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Griechenland 1984. Kenneth, ein englischer Musiker, und Theres, eine junge Deutsche, singen auf der Straße, um sich ihren Urlaub zu finanzieren. Sie lieben sich. Als kenneth die Nachricht erhält, dass seine Mutter verunglückt ist, reist er überstürzt nach Hause und lässt Theres zurück. Ihm wird bewusst, wie sehr er sie braucht, aber sein Versuch, sie erneut zu gewinnen, scheitert. - 30 Jahre später, in Berlin. Ariane, eine 40jährige Fernsehschauspielerin, löst sich von ihrem Mann, einem erfolgreichen Anthropologen. Er zieht in ein Appartement am Hauptbahnhof. Von seinem fenster sieht er einen…mehr

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Produktbeschreibung
Griechenland 1984. Kenneth, ein englischer Musiker, und Theres, eine junge Deutsche, singen auf der Straße, um sich ihren Urlaub zu finanzieren. Sie lieben sich. Als kenneth die Nachricht erhält, dass seine Mutter verunglückt ist, reist er überstürzt nach Hause und lässt Theres zurück. Ihm wird bewusst, wie sehr er sie braucht, aber sein Versuch, sie erneut zu gewinnen, scheitert. - 30 Jahre später, in Berlin. Ariane, eine 40jährige Fernsehschauspielerin, löst sich von ihrem Mann, einem erfolgreichen Anthropologen. Er zieht in ein Appartement am Hauptbahnhof. Von seinem fenster sieht er einen Obdachlosen. Es ist kenneth, der nicht weiß, dass auch Theres inzwischen in berlin lebt.

Bonusmaterial

Booklet
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2017

Diese Bilder gehen nicht anschaffen
Es muss beim Erzählen nicht alles erklärt werden - Angela Schanelecs Film "Der traumhafte Weg"

Wenn wir uns daran zu erinnern versuchen, wie wir jemanden kennengelernt haben, dann sind da oft nur unscheinbare Details im Gedächtnis geblieben. Ein Wort, eine Geste, ein Kleidungsstück. Bei einem Film ergeht es einem kaum anders. Was hat er uns zuerst gezeigt, haben wir später verstanden, was wir anfangs bemerkt, aber noch nicht verstanden hatten? Die meisten Filme haben ihr routiniertes Kennenlernprogramm, oft ist das eine Art Speed-Dating, bei dem in möglichst kurzer Zeit möglichst viele, vermeintlich notwendige Informationen verabreicht werden. Viele Fernsehredakteure halten das schon für Dramaturgie. Diese Filme biedern sich an, sie "gehen anschaffen", wie der Regisseur Christian Petzold gerne sagt, weil sie glauben, einen so schneller von ihren Reizen überzeugen zu können.

Angela Schanelec, die zur Berliner Schule gerechnet wird, ist dieses Vorgehen sehr fremd. Sie fängt in ihren Filmen etwas an, ohne sich zu irgendwelchen Erklärungen genötigt zu sehen. Und sie hat auch kein Bedürfnis, die Menschen, die in ihren Filmen spielen, mit Motiven auszustatten und sie so transparent werden zu lassen, dass man sie am Ende durchschaut zu haben glaubt. Das war in "Orly" (2010) so oder auch in "Marseille" (2004). Und jetzt, in "Der traumhafte Weg", hat sie für ihr Erzählen eine filmische Sprache gefunden, die konsequenter und mutiger ist als alles, was sie bisher gemacht hat. Als Zuschauer müssen wir uns mit Zeichen, Hinweisen, Möglichkeiten begnügen, als würden nie mehr als Bruchstücke einer Geschichte sichtbar. Und da ist vor allem auch keine allwissende Instanz im Hintergrund, die einem gezielt etwas vorenthält, um Spannung zu erzeugen.

Es ist eher so, als werde man zufällig Zeuge von Begebenheiten, und was man für Informationen oder Tatsachen hält, das geht letztlich nicht über Ahnungen und Vermutungen hinaus. Als werde das Gewebe der Geschichte nicht immer fester und dichter, sondern bliebe locker und lückenhaft. Was passiert, lässt sich zwar scheinbar klar und einfach erzählen - aber nur dann, wenn einem bewusst ist, dass auch in den fraglosen und greifbaren Fakten der Handlung noch die Fragezeichen lauern.

"Der traumhafte Weg" ist deshalb zunächst eine spröde Bekanntschaft. Eine junge Frau und ein junger Mann im Griechenland der achtziger Jahre. Sie spielt Gitarre, er singt, um Geld zu verdienen. Man sieht dabei vor allem Hände, Füße, Geld, das in eine Mütze fällt, als sei nicht allzu wichtig, was für ein Gesicht sie machen. Nicht einmal dann, wenn er von einer Telefonzelle zu Hause in England anruft und erfährt, dass seine Mutter verunglückt ist, sieht man seine Mimik. Da sind, in einer amerikanischen Einstellung, Hände, die ihn auffangen, als er zusammensackt, und was passiert ist, hört man auch nur, weil der Mann, der ihn festgehalten hat, es einer Frau sagt, die auf einer Bank sitzt.

