1402: Die legendäre Margarethe vereint Dänemark, Norwegen und Schweden zu einer Allianz in der herrschenden Hand ihrer Familie, dem dänischen Königshaus. Als alleinige ungekrönte Regentin lenkt sie die Geschicke des Nordens mittels ihres jungen Adoptivsohns Erik. Doch das nordische Bündnis hat viele Feinde: Margarethes intrigante Gegenspieler behaupten plötzlich, ihr geliebter, totgeglaubter Sohn würde noch leben... Margarethe muss nicht nur um das Überleben ihres Großreichs kämpfen, sondern auch ihre zwiespältigen Gefühle in Einklang bringen. Denn eine niederträchtige Verschwörung ist im Gange, die Margarethe alles kosten könnte, an das sie glaubt.
Frankfurter Allgemeine ZeitungDeine Feindin bist du selbst
Der Film "Die Königin des Nordens" zeichnet ein treffendes Bild des Mittelalters
An der Wende vom vierzehnten zum fünfzehnten Jahrhundert fand im Norden Europas ein kleines "Game of Thrones" statt, bei dem eine starke Frau im Mittelpunkt stand: Königin Margarethe. Sie brachte zwischen Dänemark, Schweden und Norwegen eine Union zustande, die sich allerdings im Mächtespiel auf dem Kontinent nur durch weitere Bündnisse behaupten konnte. In dem Kostüm- und Historienfilm "Die Königin des Nordens" von Charlotte Sieling ist der Deutsche Orden der gefährlichste Feind der Monarchin, während England durch Heiratspolitik zum Partner gemacht werden soll.
Margarethe herrscht gemeinsam mit dem Thronfolger Erik, der allerdings nicht ihr leiblicher Sohn ist. Sie hat ihn aus Pommern adoptiert, um eine Leerstelle zu besetzen, denn die natürliche Sukzession wurde durch Krankheiten und Kriege unterbrochen. Das Drama nimmt seinen Lauf, als in einem kritischen Moment ein junger Mann auftaucht, der behauptet, er sei der Sohn Margarethes. Diese hatte immer geglaubt, Oluf sei lange tot. Er war siebzehn, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hat. Nun sieht sie sich einem Unbekannten gegenüber, der für sie eine Bedrohung darstellt. Oluf könnte ein Schwindler sein, ein Hochstapler im Auftrag von Mächten, die ihren Herrschaftsanspruch unterminieren wollen.
Die Königin ist als Diplomatin auf einen Ausgleich der Interessen angewiesen. Sie muss herausfinden, wem mit der provozierenden Personalie Oluf gedient sein könnte. Sind es Verräter im Dienst des Deutschen Ordens? Sind es Integrationsgegner, die in einem vereinigten Skandinavien persönliche Pfründe oder politischen Einfluss verlieren würden? Margarethe muss sich zudem der Erkenntnis stellen, dass sie als Mutter eine Verantwortung hat, die nicht immer zu der einer Königin passt.
Trine Dyrholm gehört seit Thomas Vinterbergs "Das Fest" zu den bekanntesten dänischen Schauspielerinnen. Deshalb ist sie die ideale Besetzung für die Identifikationsfigur, die sie in "Die Königin des Nordens" verkörpert. Margarethe ist ein positives Vorbild, eine kluge Realpolitikerin, die zwischen Kirche und Adel einen Ausgleich schafft. So richtig spannend wird es allerdings erst dadurch, dass sie es mit einem Konflikt zu tun bekommt, der tragische Ausmaße hat. Das kluge Drehbuch, mit dem die Regisseurin Charlotte Sieling arbeiten konnte, führt tief in die Mechanismen der Macht: Kammerdienerinnen, die auch als Spioninnen dienen; ein Priester in einer zutiefst zwiespältigen Schlüsselrolle; geheime Boten und einsame Momente auf einem Schloss mit Blick aufs Meer.
Das Mittelalter ist im kollektiven Imaginären heute stark mit Fantasy assoziiert: Die Großepen nach J. R. R. Tolkien und George R. R. Martin überlagern die meisten Versuche, sich ein historisch triftigeres Bild von jener "dunklen" Epoche zu machen. Im Kino war es Ingmar Bergman, der mit "Das siebente Siegel" ein ikonisches Mittelalter schuf, ein Sinnbild für die Abhängigkeit der Menschen von Mächten, die ihnen keinerlei Spielräume zu geben schienen. Zugleich war die Begegnung mit dem Tod, der bei Bergman auf ähnliche Weise in das geregelte Leben drängt wie Oluf in die Politik von Margarethe, eben auch schon ein Schritt in die Emanzipation von undurchschaubaren Zusammenhängen.
