Die wundersame Legende beginnt am Neujahrstag des Jahres 1900, als der Matrose Danny Boodmann im Tanzsaal des Passagierdampfers "Virginian" auf dem Klavier einen Säugling findet, ausgesetzt zwischen den Jahrhunderten in einem Pappkarton. Danny zieht den Jungen, dem er den Namen ,Danny Boodmann T.D. Lemon Neunzehnhundert gibt, unter Deck groß. Trotz der ungewöhnlichen Umstände mangelt es dem Jungen in den folgenden Jahren an nichts. Er lernt lesen und schreiben und als er eines Nachts zum Klavier schleicht und ungeübt mit einer Magie spielt, wie sie nie zuvor von Menschen vernommen wurde, scheint er seine Bestimmung gefunden zu haben. Durch einen tragischen Unfall kommt Danny ums Leben und Neunzehnhundert bleibt allein zurück. Wie ein guter Schiffsgeist begleitet der Junge mit seiner Musik arme Auswanderer und reiche Erste-Klasse-Passagiere in die Neue Welt, liest in deren Gesichtern ihre Geschichten und setzt sie sogleich in Musik um.
1927 trifft Neunzehnhundert (Tim Roth) auf den melancholischen Trompeter Max (Pruitt Taylor Vince) und die beiden schließen umgehend Freundschaft. In einem Punkt wird Max seinen Freund - dieses einzigartige Talent - jedoch nie verstehen. Warum er sich beharrlich weigert einen Fuß an Land zu setzen, denn im Nu könnte er mit seiner Musik die Welt erobern und ein Vermögen machen. Zumal die Welt bereits auf ihn aufmerksam wurde: Der "Erfinder des Jazz", Jelly Roll Morton (Clarence Williams III) taucht an Bord auf, um bei einem Piano-Duell seinen Titel zu verteidigen und Vertreter der Phonographengesellschaften versuchen ihn für Plattenverträge zu gewinnen.
"Es ist immer eine Frau" vermutet Max richtig, als Neunzehnhundert nach der Begegnung mit der geheimnisvollen Schönheit (Mélanie Thierry) überraschend beschließt, an Land zu gehen. Doch mitten auf der Gangway macht er kehrt, um sich für immer darüber auszuschweigen. Als der Weltkrieg beginnt und Max so lange spielt, bis das Schiff getroffen wird, bleibt Neunzehnhundert einmal mehr allein an Bord zurück ...
1946. In einem Hafen findet Max die völlig herruntergekommene "Virginian" wieder. Sie soll in den nächsten Stunden gesprengt werden. Er vermutet, dass sich Neunzehnhundert immer noch an Bord versteckt hält und findet ihn schließlich auch vor. Doch Neunzehnhundert entscheidet sich in völligem Seelenfrieden, sein Leben dort ausklingen zu lassen, wo es einst begonnen hatte ...
1927 trifft Neunzehnhundert (Tim Roth) auf den melancholischen Trompeter Max (Pruitt Taylor Vince) und die beiden schließen umgehend Freundschaft. In einem Punkt wird Max seinen Freund - dieses einzigartige Talent - jedoch nie verstehen. Warum er sich beharrlich weigert einen Fuß an Land zu setzen, denn im Nu könnte er mit seiner Musik die Welt erobern und ein Vermögen machen. Zumal die Welt bereits auf ihn aufmerksam wurde: Der "Erfinder des Jazz", Jelly Roll Morton (Clarence Williams III) taucht an Bord auf, um bei einem Piano-Duell seinen Titel zu verteidigen und Vertreter der Phonographengesellschaften versuchen ihn für Plattenverträge zu gewinnen.
"Es ist immer eine Frau" vermutet Max richtig, als Neunzehnhundert nach der Begegnung mit der geheimnisvollen Schönheit (Mélanie Thierry) überraschend beschließt, an Land zu gehen. Doch mitten auf der Gangway macht er kehrt, um sich für immer darüber auszuschweigen. Als der Weltkrieg beginnt und Max so lange spielt, bis das Schiff getroffen wird, bleibt Neunzehnhundert einmal mehr allein an Bord zurück ...
