Einsam und verbittert steht der Cowboy Ethan Edwards vor den rauchenden Trümmern der Ranch seines Bruders. Die ganze Familie wurde von den Comantschen getötet, seine kleine Nichte Debbie verschleppt. Von blindem Haß getrieben, entfesselt Edwards einen gnadenlosen Rachefeldzug. John Wayne und Natalie Wood als Debbie sind die Stars in dem spannenden Westernklassiker, der für viele Kritiker als bester Film des legendären Starregisseurs John Ford gilt.
Bonusmaterial
- Audiokommentar von Peter Bogdanovich - Dokumentation: "Der schwarze Falke: Eine Würdigung" - Dokumentation: "A Turning of the Earth: John Ford, John Wayne und Der schwarze Falke" - Einleitung von Patrick Wayne - Hintergrund Info: Hinter den Kameras - US-Kinotrailer: The Assassination of Jesse James by the Coward Robert FordFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2017Ehre und Schande
Ein Wiedersehen mit John Fords klassischem Western "The Searchers"
All das vergossene Blut der Frauen und Kinder, das Misstrauen und der Hass der Männer gegen die Frauen sind älter als die monotheistischen Religionen, älter als der Islam und das Christentum, älter und universeller und doch ganz gegenwärtig.
Das ist mir aufgefallen beim Blick in ein ikonisches Männergesicht, das Gesicht John Waynes in John Fords klassischem Western "The Searchers" (1956).
Stellen Sie sich ein Gewitter vor, das Wetterleuchten der Blitze, das sich in Licht- und Schattenschrift auf die ernste Wand der blutroten Sandsteintürme projiziert, dann haben Sie eine Vorstellung davon, was auf diesem Gesicht geschieht. Sehnsucht, Vergeblichkeit, Wissen, Leid, Schmerz, Hass, Verachtung, Raserei, Brutalität, Irrsinn - wie in allen großen Filmen von Ford und Wayne der Schmerz und der Selbsthass des erfahrenen Mannes, der weiß, dass er, um die Ordnung wiederherzustellen, selbst geopfert werden muss, zum Humus einer zukünftigen, besseren Welt werden muss, die mit seinen gescheiterten Hoffnungen und Träumen gedüngt wird.
Es ist das Gesicht des Rächers, der weiß, dass Rache heroisch ist, aber barbarisch, ein ewiger Kreislauf, in dem sich die Todfeinde immer mehr angleichen, bis sie ununterscheidbar geworden sind, ein Kreislauf, den die Menschheit überwinden muss, um sich weiter- und höher zu entwickeln. Der weiß, dass es die Frauen sind, die ihn überwinden müssen, und dass die Männer das andere Ufer nicht erreichen werden.
Es ist das Gesicht von Moses, als er das gelobte Land endlich sieht und weiß, dass er den Eintritt verwirkt hat. Es ist das Gesicht des Odysseus, als er nach 20 Jahren heimkommt und am Entscheidenden zweifelt, am einzigen, das seine Heldentaten rechtfertigt: an seiner Frau.
Das erste Mal, dass wir dieses Gesicht sehen, ist ganz am Anfang des Films. Ethan Edwards kommt erst mehrere Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs, in dem er für die Rebellen gekämpft hat, nach Hause. Im Gegensatz zu Odysseus weiß er bereits beim Eintreffen, dass dieses Zuhause für ihn keine Heimat sein kann. Denn die Frau, die er liebt und die ihn liebt, ist mit seinem Bruder verheiratet. Er sieht von draußen, wie sich die Schlafzimmertür hinter den beiden schließt. Aus seinem Blick bitterer Vergeblichkeit geht nicht klar hervor, ob er sich in diesem Augenblick wünscht, er wäre auf dem Schlachtfeld geblieben, oder ob er seinem Bruder oder womöglich sogar beiden, auch der Frau, die er liebt und die mit einem anderen schläft, den Tod wünscht und sich dafür verachtet.
Den zweiten Blick in sein Gesicht werfen wir kurz darauf, als die Gruppe der Texas Ranger, der Ethan sich angeschlossen hat, weit draußen auf dem Land feststellt, dass der Angriff der Nawyecki-Comanchen auf Jorgensons Vieh eine Finte gewesen ist, um die Männer von dem eigentlichen Überfall abzulenken. Sekunden vor allen anderen weiß Ethan Bescheid. Oder spürt das Verhängnis. Dann fällt es den Übrigen voller Entsetzen auf: Entweder wollen die Comanche die Jorgenson-Farm oder die Edwards-Farm angreifen. Ein Blick auf John Waynes Gesicht, in dem eingraviert steht, dass immer schon alles verloren ist, belehrt uns: Es ist die Farm seines Bruders. Es ist zu spät. Er wird die geliebte Frau nicht wiedersehen. Alle übrigen Eventualitäten malen sich in seinen Zügen aus.
