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Produktdetails
  • Anzahl: 1 DVD
  • Hersteller: H'ART Musik-Vertrieb GmbH / Cascade
  • Erscheinungstermin: 3. Mai 2004
  • FSK: ohne Alterseinschränkung gemäß §14 JuSchG
  • EAN: 4028462800118
  • Artikelnr.: 20144909
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.1998

Alles eine Frage der Perspektive
Lokalpatriotismus: Momentaufnahmen vom Filmfestival in Montréal

MONTRÉAL, im September

Ein Mann wird von schwerbewaffneten Polizisten in seiner Wohnung überfallen, abgeführt, verhört. Ist er unschuldig, oder blufft er? Das haben wir unzählige Male gesehen, das funktioniert immer wieder. "The Interview" des Australiers Craig Monahan war der konventionellste und zugleich spannendste Film im Wettbewerb. Demgegenüber verzichtet Antonio Giménez-Ricos in "Las ratas" auf eine Dramaturgie der Spannung. Die Geschichte eines Rattenfängers und seines gescheiten Sohnes, die in einer Höhle hausen, lebt von den Bildern, die ihre Schönheit vor allem der sorgfältigen Lichtgestaltung verdanken. Zwei Schwestern, deren Familie bei einem Autounfall umkam, schlagen sich durch Uruguay: "Der Leuchtturm" des Argentiniers Eduardo Mignogna zeichnet sich durch die Leichtlebigkeit und den Rhythmus aus, mit dem diese Hommage an Lebensmut und Spontaneität inszeniert ist. Sie schreckt vor Sentimentalität nicht zurück, ohne jedoch in ihr zu versacken. Insbesondere Ingrid Rubio als die ältere Schwester Merne gehörte zu den Entdeckungen des diesjährigen Festivals. Sie erhielt zu Recht den Preis für die beste weibliche Rolle.

Das originellste Sujet erfand der Italiener Armando Manni mit "Elvis & Marilyn". Die Sieger eines Ähnlichkeitswettbewerbs in Bukarest, ein Bulgare und eine Rumänin, fahren durch Jugoslawien nach Riccione, wo ihnen als Preis ein Auftritt winkt. Die Reise gibt Anlaß zu einem düsteren, symbolistisch überhöhten Bild Südosteuropas, aber auch der westlichen Menschenverachtung. Selbst in Ländern, die längst bedeutende Beiträge zur Filmkunst geliefert haben, dient das Medium nach wie vor auch der sozialen Selbstvergewisserung. Die Situation der alleinerziehenden Mutter behandeln der Japaner Hideyuki Hirayama wie die Iranerin Rakhshan Bani-Eternad, jener in krudem Realismus, diese mit der unterkühlten Distanz intellektueller Reflexion.

Montréals Trumpfkarte in der Konkurrenz mit Toronto, wo die Geschäfte für den Kontinent abgeschlossen werden, ist der Wettbewerb beim einzigen A-Festival Nordamerikas. Doch der Vorteil ist keiner. Nicht ohne Schwierigkeiten findet man drei Monate nach Cannes und fast zeitgleich mit Venedig vierundzwanzig überragende Spielfilme, die den Wettbewerbsbedingungen entsprechen. Der erste Abend huldigte dem Lokalpatriotismus - und das heißt in Québec stets auch: der französischen Sprache und der Differenz zu den Vereinigten Staaten. Montréals Wunderkind Robert Lepage hat Teile seiner achtstündigen Collage "Les sept branches de la rivière Ota" zum Film "Nô" transformiert. Nun besteht das Bühnenspektakel aus lose zusammenhängenden Szenen, die so etwas wie eine Anthologie internationaler Theaterformen bilden, eklektizistisch, aber jeweils von einem strengen Stilwillen geprägt. Für den Film hat Lepage seinen Stil nicht gefunden. Der nicht sonderlich originelle Reiz der Feydeau-Szene etwa besteht darin, daß die Bühne auf der Bühne ausschließlich von hinten zu sehen ist. Wenn im Film die Kamera die Perspektiven wechselt und mal hinter, mal vor der Bühne steht, dann geht dieser Reiz zugunsten der Konvention flöten. Lepage vertraut im Film nicht auf Reduktion. Er montiert mehrere Handlungsstränge parallel und setzt vorwiegend auf die komischen Effekte der Vorlage. Der außergewöhnliche Theatermann ist als Filmregisseur einer von vielen. Kanada hat da von Arcand bis Egoyan Besseres zu bieten.

Weniger ehrgeizig, aber als romantische Komödie weitaus stimmiger gebaut und filmischer konzipiert als "Nô" ist der zweite von viereinhalb Wettbewerbsbeiträgen aus Québec, Manon Briands "2 Secondes", eine Liebeserklärung an das Fahrrad mit Charlotte Laurier im Zentrum. Der Film wurde von Publikum und Jurys mit Preisen überhäuft. Auch das englischsprachige Montréal lacht. Shimon Dotans "You Can Thank Me Later" ist eine Woody-Allen-Comedy, die nicht von Woody Allen stammt und deshalb eine halbe Stunde zu lang dauert.

