Der 25jährige Philippe (Benoit Magimel) verliebt sich auf der Hochzeit seiner jüngeren Schwester in eine der Brautjungfern. Senta ist schön, verführerisch und geheimnisvoll, erzählt bizarre Geschichten und verkriecht sich in eine Scheinwelt. Aber Philippe verfällt ihr mit Haut und Haar, merkt nicht, wie sich trotz leidenschaftlicher Affäre das Böse in ihr Leben schleicht und die Normalität langsam aus den Fugen gerät. Während er versucht, weiter im Job erfolgreich zu sein und Mutter und Schwestern zur Seite zu stehen, verliert er sich immer mehr in dieser absoluten Beziehung, gerät immer tiefer in den Sog von Sexualität und Sinnlichkeit. Bis Senta eines Tages einen verhängnisvollen Liebesbeweis fordert: Mord! Was Liebe auf den ersten Blick war, wird mit jeder weiteren Begegnung zur riskanten Gratwanderung zwischen fesselnder Erotik und düsterer Dämonie. Aus dem Spiel mit Worten wird tödlicher Ernst, aus der "amour fou" eine "liaison dangereuse".
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Trailer von anderen Filmen - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit Soundeffekten - Interviews - Featurette "Die Brautjungfer" - Informationen zu Cast & CrewFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2004Du mußt für mich töten, wenn du mich liebst
Neue Filme von Chabrol, Muratova und Placido am Lido in Venedig
VENEDIG, 8. September
"Wenn es in einem Film oder einem Buch eine schöne Leiche gibt", sagt Claude Chabrol, "habe ich nie das Gefühl, meine Zeit völlig verplempert zu haben." Dieses ästhetische Axiom untermauert der Meister mit einem eindrucksvollen Lebenswerk, doch er ist auch imstande, immer wieder neue Geniestreiche ans OEuvre dranzuhängen, als unerschöpfliche Desserts eines Menüs sozusagen. In "La Demoiselle d'honneur" (Die Brautjungfer) geht es wie immer bei Chabrol auch ums Essen - diesmal in allerhand beiläufigen Beobachtungen italienischer Pastagerichte, mit deren Käsefäden und Saucen und Knäueln sich die gedemütigten Franzosen heutzutage herumschlagen müssen. Aber natürlich geht es in erster Linie um Leichen, die man nicht sieht, kaum bemerkt. Ihre dezente Anwesenheit spürt man jedoch allemal.
Der Film spielt wie immer bei Chabrol in der langweiligen französischen Provinz, und wie immer handelt er von allzu normalen Leuten in ihrem Lebenskampf. Chabrol nimmt sich für die Schilderung von Immobiliengeschäften, einer Kleinbürgerhochzeit, fürs beengte familiäre Miteinander, die tägliche Geldnot und die Vulgarität der Mitbürger alle Zeit des Dokumentaristen, der solche Zutaten als Hefe braucht, damit der Teig aufgeht. Die Kernfrage seines Werkes lautet nicht, wieso Menschen einander umbringen, sondern wie die allermeisten ein solches Leben aushalten, ohne einander umzubringen. Und da kommt auch schon die schöne, gefährliche Brautjungfer (von der undurchdringlichen Laura Smet wie eine Außerirdische angelegt) ins Bild.
Chabrol spult das Verhängnis - der so korrekte Held Philippe muß sich natürlich in die Brautjungfer verlieben - mit der Selbstgewißheit des Klassikers herunter. Schritt für Schritt wird der ideale Sohn und verläßliche Bruder (von Benoît Magimel als Inbild der Selbstkontrolle angelegt) in die gefährlichen Traumwelten seiner Geliebten hereingezogen, die ihm als Beweis seiner totalen Hingabe - na, was wohl? - eine Leiche abverlangt. Daß das Kino sich nicht alle Tage neu erfinden muß, macht Chabrol mit seiner Stilsicherheit nicht nur selber vor, er erzählt vom Handwerklichen seiner Zunft, das so viele Kollegen sträflich vernachlässigen, mit Bildern eines professionellen Tangotanzpaares, das rund um die Uhr seine Schrittfolgen direkt unterm Leichenversteck übt.
