Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2013Du hast da wen im Auge
Allianz der asylsuchenden Aliens: Mit "Seelen" kommt ein Frühwerk von Stephenie Meyer ins Kino
Bevor Stephenie Meyer mit ihren "Bis(s)"-Romanen den Vampir zum Rollenmodell für Teenager ausbaute, schrieb sie "Seelen". Ein Roman aus dem Geist konservativer Negativ-Utopien, mit Aliens und Widerstandskämpfern, großer Liebe und jener leicht verquasten Denkerattitüde, die dem Gestus pubertären Grübelns nachempfunden ist: Wer sind wir? Woher kommen wir? Und wenn ich am Wochenende schon um elf zu Hause sein muss, was soll das Ganze dann?
Regisseur Andrew Niccol hat aus dem Jugendbuch einen eleganten Thriller gezaubert, viel klüger und spannender als die "Bis(s)"-Filme mit ihrer Übermenschen-Romantik: Richte dich auf zu unsterblicher Größe! Werde Vampir! Überlebe deine Eltern um mindestens zehntausend Jahre, du wusstest ja schon in der Grundschule alles besser als diese verbohrten Knacker.
Die Heldin aus "Seelen" weiß erst mal nichts, sie ist ein Alien, das in einen Frauenkörper verpflanzt wurde. So machen das diese kosmischen Migranten: Sie nisten sich in unserer Physis ein, man bleibt rein äußerlich der Alte bis auf ein verräterisches Leuchten im Auge, als habe sich hinter der Iris einer versteckt und suche mit der Taschenkampe den Weg nach draußen.
"Wir verändern die Welt nicht, wie perfektionieren sie", sagt Diane Kruger, die ein Oberalien namens Searcher spielt. Klingt wie ein Werbeslogan von Google, und tatsächlich sehen die Außerirdischen in ihrer Urform aus, wie man sich naiverweise den Datenstrom vorstellen würde: metallisch glitzernde Fäden, die ätherisch wabern. Die Erde erreichen sie in schicken Metallflakons, Usurpation pour homme, es könnte aber auch eine Computermaus sein, designt von Philippe Starck. Algorithmen verkleiden sich so, wenn Larry Page von ihnen träumt.
Steckt das Alien - nom de guerre: Wanderer, kurz: Wanda - also im Körper der jungen Melanie (Saoirse Ronan) fest und soll bei der Errichtung eines glücklichen Metastaats mithelfen. Im Gegensatz zum Menschen ist die neue Rasse grundgütig, gewaltfrei und ökologisch versiert weit über die Grenzen von Mülltrennung und Einkauf beim Biomarkt hinaus. "Wir lügen nicht, wir vertrauen uns", sagt der Searcher, schon klar, und die Sache mit der Dissidentenverfolgung fällt dann unter Gefahrenprävention. Wenn man den Menschen von der Leine lässt, versaut er noch die schönste Utopie.
Melanie versus Wanda, zwei Seelen in einer Brust, ein gespaltenes Bewusstsein. Man flieht vor der Obrigkeit, die in Gestalt von weiß gewandeten, Chromautos fahrenden Zeitgenossen die Welt mit Shopping Malls und Bürogebäuden überzogen hat. Bedrückend, dass selbst in Hollywood erdachte Entfremdungsarchitektur aussieht wie der Berliner Potsdamer Platz.
Der Widerstand hat sich in Wüstenkatakomben verschanzt, dort pflanzt man unterirdisch Getreide an und lebt überhaupt nach dem Prinzip einer geglückten Subsistenzwirtschaft. So hat man sie gerne, die Vormoderne: ein Menschheitsclan mit schönen jungen Menschen und als Paterfamilias Wiliam Hurt, der hier den besseren Indiana Jones abgibt. Zu Schlapphut und Knarre kommen philosophischer Esprit und ein Fortschrittsennui, der mindestens einen Nebenrollen-Oscar wert ist. Hier nun liebt Melanie den hitzköpfigen Jared (Max Irons) und Wanda den empfindsamen Ian (Jake Abel). Die Widersprüche des Begehrens in besagter ökonomischer Ausstattung: ein Herz, zwei Leidenschaften.
Und auch intellektuell ist einiges los. "Richtig überfüllt hier", sagt Melanie, das grundsätzlich per Voice-over eingespielte Über- und Neben-Ich, zu Wanda. Und stimmt ja auch, die Dialektik ist knifflig. Einerseits soll das fremde Denken raus aus den Köpfen, die unterdrückten Massen müssen sich schon selbst befreien, damit die Aufklärung was taugt.
Aber die Technikfeindlichkeit, die ist dann doch sehr konservativ und verschmockt, und der Film zeigt das auch genau so, als Einkapselung in ein Naturidyll, in dem man nichts mehr erkennt, aber vieles verklärt. Ein tolles Höhlengleichnis kommt so zustande: Die versteckt lebende Resistancegemeinschaft lenkt Sonnenlicht über gigantische Spiegel auf ihre unterirdisch angelegten Getreidefelder. Die Wirklichkeit ist nur eine Reflexion, sagt dieses Szenario. Solange du auf der Flucht vor der Alienmoderne bist, lebst du in einer Welt der Erscheinung, nicht der Tatsächlichkeit.
Und überhaupt: Agrarkommune, schön und gut, aber W-Lan, Designerkleidung und schicke Chromflitzer in der Garage sind nun auch nicht zu verachten. Es kommt ja nur aufs richtige Bewusstsein an. Die Wanderung ist also noch lange nicht zu Ende.
