Drei Männer, ein Gedanke: "Die Mieze gehört mir!" Kaum ein Ort ist trostloser als Rimini im Frühjahr. Karins (Lara Wendel) Ankunft in dem ausgestorbenen Touristenkaff gleicht deshalb einem königlichen Einzug: Endlich gibts wieder Futter für die Papagalli. Sofort bilden sich Fronten zwischen den liebeshungrigen Boys, jeder will die aufregende Deutsche zuerst aufs Kreuz legen. Doch Giorgio, Walter und Dario haben sich verrechnet: Die Angebetete verdiente vormals ihr Geld im horizontalen Gewerbe, jetzt hat sie ihre geldgierigen Zuhälter im Nacken: "Karin soll ihren Hintern gefälligst wieder auf die Straße stellen!" Aber die Aufreißer vom Dienst haben auch gegen die skrupellosen Rolex-Rocker ein wirksames Rezept...
Bonusmaterial
WendecoverFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2022Raus aus der Deckung
Die Berlinale der vertauschten Rollen: Die Maskierten schauen auf die Nackten, Natalia López Gallardo sucht einen Ausweg, Ulrich Seidl findet das große Drama.
Es sieht falsch aus, verkehrt im Wortsinn, wenn maskierte Menschen im Kino sitzen, auf die Leinwand starren - und von der Leinwand schauen nackte Gesichter zurück. Es müsste doch genau umgekehrt sein, so, dass die auf der Leinwand eine Maske tragen, ein bisschen Lippenstift und Schminke zumindest. Und das Publikum, im Schutz der Dunkelheit, traut sich mit dem Kopf aus der Deckung heraus. Es kommt einem, wenn man maskiert im Kino sitzt, so vor, als ob das Spiel der Spiegelungen, der Projektionen und der Identifikationen ins Stocken geraten, ja womöglich ganz unterbrochen wäre, solange man sich hinter der Maske vor den Zumutungen und Herausforderungen, den Gefühlsaufwallungen und dem Ekel verstecken kann.
Tatsächlich gab es in dem gleichermaßen schönen wie kaum verständlichen und manchmal auch etwas unbeholfenen mexikanischen Film "Manto de gemas" (den die Berlinale unter seinem englischen Pseudonym "Robe of Gems" führt) immer wieder Bilder und Szenen, denen man anmerkte, wie ernst und existenziell sie wohl gemeint waren. Und die es trotzdem nicht schafften, den Zuschauer zu treffen und zu berühren. Es waren die Szenen, in denen man sich die Maske am liebsten vom Gesicht gerissen hätte, in der Hoffnung, dass die Gefühle sich dann schon verständlich machen würden.
Natalia López Gallardos Film spielt in jenen Gegenden Mexikos, in denen sonst die Serien und die Thriller spielen - aber weil die Regisseurin von anderen Menschen erzählen will, werfen alle Fragen der Form zugleich die Machtfrage auf. Gangster und Polizisten, Intrigen und Verrat, Konflikt und Showdown: So läuft das, völlig zu Recht, zum Beispiel in der Serie "Narcos" ab. "Manto de gemas" will aber von den Drogen, der Korruption und der Gewalt aus der Sicht der Frauen erzählen. Und kommt zu dem Ergebnis, dass er überhaupt nichts erzählen kann, weil alles Erzählen von diesen Dingen männlich aufgeladen sei.
Es sind also Fragmente von Szenen und Bildern, oft mutwillig aus der Welt herausgeschnitten, selten großzügige Panoramen, deren Zusammenhang nicht immer zu erkennen ist. Drei Frauen, von denen jede auf der richtigen Seite des Gesetzes stehen möchte und die es einfach nicht schaffen, weil, wenn erst einmal einer aus der Familie hineingeraten ist in die Drogenwelt, ein Außen offenbar nicht mehr sichtbar, ja nicht einmal mehr denkbar ist. Die Heldinnen des Films blicken einfach nicht mehr durch; und genau das ist auch die Strategie des Films, was manchmal stimmig ist, wenn Action und Gewalt nur auf der Tonspur spielen, weil neue Bilder davon nicht zu finden und zu inszenieren sind. Und was unverständlich bleibt, wenn Natalia López Gallardo sich bloß in ihre eigenen poetischen Einfälle verliebt. In den besten Fällen sehen die wie Heiligenbilder aus - für eine Welt, die an nichts mehr glaubt.