Deswegen hat er im Gegensatz zu allen anderen, die kehrtmachen und in gestrecktem Galopp zurückstürmen, auch keine Eile. Er weiß, dass jetzt das Geschäft der Rache beginnt und dass es ein langfristiges Unternehmen ist, für das man einen langen Atem braucht.
Das dritte Bild seines Gesichts zeigt blanken Hass und Abscheu und eine Verachtung, wie sie eigentlich kein Mensch gegenüber einem anderen Menschen empfinden sollte.
Nach mehrjähriger Suche haben Ethan und Martin Pawley die kleine Debbie, die so klein nicht mehr ist, gefunden. Bei der Begegnung mit Chief Scar geben Ethan und Martin sich als Händler aus. Scar zeigt seine erbeuteten Skalps und erklärt, die Weißen haben seine Söhne getötet, und für jeden dieser Söhne nehme er viele Skalps als Tribute. Ethan hat sich im Laufe des Films als ähnlich blutrünstig und rachsüchtig wie Scar erwiesen, und nun stehen sich die beiden im Wortsinne auf Augenhöhe gegenüber. Denn auch der Schauspieler, den John Ford für die Rolle des Scar castete, ist größer als einsneunzig. Vor allem aber: Er ist kein Indianer. Er heißt Henry Brandon und wurde 1912 als Heinrich von Kleinbach in Berlin geboren, um dann als Kind mit seinen Eltern nach Amerika zu emigrieren. Er hatte eine sehr respektable Karriere in B-Movies und scheint, wie es bei Wikipedia heißt, relativ offen eine homosexuelle Partnerschaft gelebt zu haben. John Ford muss sich über manche Details seiner Schauspielerwahl ins Fäustchen gelacht haben - entscheidend aber ist der Kniff, den vermeintlichen Rassenantagonismus als Täuschung und Selbsttäuschung zu entlarven, der zwei Männer erliegen, die fast wie Zwillinge daherkommen.
Jedenfalls ist es Debbie, die die Stange präsentiert, an der die Skalps hängen. Ethan erkennt das Haar von Martins Mutter, woraus sich schließen lässt, dass er sie sehr genau gekannt haben muss, womöglich sogar intim, und daher vielleicht doch selbst Martins Vater ist, auch wenn er jegliche Verwandtschaftsbeziehungen zwischen sich und dem jungen Mann stets und in beleidigendem Ton leugnet, wahrscheinlich weil Martin "one eigth Cherokee" ist. "Don't call me uncle. I ain't your uncle." Oder als er ihn später als Erben einsetzt: " . . . no kin of blood . . ."
Debbie, die die beiden ebenso erkannt hat wie sie sie, schleicht sich danach aus dem Lager und bittet die Searchers, die Indianer nicht anzugreifen: "They are my people."
In diesem Moment bildet sich der Ausdruck von Hass und Abscheu und Angewidertsein auf Waynes Zügen, der den Satz ausschließlich als Eingeständnis sexueller Beziehungen zwischen dem Mädchen und dem Indianer versteht, es ist der Moment, in dem die Schande, die er verhindern wollte, manifest ist. Er zieht die Waffe, um Debbie zu erschießen - nein: abzuknallen wäre hier richtiger, was von Martin verhindert wird, der seinen Körper schützend vor das Mädchen stellt.
Der Grund für Ethans Ausbruch und Verwandlung - schließlich sucht er das Mädchen seit sieben Jahren, um es nach Hause zu bringen - ist genau dieses Gefühl von Schande, die sie nicht nur über die Familie gebracht hat, sondern über das gesamte Existenzsystem, für das er steht. Eine Schande, die nur mit dem Tod zu sühnen ist. In Texas um 1870 herum, wo der Film spielt, ebenso wie in Hollywood, wo er 1955 gedreht wurde.
Eine Schlüsselfigur dieses Systems ist der Reverend Captain Samuel Jackson Clayton (gespielt von Ward Bond, der zur Stock Company des erzliberalen John Ford gehörte, obwohl er ein notorischer Reaktionär und McCarthy-Unterstützer war). Clayton repräsentiert in Personalunion die geistliche und weltliche Macht dort im Grenzgebiet, er wechselt zwischen seiner Rolle als Texas Ranger und als Pfarrer hin und her, wie es gerade passt, und steht damit in einer theokratischen Tradition, die sich vom römischen Reich, wo Magistrate auch Priester waren und umgekehrt, über das antike und moderne islamische Kalifat bis eben in die Vereinigten Staaten erstreckt.