Chabrols Genie ist solide Arbeit, an welcher der stolze französische Patron mittlerweile seine halbe Familie als Filmkomponisten, Scriptgirls, Betreuer und Komparsen beteiligt. Und als jung gebliebener Rentier der Nouvelle Vague leistet er sich alle naselang schelmische Allusionen auf Kollegen, veräppelt im Dialog John Malkovich, unterlegt den Regisseurnamen im Vorspann einem billigen Lokalfernsehspot und erweist am Ende sogar seinem geliebten Venedig die Reverenz. Denn womit produziert unsere Brautjungfer ihre Leichen? Mit einem superscharfen und unfehlbaren Spezialmesser aus Muranoglas, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt und das Claude Chabrol sicher beim venezianischen Familienbummel als Brieföffner gekauft hat.
Anders als Chabrol ist seine Altersgenossin Kira Muratova nicht an den Lido gereist, sondern daheim in Rußland geblieben. Dort genießt sie als große alte Dame des Sowjetfilms Verehrung, an Preisen und Auszeichnungen hat sie längst so wenig Interesse, daß ihr neuer Film "Nastroyschik" (Der Klavierstimmer) außerhalb des Wettbewerbs antritt. Im Unterschied zum witzigen, selbstgewissen, sich allzeit erneuernden Schaffen Chabrols hat sich Muratova - offenbar aus eigenem Entschluß - in ihrer cineastischen Vision verpuppt. Ihre absurden Milieustudien um einen erfindungsreichen, als Klavierstimmer arbeitenden Schwindler und seine geldgierige Freundin hat sie, die in ihrer besten Zeit wegen der Zensur nur zwei Spielfilme vollenden konnte, nicht umsonst in Schwarzweiß gedreht. Die Auftritte der sorgsam ausstaffierten Protagonisten wirken wie aus dem Ruder gelaufene Proben. Streckenweise reden alle durcheinander, das Klavier hämmert in die Hirne, Komparsen mit unpassenden Gegenständen rennen durchs Bild. Es ist das absurde Filmtheater der Stagnationszeit; man kennt diese Machart aus georgischen Komödien der siebziger Jahre und rechnet jederzeit mit Breschnewbildern. Aber dann geht es um die neorussische Religion: Dollars. "Nastroyschik" ist das zu lang geratene, oft amüsante, aber doch auch wieder erschreckende Dokument einer Ästhetik, die vom Schicksal stillgelegt wurde.
Kino, ein unendlich langsames Medium, kommt im Kampf gegen Aktualität meist zu spät, ist dafür aber das ideale Medium, die Vergeblichkeit der verflossenen Existenz in Bilder zu fassen. Die Greueltaten der straflos davongekommenen Faschistenmilitärs in Argentinien und der Falklandkrieg kommen in Alejandro Agrestis "Un mundo menos peor" anfangs überhaupt nicht vor. Doch sind Mutter und Töchter, die in einem Bus ins winterliche Patagonien aufbrechen, auf der Suche nach der "etwas weniger schlechten Welt", die der Filmtitel verheißt. Ihr Mann und Vater, der in einem heruntergekommenen Badeort als Bäcker arbeitet, war von den Militärs verschleppt und für tot erklärt worden und will nach all den Jahren sein Vorleben vergessen. Die Saisonschluß-Melancholie, von der Kamera in ruhigen Fahrten über leere Strände, Seebrücken und die abblätternde Farbe der Häuser eingefangen, kennt man seit Tschechow gut, und stellenweise wird es zu todtrauriger Tangomusik etwas transusig. Doch belebt sich Agrestis Film immer wieder am Humor des argentinischen Alltags, an kleinen Gesten, an der Schönheit einer Welt, die eben doch etwas weniger schlimm ist, als sie sein könnte.
Auch "La Femme de Gilles" des Brüsseler Regisseurs Frédéric Fonteyne handelt von der leeren Zeit der Liebe, die meist schon vorbei ist, wenn man ihrer gerade sicher zu sein glaubt. Als Rahmen für die Familienidylle der stillen Elisa inszeniert Fonteyne mit der manischen Energie des Modellbauers und viel verfremdenden Farbfiltern ein wallonisches Stahlarbeiterstädtchen der dreißiger Jahre. Vorgarten, Herdstelle, Ehebett - alles könnte so heimelig sein, würde es der wortkarg-rüde Malocher Gilles nicht mit Elisas durchtriebener Schwester treiben, die dieselbe Laura Smet, welche auch Chabrols Killerin spielt, als eigensüchtiges Luder anlegt. Das wahre Ereignis dieses wundervoll stillen und doch packenden Films ist jedoch das Gesicht von Emanuelle Devos, auf dem die Kamera in variationsfreudigen Nahaufnahmen die Hoffnung, Verzweiflung und Ergebung der Betrogenen spiegelt. Die Frau von Gilles hält die erotische Besessenheit des Ehemanns für die eigene Schwester so lange aus, bis die Affäre vorbei ist. Dann erst stürzt sie sich vom Dachboden.