Das ganze Land sei surreal, hat die Regisseurin auf der Pressekonferenz gesagt, deshalb müsse seine Beschreibung surrealistisch sein. Und das war der Moment, da hätte man zum Trost den heiligen Luis Buñuel anrufen wollen.
Wobei auch die Beschwörungen zum Start der Berlinale, all die warmen Worte vom Kino, das endlich wieder da sei und fürs geistige Wohl des Volkes so wichtig, so freundlich und gediegen klangen, als würden längst vergangene Zeiten beschworen. Als glaubte zum Beispiel Claudia Roth, dass, wenn die Seuche endlich vorüber sei, Luis Buñuel und Jeanne Moreau, Romy Schneider und Federico Fellini über rote Berlinale-Teppiche schreiten würden.
Einen bösen Kommentar zu solchen Illusionen hat Ulrich Seidl inszeniert, einen Film über einen Schlagersänger, der vor Jahrzehnten ein bisschen Glamour hatte. Und der, mit lächerlich pompösen Auftritten vor Rentnerinnen, mit Sex und Alkohol und Zigaretten, die Erkenntnis zu verdrängen versucht, dass die Zeiten seines schäbigen kleinen Ruhms sich immer weiter entfernen. Der Film heißt "Rimini", weil er an der Adria im Winter spielt. Er könnte auch "Austrian Gigolo" heißen, weil der Held sein Geld damit verdient, dass er nachts zu den Rentnerinnen ins Zimmer kommt. Richie Bravo heißt der Held, er hat eine schöne Stimme und einen Körper, der verkommt - und Ulrich Seidl, der in seinen früheren Filmen die nackten, hässlichen Leiber so intensiv betrachtete, als hoffte er, dass die schöne Seele sich dann schon zeigen werde, hat hier eine ganz andere Strategie: Er fragt, was aus den großen Geschichten um Schuld und Erlösung (also zum Beispiel aus der vom "American Gigolo") wird, wenn kleinere Leute sie zu spielen versuchen.
Die Antwort des Films ist, dass er an die große Liebe, die alles vergibt, nicht mehr glauben kann. Nur an die, etwas kleinere, Versöhnung mit der eigenen Tochter, für die der Held ein Verbrechen begeht. Als Zuschauer möchte man die Antwort am liebsten vertagen: Es bleibt unfair und unrealistisch, die Entblößungen dieses Helden aus dem Schutz der Maske heraus zu beurteilen. CLAUDIUS SEIDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Berlinale der vertauschten Rollen: Die Maskierten schauen auf die Nackten, Natalia López Gallardo sucht einen Ausweg, Ulrich Seidl findet das große Drama.
Es sieht falsch aus, verkehrt im Wortsinn, wenn maskierte Menschen im Kino sitzen, auf die Leinwand starren - und von der Leinwand schauen nackte Gesichter zurück. Es müsste doch genau umgekehrt sein, so, dass die auf der Leinwand eine Maske tragen, ein bisschen Lippenstift und Schminke zumindest. Und das Publikum, im Schutz der Dunkelheit, traut sich mit dem Kopf aus der Deckung heraus. Es kommt einem, wenn man maskiert im Kino sitzt, so vor, als ob das Spiel der Spiegelungen, der Projektionen und der Identifikationen ins Stocken geraten, ja womöglich ganz unterbrochen wäre, solange man sich hinter der Maske vor den Zumutungen und Herausforderungen, den Gefühlsaufwallungen und dem Ekel verstecken kann.
Tatsächlich gab es in dem gleichermaßen schönen wie kaum verständlichen und manchmal auch etwas unbeholfenen mexikanischen Film "Manto de gemas" (den die Berlinale unter seinem englischen Pseudonym "Robe of Gems" führt) immer wieder Bilder und Szenen, denen man anmerkte, wie ernst und existenziell sie wohl gemeint waren. Und die es trotzdem nicht schafften, den Zuschauer zu treffen und zu berühren. Es waren die Szenen, in denen man sich die Maske am liebsten vom Gesicht gerissen hätte, in der Hoffnung, dass die Gefühle sich dann schon verständlich machen würden.