Dass so etwas nur mit einer gehörigen Portion Heuchelei zu machen ist, verdeutlicht Claytons erster Dialog mit Ethan. Er will ihn für den Suchtrupp der Ranger einschwören, aber Ethan weigert sich, einen Eid auf die Union zu leisten. "Ich habe einen Eid geleistet, auf die Konföderierten Staaten." Und ein Treuebekenntnis im Leben reicht. "Du übrigens auch", fügt Ethan hinzu und desavouiert den Reverend-Captain damit als Opportunisten, der sein Mäntelchen nach dem Wind hängt. Anders, so der Subtext der Szene, gibt es aber auch keinen gesellschaftlichen Fortschritt.
In derselben kurzen Szene ganz zu Beginn des Films, als der Reverend Captain Clayton ins Haus der Edwards gestürmt kommt, fragt er die kleine Debbie am Tisch in einem Nebensatz, ob sie bereits getauft sei, was sie verneint. Es ist also ein ungetauftes Kind, das "in die Fänge der Wilden" gerät, und der Stachel, der Ethans jahrelange Suche anspornt und seine Unrast erklärt, ist die vergehende Zeit bis zu dem absehbaren Moment, wo sie "ready to mate" sein wird, geschlechtsreif, und damit in den Augen Ethans, aber auch in denen der sonst so sanften Laurie Jorgenson, endgültig verloren, und, wie aus ihrem Ausbruch hervorgeht, "lebensunwertes Leben".
Ethan hat die eine Frau verloren, immerhin nicht "unehrenhaft", da sie nach der Vergewaltigung getötet wurde, was "nur" nach Rache an ihrem Mörder verlangt. Aber die lebendige, von einem Indianer besessene Debbie ist kein Opfer, sondern eine Bedrohung.
Eine sexuelle Bedrohung, die die Identität der ganzen Siedler-Community in Frage stellt. Ebenso wie Odysseus Penelope wiederfinden muss, bevor sie nachgibt und untreu wird, bevor sie zur Klytaimnestra wird und Schande über das ganze Haus bringt, muss Debbie wiedergefunden werden, bevor sie sich mit dem Indianer paart (und die nackte Panik bei dem Gedanken, sie könne das womöglich freiwillig tun) - und andernfalls umgebracht werden, so wie Orest Klytaimnestra umbrachte, so wie Odysseus zweifelsohne eine gefallene Penelope umgebracht hätte.
Die patriarchalische Kultur der Griechen hängt, nicht anders als 2000 Jahre später die puritanische Kultur der weißen amerikanischen Siedler oder wie alle ländlichen Clankulturen im weiteren Mittelmeerraum an legitimer Vaterschaft und Nachkommenschaft. Daher muss die Sexualität der Frauen, die immer eine latente Bedrohung der Vorherrschaft der Männer darstellt, kontrolliert werden. Die weibliche Reinheit muss gewährleistet sein.
Ehre und Schande sind seit der Antike die grundlegenden Parameter für die Aufrechterhaltung der patriarchalischen Ordnungen. Wobei es bei den Siedlern im amerikanischen Westen genau wie bei den Griechen vor Troja einen erheblichen Unterschied ausmacht, wer was tut. Ehre und Schande sind nämlich keineswegs in Stein gemeißelt, ihre Anwendung hängt davon ab, ob "wir" etwas tun oder "die anderen". Es gibt nämlich immer uns und die anderen. Für die zivilisierten Griechen waren alle anderen Barbaren, die Indianer und die Schwarzen stellten für die Weißen das Andere dar, die Ungläubigen für die fanatischen Muslime. Wenn einer von uns eine Indianerin/Schwarze/Ungläubige schwängert, setzt er seinen Samen als Faustpfand in die feindliche Kultur, aber wenn einer von denen eine von uns schwängert, vergewaltigt er sie und bedroht damit die Identität und Reinheit unserer Kultur.
Ehre und Schande machen sich fest an der Sexualität, aber nur der der Frauen. Ihre Keuschheit ist es, die über die Ehre des Mannes und der Familie entscheidet. Keine Odyssee als Heldensage, wenn Penelope untreu ist. Odysseus würde zum tragikomischen Hanswurst. Agamemnon ist nicht der Held eines Epos, sondern ein trauriger Hahnrei, bei dem die Tragödie der Familie ihren Anfang nimmt.
Ethan fühlt sich daher genau wie Odysseus im Recht, wenn er das Benehmen der Frauen kontrolliert und richtet, denn die Reinheit der Frauen ist in seiner Welt ein Tauschwert, ja die letztgültige Währung.
Es ist die Sexualangst aller Männer, die diesen verzweifelten Hass und die Verzerrungen der Wut in Ethans Gesicht gräbt und ätzt. Mater certa, pater incertus est - weil das ein so unerträglicher Gedanke ist, muss die Keuschheit der Frauen bewacht werden. Ein Kuckucksei in der Unversehrtheit der väterlichen Erbfolge ist eine Katastrophe.