1946. In einem Hafen findet Max die völlig herruntergekommene "Virginian" wieder. Sie soll in den nächsten Stunden gesprengt werden. Er vermutet, dass sich Neunzehnhundert immer noch an Bord versteckt hält und findet ihn schließlich auch vor. Doch Neunzehnhundert entscheidet sich in völligem Seelenfrieden, sein Leben dort ausklingen zu lassen, wo es einst begonnen hatte ...
Bonusmaterial
Deutsche Untertitel in englischer Sprachfassung nicht ausblendbar. - Kinotrailer - Trailer von anderen Filmen - Biographien Crew - Making Of - Interviews - Piper Taschenbuchtipp - Musikvideo - FotogalerieFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.1999Erde hat keine Balken
Und Flügel kennen keine Schwerkraft: Giuseppe Tornatores "Legende vom Ozeanpianisten"
Wie eine Nussschale tanzt der riesige Ozeandampfer auf den Wellen. Herren- und damenlose Schuhe, nachts vor die Tür gestellt, machen sich selbständig, befreit von der Last, ihre Eigentümer zu tragen. Ein Mann kriecht auf allen vieren zu einer Vase, um sich in sie zu übergeben. Da geht plötzlich ein anderer Mann auf ihn zu, die Hände in den Hosentaschen. Seine Schritte sind durch nichts zu erschüttern. Er folgt den Spuren Alfred Hitchcocks und Charlie Chaplins, die ihre wankenden Figuren traumhaft sicher über schwankende Schiffe spazieren ließen, setzt sich an den Flügel und wird erfahren, warum dieser so heißt: Das Instrument schwebt durch den Raum, der Schwerkraft unterworfen und dennoch scheinbar über sie erhaben, niemals aneckend im riesigen Ballsaal. Dann aber durchbricht es eine Scheibe, rast einen Gang entlang, hinein in die Kapitänskajüte. Doch die musikalische Meuterei löst sich in Wohlgefallen auf, denn sie wurde von einem begnadeten Pianisten angestimmt.
Giuseppe Tornatores Verfilmung von Alessandro Bariccos Theaterstück "Novecento" lässt die Lebensgeschichte eines Mannes (gespielt von Tim Roth) Revue passieren, der am ersten Morgen des Jahres 1900 als Findelkind an Bord des Ozeandampfers "Virginian" aufgefunden wird, dort aufwächst und nicht weiß, ob er das Gefühl, festen Boden unter den Füßen zu haben, wirklich je kennen lernen will. Den Augenblick, als er auf der Gangway steht, die Skyline New Yorks vor sich sieht und Stufe um Stufe herabsteigt, inszeniert Tornatore wie ein Ereignis, das der Mondlandung gleichkommt. Alle erdenklichen Standpunkte nimmt die Kamera in dieser Sequenz ein, als gelte es , nicht die kleinste Kleinigkeit zu verpassen. Doch "1900", wie der Mann getauft wurde, hat Angst vor der weiten Welt.
In der ersten Einstellung seines Films "Cinema Paradiso" lässt Tornatore die Kamera über das Meer schweben, dann einen Balkon überqueren und schließlich in einer Wohnung zur Ruhe kommen. Der Mann, der darin wohnt, wird bald darauf eine lange Reise antreten. Zu Beginn von Tornatores nachfolgendem Film "Allen geht's gut" steht Marcello Mastroianni, der im Laufe der Handlung seine Kinder besuchen wird, die in verschiedenen Städten Italiens wohnen, am Strand. Die Kamera setzt sich in Bewegung, bis die wild tosenden Wellen das Bild füllen. Das Meer hat die Kraft, Menschenleben zu verändern, die Dinge in Fluss zu bringen. In "Die Legende vom Ozeanpianisten" erzählt ein Auswanderer, der in Amerika eine zweite Chance sucht, dass er in seiner italienischen Heimat Haus und Hof verlor, seine Kinder nacheinander starben und er danach mit dem Leben abschloss, bis er eines Tages auf das Meer blickte und einen Silberstreifen am Horizont sah.
