Jacques Derrida gilt als einer der wichtigsten Philosophen unserer Zeit, der den Blick auf Geschichte, Kunst und Sprache des 20. Jahrhunderts und nicht zuletzt den Blick auf uns selbst maßgeblich beeinflusst hat. Er ist weltweit vor allem als der Vater der »Dekonstruktion« bekannt. Über fünf Jahre haben Kirby Dick und Amy Ziering Kofman an ihrem Dokumentarfi lm gearbeitet, Derrida privat in Paris und New York besucht und ihn auf seinen Vortragsreisen begleitet. Sie nutzen neben Auszügen aus Derridas Publikationen Vorträge, Vorlesungen und Diskussionen an verschiedenen Universitäten.
Der Film zeigt Derrida, wie er über Liebe und Gewalt, über Narzissmus und Ruhm oder den Tod seiner Mutter spricht, wie er sich kämmt, wie er isst oder mit feinem Witz scherzt. Und er zeigt viel von Derridas Charakter, seinem grüblerischen Snobismus oder seiner Widerwilligkeit, eigene Geheimnisse preiszugeben, obwohl ihn diese bei anderen Philosophen im höchsten Maße interessieren. Der Philosoph seinerseits dekonstruiert den Dokumentarfilm, indem er dessen Unfähigkeit beschwört, die Wahrheit festzuhalten. DERRIDA ist deshalb nicht nur die Skizze einer Biografi e, auch nicht nur eine Einführung in Derridas Denken, sondern vielmehr ein dichter und unterhaltsamer Dialog, dessen Themen und Inszenierung die Theorien des Philosophen reflektieren. Die hypnotisierende Filmmusik stammt von Ryuichi Sakamoto.
Der Film zeigt Derrida, wie er über Liebe und Gewalt, über Narzissmus und Ruhm oder den Tod seiner Mutter spricht, wie er sich kämmt, wie er isst oder mit feinem Witz scherzt. Und er zeigt viel von Derridas Charakter, seinem grüblerischen Snobismus oder seiner Widerwilligkeit, eigene Geheimnisse preiszugeben, obwohl ihn diese bei anderen Philosophen im höchsten Maße interessieren. Der Philosoph seinerseits dekonstruiert den Dokumentarfilm, indem er dessen Unfähigkeit beschwört, die Wahrheit festzuhalten. DERRIDA ist deshalb nicht nur die Skizze einer Biografi e, auch nicht nur eine Einführung in Derridas Denken, sondern vielmehr ein dichter und unterhaltsamer Dialog, dessen Themen und Inszenierung die Theorien des Philosophen reflektieren. Die hypnotisierende Filmmusik stammt von Ryuichi Sakamoto.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - 9 zusätzliche Kurzinterviews mit Derrida - 8 Deleted Scenes - Liveaufnahme von der New Yorker Filmpremiere - Zuschaltbarer Audiokommentar der RegisseureFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2003Deconstructing Jacquie
Vormittag eines Philosophen: Wie der Versuch zweier junger Amerikanerinnen scheiterte, einen Film über Derrida zu drehen
Erst macht er einen auf ganz schlau, der weltberühmte Philosoph, und zitiert den alten Heideggerschen Spruch, das Leben von Aristoteles könne man in einem Satz beschreiben: Er wurde geboren, dachte und starb. Und auf mehr Text über sich hat Jacques Derrida ganz offensichtlich auch keine Lust, auf keinen Biographen und schon gar nicht auf ein kalifornisches Kamerateam, das ihn schon frühmorgens fröhlich zirpend in seiner Küche erwartet. Dann macht er sich über die Kamerafrau lustig, die ihn beim Überqueren einer Straße filmt und selbst über den Bordstein stolpert: "Durch ihre Kamera sieht sie alles, aber eigentlich ist sie vollkommen blind", lacht er.
Derrida will uns etwas sagen: Das Bild, das gerade von ihm gemacht wird, mag zwar vollkommen ruhig und natürlich wirken, so als würde der Zuschauer einem Philosophen bei der täglichen Arbeit zusehen, es ist aber weder ruhig noch natürlich, wo er, Derrida, jetzt gerade steht, denn da sind Scheinwerfer und eine Kamera, und alles ist kompliziert und künstlich. "Alles ist eine Lüge!" regt er sich auf, wenn der Vormittag eines Philosophen im Film dargestellt werden soll. An einem normalen Vormittag, erklärt er irgendwie verzweifelt oder bloß besserwisserisch, trägt er nämlich nicht so ein senfgelbes Hemd, sondern er bleibt in Pyjama und Bademantel, bis es Zeit ist, das Haus zu verlassen.