Rache ist heroisch, aus ihr werden Epen geformt - aber sie ist barbarisch, eine Männersache. John Ford macht denn auch nie einen Hehl daraus, dass Zivilisiertheit nicht die starke Seite der harten Männer in "The Searchers" ist. Sie sind alle quasi Analphabeten, Martin Pawley schafft es in sieben Jahren gerade einmal, einen einzigen Brief an seine Verlobte zu schicken, in der er ihren Namen auch noch falsch buchstabiert. Das Lesen müssen die Frauen besorgen, und Jorgenson weist auch stolz darauf hin, dass seine Frau früher Lehrerin gewesen sei - im zivilisierten Osten vermutlich, in einer größeren Stadt. Denn nur Bildung und städtische Strukturen, in denen sich die Frauen von der Kontrolle der Männer befreien, können den tödlichen Kreislauf von Ehre, Schande und Rache beenden.
Eine einzige Figur im Film steht außerhalb dieser Logik. Es ist Mose Harper, der Shakespeare'sche Narr, der in keinem großen John-Ford-Film fehlen darf. Eine Art heiliger Idiot unklaren Alters, nicht eindeutiger Rasse und seltsam geschlechtslos, sind ihm Fragen von Ehre und Rache völlig fremd. Vor einem Indianerangriff dankt er Gott "für das, was du uns bescheret hast", und sein einziger weltlicher Ehrgeiz geht auf einen Schaukelstuhl. Aber jedes Mal, wenn Ethans Suche an einen toten Punkt gelangt, ist es Mose Harper, der die entscheidenden Hinweise liefert. Er ist die einzige Person des Films, die im geistig-religiösen Sinne gerettet ist, von allem Anfang an. Aber sein Weg, auch das macht Ford klar, ist für andere nicht gangbar und kein allgemeingültiger Ausweg.
Dass es in diesem Film also dennoch Ethan Edwards / John Wayne ist, der den Kreislauf von Ehre, Schande und Rache durchbricht, ist ein Wunder, das fast über den Glauben geht. Nun ist Ethan auch anders als alle anderen. Er kann perfekt lesen und schreiben, er versteht und benutzt auch komplizierte Wörter wie "bequeath" in seinem Testament, in dem er seine Habe Martin vermacht, der dann beim Lesen dieses Begriffs scheitert und nachfragen muss. Er spricht fließend Comanche und Spanisch. Wahrscheinlich weiß er von allem Anfang an, dass er Rückzugsgefechte für andere führt, die er im Grunde verachtet, denn er selbst ist schon zu Beginn des Films aus der Ordnung von Ehre und Schande gefallen: Seine eigene Blutlinie weiterzugeben ist unmöglich, er versöhnt paradoxerweise die Antagonismen, indem er Debbie, "soiled" wie sie ist, also sowohl vergewaltigt wie in die native Heimat eingeerdet, wieder integriert, als auch durch seine Adoption Martins, des Achtelcherokees. Er selbst ist ein Untoter wie der fliegende Holländer, verdammt, in Ewigkeit zwischen den Winden zu wandern wie der tote Comanche, dem er (in Kenntnis der indianischen Mythologie) die Augen ausgeschossen hat. Für ihn gibt es, und er weiß das von Anfang an, nicht einmal die Atempause, das temporäre Happy End des Odysseus.
Und deswegen beugt er sich, die panisch flüchtende Debbie verfolgend, vom Pferd, und anstatt sie niederzustechen (wie die Kavallerie das mit den indianischen Frauen und Kindern tut im Film), hebt er sie in den Sattel und bringt sie nach Hause. Let's go home, aber es wird nur ihr Zuhause sein (wenn überhaupt, siehe Laurie Jorgenson), denn ihr Vater kann der, der sie töten wollte, nicht sein, auch ihr Liebhaber nicht.
So ist der Kreislauf durchbrochen von Ehre und Schande, der urvordenkliche, und der Film verabschiedet sich in eine zweifelhafte Zukunft. Denn abgesehen von Ethan, der wie sein Todfeind und Bruder Scar keine Zukunft mehr hat, sind es immer noch die Männer, die, um ihre Ehre zu garantieren, die Schande der Frauen ahnden, ob im Griechenland Homers, im Mittelmeerraum seither, im Wilden Westen oder bei den archaischen Muslimen. Die, anders als wir glauben, keine Exklusivität auf das Prinzip haben, auch kein Urheberrecht auf Ehre und Schande, ihr heiliges Buch weiß davon nichts, das mörderische Rad hat sich vor ihm und vor jedem Monotheismus gedreht (auch wenn die Vertreter der Religionen gerne mitgedreht haben), und es dreht sich weiter, solange Männer die Keuschheit der Frauen hüten, um ihre Urängste vor deren Sexualität zu zähmen, solange das verkrüppelte Y-Chromosom mit Blutvergießen und Gewalt die Herrschaft behauptet.
