Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2006Die Poesie des einsamen Rassisten
John Fords Meisterwerk "Der schwarze Falke" in vorbildlich restaurierter Version
John Ford: "Der schwarze Falke".
Warner. Special Edition 2-Disc-Set. Format 16:9. 114 Minuten. Extras: Einleitung Patrick Wayne, Audiokommentar Peter Bogdanovich, Dokumentationen, Würdigungen, Interviews. Deutsch, Englisch, Spanisch, viele UT.
Wir können uns nicht mehr vorstellen, wie John Fords Western "Der schwarze Falke" 1956, als er in die Kinos kam, gewirkt haben muß - auf einer Leinwand, die deutlich höher war als die, an die wir uns gewöhnt haben, und in Vista Vision. Aber eine Ahnung bekommen wir schon, wenn wir die restaurierte Fassung auf DVD uns anschauen. Die hohe Auflösung sorgt für Brillanz und Tiefenschärfe bis zum Horizont. Wir sehen jede Regung im Gesicht eines Darstellers irgendwo im Raum, jeden Stuhl, der ganz im Hintergrund zur Seite kippt, jeden Blick, der sich am Rande mit einem anderen kreuzt. Martin Scorsese, der in viele seiner Filme kleine oder größere Verneigungen vor Fords Meisterwerk eingebaut hat, hat den Film damals in den fünfziger Jahren im Kino gesehen und erinnert sich im Gespräch, das auf der Bonus-DVD enthalten ist, daran, wie ihn die schiere Dimension des Geschehens überwältigt habe. Selbst die DVD räumt jeden Verdacht aus, er könne übertreiben.
Die Dimension des Geschehens allerdings ist nicht nur das Format (das in den fünfziger Jahren überaus beliebt war, Hitchcock drehte einige seiner besten Filme, "Vertigo" und "North by Northwest" etwa, in Vista Vision, inzwischen wird es nur noch für Spezialeffekte eingesetzt), sondern auch, worum es geht. Das sind rassische und sexuelle Konflikte, und John Ford geht direkt auf sie zu - zu einer Zeit, zu der das Publikum Breitwandschinken wie "Die zehn Gebote" liebte, eine mutige Sache. Wir haben es mit einem Helden zu tun, Ethan, der voller Zorn ist, voller Haß, der mordet, Leichen schändet, und seine Nichte Debbie, die von Indianern entführt wurde, nachdem diese ihre gesamte Familie massakriert hatten, und bei ihnen aufwuchs, ebenfalls erschießen will. Der seines Bruders Frau begehrt, wie uns Blicke zwischen den beiden, ein Kuß auf die Stirn und eine Szene, in der sie gedankenverloren seinen Mantel streichelt, bevor er wieder davonreitet, deutlich machen. Dieser Ethan, dessen Rede alttestamentarisch klingt, ist John Wayne in seiner wahrscheinlich besten Rolle, und er ist nicht der Böse in diesem Film.
Genaugenommen gibt es gar keinen Bösen, vor allem aber gibt es keinen im klassischen Sinn Guten. Statt dessen gibt es das Draußen, die Wildnis, den regellosen Raum, in dem Gewalt herrscht, den Raum, in dem Ethan sich auskennt. Und das Drinnen, den Ort von Familie und Gemeinschaft. Dazwischen steht eine Tür. Sie wurde zu einer der berühmtesten der Filmgeschichte. Durch diese Tür tritt Ethans Schwägerin Martha (Dorothy Jordan) am Anfang nach draußen auf die Veranda, um Ethan zu erwarten, der aus der Ferne angeritten kommt. Durch diese Tür sehen wir Martin Pawley, ihren angenommenen Sohn halbindianischer Abstammung, wie er von seinem sattellosen Pferd springt und nach innen rennt, um sich mit der Familie zum Essen zu setzen. Hinter dieser Türöffnung liegen die Leichen der Familie, von den Indianern so schrecklich zugerichtet, daß Ethan sie Martin und Ford sie uns nicht zeigt. Und vor dieser Tür bleibt Ethan am Ende stehen, nachdem alle anderen einschließlich der den Indianern schließlich wieder entrissenen Debbie (Nathalie Wood) durch sie ins Innere getreten sind. Er blickt ihnen nach, und dann dreht er sich um und geht dorthin, woher er gekommen war. Was Ethan repräsentiert, die Gewalt, auf der Amerika gründet, bringt man nicht ins Haus.
