Zwei französische Offiziere - der Adelige Captain De Boeldieu und der Arbeiter Lieutenant Marechal - werden während des Ersten Weltkriegs abgeschossen. Sie geraten in Kriegsgefangenschaft, wo sie weitere Franzosen verschiedener Herkunft, darunter Rosenthal, Sohn eines jüdischen Bankiers, kennen lernen. Weil die Franzosen fortwährend Fluchtversuche unternehmen, werden sie der Aufsicht des Aristokraten von Rauffenstein unterstellt. De Boeldieu freundet sich mit ihm an, aber Marechal und Rosenthal wollen weiterhin fliehen.
Bonusmaterial
- Kapitel- / SzenenanwahlFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2000Nach dem Grabenkampf gibt's ein Gabelfrühstück
Wie sich der Gentleman im Krieg ernährt: Jean Renoirs "Die große Illusion", mit Jean Gabin
Einer Anekdote zufolge lief Jean Renoirs "La Grande Illusion" gerade in einem Wiener Kino, als die Nationalsozialisten auf ihrem Triumphzug am Tag des Anschlusses in der österreichischen Hauptstadt eintrafen. Die Vorführung konnte nicht zu Ende gebracht werden, und die Österreicher mögen sich wie so viele Interpreten danach gefragt haben, was dieser Titel eigentlich zu bedeuten habe: "Die große Illusion" - bezog sich das auf eine Politik des Appeasement gegenüber Hitler, auf eine Gentleman-Haltung gegenüber einem Diktator, der doch ganz deutlich nicht satisfaktionsfähig war?
"La Grande Illusion", entstanden 1937, ist einer jener Filme, die in den schwierigen Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg noch einmal auf den ersten großen Krieg zurückblickten, wie um nachzusehen, ob er noch eine Lektion enthielte, die man übersehen hatte. Die Grabenkämpfe in Frankreich, das endlose Fechten um einzelne Kleinstädte bilden den Hintergrund eines auf den ersten Blick ganz heiteren Abenteuers von Männern an der Front. Die Deutschen haben ein französisches Flugzeug abgeschossen, der befehlshabende Offizier erkundigt sich sofort, ob unter den Gefangenen höhere Ränge sind. In diesem Fall wären sie zum Gabelfrühstück einzuladen, und ein deutscher Soldat wird dazu angehalten, "eine dieser famosen Bowlen" anzurichten. Erich von Stroheim spielt den deutschen Offizier Rauffenstein, einen Mann im Körperpanzer, der durch zahlreiche Silberplatten und Stützvorrichtungen aufrecht erhalten wird. In Billy Wilders "Five Graves to Cairo" steigerte er später diese Rolle bis zur Karikatur, hier aber ist Stroheim ein Mann, der auf stille Weise mit seinen Beschränktheiten hadert. Er ist ein "Funktionär", sein Gegner Boëldieu (Pierre Fresnay) hingegen ist ein Lebemann mit dem ganzen zivilisatorischen Vorsprung der "Grande Nation" (man kann Renoirs Filmtitel durchaus auch als Echo auf diese französische Selbstdefinition verstehen).
Die Kriegsgefangenschaft ist für die Franzosen vor allem eine sportliche Herausforderung: Fluchtversuche sind obligat, in der Zwischenzeit zelebrieren sie ihren überlegenen Lebensstil. Die Versorgungspakete aus der Heimat enthalten Cognac und Konserven, während die Deutschen auf ihrem Filzpantoffelragout herumkauen. Die entscheidende Szene trägt sich zwischen Rauffenstein und Boëldieu zu: Der deutsche Offizier verzichtet auf eine Durchsuchung des Zimmers der Franzosen, weil Boëldieu sein Wort gibt, er habe nichts zu verbergen. "Was aber ist mit dem Ehrenwort von Rosenthal und Maréchal?" fragt er noch ausdrücklich nach. Rauffenstein wendet sich verächtlich ab, das Wort eines Juden kann ihm nichts bedeuten.
Es ist dies eine Urszene für den deutschen Sonderweg in die Barbarei, während auf seiten der Franzosen hier ausdrücklich die Errungenschaften der Revolution beschworen werden, gegen die sich Boëldieu gleichsam aus Klassenräson äußert, deren egalitären Folgewirkungen er sich aber verpflichtet fühlt. Mit einem Ablenkungsmanöver, das an den Rattenfänger von Hameln erinnert, ermöglicht Boëldieu seinen Freunden Maréchal (Jean Gabin) und Rosenthal die Flucht. Rauffenstein sieht sich gezwungen, ihn zu erschießen, und legt ihm am Ende eine der Geranien auf das Grab, die er in seiner Freizeit züchtet. Renoirs Kunst ist die aller großen Filmemacher: Er sucht nach einer Perspektive auf die Geschichte, aus der das Agonale nicht vorschnell getilgt wird und doch ein grundsätzlicher Humanismus gewahrt bleibt. Dann erklärt sich alles wie von selbst.
