Khaled (Sherwan Haji), ein junger Syrer, gelangt als blinder Passagier nach Helsinki. Dort will er Asyl beantragen, ohne große Erwartungen an seine Zukunft. Wikström (Sakari Kuosmanen) ist ein fliegender Händler für Männerhemden und Krawatten. In der Mitte des Lebens angekommen, verlässt er seine Frau, gibt seinen Job auf und profiliert sich kurzfristig als Poker-Spieler. Von dem wenigen Geld, das er dabei gewinnt, kauft er ein heruntergewirtschaftetes Restaurant in einer abgelegenen Gasse von Helsinki.
Als die finnischen Behörden entscheiden, Khaled in die Ruinen von Aleppo zurückzuschicken, beschließt er, illegal im Land zu bleiben. Wikström findet ihn schlafend im Innenhof vor seinem Restaurant. Vielleicht sieht er etwas von sich selbst in diesem ramponierten, angeschlagenen Mann. Jedenfalls stellt er Khaled als Putzkraft und Tellerwäscher an. Für einen Moment zeigt uns das Leben seine sonnigere Seite, aber schon bald greift das Schicksal ein. Der Ausgang des Films bleibt offen, er führt entweder in ein respektables Leben oder auf den Friedhof. Für in die Enge getriebene Menschen bietet beides Vorzüge.
Als die finnischen Behörden entscheiden, Khaled in die Ruinen von Aleppo zurückzuschicken, beschließt er, illegal im Land zu bleiben. Wikström findet ihn schlafend im Innenhof vor seinem Restaurant. Vielleicht sieht er etwas von sich selbst in diesem ramponierten, angeschlagenen Mann. Jedenfalls stellt er Khaled als Putzkraft und Tellerwäscher an. Für einen Moment zeigt uns das Leben seine sonnigere Seite, aber schon bald greift das Schicksal ein. Der Ausgang des Films bleibt offen, er führt entweder in ein respektables Leben oder auf den Friedhof. Für in die Enge getriebene Menschen bietet beides Vorzüge.
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Wendecover Pandorra Trailershow Vier MusikvideosFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2017Migrationsbewirtung
Aki Kaurismäkis neuer Film "Die andere Seite der Hoffnung" trägt das Herz nicht gerade auf der Zunge
Die Finnische Befreiungsarmee will aus dem syrischen Flüchtling Khaled Ali einen Hotdog machen. Wehrlos liegt er vor einem der glatzköpfigen Hooligans auf dem Boden, die Hand ist schon am Feuerzeug, um den armen Mann in Brand zu setzen, da taucht aus dem Dunkel eine Schar von Obdachlosen auf. Sie kommen Khaled Ali zu Hilfe, wie so viele andere Menschen in Aki Kaurismäkis "Die andere Seite der Hoffnung". Man könnte von einer finnischen Zivilgesellschaft sprechen, sogar von einer Willkommenskultur, allerdings äußert sich diese Kultur in der Weise, die man mit den Filmen des bekanntesten finnischen Regisseurs in Verbindung bringt: wortkarg, kaum einmal mit einem Lächeln, manchmal fast abweisend.
Kaurismäkis Finnen beschweren sich über nichts, sondern hegen im Stillen wilde Träume. Zum Beispiel Hula Hula in Mexico City, wie es eine Dame verrät, die in "Die andere Seite der Hoffnung" nur einen kurzen Auftritt hat, gespielt von Kati Outinen. Wer den Weg von Aki Kaurismäki schon länger verfolgt, erinnert sich an sie vielleicht aus "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" (1990).
In allen Menschen steckt ein Flüchtling, das macht sie hier auch wieder deutlich, in einer Geschichte, die vom Weggehen und vom Dableiben handelt und von einem Fernweh, das sich manchmal schon mit einem neuen Schild über der vertrauten Gaststätte stillen lässt. Waldemar Wikström, ein Mann in den besten Jahren, legt seiner Frau den Ehering auf den Tisch und verlässt das gemeinsame Haus. Er wird ein neues Leben beginnen und übernimmt die Gaststätte "Der goldene Krug". Drei Bedienstete, von denen der Koch im Stehen schläft, mit einer Zigarette im Mund und einem grotesken Holzlöffel in der Hand, gehören zum Haus und müssen übernommen werden. Khaled Ali, der hinter der Mülltonne des "Goldenen Krugs" ein Notasyl sucht, und Waldemar Wikström sind füreinander bestimmt, und zwar in einem Sinn, den man weltgesellschaftlich nennen könnte. Der eine entsteigt zu Beginn russgeschwärzt einem Kohlehaufen, er ist auf einem Frachtschiff nach Finnland gekommen. Der andere war immer schon hier, sieht aber auch Migrationsbedarf, zieht aber einfach nur eine Möglichkeit im Leben weiter und wird Gastwirt. Und was sagt man in diesem Metier tagein, tagaus? Willkommen!