Vom italienischen Kino hatte man nach den jüngsten internationalen Erfolgen von Filmen wie Marco Tullio Giordanas Generationen-Epos "La meglio gioventù" oder dem Melodram "Non ti muovere" Besseres erwartet, als dann am Lido zu sehen war. Die Scheinwirklichkeit des Berlusconismus - eigentlich ein greller, unerschöpflicher Stoff - scheint die Filmemacher zu lähmen. In "Vento di terra" etwa läßt der Neapolitaner Vincenzo Marra mit erschütternder Humorlosigkeit Proletenparodien an ihren Werkbänken und in ihren Hochhauswohnungen verzweifeln. Schlimmer als alle Passionsfiguren in Oberammergau murmeln die gebückten Laienspieler ihre Erniedrigungstexte herunter. Die Pathetik der Familienszenen ist gestellt, die Fabrikszenen wirken verkehrt, das macht diese Pasolini-Parodie so überaus verlogen.
Doch scheinen linke Idyllen - so auch das trotzige Bologneser Spontidrama "Radio Alice 106,6 Mhz" und die larmoyante Industriebrachenromantik von "Il Giorno del Falco" des Veneters Rodolfo Bisatti - dem italienischen Fachpublikum ganz gut zu gefallen. Mitten in den Monstrositäten der berlusconischen Bereicherungs- und Kriegspolitik macht sich ein masochistisches Verlierertum, ein linkes Biedermeier breit. Immerhin kam Michele Placido - ein großartiger Schauspieler, der sich nun im zweiten Jahr in der Regie versucht - mit seiner von claydermanschen Arpeggien unterlegten Werbefilmästhetik in Venedig nicht durch. "Ovunque sei" (Wo immer du bist) erzählt mit schwer erträglicher Rührseligkeit die Geschichte vom Notfallmediziner Matteo, der mit seinem Krankenwagen in den Tiber rast. Daß er ertrinkt und nicht - wie im Film gezeigt - als träumerischer Penner nach Rom zurückkehrt, wird erst nach langen, weichgespült mystischen Dialogen deutlich. Ein schlecht gemachter Kinozaubertrick: Die Parallelwelt gab es nur in den Erinnerungen seiner Frau, und diese verblaßt ebenso schnell wie das emblematische Schlußbild, das den schönen, aber farblosen Hauptdarsteller Stefano Accorsi als nackten Adam drapiert. Bei der Vorführung des Films kam es zu Pfiffen, Tumulten, Schmähungen. Vielleicht sollte Placido bei Maître Chabrol in die Lehre gehen, damit er weiß, was eine schöne Leiche wirklich ausmacht.
DIRK SCHÜMER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neue Filme von Chabrol, Muratova und Placido am Lido in Venedig
VENEDIG, 8. September
"Wenn es in einem Film oder einem Buch eine schöne Leiche gibt", sagt Claude Chabrol, "habe ich nie das Gefühl, meine Zeit völlig verplempert zu haben." Dieses ästhetische Axiom untermauert der Meister mit einem eindrucksvollen Lebenswerk, doch er ist auch imstande, immer wieder neue Geniestreiche ans OEuvre dranzuhängen, als unerschöpfliche Desserts eines Menüs sozusagen. In "La Demoiselle d'honneur" (Die Brautjungfer) geht es wie immer bei Chabrol auch ums Essen - diesmal in allerhand beiläufigen Beobachtungen italienischer Pastagerichte, mit deren Käsefäden und Saucen und Knäueln sich die gedemütigten Franzosen heutzutage herumschlagen müssen. Aber natürlich geht es in erster Linie um Leichen, die man nicht sieht, kaum bemerkt. Ihre dezente Anwesenheit spürt man jedoch allemal.
Der Film spielt wie immer bei Chabrol in der langweiligen französischen Provinz, und wie immer handelt er von allzu normalen Leuten in ihrem Lebenskampf. Chabrol nimmt sich für die Schilderung von Immobiliengeschäften, einer Kleinbürgerhochzeit, fürs beengte familiäre Miteinander, die tägliche Geldnot und die Vulgarität der Mitbürger alle Zeit des Dokumentaristen, der solche Zutaten als Hefe braucht, damit der Teig aufgeht. Die Kernfrage seines Werkes lautet nicht, wieso Menschen einander umbringen, sondern wie die allermeisten ein solches Leben aushalten, ohne einander umzubringen. Und da kommt auch schon die schöne, gefährliche Brautjungfer (von der undurchdringlichen Laura Smet wie eine Außerirdische angelegt) ins Bild.