Beim Zuschauer erzeugt so eine Erregung aber keine wesentlich neue Einsicht über die Gesetze des Mediums, sie wendet sich vielmehr gegen den, der sich da so aufregt: So hätte er sich ja dann auch filmen lassen können, mit verwirrten Haaren im Schlafanzug, wenn er sich schon darauf einläßt, ein Filmteam in sein Haus zu lassen. Im Film gibt es eben keinen Ausweg und keinen Standpunkt, von dem aus man gegen die Gesetze des Filmemachens argumentieren könnte. Der Philosoph versucht die hektische Dekonstruktion des Filmens vor laufender Kamera, aber die wirkt nicht aufklärend, sondern irgendwie unsympathisch, zumal in so einem Low-budget-Dokumentarfilm, wo die Bilder so wackeln und liebenswert fragil scheinen, die Musik sorgsam komponiert wurde und die Filmemacherinnen so eine sanfte Stimme haben. Widerstand ist hier zwecklos. Weil die Filmemacherinnen das genau wissen, machen sie etwas sehr Geschicktes: Sie setzen den Philosophen vor den Monitor und zeigen ihm einige der Szenen, in denen er sich darum bemüht, die Bedingungen der Interviews transparent zu machen, und filmen ihn dabei, wie er sich diese Szenen anschaut. Und - Jacques Derrida ist ja nicht blöd - von da an geht es doch etwas besser mit ihm und dem Film, das heißt er beschränkt sich über weite Strecken darauf, über anderes zu reden, und der Film hält sich zurück, begleitet ihn mit der Kamera und zitiert aus seinen Schriften.
Manchmal verliert er aber auch einfach die Geduld mit den Medien, dem Fernsehen, mit der Gegenwart überhaupt. Da gibt es dieses Fernsehinterview mit einer besonders ambitionierten Moderatorin, die irgendwie einen Zugang zum Werk des Philosophen über die Sitcom von Jerry Seinfeld sucht, um, so ganz Elke-Heidenreich-mäßig, auch dem gewöhnlichen Fernsehzuschauer die unterstellte Angst vor der Philosophie zu nehmen. Sie kommt nicht sehr weit damit: "Wer etwas über Dekonstruktion lernen möchte, der soll kein Fernsehen schauen, sondern seine Hausaufgaben machen und was lesen."
Am besten läuft der Film, wenn er sich um die erweiterte Familie des Philosophen kümmert. Am Morgen nach einem Familientreffen spürt ihn das Team in der Küche auf, die Filmemacherin flötet "Ihre Familie ist sehr nett", und - man wundert sich, aber es ist so - diese kalifornische Floskel rührt Derrida dann doch augenscheinlich, er nimmt seine Brille ab und kommt näher, fragt noch mal nach: "Sie finden sie nett? Besonders meine Schwester ist sehr nett, nicht wahr, und ihr Mann doch auch, der ist auch sehr nett . . ."
Und dann kommt dieser eine Moment im Film, den man, Dekonstruktion hin oder her, wirklich nicht glauben kann. Eine Freundin Derridas berichtet von einem Abendessen, an dem auch die hochbetagte Mutter des Philosophen teilnahm. Es war der Tag, an dem der philosophische Kernbegriff Derridas, "différance" (mit a statt mit e, aus wichtigen, in vielen Schriften nachzulesenden Gründen), in ein maßgebliches französisches Wörterbuch aufgenommen worden war. Die Freundin fand, man solle jetzt darauf anstoßen. Die alte Mutter bekam die Sache allmählich mit und fragt ihren Sohn empört: "Oh Jacquie, hast du etwa différence mit einem a geschrieben?"
NILS MINKMAR
"Derrida", Regie: Kirby Dick und Amy Ziering Kofman. Ab Donnerstag im Kino.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vormittag eines Philosophen: Wie der Versuch zweier junger Amerikanerinnen scheiterte, einen Film über Derrida zu drehen
Erst macht er einen auf ganz schlau, der weltberühmte Philosoph, und zitiert den alten Heideggerschen Spruch, das Leben von Aristoteles könne man in einem Satz beschreiben: Er wurde geboren, dachte und starb. Und auf mehr Text über sich hat Jacques Derrida ganz offensichtlich auch keine Lust, auf keinen Biographen und schon gar nicht auf ein kalifornisches Kamerateam, das ihn schon frühmorgens fröhlich zirpend in seiner Küche erwartet. Dann macht er sich über die Kamerafrau lustig, die ihn beim Überqueren einer Straße filmt und selbst über den Bordstein stolpert: "Durch ihre Kamera sieht sie alles, aber eigentlich ist sie vollkommen blind", lacht er.