Von Michael Kleeberg erschien zuletzt der Roman "Vaterjahre" (2014). Der hier abgedruckte Text ist ein Ausschnitt aus einem entstehenden Roman.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Wiedersehen mit John Fords klassischem Western "The Searchers"
All das vergossene Blut der Frauen und Kinder, das Misstrauen und der Hass der Männer gegen die Frauen sind älter als die monotheistischen Religionen, älter als der Islam und das Christentum, älter und universeller und doch ganz gegenwärtig.
Das ist mir aufgefallen beim Blick in ein ikonisches Männergesicht, das Gesicht John Waynes in John Fords klassischem Western "The Searchers" (1956).
Stellen Sie sich ein Gewitter vor, das Wetterleuchten der Blitze, das sich in Licht- und Schattenschrift auf die ernste Wand der blutroten Sandsteintürme projiziert, dann haben Sie eine Vorstellung davon, was auf diesem Gesicht geschieht. Sehnsucht, Vergeblichkeit, Wissen, Leid, Schmerz, Hass, Verachtung, Raserei, Brutalität, Irrsinn - wie in allen großen Filmen von Ford und Wayne der Schmerz und der Selbsthass des erfahrenen Mannes, der weiß, dass er, um die Ordnung wiederherzustellen, selbst geopfert werden muss, zum Humus einer zukünftigen, besseren Welt werden muss, die mit seinen gescheiterten Hoffnungen und Träumen gedüngt wird.
Es ist das Gesicht des Rächers, der weiß, dass Rache heroisch ist, aber barbarisch, ein ewiger Kreislauf, in dem sich die Todfeinde immer mehr angleichen, bis sie ununterscheidbar geworden sind, ein Kreislauf, den die Menschheit überwinden muss, um sich weiter- und höher zu entwickeln. Der weiß, dass es die Frauen sind, die ihn überwinden müssen, und dass die Männer das andere Ufer nicht erreichen werden.
Es ist das Gesicht von Moses, als er das gelobte Land endlich sieht und weiß, dass er den Eintritt verwirkt hat. Es ist das Gesicht des Odysseus, als er nach 20 Jahren heimkommt und am Entscheidenden zweifelt, am einzigen, das seine Heldentaten rechtfertigt: an seiner Frau.
Das erste Mal, dass wir dieses Gesicht sehen, ist ganz am Anfang des Films. Ethan Edwards kommt erst mehrere Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs, in dem er für die Rebellen gekämpft hat, nach Hause. Im Gegensatz zu Odysseus weiß er bereits beim Eintreffen, dass dieses Zuhause für ihn keine Heimat sein kann. Denn die Frau, die er liebt und die ihn liebt, ist mit seinem Bruder verheiratet. Er sieht von draußen, wie sich die Schlafzimmertür hinter den beiden schließt. Aus seinem Blick bitterer Vergeblichkeit geht nicht klar hervor, ob er sich in diesem Augenblick wünscht, er wäre auf dem Schlachtfeld geblieben, oder ob er seinem Bruder oder womöglich sogar beiden, auch der Frau, die er liebt und die mit einem anderen schläft, den Tod wünscht und sich dafür verachtet.
Den zweiten Blick in sein Gesicht werfen wir kurz darauf, als die Gruppe der Texas Ranger, der Ethan sich angeschlossen hat, weit draußen auf dem Land feststellt, dass der Angriff der Nawyecki-Comanchen auf Jorgensons Vieh eine Finte gewesen ist, um die Männer von dem eigentlichen Überfall abzulenken. Sekunden vor allen anderen weiß Ethan Bescheid. Oder spürt das Verhängnis. Dann fällt es den Übrigen voller Entsetzen auf: Entweder wollen die Comanche die Jorgenson-Farm oder die Edwards-Farm angreifen. Ein Blick auf John Waynes Gesicht, in dem eingraviert steht, dass immer schon alles verloren ist, belehrt uns: Es ist die Farm seines Bruders. Es ist zu spät. Er wird die geliebte Frau nicht wiedersehen. Alle übrigen Eventualitäten malen sich in seinen Zügen aus.
Deswegen hat er im Gegensatz zu allen anderen, die kehrtmachen und in gestrecktem Galopp zurückstürmen, auch keine Eile. Er weiß, dass jetzt das Geschäft der Rache beginnt und dass es ein langfristiges Unternehmen ist, für das man einen langen Atem braucht.