Am Tag der Eröffnung berichteten die Medien von einer Untersuchung, wonach Frauen Männer mit femininen Gesichtszügen gegenüber harten, maskulinen Typen bevorzugten. Wenn das zutrifft, hat es sich jedenfalls nicht bis zur Französin Jeanne Labrune herumgesprochen. Ihr zermürbender Film "Si je t'aime . . . prends garde à toi" handelt von der sexuellen Hörigkeit einer vermeintlich emanzipierten Frau, die sich von einem Macho par excellence, der ihr den eingeforderten Respekt und das Vertrauen konsequent verweigert, demütigen läßt und bis zuletzt immer wieder nachgibt im Namen einer Liebe, die häufig apostrophiert, aber nirgends spürbar wird. Dieser Stoff, aus dem Männerphantasien gemacht sind, die Gewalttätigkeit entschuldigen sollen, wird allenfalls erträglich durch das faszinierende unverbrauchte Gesicht von Nathalie Baye.

Nimmt Jeanne Labrune zurück, was der Feminismus durch Jahre hindurch vermitteln wollte, indem sie männliche Aggressivität und beziehungslose Sexualität keineswegs nur zeigt, sondern über die Perspektive ihrer sympathischen Protagonistin akzeptiert, wenn nicht positiv bewertet, so häuft Fredi Murer in "Vollmond", einer schweizerisch-deutsch-französischen Coproduktion, alles an, was uns lieb und teuer ist, vom skrupellosen Atomlobbyisten über das Sektenwesen bis zum indiskreten Fernsehen. Nichts davon führt er aus. Murer betreibt Camouflage. Sein Film spöttelt über Aberglauben und Erwartung von Außerirdischen, um im krudesten Irrationalismus zu enden. Ein Blinder kennt den Inhalt eines Briefes, zwölf Mütter sehen im Traum ihre verschwundenen Kinder mitsamt einem geheimnisvollen dreizehnten Kind. Der alte Irrtum: daß die Dispensierung von Logik zugunsten der Phantasie schon Poesie garantiert. Nun könnte man das alles hinnehmen, hätte Murer dafür einen filmischen Ausdruck gefunden. Statt dessen: chargierende Darsteller, papierene Dialoge und Bilder ohne Atmosphäre. Dem Regisseur von "Höhenfeuer" sind nicht nur die Kinder abhanden gekommen. Die Jury sah's anders: "Vollmond" erhielt ex aequo mit Marion Hänsels "The Quarry" den Hauptpreis.

Wenn die schöne Blonde aus Breslau ihren nackten Rücken zeigt, bleibt dem amerikanischen CIC-Offizier deutsch-jüdischer Herkunft der Mund genauso offen wie dem verstörten deutschen Deserteur. So war das halt im Schwäbischen 1945, "Gegen Ende der Nacht". Die einzige rein deutsche Produktion im Wettbewerb ist ein Fernsehfilm, und Oliver Storz führt die Schauspieler in einer altmodischen Weise, die selbst einem Bruno Ganz den Atem abschnürt. Daß Bernhard Schlinks "Vorleser" Folgen haben würde, war vorauszusehen. Auf die Einforderung von Rechenschaft, die um 1968 manchmal zu selbstgerecht ausgefallen sein mag, folgt heute das nur ein wenig relativierte Verständnis der liebenden Töchter und Söhne für die Täter von einst. Um 1968 wollte man wissen. Oliver Storz will, deklariertermaßen, nicht wissen, wer seine Karin Katte war. Das erleichtert ihm und den anderen Figuren der Story den Verzicht auf Stellungnahme.

Storz zitiert Eberhard Fechner, der (wie Schlink) beim Majdanek-Prozeß Schwierigkeiten hatte, die "Monstrosität" von "damals" mit der "aktuellen Armseligkeit im Gerichtssaal" in Einklang zu bringen. Aber Fechner wollte Bescheid wissen über die Monstrosität. Heute interessiert vorwiegend die Armseligkeit der Besiegten. "Die Wahrheit ist ungenau" läßt Storz seine Karin Katte sagen. Wie würde die Öffentlichkeit reagieren, wenn einer auf die Frage nach den Ursachen und der Verantwortung für den Absturz der Swissair-Maschine, für Lassing oder Enschede entgegnete, die Wahrheit sei ungenau? Ungenau ist ein Film, in dem der Dialog verkündet, daß die Deutschen nur als letzte erleiden mußten, was andere bereits seit zwölf Jahren erlitten hatten, und in dem die Bilder ausschließlich Gewalt zeigen, die von Amerikanern ausgeht. Diese Ungenauigkeit benennt die Psychoanalyse mit einem filmischen Begriff: Projektion. Es geht hier nicht um die gewiß ehrenwerte Intention des Autors, sondern um das unvermeidliche Debakel, wenn einer 1998 nicht etwa ein subjektives Bewußtsein von 1945 rekonstruieren will, sondern mit dem Bewußtsein von 1945, objektiviert durch die Perspektive der Kamera, die damalige Situation. Die Figur der erotisch attraktiven KZ-Aufseherin oder der Hilfsärztin, die "nur" geschwächte Zwangsarbeiter zum Transport nach Majdanek aussondert, dürfte uns nun einige Zeit begleiten. THOMAS ROTHSCHILD

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