Chabrol spult das Verhängnis - der so korrekte Held Philippe muß sich natürlich in die Brautjungfer verlieben - mit der Selbstgewißheit des Klassikers herunter. Schritt für Schritt wird der ideale Sohn und verläßliche Bruder (von Benoît Magimel als Inbild der Selbstkontrolle angelegt) in die gefährlichen Traumwelten seiner Geliebten hereingezogen, die ihm als Beweis seiner totalen Hingabe - na, was wohl? - eine Leiche abverlangt. Daß das Kino sich nicht alle Tage neu erfinden muß, macht Chabrol mit seiner Stilsicherheit nicht nur selber vor, er erzählt vom Handwerklichen seiner Zunft, das so viele Kollegen sträflich vernachlässigen, mit Bildern eines professionellen Tangotanzpaares, das rund um die Uhr seine Schrittfolgen direkt unterm Leichenversteck übt.
Chabrols Genie ist solide Arbeit, an welcher der stolze französische Patron mittlerweile seine halbe Familie als Filmkomponisten, Scriptgirls, Betreuer und Komparsen beteiligt. Und als jung gebliebener Rentier der Nouvelle Vague leistet er sich alle naselang schelmische Allusionen auf Kollegen, veräppelt im Dialog John Malkovich, unterlegt den Regisseurnamen im Vorspann einem billigen Lokalfernsehspot und erweist am Ende sogar seinem geliebten Venedig die Reverenz. Denn womit produziert unsere Brautjungfer ihre Leichen? Mit einem superscharfen und unfehlbaren Spezialmesser aus Muranoglas, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt und das Claude Chabrol sicher beim venezianischen Familienbummel als Brieföffner gekauft hat.
Anders als Chabrol ist seine Altersgenossin Kira Muratova nicht an den Lido gereist, sondern daheim in Rußland geblieben. Dort genießt sie als große alte Dame des Sowjetfilms Verehrung, an Preisen und Auszeichnungen hat sie längst so wenig Interesse, daß ihr neuer Film "Nastroyschik" (Der Klavierstimmer) außerhalb des Wettbewerbs antritt. Im Unterschied zum witzigen, selbstgewissen, sich allzeit erneuernden Schaffen Chabrols hat sich Muratova - offenbar aus eigenem Entschluß - in ihrer cineastischen Vision verpuppt. Ihre absurden Milieustudien um einen erfindungsreichen, als Klavierstimmer arbeitenden Schwindler und seine geldgierige Freundin hat sie, die in ihrer besten Zeit wegen der Zensur nur zwei Spielfilme vollenden konnte, nicht umsonst in Schwarzweiß gedreht. Die Auftritte der sorgsam ausstaffierten Protagonisten wirken wie aus dem Ruder gelaufene Proben. Streckenweise reden alle durcheinander, das Klavier hämmert in die Hirne, Komparsen mit unpassenden Gegenständen rennen durchs Bild. Es ist das absurde Filmtheater der Stagnationszeit; man kennt diese Machart aus georgischen Komödien der siebziger Jahre und rechnet jederzeit mit Breschnewbildern. Aber dann geht es um die neorussische Religion: Dollars. "Nastroyschik" ist das zu lang geratene, oft amüsante, aber doch auch wieder erschreckende Dokument einer Ästhetik, die vom Schicksal stillgelegt wurde.
Kino, ein unendlich langsames Medium, kommt im Kampf gegen Aktualität meist zu spät, ist dafür aber das ideale Medium, die Vergeblichkeit der verflossenen Existenz in Bilder zu fassen. Die Greueltaten der straflos davongekommenen Faschistenmilitärs in Argentinien und der Falklandkrieg kommen in Alejandro Agrestis "Un mundo menos peor" anfangs überhaupt nicht vor. Doch sind Mutter und Töchter, die in einem Bus ins winterliche Patagonien aufbrechen, auf der Suche nach der "etwas weniger schlechten Welt", die der Filmtitel verheißt. Ihr Mann und Vater, der in einem heruntergekommenen Badeort als Bäcker arbeitet, war von den Militärs verschleppt und für tot erklärt worden und will nach all den Jahren sein Vorleben vergessen. Die Saisonschluß-Melancholie, von der Kamera in ruhigen Fahrten über leere Strände, Seebrücken und die abblätternde Farbe der Häuser eingefangen, kennt man seit Tschechow gut, und stellenweise wird es zu todtrauriger Tangomusik etwas transusig. Doch belebt sich Agrestis Film immer wieder am Humor des argentinischen Alltags, an kleinen Gesten, an der Schönheit einer Welt, die eben doch etwas weniger schlimm ist, als sie sein könnte.
