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"Ich raube mir, was mir gefällt, dafür bin ich bekannt", prahlt der Räuber Hotzenplotz (Armin Rohde) - laut eigener Meinung der bedeutendste Räuber weit und breit. Und hätte er nicht ausgerechnet die geliebte Kaffeemühle der Großmutter (Christiane Hörbiger) geklaut, dann hätten sich der Kasperl (Martin Stührk) und der Seppel (Manuel Steitz) nicht auf die gefahrvolle Suche gemacht und damit das Chaos ausgelöst, das Folgen hat...
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / SzenenanwahlFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2010Er läuft und läuft und läuft
Benjamin Heisenberg erzählt in seinem Film "Der Räuber" von einem Mann, dessen Sport Banküberfälle sind
Wenn ein Mann aus dem Gefängnis kommt, dann hat er zwei Möglichkeiten: Er kann sich integrieren in die Gesellschaft, aus der er ausgesperrt war, und sich den Übungen der Resozialisation unterziehen; oder er kann das Ethos seiner Jahre in der Haft auch in der Freiheit beibehalten, kann sich zurückziehen auf eine Existenz, der nur das Notwendigste zur Verfügung steht. Für Johann Rettenberger ist diese Entscheidung längst gefallen, wenn ihm die Wärter einer österreichischen Haftanstalt das Tor in die Freiheit öffnen. Er wird leben, als wäre da gar keine Gesellschaft. Ein Zimmer ist alles, was er braucht, und auch das nur, weil er sich in regelmäßigen Abständen bei den Behörden melden muss.
Rettenberger ist in der Haft ein Außenseiter geworden, wie es sie nur ganz selten gibt: ein autarkes Wesen, konzentriert auf seine physische Existenz, mönchisch in seinen sexuellen Bedürfnissen, aber unerbittlich in seinem Bewegungsdrang. Denn Rettenberger läuft. Er läuft ausdauernd, gleichmäßig, schnell, wie eine Maschine, die jeder Belastung standzuhalten scheint. Schon in der ersten Szene des Films "Der Räuber" ist Rettenberger in Bewegung, da ist er noch eingeschlossen in den Hof der Haftanstalt. Danach hält er nur inne, wenn er sich regenerieren muss oder einen Termin hat, mit seinem Bewährungshelfer oder beim Arbeitsamt. Aber gerade dann, wenn er in der Gegenwart eines anderen Menschen ist, ist sein Blick besonders unruhig, und die Ungeduld ist ihm deutlich anzusehen.
Ein Räuber ist zu einem Läufer geworden, und wie der Titel von Benjamin Heisenbergs Film eine Figur schon ganz in einer gesetzeswidrigen Tätigkeit aufgehen lässt, so gehen dann auch in der Erzählung diese beiden Vollzüge ineinander über. Johann Rettenberger raubt Banken aus und läuft danach davon. Die Polizei kommt mit ihren Einsatzfahrzeugen nicht hinterher, denn der Räuber verschwindet in verwinkelten Kellerräumen von Gebäuden, nur um am anderen Ende in der hellen Gartenvorstadt von Wien wiederaufzutauchen.
Es gab tatsächlich einmal eine Figur wie Johann Rettenberger. Dieser Mann, der in Österreich in den späten achtziger Jahren für Furore sorgte, hieß Kastenberger, wurde aber unter dem Namen "Pumpgun-Ronnie" bekannt. Es ist bezeichnend, dass kein derartiges Medienlabel den Weg in Benjamin Heisenbergs Films gefunden hat. "Der Räuber" steht am Ende einer Bearbeitungsspur, die zugleich auf Intellektualisierung und Versinnlichung einer Räubergeschichte hinauslief. Zuerst hat Martin Prinz einen Roman geschrieben, der von "Pumpgun-Ronnie" ausging, in seiner Deutung aber den spektakulären Kriminalfall schon deutlich transzendierte. Und nun hat der deutsche Regisseur Benjamin Heisenberg gemeinsam mit Prinz das Drehbuch zu "Der Räuber" erarbeitet, das noch einmal markante Veränderungen enthält.