Natalia López Gallardos Film spielt in jenen Gegenden Mexikos, in denen sonst die Serien und die Thriller spielen - aber weil die Regisseurin von anderen Menschen erzählen will, werfen alle Fragen der Form zugleich die Machtfrage auf. Gangster und Polizisten, Intrigen und Verrat, Konflikt und Showdown: So läuft das, völlig zu Recht, zum Beispiel in der Serie "Narcos" ab. "Manto de gemas" will aber von den Drogen, der Korruption und der Gewalt aus der Sicht der Frauen erzählen. Und kommt zu dem Ergebnis, dass er überhaupt nichts erzählen kann, weil alles Erzählen von diesen Dingen männlich aufgeladen sei.
Es sind also Fragmente von Szenen und Bildern, oft mutwillig aus der Welt herausgeschnitten, selten großzügige Panoramen, deren Zusammenhang nicht immer zu erkennen ist. Drei Frauen, von denen jede auf der richtigen Seite des Gesetzes stehen möchte und die es einfach nicht schaffen, weil, wenn erst einmal einer aus der Familie hineingeraten ist in die Drogenwelt, ein Außen offenbar nicht mehr sichtbar, ja nicht einmal mehr denkbar ist. Die Heldinnen des Films blicken einfach nicht mehr durch; und genau das ist auch die Strategie des Films, was manchmal stimmig ist, wenn Action und Gewalt nur auf der Tonspur spielen, weil neue Bilder davon nicht zu finden und zu inszenieren sind. Und was unverständlich bleibt, wenn Natalia López Gallardo sich bloß in ihre eigenen poetischen Einfälle verliebt. In den besten Fällen sehen die wie Heiligenbilder aus - für eine Welt, die an nichts mehr glaubt.
Das ganze Land sei surreal, hat die Regisseurin auf der Pressekonferenz gesagt, deshalb müsse seine Beschreibung surrealistisch sein. Und das war der Moment, da hätte man zum Trost den heiligen Luis Buñuel anrufen wollen.
Wobei auch die Beschwörungen zum Start der Berlinale, all die warmen Worte vom Kino, das endlich wieder da sei und fürs geistige Wohl des Volkes so wichtig, so freundlich und gediegen klangen, als würden längst vergangene Zeiten beschworen. Als glaubte zum Beispiel Claudia Roth, dass, wenn die Seuche endlich vorüber sei, Luis Buñuel und Jeanne Moreau, Romy Schneider und Federico Fellini über rote Berlinale-Teppiche schreiten würden.
Einen bösen Kommentar zu solchen Illusionen hat Ulrich Seidl inszeniert, einen Film über einen Schlagersänger, der vor Jahrzehnten ein bisschen Glamour hatte. Und der, mit lächerlich pompösen Auftritten vor Rentnerinnen, mit Sex und Alkohol und Zigaretten, die Erkenntnis zu verdrängen versucht, dass die Zeiten seines schäbigen kleinen Ruhms sich immer weiter entfernen. Der Film heißt "Rimini", weil er an der Adria im Winter spielt. Er könnte auch "Austrian Gigolo" heißen, weil der Held sein Geld damit verdient, dass er nachts zu den Rentnerinnen ins Zimmer kommt. Richie Bravo heißt der Held, er hat eine schöne Stimme und einen Körper, der verkommt - und Ulrich Seidl, der in seinen früheren Filmen die nackten, hässlichen Leiber so intensiv betrachtete, als hoffte er, dass die schöne Seele sich dann schon zeigen werde, hat hier eine ganz andere Strategie: Er fragt, was aus den großen Geschichten um Schuld und Erlösung (also zum Beispiel aus der vom "American Gigolo") wird, wenn kleinere Leute sie zu spielen versuchen.
Die Antwort des Films ist, dass er an die große Liebe, die alles vergibt, nicht mehr glauben kann. Nur an die, etwas kleinere, Versöhnung mit der eigenen Tochter, für die der Held ein Verbrechen begeht. Als Zuschauer möchte man die Antwort am liebsten vertagen: Es bleibt unfair und unrealistisch, die Entblößungen dieses Helden aus dem Schutz der Maske heraus zu beurteilen. CLAUDIUS SEIDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main