Deutschland im Herbst: Die Bundesrepublik 1977, die RAF, Mogadischu, Stammheim, die Ermordung von Hanns-Martin Schleyer. Ein Kollektivfilm, der die Emotion dieser Ereignisse festhält. "Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner blickt es zurück: Deutschland." Die Patriotin: Die Geschichte der Gabi Teichert (Hannelore Hoger), die schon in Deutschland im Herbst nach den Wurzeln der deutschen Geschichte gräbt. "Wenn mich etwas umbringen kann, will ich wissen, was es ist." Das Vaterland der Geschichtslehrerin ist die Bildung. Im Schulalltag, auf dem Parteitag der SPD, am Bußtag und im Advent: Unentwegt ist sie auf der Suche nach einer Republik, für die der Einsatz lohnt. Die Doppel-DVD bietet außerdem Kurzfilme von Alexander Kluge sowie sein Buch "Die Patriotin".
Bonusmaterial
Beil.: BookletFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2008Deutschland im Herbst
Zu Beginn: Bilder einer Beerdigung. 25. Oktober 1977, Hanns Martin Schleyer. Ein Staatsakt. Gepflegte Trauergäste aus Politik, Wirtschaft, Industrie. Dunkle, formelle Trauerkleidung. Ringsum großes Sicherheitsaufgebot.
Ein öffentliches Ereignis, das dem privaten Drama so gut wie keinen Raum gibt.
Polizei (hier postiert zum Schutz der Trauergäste) und Bürger: eine verunsicherte Allianz.
Zum Schluss: Bilder einer Beerdigung. 27. Oktober 1977, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe. Unmengen von Schaulustigen, Sympathisanten, Bekannten. Kein Dresscode. Aufgrund des Andrangs rutscht die Zeremonie knapp am Chaos vorbei. Omnipräsent die bewaffneten und berittenen Beamten.
Polizei (hier postiert zur Regulierung der Trauergäste) und Bürger: zwei gegnerische, miteinander verfeindete Sphären.
Zwischen diesen beiden dokumentarischen Sequenzen, die den Film einrahmen und ihm seine thematische Klammer schenken, verdichten sich filmische Erzähl- und Beobachtungssplitter zu einem Kaleidoskop der Epoche, die einst als "Deutscher Herbst" bezeichnet wurde und in der gleich mehrere Generationen Deutscher ihre politische Identität formten, schärften oder einem Paradigmenwechsel unterwarfen.
Deutschland im Herbst: ein Film also aus Fragmenten, in welchem Fiktion und Dokument verschwimmen zur nachdenklich-assoziativen Collage. "Gegenöffentlichkeit" schaffen - das war Stichwort und Motivation der Gruppe von Filmemachern um Alexander Kluge und Volker Schlöndorff, die sich spontan zu diesem politischen Experimentalprojekt zusammenfanden. Ohne konkretes Budget, ohne große Vorbereitung wurde reflexhaft, impulsiv und zugleich konzentriert die subjektive Resonanz auf das objektive Wirrwarr der damaligen gesellschaftlichen Lage untersucht.
Herausgekommen ist ein - heute noch mal anders als damals - faszinierender (wenn auch im Mittelteil kurzzeitig etwas ermüdender) Diskurs über die möglichen Formen der filmischen Auseinandersetzung mit politischer Realität. Über ästhetische Positionierung und inhaltliche Abgrenzung. Über die Schwierigkeiten bei der Suche nach adäquaten Bildern und Worten zu Themen, in denen sich die Geschichte eines Landes ebenso spiegelt wie die Befindlichkeit seiner Bevölkerung.
Sosehr die von Ambivalenzen beeinflusste Frage nach der eigenen Disposition zu RAF, Widerstand und Sozialismus (sowie einer generellen Positionierung im politischen Spektrum der BRD in den siebziger Jahren) unter den Bildern durchschimmert, so sehr unterstreicht die (von Kluge maßgeblich geprägte und von Beate Mainka-Jellinghaus montierte) Dramaturgie den skeptischen, suchenden Charakter, mit dem die kinematographischen Strategien den akuten und noch nicht historisierten Ereignissen begegnen.
Immer wieder, mitten im Bildergetümmel, das wechselweise schwarzweiß und bunt, nervös und elegisch, abstrakt und konkret daherkommt, sind die Stimme und Form einzelner Filmemacher identifizierbar, aber mit Absicht scheinen allzu eindeutige Spuren immer wieder verwischt worden zu sein. Das Anliegen, ein Statement als Gruppe zu machen, formulierte sich tatsächlich in einer Ineinander-Verwobenheit, die wie sonst kein anderer Film dieser Generation den zwar losen, aber dennoch spürbaren gemeinsamen Gesinnungsraum seiner Autoren kennzeichnet.