Es ist nicht immer dieselbe Tür, durch die die Menschen im "Schwarzen Falken" treten, nicht immer dasselbe Haus, das sie aufnimmt. Aber es ist immer dieselbe Schwelle - die Schwelle zwischen Chaos und Zivilisation, zwischen dem fremden Land und dem vertrauten Heim. Wir sehen in den Szenen, in denen die Familie ißt oder die Nachbarn tanzen, wie sehr Ford diesem uramerikanische Zusammengehörigkeitsgefühl zugetan ist, das den einzelnen aufnimmt. Und wir sehen in der Szene vor dem Angriff der Indianer, wie fragil dieser Innenraum, wie ungeschützt die Familie letztlich ist. In den Landschaftsaufnahmen, den Szenen draußen hingegen, spüren wir Fords Hingabe an das Land, dem die, die immer weiter nach Westen ziehen, genau das nehmen werden, was er liebt. Der Film wurde mit Ausnahme einiger Studioaufnahmen im Monument Valley gedreht, das John Ford in früheren Filmen fürs Kino entdeckt hatte und das hier von Utah nach Texas verlegt und damit zu einem imaginären Ort wird. In diesem weiten Raum komplexer Beziehungen, Gefühle und Aktionen spielt der Film, in dem wenig gesprochen wird, aber die seltene Großaufnahme eines Gesichts zeigt, was die Figuren fühlen und wissen.
"The Searchers" - auch in Deutschland ist der Film eher unter seinem originalen als unter dem Titel "Der schwarze Falke" berühmt geworden - gilt in der Filmgeschichtsschreibung unumstößlich als einer der größten Western, die je gedreht wurden, und als einer der besten Filme von John Ford, dessen Werk an großartigen nicht arm ist. Über "The Searchers" wurde wahrscheinlich fast ebensoviel geschrieben wie über "Citizen Kane", und Filmemacher wie Martin Scorsese oder Wim Wenders und unzählige andere lieben diesen Film. Die restaurierte Fassung ruft in Erinnerung, warum das kein Wunder ist.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
John Fords Meisterwerk "Der schwarze Falke" in vorbildlich restaurierter Version
John Ford: "Der schwarze Falke".
Warner. Special Edition 2-Disc-Set. Format 16:9. 114 Minuten. Extras: Einleitung Patrick Wayne, Audiokommentar Peter Bogdanovich, Dokumentationen, Würdigungen, Interviews. Deutsch, Englisch, Spanisch, viele UT.
Wir können uns nicht mehr vorstellen, wie John Fords Western "Der schwarze Falke" 1956, als er in die Kinos kam, gewirkt haben muß - auf einer Leinwand, die deutlich höher war als die, an die wir uns gewöhnt haben, und in Vista Vision. Aber eine Ahnung bekommen wir schon, wenn wir die restaurierte Fassung auf DVD uns anschauen. Die hohe Auflösung sorgt für Brillanz und Tiefenschärfe bis zum Horizont. Wir sehen jede Regung im Gesicht eines Darstellers irgendwo im Raum, jeden Stuhl, der ganz im Hintergrund zur Seite kippt, jeden Blick, der sich am Rande mit einem anderen kreuzt. Martin Scorsese, der in viele seiner Filme kleine oder größere Verneigungen vor Fords Meisterwerk eingebaut hat, hat den Film damals in den fünfziger Jahren im Kino gesehen und erinnert sich im Gespräch, das auf der Bonus-DVD enthalten ist, daran, wie ihn die schiere Dimension des Geschehens überwältigt habe. Selbst die DVD räumt jeden Verdacht aus, er könne übertreiben.