An dieser knappen Eröffnungssequenz wird sofort klar, wie Angela Schanelec erzählt und was sie interessiert. Das sind punktuelle Verdichtungen, fragmentarische Momente, sprechende Details, aber keine Erklärungen. Kenneth (Thorbjörn Björnsson) reist ab, Therese (Miriam Jakob) auch, er kommt dann kurz zu ihr nach Deutschland, man erkennt ihn an den Schuhen, als er aus dem Bus steigt, ohne die übliche Wiedersehensszene. In diesem elliptischen Erzählen findet der Film seinen besonderen Rhythmus. Indem er das jeweils Erwartbare unterläuft, bekommt das, was man sieht, ein anderes Gewicht.

Da liegt Geld auf dem Tisch, dann steht ein Fläschchen Morphium dort, Hände ziehen eine Spritze auf, Kenneth injiziert das Morphium behutsam seiner Mutter. Vorbereitet ist das durch einen kargen Dialog zwischen Vater und Sohn: "Nimmst du noch Drogen?" - "Ja." - "Was nimmst du?" - "Heroin." - "Kannst du Morphium besorgen?" - "Ja." - "Tust du es?" - "Einfach so?" - "Ist es schwer?" - "Nein."

Und ein paar Bilder weiter ist Therese älter, sie hat ein Kind, es ist 1989, denn im Fernsehen sieht man die Mauer fallen. Sie geht nach Berlin, was sich erschließt, weil sie einen Brief bekommt, in dessen Briefkopf das Wort "Berlin" zu erkennen ist. Die erste Geschichte geht ansatzlos über in eine zweite, beide trennt ein Schnitt, der hart und abrupt ist, wie ein Schock. Ein Paar (Maren Eggert, Phil Hayes) in Berlin, sie haben eine Tochter, sie wollen sich trennen. Dass wir mitten in der Gegenwart sind, wird ganz beiläufig erkennbar. Sie ist Schauspielerin, er Anthropologe, auch das ergibt sich indirekt, ohne dass darüber geredet werden müsste.

In den fast quadratischen Bildern von Reinhold Vorschneider ist alles zu sehen, was man sehen muss, die Auflösungen der Szenen wollen einem nichts erklären, und es gibt auch keine Szene, keinen Dialog, denen ihre dramaturgische Funktion auf den ersten Blick anzumerken wäre. Das erzählerische Gewebe bleibt porös, da schließt sich kein Kreis, da wird auch nicht etwas "aufgedeckt" oder "geklärt". Nicht einmal dann, wenn man im Obdachlosen vor dem Berliner Hauptbahnhof plötzlich Kenneth erkennt; wenn Therese an ihm vorbeigeht und ungewiss bleibt, ob sie einander nicht wiedererkennen oder ob sie es tun und den Moment einfach regungslos vergehen lassen.

Es ist bezeichnend für Angela Schanelecs Inszenierung, dass sie von den Schauspielern zu deutliche Regungen nicht sehen will. Oft ist die Mimik unentzifferbar, um nicht zu sagen: ausdruckslos, deadpan, fast wie bei Buster Keaton. Als wollte die Regisseurin sagen: Ein Gesicht ist kein offenes Buch, es muss sich also auch nicht in ihm lesen lassen. Für jede Deutung übernimmt man als Zuschauer selbst die Verantwortung. Das ist die Freiheit, die einem dieser Film lässt, wo andere einen mit ihrer Erklärungswut bevormunden. Nicht jeder wird von dieser Freiheit Gebrauch machen wollen.

Aber wenn man nicht die Geduld verloren hat, ist es sicher kein Fehler, wenn man sich noch mal an den Titel erinnert. Das Adjektiv "traumhaft" besagt natürlich nicht, alles sei toll und großartig. Es setzt einen auf eine Spur. Es lässt einen sehen, was der Film gar nicht verbirgt. Nicht erst seit Schnitzlers "Traumnovelle", aus der im Kino dann Kubricks "Eyes Wide Shut" wurde, wissen wir ja, dass kein Traum völlig Traum ist. Das gilt auch hier. Therese trägt anfangs einen weißen Rock mit dünnen schwarzen Querstreifen und ein rotorangefarbenes Shirt mit dünnen weißen Streifen. Sie trägt das und dieselbe Frisur auch 30 Jahre später noch, so wie Kenneth Schuhe, Hose, Pullover und Frisur nicht gewechselt hat. Wer hier nach Plausibilität fragt, muss sie in der Logik der Träume suchen; wer eine Antwort auf die Frage erwartet, wie die beiden Geschichten und ihre Figuren sich genau zueinander verhalten, wird sie nicht in der aristotelischen Dramatik finden.

Der Film, so spröde er einem zunächst vorkommt, hält etwas anderes dagegen: Dass Schauspieler nicht mit jedem Blick etwas "sagen" müssen; dass Figuren ihre Geheimnisse und Geschichten ihre losen Enden behalten sollen; dass es Momente gibt, die ihre eigene Konsistenz haben und in sich ruhen, wenn etwa die Tochter des zweiten Paares sich im Hallenbad über das aufgeschlagene Knie eines gleichaltrigen Jungen beugt. "Spucke desinfiziert", sagt sie - und spuckt darauf. Und so ist dann auch das letzte Bild des Films kein Closure, kein "richtiger" Schluss. Er hört einfach auf. Jeder wird seine Version dessen haben, was geschehen ist. Ob es eine "richtige" Version gibt? Ist das wichtig? Weit wichtiger als eine Antwort ist es, ob dieser Film einen fasziniert hat, ob der Weg, den man mit ihm zurückgelegt hat, sich gelohnt hat.

PETER KÖRTE

Von Donnerstag an im Kino

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