Einzig Fassbinder sticht - signifikant für seine Rolle innerhalb des "Neuen Deutschen Films" - unübersehbar heraus. In der persönlichsten und intimsten Episode, die gleich zu Beginn von "Deutschland im Herbst", gleich nach den dokumentarischen Bildern der Schleyer-Beerdigung, uns in Fassbinders dunkle Münchner Wohnung entführt, konfrontiert er uns rauchend, saufend, koksend und überwiegend nackt mit der quasi live festgehaltenen Schockreaktion auf das politische Geschehen außerhalb seines persönlichen, tunnelhaften Kokons. Beeindruckend, wie so oft bei dem aggressivsten und zugleich verletzlichsten deutschen Regisseur, wie hier das Private dem Politischen begegnet und beide Begriffe als Erlebnisräume ernst genommen werden, die unlösbar miteinander verstrickt sind.
Fassbinder hasst seinen Liebhaber für dessen gelangweilt-reaktionäre Provokationen, hält es aber ohne seine Nähe keine Minute aus. Er streitet mit seiner Mutter über einen faulen, inkonsequenten Demokratiebegriff und ist zugleich ohnmächtig gegenüber ihren Erlöserphantasien, ihrer Sehnsucht nach einem "Führer, der alles gut macht".
Nirgendwo sonst spiegelt sich die Zerrissenheit dieser Generation dichter als in dieser kammerspielhaften Miniatur, die man tatsächlich zu Fassbinders besten Arbeiten zählen kann. Und doch hat auch diese halbe Stunde nur Bestand im Kontext und Bezug zu den anderen Bildern, Formaten, Assoziationen, Gedanken.
Ein vergleichbarer Film, in dem sich seine Autoren so eindeutig zur Gruppe verschwören wie in "Deutschland im Herbst", ist heute nur unter anderen Vorzeichen denkbar. Zwangsläufig müsste ein ähnliches Experiment heute die Individualität seiner Stimmen, das Nebeneinander akzentuieren, um ein Miteinander zu verorten. Was natürlich vor allem damit zu tun hat, dass - trotz "Repolitisierung" - die Antagonisten sich immer häufiger auf des Gegners Spielfeld tummeln. "Wir hier - dort der Staat" etwa: Das ist kein Motto mehr, von dem heute wirklich starke Bindungsenergien ausgehen. Was aber natürlich nicht heißt, dass es keine radikalen politischen Gegnerschaften mehr gäbe. Sie zu identifizieren und sich zu positionieren ist nur unwegsamer geworden.
Der neue Film von Tom Tykwer, Jahrgang 1965, "The International", kommt im Februar 2009 in die Kinos.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu Beginn: Bilder einer Beerdigung. 25. Oktober 1977, Hanns Martin Schleyer. Ein Staatsakt. Gepflegte Trauergäste aus Politik, Wirtschaft, Industrie. Dunkle, formelle Trauerkleidung. Ringsum großes Sicherheitsaufgebot.
Ein öffentliches Ereignis, das dem privaten Drama so gut wie keinen Raum gibt.
Polizei (hier postiert zum Schutz der Trauergäste) und Bürger: eine verunsicherte Allianz.
Zum Schluss: Bilder einer Beerdigung. 27. Oktober 1977, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe. Unmengen von Schaulustigen, Sympathisanten, Bekannten. Kein Dresscode. Aufgrund des Andrangs rutscht die Zeremonie knapp am Chaos vorbei. Omnipräsent die bewaffneten und berittenen Beamten.
Polizei (hier postiert zur Regulierung der Trauergäste) und Bürger: zwei gegnerische, miteinander verfeindete Sphären.
Zwischen diesen beiden dokumentarischen Sequenzen, die den Film einrahmen und ihm seine thematische Klammer schenken, verdichten sich filmische Erzähl- und Beobachtungssplitter zu einem Kaleidoskop der Epoche, die einst als "Deutscher Herbst" bezeichnet wurde und in der gleich mehrere Generationen Deutscher ihre politische Identität formten, schärften oder einem Paradigmenwechsel unterwarfen.
Deutschland im Herbst: ein Film also aus Fragmenten, in welchem Fiktion und Dokument verschwimmen zur nachdenklich-assoziativen Collage. "Gegenöffentlichkeit" schaffen - das war Stichwort und Motivation der Gruppe von Filmemachern um Alexander Kluge und Volker Schlöndorff, die sich spontan zu diesem politischen Experimentalprojekt zusammenfanden. Ohne konkretes Budget, ohne große Vorbereitung wurde reflexhaft, impulsiv und zugleich konzentriert die subjektive Resonanz auf das objektive Wirrwarr der damaligen gesellschaftlichen Lage untersucht.