Das Resultat ist ein ungewöhnlicher Genrefilm, mit einer enigmatischen Hauptfigur, gespielt von Andreas Lust, der erst kürzlich in Götz Spielmanns "Revanche" noch auf der anderen Seite gestanden hat, in der Rolle eines Polizisten, der nach einem Banküberfall auf ein Fluchtfahrzeug schießt und dabei unglücklich zielsicher ist. Lust lässt sich in "Der Räuber" auf eine Figur weitgehend ohne Geschichte ein, ohne Psychologie, ganz auf die Perfektion athletischer Fähigkeiten und die Provokation menschlicher Durchschnittlichkeit konzentriert. Nur das Wiedersehen mit Erika (Franziska Weiß), einer Frau aus seiner Vergangenheit, bringt ihn aus dem Gleichgewicht. Der Panzer, in den Siegfried in der deutschen Mythologie getaucht ist, ist hier ganz und gar elastisch geworden, seine mythologischen Reste sind weggefallen.
Was bleibt, ist eine Figur in einer Landschaft - man kann dabei ruhig an den Film "Figures in a Landscape" von Joseph Losey denken, in dem zwei Ausbrecher, aneinandergekettet, durch ein Flusstal gejagt werden, oder an Geoffrey Households Buch "Einzelgänger männlich", in dem ein Flüchtiger sich schließlich in ein Erdloch vergräbt. Der Räuber ist auch nach einer Weile durch seine Taten so exponiert, dass er die Stadt verlassen muss, und hier erst gewinnt dieser von Reinhold Vorschneider brillant fotografierte Film sein eigentliches Format: eine Tagundnachtgleiche zwischen Moral und Amoral, Physis und Ekstase. Es zeugt von der Könnerschaft, die hier am Werk ist, dass Rettenberger sich eine Wunde gerade dort zuzieht, wo er normalerweise seine Körperfunktionen misst - das Pulsband entspricht dem Blatt, das auf der Drachenhaut eine Leerstelle hinterließ. "Der Räuber" ist selbst eine Leerstelle. Er läuft einer Freiheit hinterher, die niemals einzuholen ist.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Benjamin Heisenberg erzählt in seinem Film "Der Räuber" von einem Mann, dessen Sport Banküberfälle sind
Wenn ein Mann aus dem Gefängnis kommt, dann hat er zwei Möglichkeiten: Er kann sich integrieren in die Gesellschaft, aus der er ausgesperrt war, und sich den Übungen der Resozialisation unterziehen; oder er kann das Ethos seiner Jahre in der Haft auch in der Freiheit beibehalten, kann sich zurückziehen auf eine Existenz, der nur das Notwendigste zur Verfügung steht. Für Johann Rettenberger ist diese Entscheidung längst gefallen, wenn ihm die Wärter einer österreichischen Haftanstalt das Tor in die Freiheit öffnen. Er wird leben, als wäre da gar keine Gesellschaft. Ein Zimmer ist alles, was er braucht, und auch das nur, weil er sich in regelmäßigen Abständen bei den Behörden melden muss.
Rettenberger ist in der Haft ein Außenseiter geworden, wie es sie nur ganz selten gibt: ein autarkes Wesen, konzentriert auf seine physische Existenz, mönchisch in seinen sexuellen Bedürfnissen, aber unerbittlich in seinem Bewegungsdrang. Denn Rettenberger läuft. Er läuft ausdauernd, gleichmäßig, schnell, wie eine Maschine, die jeder Belastung standzuhalten scheint. Schon in der ersten Szene des Films "Der Räuber" ist Rettenberger in Bewegung, da ist er noch eingeschlossen in den Hof der Haftanstalt. Danach hält er nur inne, wenn er sich regenerieren muss oder einen Termin hat, mit seinem Bewährungshelfer oder beim Arbeitsamt. Aber gerade dann, wenn er in der Gegenwart eines anderen Menschen ist, ist sein Blick besonders unruhig, und die Ungeduld ist ihm deutlich anzusehen.
