nicht zum Spiel gehört, aber absichtslos dessen Ausgang entscheidet.
Vom Potential her könnte er größer sein als Woody Allens "Zelig" (1983) und Robert Zemeckis "Forrest Gump" (1994). Aber das wollten weder der Autor Jonas Jonasson noch der Regisseur Felix Herngren. Sie haben diesem Hundertjährigen alles Unheimliche ausgetrieben, weil sie ihn lieber gemütlich wollten: ein schwedischer Michel als Zaungast der Weltgeschichte, in der einen Hand eine Stange Dynamit, in der anderen eine Flasche Schnaps. Unverwüstlich. Darin liegt sein Erfolg.
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