BERT REBHANDL
Heute abend um 21.30 Uhr im Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, Tiergarten.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie sich der Gentleman im Krieg ernährt: Jean Renoirs "Die große Illusion", mit Jean Gabin
Einer Anekdote zufolge lief Jean Renoirs "La Grande Illusion" gerade in einem Wiener Kino, als die Nationalsozialisten auf ihrem Triumphzug am Tag des Anschlusses in der österreichischen Hauptstadt eintrafen. Die Vorführung konnte nicht zu Ende gebracht werden, und die Österreicher mögen sich wie so viele Interpreten danach gefragt haben, was dieser Titel eigentlich zu bedeuten habe: "Die große Illusion" - bezog sich das auf eine Politik des Appeasement gegenüber Hitler, auf eine Gentleman-Haltung gegenüber einem Diktator, der doch ganz deutlich nicht satisfaktionsfähig war?
"La Grande Illusion", entstanden 1937, ist einer jener Filme, die in den schwierigen Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg noch einmal auf den ersten großen Krieg zurückblickten, wie um nachzusehen, ob er noch eine Lektion enthielte, die man übersehen hatte. Die Grabenkämpfe in Frankreich, das endlose Fechten um einzelne Kleinstädte bilden den Hintergrund eines auf den ersten Blick ganz heiteren Abenteuers von Männern an der Front. Die Deutschen haben ein französisches Flugzeug abgeschossen, der befehlshabende Offizier erkundigt sich sofort, ob unter den Gefangenen höhere Ränge sind. In diesem Fall wären sie zum Gabelfrühstück einzuladen, und ein deutscher Soldat wird dazu angehalten, "eine dieser famosen Bowlen" anzurichten. Erich von Stroheim spielt den deutschen Offizier Rauffenstein, einen Mann im Körperpanzer, der durch zahlreiche Silberplatten und Stützvorrichtungen aufrecht erhalten wird. In Billy Wilders "Five Graves to Cairo" steigerte er später diese Rolle bis zur Karikatur, hier aber ist Stroheim ein Mann, der auf stille Weise mit seinen Beschränktheiten hadert. Er ist ein "Funktionär", sein Gegner Boëldieu (Pierre Fresnay) hingegen ist ein Lebemann mit dem ganzen zivilisatorischen Vorsprung der "Grande Nation" (man kann Renoirs Filmtitel durchaus auch als Echo auf diese französische Selbstdefinition verstehen).
Die Kriegsgefangenschaft ist für die Franzosen vor allem eine sportliche Herausforderung: Fluchtversuche sind obligat, in der Zwischenzeit zelebrieren sie ihren überlegenen Lebensstil. Die Versorgungspakete aus der Heimat enthalten Cognac und Konserven, während die Deutschen auf ihrem Filzpantoffelragout herumkauen. Die entscheidende Szene trägt sich zwischen Rauffenstein und Boëldieu zu: Der deutsche Offizier verzichtet auf eine Durchsuchung des Zimmers der Franzosen, weil Boëldieu sein Wort gibt, er habe nichts zu verbergen. "Was aber ist mit dem Ehrenwort von Rosenthal und Maréchal?" fragt er noch ausdrücklich nach. Rauffenstein wendet sich verächtlich ab, das Wort eines Juden kann ihm nichts bedeuten.
Es ist dies eine Urszene für den deutschen Sonderweg in die Barbarei, während auf seiten der Franzosen hier ausdrücklich die Errungenschaften der Revolution beschworen werden, gegen die sich Boëldieu gleichsam aus Klassenräson äußert, deren egalitären Folgewirkungen er sich aber verpflichtet fühlt. Mit einem Ablenkungsmanöver, das an den Rattenfänger von Hameln erinnert, ermöglicht Boëldieu seinen Freunden Maréchal (Jean Gabin) und Rosenthal die Flucht. Rauffenstein sieht sich gezwungen, ihn zu erschießen, und legt ihm am Ende eine der Geranien auf das Grab, die er in seiner Freizeit züchtet. Renoirs Kunst ist die aller großen Filmemacher: Er sucht nach einer Perspektive auf die Geschichte, aus der das Agonale nicht vorschnell getilgt wird und doch ein grundsätzlicher Humanismus gewahrt bleibt. Dann erklärt sich alles wie von selbst.
BERT REBHANDL
Heute abend um 21.30 Uhr im Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, Tiergarten.
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