Derrida will uns etwas sagen: Das Bild, das gerade von ihm gemacht wird, mag zwar vollkommen ruhig und natürlich wirken, so als würde der Zuschauer einem Philosophen bei der täglichen Arbeit zusehen, es ist aber weder ruhig noch natürlich, wo er, Derrida, jetzt gerade steht, denn da sind Scheinwerfer und eine Kamera, und alles ist kompliziert und künstlich. "Alles ist eine Lüge!" regt er sich auf, wenn der Vormittag eines Philosophen im Film dargestellt werden soll. An einem normalen Vormittag, erklärt er irgendwie verzweifelt oder bloß besserwisserisch, trägt er nämlich nicht so ein senfgelbes Hemd, sondern er bleibt in Pyjama und Bademantel, bis es Zeit ist, das Haus zu verlassen.
Beim Zuschauer erzeugt so eine Erregung aber keine wesentlich neue Einsicht über die Gesetze des Mediums, sie wendet sich vielmehr gegen den, der sich da so aufregt: So hätte er sich ja dann auch filmen lassen können, mit verwirrten Haaren im Schlafanzug, wenn er sich schon darauf einläßt, ein Filmteam in sein Haus zu lassen. Im Film gibt es eben keinen Ausweg und keinen Standpunkt, von dem aus man gegen die Gesetze des Filmemachens argumentieren könnte. Der Philosoph versucht die hektische Dekonstruktion des Filmens vor laufender Kamera, aber die wirkt nicht aufklärend, sondern irgendwie unsympathisch, zumal in so einem Low-budget-Dokumentarfilm, wo die Bilder so wackeln und liebenswert fragil scheinen, die Musik sorgsam komponiert wurde und die Filmemacherinnen so eine sanfte Stimme haben. Widerstand ist hier zwecklos. Weil die Filmemacherinnen das genau wissen, machen sie etwas sehr Geschicktes: Sie setzen den Philosophen vor den Monitor und zeigen ihm einige der Szenen, in denen er sich darum bemüht, die Bedingungen der Interviews transparent zu machen, und filmen ihn dabei, wie er sich diese Szenen anschaut. Und - Jacques Derrida ist ja nicht blöd - von da an geht es doch etwas besser mit ihm und dem Film, das heißt er beschränkt sich über weite Strecken darauf, über anderes zu reden, und der Film hält sich zurück, begleitet ihn mit der Kamera und zitiert aus seinen Schriften.
Manchmal verliert er aber auch einfach die Geduld mit den Medien, dem Fernsehen, mit der Gegenwart überhaupt. Da gibt es dieses Fernsehinterview mit einer besonders ambitionierten Moderatorin, die irgendwie einen Zugang zum Werk des Philosophen über die Sitcom von Jerry Seinfeld sucht, um, so ganz Elke-Heidenreich-mäßig, auch dem gewöhnlichen Fernsehzuschauer die unterstellte Angst vor der Philosophie zu nehmen. Sie kommt nicht sehr weit damit: "Wer etwas über Dekonstruktion lernen möchte, der soll kein Fernsehen schauen, sondern seine Hausaufgaben machen und was lesen."
Am besten läuft der Film, wenn er sich um die erweiterte Familie des Philosophen kümmert. Am Morgen nach einem Familientreffen spürt ihn das Team in der Küche auf, die Filmemacherin flötet "Ihre Familie ist sehr nett", und - man wundert sich, aber es ist so - diese kalifornische Floskel rührt Derrida dann doch augenscheinlich, er nimmt seine Brille ab und kommt näher, fragt noch mal nach: "Sie finden sie nett? Besonders meine Schwester ist sehr nett, nicht wahr, und ihr Mann doch auch, der ist auch sehr nett . . ."
Und dann kommt dieser eine Moment im Film, den man, Dekonstruktion hin oder her, wirklich nicht glauben kann. Eine Freundin Derridas berichtet von einem Abendessen, an dem auch die hochbetagte Mutter des Philosophen teilnahm. Es war der Tag, an dem der philosophische Kernbegriff Derridas, "différance" (mit a statt mit e, aus wichtigen, in vielen Schriften nachzulesenden Gründen), in ein maßgebliches französisches Wörterbuch aufgenommen worden war. Die Freundin fand, man solle jetzt darauf anstoßen. Die alte Mutter bekam die Sache allmählich mit und fragt ihren Sohn empört: "Oh Jacquie, hast du etwa différence mit einem a geschrieben?"
NILS MINKMAR
"Derrida", Regie: Kirby Dick und Amy Ziering Kofman. Ab Donnerstag im Kino.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main