Auch "La Femme de Gilles" des Brüsseler Regisseurs Frédéric Fonteyne handelt von der leeren Zeit der Liebe, die meist schon vorbei ist, wenn man ihrer gerade sicher zu sein glaubt. Als Rahmen für die Familienidylle der stillen Elisa inszeniert Fonteyne mit der manischen Energie des Modellbauers und viel verfremdenden Farbfiltern ein wallonisches Stahlarbeiterstädtchen der dreißiger Jahre. Vorgarten, Herdstelle, Ehebett - alles könnte so heimelig sein, würde es der wortkarg-rüde Malocher Gilles nicht mit Elisas durchtriebener Schwester treiben, die dieselbe Laura Smet, welche auch Chabrols Killerin spielt, als eigensüchtiges Luder anlegt. Das wahre Ereignis dieses wundervoll stillen und doch packenden Films ist jedoch das Gesicht von Emanuelle Devos, auf dem die Kamera in variationsfreudigen Nahaufnahmen die Hoffnung, Verzweiflung und Ergebung der Betrogenen spiegelt. Die Frau von Gilles hält die erotische Besessenheit des Ehemanns für die eigene Schwester so lange aus, bis die Affäre vorbei ist. Dann erst stürzt sie sich vom Dachboden.
Vom italienischen Kino hatte man nach den jüngsten internationalen Erfolgen von Filmen wie Marco Tullio Giordanas Generationen-Epos "La meglio gioventù" oder dem Melodram "Non ti muovere" Besseres erwartet, als dann am Lido zu sehen war. Die Scheinwirklichkeit des Berlusconismus - eigentlich ein greller, unerschöpflicher Stoff - scheint die Filmemacher zu lähmen. In "Vento di terra" etwa läßt der Neapolitaner Vincenzo Marra mit erschütternder Humorlosigkeit Proletenparodien an ihren Werkbänken und in ihren Hochhauswohnungen verzweifeln. Schlimmer als alle Passionsfiguren in Oberammergau murmeln die gebückten Laienspieler ihre Erniedrigungstexte herunter. Die Pathetik der Familienszenen ist gestellt, die Fabrikszenen wirken verkehrt, das macht diese Pasolini-Parodie so überaus verlogen.
Doch scheinen linke Idyllen - so auch das trotzige Bologneser Spontidrama "Radio Alice 106,6 Mhz" und die larmoyante Industriebrachenromantik von "Il Giorno del Falco" des Veneters Rodolfo Bisatti - dem italienischen Fachpublikum ganz gut zu gefallen. Mitten in den Monstrositäten der berlusconischen Bereicherungs- und Kriegspolitik macht sich ein masochistisches Verlierertum, ein linkes Biedermeier breit. Immerhin kam Michele Placido - ein großartiger Schauspieler, der sich nun im zweiten Jahr in der Regie versucht - mit seiner von claydermanschen Arpeggien unterlegten Werbefilmästhetik in Venedig nicht durch. "Ovunque sei" (Wo immer du bist) erzählt mit schwer erträglicher Rührseligkeit die Geschichte vom Notfallmediziner Matteo, der mit seinem Krankenwagen in den Tiber rast. Daß er ertrinkt und nicht - wie im Film gezeigt - als träumerischer Penner nach Rom zurückkehrt, wird erst nach langen, weichgespült mystischen Dialogen deutlich. Ein schlecht gemachter Kinozaubertrick: Die Parallelwelt gab es nur in den Erinnerungen seiner Frau, und diese verblaßt ebenso schnell wie das emblematische Schlußbild, das den schönen, aber farblosen Hauptdarsteller Stefano Accorsi als nackten Adam drapiert. Bei der Vorführung des Films kam es zu Pfiffen, Tumulten, Schmähungen. Vielleicht sollte Placido bei Maître Chabrol in die Lehre gehen, damit er weiß, was eine schöne Leiche wirklich ausmacht.
DIRK SCHÜMER
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