Das dritte Bild seines Gesichts zeigt blanken Hass und Abscheu und eine Verachtung, wie sie eigentlich kein Mensch gegenüber einem anderen Menschen empfinden sollte.
Nach mehrjähriger Suche haben Ethan und Martin Pawley die kleine Debbie, die so klein nicht mehr ist, gefunden. Bei der Begegnung mit Chief Scar geben Ethan und Martin sich als Händler aus. Scar zeigt seine erbeuteten Skalps und erklärt, die Weißen haben seine Söhne getötet, und für jeden dieser Söhne nehme er viele Skalps als Tribute. Ethan hat sich im Laufe des Films als ähnlich blutrünstig und rachsüchtig wie Scar erwiesen, und nun stehen sich die beiden im Wortsinne auf Augenhöhe gegenüber. Denn auch der Schauspieler, den John Ford für die Rolle des Scar castete, ist größer als einsneunzig. Vor allem aber: Er ist kein Indianer. Er heißt Henry Brandon und wurde 1912 als Heinrich von Kleinbach in Berlin geboren, um dann als Kind mit seinen Eltern nach Amerika zu emigrieren. Er hatte eine sehr respektable Karriere in B-Movies und scheint, wie es bei Wikipedia heißt, relativ offen eine homosexuelle Partnerschaft gelebt zu haben. John Ford muss sich über manche Details seiner Schauspielerwahl ins Fäustchen gelacht haben - entscheidend aber ist der Kniff, den vermeintlichen Rassenantagonismus als Täuschung und Selbsttäuschung zu entlarven, der zwei Männer erliegen, die fast wie Zwillinge daherkommen.
Jedenfalls ist es Debbie, die die Stange präsentiert, an der die Skalps hängen. Ethan erkennt das Haar von Martins Mutter, woraus sich schließen lässt, dass er sie sehr genau gekannt haben muss, womöglich sogar intim, und daher vielleicht doch selbst Martins Vater ist, auch wenn er jegliche Verwandtschaftsbeziehungen zwischen sich und dem jungen Mann stets und in beleidigendem Ton leugnet, wahrscheinlich weil Martin "one eigth Cherokee" ist. "Don't call me uncle. I ain't your uncle." Oder als er ihn später als Erben einsetzt: " . . . no kin of blood . . ."
Debbie, die die beiden ebenso erkannt hat wie sie sie, schleicht sich danach aus dem Lager und bittet die Searchers, die Indianer nicht anzugreifen: "They are my people."
In diesem Moment bildet sich der Ausdruck von Hass und Abscheu und Angewidertsein auf Waynes Zügen, der den Satz ausschließlich als Eingeständnis sexueller Beziehungen zwischen dem Mädchen und dem Indianer versteht, es ist der Moment, in dem die Schande, die er verhindern wollte, manifest ist. Er zieht die Waffe, um Debbie zu erschießen - nein: abzuknallen wäre hier richtiger, was von Martin verhindert wird, der seinen Körper schützend vor das Mädchen stellt.
Der Grund für Ethans Ausbruch und Verwandlung - schließlich sucht er das Mädchen seit sieben Jahren, um es nach Hause zu bringen - ist genau dieses Gefühl von Schande, die sie nicht nur über die Familie gebracht hat, sondern über das gesamte Existenzsystem, für das er steht. Eine Schande, die nur mit dem Tod zu sühnen ist. In Texas um 1870 herum, wo der Film spielt, ebenso wie in Hollywood, wo er 1955 gedreht wurde.
Eine Schlüsselfigur dieses Systems ist der Reverend Captain Samuel Jackson Clayton (gespielt von Ward Bond, der zur Stock Company des erzliberalen John Ford gehörte, obwohl er ein notorischer Reaktionär und McCarthy-Unterstützer war). Clayton repräsentiert in Personalunion die geistliche und weltliche Macht dort im Grenzgebiet, er wechselt zwischen seiner Rolle als Texas Ranger und als Pfarrer hin und her, wie es gerade passt, und steht damit in einer theokratischen Tradition, die sich vom römischen Reich, wo Magistrate auch Priester waren und umgekehrt, über das antike und moderne islamische Kalifat bis eben in die Vereinigten Staaten erstreckt.
Dass so etwas nur mit einer gehörigen Portion Heuchelei zu machen ist, verdeutlicht Claytons erster Dialog mit Ethan. Er will ihn für den Suchtrupp der Ranger einschwören, aber Ethan weigert sich, einen Eid auf die Union zu leisten. "Ich habe einen Eid geleistet, auf die Konföderierten Staaten." Und ein Treuebekenntnis im Leben reicht. "Du übrigens auch", fügt Ethan hinzu und desavouiert den Reverend-Captain damit als Opportunisten, der sein Mäntelchen nach dem Wind hängt. Anders, so der Subtext der Szene, gibt es aber auch keinen gesellschaftlichen Fortschritt.