Ein Räuber ist zu einem Läufer geworden, und wie der Titel von Benjamin Heisenbergs Film eine Figur schon ganz in einer gesetzeswidrigen Tätigkeit aufgehen lässt, so gehen dann auch in der Erzählung diese beiden Vollzüge ineinander über. Johann Rettenberger raubt Banken aus und läuft danach davon. Die Polizei kommt mit ihren Einsatzfahrzeugen nicht hinterher, denn der Räuber verschwindet in verwinkelten Kellerräumen von Gebäuden, nur um am anderen Ende in der hellen Gartenvorstadt von Wien wiederaufzutauchen.
Es gab tatsächlich einmal eine Figur wie Johann Rettenberger. Dieser Mann, der in Österreich in den späten achtziger Jahren für Furore sorgte, hieß Kastenberger, wurde aber unter dem Namen "Pumpgun-Ronnie" bekannt. Es ist bezeichnend, dass kein derartiges Medienlabel den Weg in Benjamin Heisenbergs Films gefunden hat. "Der Räuber" steht am Ende einer Bearbeitungsspur, die zugleich auf Intellektualisierung und Versinnlichung einer Räubergeschichte hinauslief. Zuerst hat Martin Prinz einen Roman geschrieben, der von "Pumpgun-Ronnie" ausging, in seiner Deutung aber den spektakulären Kriminalfall schon deutlich transzendierte. Und nun hat der deutsche Regisseur Benjamin Heisenberg gemeinsam mit Prinz das Drehbuch zu "Der Räuber" erarbeitet, das noch einmal markante Veränderungen enthält.
Das Resultat ist ein ungewöhnlicher Genrefilm, mit einer enigmatischen Hauptfigur, gespielt von Andreas Lust, der erst kürzlich in Götz Spielmanns "Revanche" noch auf der anderen Seite gestanden hat, in der Rolle eines Polizisten, der nach einem Banküberfall auf ein Fluchtfahrzeug schießt und dabei unglücklich zielsicher ist. Lust lässt sich in "Der Räuber" auf eine Figur weitgehend ohne Geschichte ein, ohne Psychologie, ganz auf die Perfektion athletischer Fähigkeiten und die Provokation menschlicher Durchschnittlichkeit konzentriert. Nur das Wiedersehen mit Erika (Franziska Weiß), einer Frau aus seiner Vergangenheit, bringt ihn aus dem Gleichgewicht. Der Panzer, in den Siegfried in der deutschen Mythologie getaucht ist, ist hier ganz und gar elastisch geworden, seine mythologischen Reste sind weggefallen.
Was bleibt, ist eine Figur in einer Landschaft - man kann dabei ruhig an den Film "Figures in a Landscape" von Joseph Losey denken, in dem zwei Ausbrecher, aneinandergekettet, durch ein Flusstal gejagt werden, oder an Geoffrey Households Buch "Einzelgänger männlich", in dem ein Flüchtiger sich schließlich in ein Erdloch vergräbt. Der Räuber ist auch nach einer Weile durch seine Taten so exponiert, dass er die Stadt verlassen muss, und hier erst gewinnt dieser von Reinhold Vorschneider brillant fotografierte Film sein eigentliches Format: eine Tagundnachtgleiche zwischen Moral und Amoral, Physis und Ekstase. Es zeugt von der Könnerschaft, die hier am Werk ist, dass Rettenberger sich eine Wunde gerade dort zuzieht, wo er normalerweise seine Körperfunktionen misst - das Pulsband entspricht dem Blatt, das auf der Drachenhaut eine Leerstelle hinterließ. "Der Räuber" ist selbst eine Leerstelle. Er läuft einer Freiheit hinterher, die niemals einzuholen ist.
BERT REBHANDL
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