Als Aki Kaurismäki 1983 mit einer Bearbeitung von Dostojewskijs "Schuld und Sühne" erstmals auf sich aufmerksam machte, da befand sich das internationale Autorenkino gerade in einer Art Latenzphase. Die großen Helden der Nachkriegsepoche waren in die Jahre gekommen (Bergman, Tarkowski, Bresson), in der Welt des Geistes lautete das Stichwort Postmoderne. Auf die schräge Lakonie, mit der Kaurismäki in den 1980er und 1990er Jahren alte Meister wie Shakespeare ("Hamlet Goes Business") oder den fast vergessenen Henri Murger ("Das Leben der Bohème") auseinandernahm, aber auch auf den existentiellen Realismus eines Films wie "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" war damals niemand vorbereitet, eine Kati Outinen wirkte wie eine Wiedergeburt von Buster Keaton im hohen Norden. Das strenge Erbe der Moderne machte Kaurismäki wieder leicht. Auch bei ihm mussten die Schauspieler nicht psychologisieren, aber sie konnten immerhin mehr sein als nur "Modelle", wie das bei Robert Bresson genannt wurde, von dessen karger Ästhetik er zweifellos eine Menge gelernt hat. Von Anfang an war Kaurismäki vor allem ein Humanist, und dabei half ihm sicher, dass er aus diesem kleinen skandinavischen Land kam, über dessen Sprache man sich so leicht lustig machen kann.
Vor ein paar Jahren schon hat Aki Kaurismäki das Flüchtlingsthema für sich entdeckt und mit "Le Havre" einen großen europäischen Film darüber gemacht. "Die andere Seite der Hoffnung" stellt sich neuerlich die Frage, was das denn für eine Gesellschaft ist, die auf den Hilferuf von Menschen wie Khaled reagieren muss. In einer der besten Szenen des Films steckt der Syrer zusammen mit einem zugelaufenen Hund namens Koistinen und einem laufenden Staubsauger in einer Herrentoilette fest, während das Ordnungsamt den "Goldenen Krug" kontrolliert. Hier schlägt die Zivilcourage bereits in zivilen Ungehorsam um, denn wer die Behörden an der Nase herumführt, macht sich strafbar. Es ist aber dieselbe lange Nase, mit der ein zuständiger Richter befindet, in Aleppo wäre das Leben nicht so gefährlich, dass einer wie Khaled das Weite suchen müsste.
Mit seinem Rockabilly-Ethos und seinem Deadpan (steinerne Mienen zum bösen Spiel) rührt Kaurismäki an die Wurzeln der Selbstbehauptung. Man sollte sich immer nur so weit behaupten wollen, dass man für andere nicht zu einer Zumutung wird. Diese goldene Regel wird heutzutage nicht nur von der Finnischen Befreiungsarmee, sondern fast schon epochal missachtet. Umso wichtiger ist einer wie Aki Kaurismäki, der seine kommende Gemeinschaft in einer Spelunke beginnen lässt.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aki Kaurismäkis neuer Film "Die andere Seite der Hoffnung" trägt das Herz nicht gerade auf der Zunge
Die Finnische Befreiungsarmee will aus dem syrischen Flüchtling Khaled Ali einen Hotdog machen. Wehrlos liegt er vor einem der glatzköpfigen Hooligans auf dem Boden, die Hand ist schon am Feuerzeug, um den armen Mann in Brand zu setzen, da taucht aus dem Dunkel eine Schar von Obdachlosen auf. Sie kommen Khaled Ali zu Hilfe, wie so viele andere Menschen in Aki Kaurismäkis "Die andere Seite der Hoffnung". Man könnte von einer finnischen Zivilgesellschaft sprechen, sogar von einer Willkommenskultur, allerdings äußert sich diese Kultur in der Weise, die man mit den Filmen des bekanntesten finnischen Regisseurs in Verbindung bringt: wortkarg, kaum einmal mit einem Lächeln, manchmal fast abweisend.
Kaurismäkis Finnen beschweren sich über nichts, sondern hegen im Stillen wilde Träume. Zum Beispiel Hula Hula in Mexico City, wie es eine Dame verrät, die in "Die andere Seite der Hoffnung" nur einen kurzen Auftritt hat, gespielt von Kati Outinen. Wer den Weg von Aki Kaurismäki schon länger verfolgt, erinnert sich an sie vielleicht aus "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" (1990).
