Törless kommt auf ein Internat für Jungen aus wohlhabenden Kreisen. Schnell durchschaut er die Machtstrukturen, hält sich aber bewusst im Hintergrund. Mit zwei Schülern gründet er eine Art Geheimbund, und als ein Außenseiter des Diebstahls überführt wird, zeigen sie ihn nicht bei der Leitung an, sondern quälen und missbrauchen ihn. Törless ist von Gewalt fasziniert und angewidert zugleich.
Bonusmaterial
Interview mit Volker Schlöndorff, Filmmusik mit Einleitung von Volker Schlöndorff, Trailer, WendecoverVolker Schlöndorffs "Junger Törleß" zeigt die Risiken der Abgeschiedenheit von Internaten
Volker Schlöndorff: "Der junge Törleß".
Arthaus, 84 Minuten. Extras: Gespräch mit Volker Schlöndorff, Filmmusik, Trailer.
Als Volker Schlöndorffs erster Spielfilm, "Der junge Törleß", 1966 in die deutschen Kinos kam, pries der Verleih ihn an als Porträt eines Internats "zeitloser Art". Das mochte man nicht glauben, hatte Schlöndorff, der auch das Drehbuch geschrieben hatte, doch Treue zu Robert Musils literarischer Vorlage gewahrt, die um die Jahrhundertwende am östlichen Rand des Habsburgerreiches angesiedelt ist. Dieser narrative Rahmen blieb streng gewahrt: Das Gebäude, das als Filmkulisse für das Internat "Prinz Eugen" in dem fiktiven galizischen Ort Neudorf diente, lag zwar eigentlich in Österreich - Schlöndorff war durch einen Tipp von Werner Herzog darauf gestoßen -, doch es gelang dem Regisseur, durch die makellose Schwarzweißfotografie von Franz Rath und die detailversessene Ausstattung eine Stimmung des frühen zwanzigsten Jahrhunderts zu beschwören, die 1966 wie aus der Zeit gefallen schien. Kein Kostümfilm, aber eine Wiederbelebung in aestheticis - Michael Haneke hat mit "Das weiße Band" genau dasselbe noch einmal geschafft.
Heute aber müssen wir feststellen, dass der Werbeslogan zum "Jungen Törleß" nur zu berechtigt war. Schlöndorff dokumentiert in seinem Spielfilm eine Gewaltbereitschaft, die im abgesonderten Leben der Internate leichter bestehen kann als an anderen Schulen. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass sowohl Musil, für den der Roman "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" gleichfalls sein Debüt war, als auch Schlöndorff Internatszöglinge waren - der österreichische Schriftsteller besuchte die Kadettenanstalt in Eisenstadt, der deutsche, aber in Frankreich aufgewachsene Regisseur eine Jesuitenschule in der Bretagne und die elitäre Lycée Henri IV. in Paris. Beiden waren ihre ersten künstlerischen Hervorbringungen also auch autobiographische Herzenssachen, und diese Vertrautheit mit dem Thema merkt man Buch wie Film jeweils an.
Nun spielt in Schlöndorffs Adaption, die schon durch den geänderten Titel einen Wechsel der Perspektive anzeigt - weg vom kalt-klinischen psychologischen Porträt, hin zum subjektiv-individuellen Schicksal -, die Gewalt von Lehrern gegenüber Schülern oder gar Missbrauch von Erwachsenen an Jugendlichen keine Rolle. Die Weckrituale im Großschlafsaal der reinen Knabenschule beschränken sich aufs Glockengeläute des Pedells, und nicht einmal ist körperliche Züchtigung seitens der Pädagogen zu sehen. Doch umso mehr wird all dies unter den etwa fünfzehnjährigen Schülern selbst betrieben. Opfer der sadistischen Quälereien ist Anselm von Basini, Sohn einer verarmten Adelsfamilie, der von seinen Kameraden Reiting, Beineberg und Törleß beim Diebstahl ertappt wurde. Fortan muss er sich allen ihren Wünschen fügen, wobei dem primitiven Reiting der sexuelle Missbrauch überlassen bleibt, während der der verfeinerte, aber umso perfidere Beineberg an Basini ein Experiment durchführt, wie weit sich ein Mensch zur willenlosen Kreatur machen lässt. Törleß wiederum ist ganz Faszination, ohne sich an den Übergriffen zu beteiligen, doch seine behauptete Distanz zum Geschehen ist Selbsttäuschung.
Alle wissen um Basinis Rolle als "Opfertier", wie Törleß es schließlich ausdrückt, und niemand schlägt sich auf seine Seite. Im Gegenteil: Als die Peinigung öffentlich wird, in der Turnhalle des Internats, wird Basini buchstäblich zum Spielball der ganzen Klasse. Immer wieder gelingt es den Mitwissern, ihre Beteiligung vor sich selbst zu verschleiern, indem sie den eigenen niederen Trieb abstreiten und allein wissenschaftliches Interesse heucheln. Der einzige Ehrliche ist der offen sadistische Reiting, der keinen Hehl daraus macht, es gehe ihm ausschließlich um die stimulierende Erniedrigung Basinis.
Als Törleß am Schluss vom Lehrerkollegium über die Vorfälle vernommen wird, liefert er die hochmoralische Erkenntnis ab, dass in einer Welt, in der Menschen so leicht zu Folterknechten und Opfertieren würden, alles möglich sei: "Deshalb hat man sich davor zu hüten, und das habe ich gelernt." Es ist ein kleiner Lernerfolg, den der Schüler, der das "Prinz Eugen" verlassen wird, mitnimmt - und ein auf Kosten Basinis erkaufter. 1966 war das aber Schlöndorffs Antwort auf die deutsche Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Dreiundvierzig Jahre später ließ Haneke im "Weißen Band", der genau dasselbe Motiv eines versteckten, aber hemmungslosen Sadismus bietet, die Lehre weg. Es bleibt Ratlosigkeit - trotz des Wissens, was isolierte Lebensentwürfe wie in Internaten den Beteiligten abfordern können.
ANDREAS PLATTHAUS
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