In derselben kurzen Szene ganz zu Beginn des Films, als der Reverend Captain Clayton ins Haus der Edwards gestürmt kommt, fragt er die kleine Debbie am Tisch in einem Nebensatz, ob sie bereits getauft sei, was sie verneint. Es ist also ein ungetauftes Kind, das "in die Fänge der Wilden" gerät, und der Stachel, der Ethans jahrelange Suche anspornt und seine Unrast erklärt, ist die vergehende Zeit bis zu dem absehbaren Moment, wo sie "ready to mate" sein wird, geschlechtsreif, und damit in den Augen Ethans, aber auch in denen der sonst so sanften Laurie Jorgenson, endgültig verloren, und, wie aus ihrem Ausbruch hervorgeht, "lebensunwertes Leben".
Ethan hat die eine Frau verloren, immerhin nicht "unehrenhaft", da sie nach der Vergewaltigung getötet wurde, was "nur" nach Rache an ihrem Mörder verlangt. Aber die lebendige, von einem Indianer besessene Debbie ist kein Opfer, sondern eine Bedrohung.
Eine sexuelle Bedrohung, die die Identität der ganzen Siedler-Community in Frage stellt. Ebenso wie Odysseus Penelope wiederfinden muss, bevor sie nachgibt und untreu wird, bevor sie zur Klytaimnestra wird und Schande über das ganze Haus bringt, muss Debbie wiedergefunden werden, bevor sie sich mit dem Indianer paart (und die nackte Panik bei dem Gedanken, sie könne das womöglich freiwillig tun) - und andernfalls umgebracht werden, so wie Orest Klytaimnestra umbrachte, so wie Odysseus zweifelsohne eine gefallene Penelope umgebracht hätte.
Die patriarchalische Kultur der Griechen hängt, nicht anders als 2000 Jahre später die puritanische Kultur der weißen amerikanischen Siedler oder wie alle ländlichen Clankulturen im weiteren Mittelmeerraum an legitimer Vaterschaft und Nachkommenschaft. Daher muss die Sexualität der Frauen, die immer eine latente Bedrohung der Vorherrschaft der Männer darstellt, kontrolliert werden. Die weibliche Reinheit muss gewährleistet sein.
Ehre und Schande sind seit der Antike die grundlegenden Parameter für die Aufrechterhaltung der patriarchalischen Ordnungen. Wobei es bei den Siedlern im amerikanischen Westen genau wie bei den Griechen vor Troja einen erheblichen Unterschied ausmacht, wer was tut. Ehre und Schande sind nämlich keineswegs in Stein gemeißelt, ihre Anwendung hängt davon ab, ob "wir" etwas tun oder "die anderen". Es gibt nämlich immer uns und die anderen. Für die zivilisierten Griechen waren alle anderen Barbaren, die Indianer und die Schwarzen stellten für die Weißen das Andere dar, die Ungläubigen für die fanatischen Muslime. Wenn einer von uns eine Indianerin/Schwarze/Ungläubige schwängert, setzt er seinen Samen als Faustpfand in die feindliche Kultur, aber wenn einer von denen eine von uns schwängert, vergewaltigt er sie und bedroht damit die Identität und Reinheit unserer Kultur.
Ehre und Schande machen sich fest an der Sexualität, aber nur der der Frauen. Ihre Keuschheit ist es, die über die Ehre des Mannes und der Familie entscheidet. Keine Odyssee als Heldensage, wenn Penelope untreu ist. Odysseus würde zum tragikomischen Hanswurst. Agamemnon ist nicht der Held eines Epos, sondern ein trauriger Hahnrei, bei dem die Tragödie der Familie ihren Anfang nimmt.
Ethan fühlt sich daher genau wie Odysseus im Recht, wenn er das Benehmen der Frauen kontrolliert und richtet, denn die Reinheit der Frauen ist in seiner Welt ein Tauschwert, ja die letztgültige Währung.
Es ist die Sexualangst aller Männer, die diesen verzweifelten Hass und die Verzerrungen der Wut in Ethans Gesicht gräbt und ätzt. Mater certa, pater incertus est - weil das ein so unerträglicher Gedanke ist, muss die Keuschheit der Frauen bewacht werden. Ein Kuckucksei in der Unversehrtheit der väterlichen Erbfolge ist eine Katastrophe.