DANIEL HAAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Allianz der asylsuchenden Aliens: Mit "Seelen" kommt ein Frühwerk von Stephenie Meyer ins Kino
Bevor Stephenie Meyer mit ihren "Bis(s)"-Romanen den Vampir zum Rollenmodell für Teenager ausbaute, schrieb sie "Seelen". Ein Roman aus dem Geist konservativer Negativ-Utopien, mit Aliens und Widerstandskämpfern, großer Liebe und jener leicht verquasten Denkerattitüde, die dem Gestus pubertären Grübelns nachempfunden ist: Wer sind wir? Woher kommen wir? Und wenn ich am Wochenende schon um elf zu Hause sein muss, was soll das Ganze dann?
Regisseur Andrew Niccol hat aus dem Jugendbuch einen eleganten Thriller gezaubert, viel klüger und spannender als die "Bis(s)"-Filme mit ihrer Übermenschen-Romantik: Richte dich auf zu unsterblicher Größe! Werde Vampir! Überlebe deine Eltern um mindestens zehntausend Jahre, du wusstest ja schon in der Grundschule alles besser als diese verbohrten Knacker.
Die Heldin aus "Seelen" weiß erst mal nichts, sie ist ein Alien, das in einen Frauenkörper verpflanzt wurde. So machen das diese kosmischen Migranten: Sie nisten sich in unserer Physis ein, man bleibt rein äußerlich der Alte bis auf ein verräterisches Leuchten im Auge, als habe sich hinter der Iris einer versteckt und suche mit der Taschenkampe den Weg nach draußen.
"Wir verändern die Welt nicht, wie perfektionieren sie", sagt Diane Kruger, die ein Oberalien namens Searcher spielt. Klingt wie ein Werbeslogan von Google, und tatsächlich sehen die Außerirdischen in ihrer Urform aus, wie man sich naiverweise den Datenstrom vorstellen würde: metallisch glitzernde Fäden, die ätherisch wabern. Die Erde erreichen sie in schicken Metallflakons, Usurpation pour homme, es könnte aber auch eine Computermaus sein, designt von Philippe Starck. Algorithmen verkleiden sich so, wenn Larry Page von ihnen träumt.
Steckt das Alien - nom de guerre: Wanderer, kurz: Wanda - also im Körper der jungen Melanie (Saoirse Ronan) fest und soll bei der Errichtung eines glücklichen Metastaats mithelfen. Im Gegensatz zum Menschen ist die neue Rasse grundgütig, gewaltfrei und ökologisch versiert weit über die Grenzen von Mülltrennung und Einkauf beim Biomarkt hinaus. "Wir lügen nicht, wir vertrauen uns", sagt der Searcher, schon klar, und die Sache mit der Dissidentenverfolgung fällt dann unter Gefahrenprävention. Wenn man den Menschen von der Leine lässt, versaut er noch die schönste Utopie.
Melanie versus Wanda, zwei Seelen in einer Brust, ein gespaltenes Bewusstsein. Man flieht vor der Obrigkeit, die in Gestalt von weiß gewandeten, Chromautos fahrenden Zeitgenossen die Welt mit Shopping Malls und Bürogebäuden überzogen hat. Bedrückend, dass selbst in Hollywood erdachte Entfremdungsarchitektur aussieht wie der Berliner Potsdamer Platz.
Der Widerstand hat sich in Wüstenkatakomben verschanzt, dort pflanzt man unterirdisch Getreide an und lebt überhaupt nach dem Prinzip einer geglückten Subsistenzwirtschaft. So hat man sie gerne, die Vormoderne: ein Menschheitsclan mit schönen jungen Menschen und als Paterfamilias Wiliam Hurt, der hier den besseren Indiana Jones abgibt. Zu Schlapphut und Knarre kommen philosophischer Esprit und ein Fortschrittsennui, der mindestens einen Nebenrollen-Oscar wert ist. Hier nun liebt Melanie den hitzköpfigen Jared (Max Irons) und Wanda den empfindsamen Ian (Jake Abel). Die Widersprüche des Begehrens in besagter ökonomischer Ausstattung: ein Herz, zwei Leidenschaften.
Und auch intellektuell ist einiges los. "Richtig überfüllt hier", sagt Melanie, das grundsätzlich per Voice-over eingespielte Über- und Neben-Ich, zu Wanda. Und stimmt ja auch, die Dialektik ist knifflig. Einerseits soll das fremde Denken raus aus den Köpfen, die unterdrückten Massen müssen sich schon selbst befreien, damit die Aufklärung was taugt.
Aber die Technikfeindlichkeit, die ist dann doch sehr konservativ und verschmockt, und der Film zeigt das auch genau so, als Einkapselung in ein Naturidyll, in dem man nichts mehr erkennt, aber vieles verklärt. Ein tolles Höhlengleichnis kommt so zustande: Die versteckt lebende Resistancegemeinschaft lenkt Sonnenlicht über gigantische Spiegel auf ihre unterirdisch angelegten Getreidefelder. Die Wirklichkeit ist nur eine Reflexion, sagt dieses Szenario. Solange du auf der Flucht vor der Alienmoderne bist, lebst du in einer Welt der Erscheinung, nicht der Tatsächlichkeit.
Und überhaupt: Agrarkommune, schön und gut, aber W-Lan, Designerkleidung und schicke Chromflitzer in der Garage sind nun auch nicht zu verachten. Es kommt ja nur aufs richtige Bewusstsein an. Die Wanderung ist also noch lange nicht zu Ende.
DANIEL HAAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main