Herausgekommen ist ein - heute noch mal anders als damals - faszinierender (wenn auch im Mittelteil kurzzeitig etwas ermüdender) Diskurs über die möglichen Formen der filmischen Auseinandersetzung mit politischer Realität. Über ästhetische Positionierung und inhaltliche Abgrenzung. Über die Schwierigkeiten bei der Suche nach adäquaten Bildern und Worten zu Themen, in denen sich die Geschichte eines Landes ebenso spiegelt wie die Befindlichkeit seiner Bevölkerung.
Sosehr die von Ambivalenzen beeinflusste Frage nach der eigenen Disposition zu RAF, Widerstand und Sozialismus (sowie einer generellen Positionierung im politischen Spektrum der BRD in den siebziger Jahren) unter den Bildern durchschimmert, so sehr unterstreicht die (von Kluge maßgeblich geprägte und von Beate Mainka-Jellinghaus montierte) Dramaturgie den skeptischen, suchenden Charakter, mit dem die kinematographischen Strategien den akuten und noch nicht historisierten Ereignissen begegnen.
Immer wieder, mitten im Bildergetümmel, das wechselweise schwarzweiß und bunt, nervös und elegisch, abstrakt und konkret daherkommt, sind die Stimme und Form einzelner Filmemacher identifizierbar, aber mit Absicht scheinen allzu eindeutige Spuren immer wieder verwischt worden zu sein. Das Anliegen, ein Statement als Gruppe zu machen, formulierte sich tatsächlich in einer Ineinander-Verwobenheit, die wie sonst kein anderer Film dieser Generation den zwar losen, aber dennoch spürbaren gemeinsamen Gesinnungsraum seiner Autoren kennzeichnet.
Einzig Fassbinder sticht - signifikant für seine Rolle innerhalb des "Neuen Deutschen Films" - unübersehbar heraus. In der persönlichsten und intimsten Episode, die gleich zu Beginn von "Deutschland im Herbst", gleich nach den dokumentarischen Bildern der Schleyer-Beerdigung, uns in Fassbinders dunkle Münchner Wohnung entführt, konfrontiert er uns rauchend, saufend, koksend und überwiegend nackt mit der quasi live festgehaltenen Schockreaktion auf das politische Geschehen außerhalb seines persönlichen, tunnelhaften Kokons. Beeindruckend, wie so oft bei dem aggressivsten und zugleich verletzlichsten deutschen Regisseur, wie hier das Private dem Politischen begegnet und beide Begriffe als Erlebnisräume ernst genommen werden, die unlösbar miteinander verstrickt sind.
Fassbinder hasst seinen Liebhaber für dessen gelangweilt-reaktionäre Provokationen, hält es aber ohne seine Nähe keine Minute aus. Er streitet mit seiner Mutter über einen faulen, inkonsequenten Demokratiebegriff und ist zugleich ohnmächtig gegenüber ihren Erlöserphantasien, ihrer Sehnsucht nach einem "Führer, der alles gut macht".
Nirgendwo sonst spiegelt sich die Zerrissenheit dieser Generation dichter als in dieser kammerspielhaften Miniatur, die man tatsächlich zu Fassbinders besten Arbeiten zählen kann. Und doch hat auch diese halbe Stunde nur Bestand im Kontext und Bezug zu den anderen Bildern, Formaten, Assoziationen, Gedanken.
Ein vergleichbarer Film, in dem sich seine Autoren so eindeutig zur Gruppe verschwören wie in "Deutschland im Herbst", ist heute nur unter anderen Vorzeichen denkbar. Zwangsläufig müsste ein ähnliches Experiment heute die Individualität seiner Stimmen, das Nebeneinander akzentuieren, um ein Miteinander zu verorten. Was natürlich vor allem damit zu tun hat, dass - trotz "Repolitisierung" - die Antagonisten sich immer häufiger auf des Gegners Spielfeld tummeln. "Wir hier - dort der Staat" etwa: Das ist kein Motto mehr, von dem heute wirklich starke Bindungsenergien ausgehen. Was aber natürlich nicht heißt, dass es keine radikalen politischen Gegnerschaften mehr gäbe. Sie zu identifizieren und sich zu positionieren ist nur unwegsamer geworden.
Der neue Film von Tom Tykwer, Jahrgang 1965, "The International", kommt im Februar 2009 in die Kinos.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main