Die Dimension des Geschehens allerdings ist nicht nur das Format (das in den fünfziger Jahren überaus beliebt war, Hitchcock drehte einige seiner besten Filme, "Vertigo" und "North by Northwest" etwa, in Vista Vision, inzwischen wird es nur noch für Spezialeffekte eingesetzt), sondern auch, worum es geht. Das sind rassische und sexuelle Konflikte, und John Ford geht direkt auf sie zu - zu einer Zeit, zu der das Publikum Breitwandschinken wie "Die zehn Gebote" liebte, eine mutige Sache. Wir haben es mit einem Helden zu tun, Ethan, der voller Zorn ist, voller Haß, der mordet, Leichen schändet, und seine Nichte Debbie, die von Indianern entführt wurde, nachdem diese ihre gesamte Familie massakriert hatten, und bei ihnen aufwuchs, ebenfalls erschießen will. Der seines Bruders Frau begehrt, wie uns Blicke zwischen den beiden, ein Kuß auf die Stirn und eine Szene, in der sie gedankenverloren seinen Mantel streichelt, bevor er wieder davonreitet, deutlich machen. Dieser Ethan, dessen Rede alttestamentarisch klingt, ist John Wayne in seiner wahrscheinlich besten Rolle, und er ist nicht der Böse in diesem Film.
Genaugenommen gibt es gar keinen Bösen, vor allem aber gibt es keinen im klassischen Sinn Guten. Statt dessen gibt es das Draußen, die Wildnis, den regellosen Raum, in dem Gewalt herrscht, den Raum, in dem Ethan sich auskennt. Und das Drinnen, den Ort von Familie und Gemeinschaft. Dazwischen steht eine Tür. Sie wurde zu einer der berühmtesten der Filmgeschichte. Durch diese Tür tritt Ethans Schwägerin Martha (Dorothy Jordan) am Anfang nach draußen auf die Veranda, um Ethan zu erwarten, der aus der Ferne angeritten kommt. Durch diese Tür sehen wir Martin Pawley, ihren angenommenen Sohn halbindianischer Abstammung, wie er von seinem sattellosen Pferd springt und nach innen rennt, um sich mit der Familie zum Essen zu setzen. Hinter dieser Türöffnung liegen die Leichen der Familie, von den Indianern so schrecklich zugerichtet, daß Ethan sie Martin und Ford sie uns nicht zeigt. Und vor dieser Tür bleibt Ethan am Ende stehen, nachdem alle anderen einschließlich der den Indianern schließlich wieder entrissenen Debbie (Nathalie Wood) durch sie ins Innere getreten sind. Er blickt ihnen nach, und dann dreht er sich um und geht dorthin, woher er gekommen war. Was Ethan repräsentiert, die Gewalt, auf der Amerika gründet, bringt man nicht ins Haus.
Es ist nicht immer dieselbe Tür, durch die die Menschen im "Schwarzen Falken" treten, nicht immer dasselbe Haus, das sie aufnimmt. Aber es ist immer dieselbe Schwelle - die Schwelle zwischen Chaos und Zivilisation, zwischen dem fremden Land und dem vertrauten Heim. Wir sehen in den Szenen, in denen die Familie ißt oder die Nachbarn tanzen, wie sehr Ford diesem uramerikanische Zusammengehörigkeitsgefühl zugetan ist, das den einzelnen aufnimmt. Und wir sehen in der Szene vor dem Angriff der Indianer, wie fragil dieser Innenraum, wie ungeschützt die Familie letztlich ist. In den Landschaftsaufnahmen, den Szenen draußen hingegen, spüren wir Fords Hingabe an das Land, dem die, die immer weiter nach Westen ziehen, genau das nehmen werden, was er liebt. Der Film wurde mit Ausnahme einiger Studioaufnahmen im Monument Valley gedreht, das John Ford in früheren Filmen fürs Kino entdeckt hatte und das hier von Utah nach Texas verlegt und damit zu einem imaginären Ort wird. In diesem weiten Raum komplexer Beziehungen, Gefühle und Aktionen spielt der Film, in dem wenig gesprochen wird, aber die seltene Großaufnahme eines Gesichts zeigt, was die Figuren fühlen und wissen.
"The Searchers" - auch in Deutschland ist der Film eher unter seinem originalen als unter dem Titel "Der schwarze Falke" berühmt geworden - gilt in der Filmgeschichtsschreibung unumstößlich als einer der größten Western, die je gedreht wurden, und als einer der besten Filme von John Ford, dessen Werk an großartigen nicht arm ist. Über "The Searchers" wurde wahrscheinlich fast ebensoviel geschrieben wie über "Citizen Kane", und Filmemacher wie Martin Scorsese oder Wim Wenders und unzählige andere lieben diesen Film. Die restaurierte Fassung ruft in Erinnerung, warum das kein Wunder ist.
VERENA LUEKEN
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