Rache ist heroisch, aus ihr werden Epen geformt - aber sie ist barbarisch, eine Männersache. John Ford macht denn auch nie einen Hehl daraus, dass Zivilisiertheit nicht die starke Seite der harten Männer in "The Searchers" ist. Sie sind alle quasi Analphabeten, Martin Pawley schafft es in sieben Jahren gerade einmal, einen einzigen Brief an seine Verlobte zu schicken, in der er ihren Namen auch noch falsch buchstabiert. Das Lesen müssen die Frauen besorgen, und Jorgenson weist auch stolz darauf hin, dass seine Frau früher Lehrerin gewesen sei - im zivilisierten Osten vermutlich, in einer größeren Stadt. Denn nur Bildung und städtische Strukturen, in denen sich die Frauen von der Kontrolle der Männer befreien, können den tödlichen Kreislauf von Ehre, Schande und Rache beenden.
Eine einzige Figur im Film steht außerhalb dieser Logik. Es ist Mose Harper, der Shakespeare'sche Narr, der in keinem großen John-Ford-Film fehlen darf. Eine Art heiliger Idiot unklaren Alters, nicht eindeutiger Rasse und seltsam geschlechtslos, sind ihm Fragen von Ehre und Rache völlig fremd. Vor einem Indianerangriff dankt er Gott "für das, was du uns bescheret hast", und sein einziger weltlicher Ehrgeiz geht auf einen Schaukelstuhl. Aber jedes Mal, wenn Ethans Suche an einen toten Punkt gelangt, ist es Mose Harper, der die entscheidenden Hinweise liefert. Er ist die einzige Person des Films, die im geistig-religiösen Sinne gerettet ist, von allem Anfang an. Aber sein Weg, auch das macht Ford klar, ist für andere nicht gangbar und kein allgemeingültiger Ausweg.
Dass es in diesem Film also dennoch Ethan Edwards / John Wayne ist, der den Kreislauf von Ehre, Schande und Rache durchbricht, ist ein Wunder, das fast über den Glauben geht. Nun ist Ethan auch anders als alle anderen. Er kann perfekt lesen und schreiben, er versteht und benutzt auch komplizierte Wörter wie "bequeath" in seinem Testament, in dem er seine Habe Martin vermacht, der dann beim Lesen dieses Begriffs scheitert und nachfragen muss. Er spricht fließend Comanche und Spanisch. Wahrscheinlich weiß er von allem Anfang an, dass er Rückzugsgefechte für andere führt, die er im Grunde verachtet, denn er selbst ist schon zu Beginn des Films aus der Ordnung von Ehre und Schande gefallen: Seine eigene Blutlinie weiterzugeben ist unmöglich, er versöhnt paradoxerweise die Antagonismen, indem er Debbie, "soiled" wie sie ist, also sowohl vergewaltigt wie in die native Heimat eingeerdet, wieder integriert, als auch durch seine Adoption Martins, des Achtelcherokees. Er selbst ist ein Untoter wie der fliegende Holländer, verdammt, in Ewigkeit zwischen den Winden zu wandern wie der tote Comanche, dem er (in Kenntnis der indianischen Mythologie) die Augen ausgeschossen hat. Für ihn gibt es, und er weiß das von Anfang an, nicht einmal die Atempause, das temporäre Happy End des Odysseus.
Und deswegen beugt er sich, die panisch flüchtende Debbie verfolgend, vom Pferd, und anstatt sie niederzustechen (wie die Kavallerie das mit den indianischen Frauen und Kindern tut im Film), hebt er sie in den Sattel und bringt sie nach Hause. Let's go home, aber es wird nur ihr Zuhause sein (wenn überhaupt, siehe Laurie Jorgenson), denn ihr Vater kann der, der sie töten wollte, nicht sein, auch ihr Liebhaber nicht.
So ist der Kreislauf durchbrochen von Ehre und Schande, der urvordenkliche, und der Film verabschiedet sich in eine zweifelhafte Zukunft. Denn abgesehen von Ethan, der wie sein Todfeind und Bruder Scar keine Zukunft mehr hat, sind es immer noch die Männer, die, um ihre Ehre zu garantieren, die Schande der Frauen ahnden, ob im Griechenland Homers, im Mittelmeerraum seither, im Wilden Westen oder bei den archaischen Muslimen. Die, anders als wir glauben, keine Exklusivität auf das Prinzip haben, auch kein Urheberrecht auf Ehre und Schande, ihr heiliges Buch weiß davon nichts, das mörderische Rad hat sich vor ihm und vor jedem Monotheismus gedreht (auch wenn die Vertreter der Religionen gerne mitgedreht haben), und es dreht sich weiter, solange Männer die Keuschheit der Frauen hüten, um ihre Urängste vor deren Sexualität zu zähmen, solange das verkrüppelte Y-Chromosom mit Blutvergießen und Gewalt die Herrschaft behauptet.
Von Michael Kleeberg erschien zuletzt der Roman "Vaterjahre" (2014). Der hier abgedruckte Text ist ein Ausschnitt aus einem entstehenden Roman.
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