In allen Menschen steckt ein Flüchtling, das macht sie hier auch wieder deutlich, in einer Geschichte, die vom Weggehen und vom Dableiben handelt und von einem Fernweh, das sich manchmal schon mit einem neuen Schild über der vertrauten Gaststätte stillen lässt. Waldemar Wikström, ein Mann in den besten Jahren, legt seiner Frau den Ehering auf den Tisch und verlässt das gemeinsame Haus. Er wird ein neues Leben beginnen und übernimmt die Gaststätte "Der goldene Krug". Drei Bedienstete, von denen der Koch im Stehen schläft, mit einer Zigarette im Mund und einem grotesken Holzlöffel in der Hand, gehören zum Haus und müssen übernommen werden. Khaled Ali, der hinter der Mülltonne des "Goldenen Krugs" ein Notasyl sucht, und Waldemar Wikström sind füreinander bestimmt, und zwar in einem Sinn, den man weltgesellschaftlich nennen könnte. Der eine entsteigt zu Beginn russgeschwärzt einem Kohlehaufen, er ist auf einem Frachtschiff nach Finnland gekommen. Der andere war immer schon hier, sieht aber auch Migrationsbedarf, zieht aber einfach nur eine Möglichkeit im Leben weiter und wird Gastwirt. Und was sagt man in diesem Metier tagein, tagaus? Willkommen!
Als Aki Kaurismäki 1983 mit einer Bearbeitung von Dostojewskijs "Schuld und Sühne" erstmals auf sich aufmerksam machte, da befand sich das internationale Autorenkino gerade in einer Art Latenzphase. Die großen Helden der Nachkriegsepoche waren in die Jahre gekommen (Bergman, Tarkowski, Bresson), in der Welt des Geistes lautete das Stichwort Postmoderne. Auf die schräge Lakonie, mit der Kaurismäki in den 1980er und 1990er Jahren alte Meister wie Shakespeare ("Hamlet Goes Business") oder den fast vergessenen Henri Murger ("Das Leben der Bohème") auseinandernahm, aber auch auf den existentiellen Realismus eines Films wie "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" war damals niemand vorbereitet, eine Kati Outinen wirkte wie eine Wiedergeburt von Buster Keaton im hohen Norden. Das strenge Erbe der Moderne machte Kaurismäki wieder leicht. Auch bei ihm mussten die Schauspieler nicht psychologisieren, aber sie konnten immerhin mehr sein als nur "Modelle", wie das bei Robert Bresson genannt wurde, von dessen karger Ästhetik er zweifellos eine Menge gelernt hat. Von Anfang an war Kaurismäki vor allem ein Humanist, und dabei half ihm sicher, dass er aus diesem kleinen skandinavischen Land kam, über dessen Sprache man sich so leicht lustig machen kann.
Vor ein paar Jahren schon hat Aki Kaurismäki das Flüchtlingsthema für sich entdeckt und mit "Le Havre" einen großen europäischen Film darüber gemacht. "Die andere Seite der Hoffnung" stellt sich neuerlich die Frage, was das denn für eine Gesellschaft ist, die auf den Hilferuf von Menschen wie Khaled reagieren muss. In einer der besten Szenen des Films steckt der Syrer zusammen mit einem zugelaufenen Hund namens Koistinen und einem laufenden Staubsauger in einer Herrentoilette fest, während das Ordnungsamt den "Goldenen Krug" kontrolliert. Hier schlägt die Zivilcourage bereits in zivilen Ungehorsam um, denn wer die Behörden an der Nase herumführt, macht sich strafbar. Es ist aber dieselbe lange Nase, mit der ein zuständiger Richter befindet, in Aleppo wäre das Leben nicht so gefährlich, dass einer wie Khaled das Weite suchen müsste.
Mit seinem Rockabilly-Ethos und seinem Deadpan (steinerne Mienen zum bösen Spiel) rührt Kaurismäki an die Wurzeln der Selbstbehauptung. Man sollte sich immer nur so weit behaupten wollen, dass man für andere nicht zu einer Zumutung wird. Diese goldene Regel wird heutzutage nicht nur von der Finnischen Befreiungsarmee, sondern fast schon epochal missachtet. Umso wichtiger ist einer wie Aki Kaurismäki, der seine kommende Gemeinschaft in einer Spelunke beginnen lässt.
BERT REBHANDL
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