"Die Königin des Nordens" spielt geschickt mit diesen Registern. Das Genre lebt von Schauwerten, zu denen nicht nur imposante Gemäuer zählen, sondern auch Charaktergesichter, in deren Furchen sich die historische Distanz von sechshundert Jahren eingeschrieben hat. Besonders interessant ist Morten Hee Andersen, der Erik spielt, die zwiespältigste Rolle am Hof. Der jugendliche Held, der noch kaum befähigt scheint für seine künftige Verantwortung, hat Facetten eines Usurpators und läuft zugleich ständig Gefahr, sich durch seine Ambitionen lächerlich zu machen. Dynastische Familiendramen waren immer ein Kernbestand des Erzählguts, auch davon kann Charlotte Sieling hier zehren. Margarethe muss sich letztlich zwischen Familie und Staat entscheiden, zwischen ihrer Rolle als Frau und Mutter und jener als Herrscherin, die sich gegen Männer und deren alte Rechte zu bewähren hat.
"Königin des Nordens" kommt nicht von ungefähr aus dem geschlechterpolitisch progressiven Skandinavien. Margarethe wird aber als Kinofigur erst dadurch interessant, dass sie nicht einfach aufklärerisch und weise das Gute tut, sondern vor schreckliche Entscheidungen gestellt wird. Der Begriff einer "starken Frau" wird durch einen messerscharfen Dialog ganz neu beleuchtet. Und wenn am Ende ein Scheiterhaufen entzündet wird, kann man durchaus auch an das Mädchen Johanna denken, an Jeanne d'Arc, die in dem Jahrhundert, in das "Die Königin des Nordens" hineinführt, einer alten Ordnung zum Opfer gebracht wurde, an der sie gar nicht so viel auszusetzen, aber deren Hierarchien sie durch ihre religiöse Unmittelbarkeit ins Wanken gebracht hatte.
Konflikte dieser Art werden zumeist so erzählt, dass wir auf die Opfer schauen, die historisch zu früh oder ethisch zu revolutionär waren. "Die Königin des Nordens" hingegen stellt pointiert eine Figur in den Mittelpunkt, die wir uns heute in der EU-Kommission denken könnten. Eine Virtuosin des Verhandelns, eine Charismatikerin der bewussten Abwägung. Dass eine solche Gestalt hier mit dem Reich älterer, unversöhnlicher Zwecke konfrontiert wird, macht den Film von Charlotte Sieling geradezu zu einem Sinnbild des heutigen europäischen Kinos: Es sucht Anschluss an die mythischen Landschaften, in denen auf den Streamingplattformen und im Blockbusterkino die Heldenrollen der Gegenwart definiert werden. Es spielt dabei aber dennoch zu seinen eigenen Bedingungen mit, sucht nach Konfrontationen, die nicht einfach dem Bösen oder Abgründigen gelten, sondern in denen das moderne Wissen um die Entzauberung all dieser angstmachenden Instanzen schon mitgedacht wird.
In mancherlei Hinsicht steht "Die Königin des Nordens" damit an der Seite des anderen großen Mittelalterfilms des vergangenen Jahres: "The Last Duel" von Ridley Scott ist ein weiteres Kippbild am Anfang eines neuen Zeitalters. Auch Margarethe bestreitet ein letztes Duell. Mit sich selbst. BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Film "Die Königin des Nordens" zeichnet ein treffendes Bild des Mittelalters
An der Wende vom vierzehnten zum fünfzehnten Jahrhundert fand im Norden Europas ein kleines "Game of Thrones" statt, bei dem eine starke Frau im Mittelpunkt stand: Königin Margarethe. Sie brachte zwischen Dänemark, Schweden und Norwegen eine Union zustande, die sich allerdings im Mächtespiel auf dem Kontinent nur durch weitere Bündnisse behaupten konnte. In dem Kostüm- und Historienfilm "Die Königin des Nordens" von Charlotte Sieling ist der Deutsche Orden der gefährlichste Feind der Monarchin, während England durch Heiratspolitik zum Partner gemacht werden soll.
Margarethe herrscht gemeinsam mit dem Thronfolger Erik, der allerdings nicht ihr leiblicher Sohn ist. Sie hat ihn aus Pommern adoptiert, um eine Leerstelle zu besetzen, denn die natürliche Sukzession wurde durch Krankheiten und Kriege unterbrochen. Das Drama nimmt seinen Lauf, als in einem kritischen Moment ein junger Mann auftaucht, der behauptet, er sei der Sohn Margarethes. Diese hatte immer geglaubt, Oluf sei lange tot. Er war siebzehn, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hat. Nun sieht sie sich einem Unbekannten gegenüber, der für sie eine Bedrohung darstellt. Oluf könnte ein Schwindler sein, ein Hochstapler im Auftrag von Mächten, die ihren Herrschaftsanspruch unterminieren wollen.
Die Königin ist als Diplomatin auf einen Ausgleich der Interessen angewiesen. Sie muss herausfinden, wem mit der provozierenden Personalie Oluf gedient sein könnte. Sind es Verräter im Dienst des Deutschen Ordens? Sind es Integrationsgegner, die in einem vereinigten Skandinavien persönliche Pfründe oder politischen Einfluss verlieren würden? Margarethe muss sich zudem der Erkenntnis stellen, dass sie als Mutter eine Verantwortung hat, die nicht immer zu der einer Königin passt.
Trine Dyrholm gehört seit Thomas Vinterbergs "Das Fest" zu den bekanntesten dänischen Schauspielerinnen. Deshalb ist sie die ideale Besetzung für die Identifikationsfigur, die sie in "Die Königin des Nordens" verkörpert. Margarethe ist ein positives Vorbild, eine kluge Realpolitikerin, die zwischen Kirche und Adel einen Ausgleich schafft. So richtig spannend wird es allerdings erst dadurch, dass sie es mit einem Konflikt zu tun bekommt, der tragische Ausmaße hat. Das kluge Drehbuch, mit dem die Regisseurin Charlotte Sieling arbeiten konnte, führt tief in die Mechanismen der Macht: Kammerdienerinnen, die auch als Spioninnen dienen; ein Priester in einer zutiefst zwiespältigen Schlüsselrolle; geheime Boten und einsame Momente auf einem Schloss mit Blick aufs Meer.
Das Mittelalter ist im kollektiven Imaginären heute stark mit Fantasy assoziiert: Die Großepen nach J. R. R. Tolkien und George R. R. Martin überlagern die meisten Versuche, sich ein historisch triftigeres Bild von jener "dunklen" Epoche zu machen. Im Kino war es Ingmar Bergman, der mit "Das siebente Siegel" ein ikonisches Mittelalter schuf, ein Sinnbild für die Abhängigkeit der Menschen von Mächten, die ihnen keinerlei Spielräume zu geben schienen. Zugleich war die Begegnung mit dem Tod, der bei Bergman auf ähnliche Weise in das geregelte Leben drängt wie Oluf in die Politik von Margarethe, eben auch schon ein Schritt in die Emanzipation von undurchschaubaren Zusammenhängen.
"Die Königin des Nordens" spielt geschickt mit diesen Registern. Das Genre lebt von Schauwerten, zu denen nicht nur imposante Gemäuer zählen, sondern auch Charaktergesichter, in deren Furchen sich die historische Distanz von sechshundert Jahren eingeschrieben hat. Besonders interessant ist Morten Hee Andersen, der Erik spielt, die zwiespältigste Rolle am Hof. Der jugendliche Held, der noch kaum befähigt scheint für seine künftige Verantwortung, hat Facetten eines Usurpators und läuft zugleich ständig Gefahr, sich durch seine Ambitionen lächerlich zu machen. Dynastische Familiendramen waren immer ein Kernbestand des Erzählguts, auch davon kann Charlotte Sieling hier zehren. Margarethe muss sich letztlich zwischen Familie und Staat entscheiden, zwischen ihrer Rolle als Frau und Mutter und jener als Herrscherin, die sich gegen Männer und deren alte Rechte zu bewähren hat.
"Königin des Nordens" kommt nicht von ungefähr aus dem geschlechterpolitisch progressiven Skandinavien. Margarethe wird aber als Kinofigur erst dadurch interessant, dass sie nicht einfach aufklärerisch und weise das Gute tut, sondern vor schreckliche Entscheidungen gestellt wird. Der Begriff einer "starken Frau" wird durch einen messerscharfen Dialog ganz neu beleuchtet. Und wenn am Ende ein Scheiterhaufen entzündet wird, kann man durchaus auch an das Mädchen Johanna denken, an Jeanne d'Arc, die in dem Jahrhundert, in das "Die Königin des Nordens" hineinführt, einer alten Ordnung zum Opfer gebracht wurde, an der sie gar nicht so viel auszusetzen, aber deren Hierarchien sie durch ihre religiöse Unmittelbarkeit ins Wanken gebracht hatte.
Konflikte dieser Art werden zumeist so erzählt, dass wir auf die Opfer schauen, die historisch zu früh oder ethisch zu revolutionär waren. "Die Königin des Nordens" hingegen stellt pointiert eine Figur in den Mittelpunkt, die wir uns heute in der EU-Kommission denken könnten. Eine Virtuosin des Verhandelns, eine Charismatikerin der bewussten Abwägung. Dass eine solche Gestalt hier mit dem Reich älterer, unversöhnlicher Zwecke konfrontiert wird, macht den Film von Charlotte Sieling geradezu zu einem Sinnbild des heutigen europäischen Kinos: Es sucht Anschluss an die mythischen Landschaften, in denen auf den Streamingplattformen und im Blockbusterkino die Heldenrollen der Gegenwart definiert werden. Es spielt dabei aber dennoch zu seinen eigenen Bedingungen mit, sucht nach Konfrontationen, die nicht einfach dem Bösen oder Abgründigen gelten, sondern in denen das moderne Wissen um die Entzauberung all dieser angstmachenden Instanzen schon mitgedacht wird.
In mancherlei Hinsicht steht "Die Königin des Nordens" damit an der Seite des anderen großen Mittelalterfilms des vergangenen Jahres: "The Last Duel" von Ridley Scott ist ein weiteres Kippbild am Anfang eines neuen Zeitalters. Auch Margarethe bestreitet ein letztes Duell. Mit sich selbst. BERT REBHANDL
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