Doch für "1900" kann das Meer kein Medium der Veränderung sein, weil er das Land nicht kennt. Er erlebt tagtäglich nur Menschen, die sich voller Hoffnungen im Transit zwischen ihrer alten Heimat und der Neuen Welt befinden, während für ihn selbst die Passage das Zuhause ist. Ständig unterwegs, ist er im Stillstand gefangen. Nur wenn er am Klavier sitzt, überschreitet er Grenzen. In einer sehr schön geschnittenen Sequenz überwindet er die Klassenschranken, zwischen Ober- und Unterdeck spielend: Dort der mondäne Flügel, hier das klapprige Klavier, man merkt kaum, wie sich Instrument und Publikum verändern, weil die Emphase des Pianisten keinen Unterschied zwischen mit Schmuck behangenen und ungewaschenen Ohren macht.
Leider steuert der Regisseur das Pathos ebenso direkt an wie die "Virginian" zu Beginn des Films die Freiheitsstatue (angesichts der armseligen Computeranimation wünscht man sich sehnlich die offensive Künstlichkeit von "Fellinis Schiff der Träume" zurück). Doch Tornatore sorgt nicht - wie in "Cinema Paradiso" - durch Humor für die notwendige Kurskorrektur. Er tut so, als verstehe sich die Begeisterung, mit der die Passagiere die Vereinigten Staaten begrüßen, von selbst und als müsse jeder von der Musik des Pianisten sofort verzaubert sein. Wenn "1900" nach einem musikalischen Wettstreit mit der Jazz-Legende Jelly Roll Morton (Clarence Williams III) eine Zigarette an den heiß gespielten Saiten anzündet, blitzt jener Funke Ironie, der viel zu selten ist.
Man merkt dem Film auch Tornatores Schwierigkeit an, die manchmal fast koboldhaft überzeichnete Darstellung von Tim Roth sinnvoll zu integrieren. In einer Szene interpretiert "1900" die Gesichter der Zuhörer, deren Mienen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Während er dies tut, kann man in seinem eigenen Gesicht lesen wie in einem offenen Buch. Wenn er bei einer Plattenaufnahme durch ein Bullauge ein wunderschönes Mädchen erspäht, den Blick von ihr nicht mehr lösen kann und seine Finger anfangen, die Tasten zu liebkosen, lässt der schauspielerische Anschlag von Roth das nötige Feingefühl vermissen. Er kann während des gesamten Films nicht das Vakuum im Leben dieses Mannes vermitteln. Wenn der Pianist am Ende das sinkende Schiff nicht verlässt, wirkt dieses tragische Ende gewollt. Hier entscheidet keine Figur über ihr Schicksal. Einem Sklaven der Dramaturgie wird das Leben verweigert.
LARS-OLAV BEIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und Flügel kennen keine Schwerkraft: Giuseppe Tornatores "Legende vom Ozeanpianisten"
Wie eine Nussschale tanzt der riesige Ozeandampfer auf den Wellen. Herren- und damenlose Schuhe, nachts vor die Tür gestellt, machen sich selbständig, befreit von der Last, ihre Eigentümer zu tragen. Ein Mann kriecht auf allen vieren zu einer Vase, um sich in sie zu übergeben. Da geht plötzlich ein anderer Mann auf ihn zu, die Hände in den Hosentaschen. Seine Schritte sind durch nichts zu erschüttern. Er folgt den Spuren Alfred Hitchcocks und Charlie Chaplins, die ihre wankenden Figuren traumhaft sicher über schwankende Schiffe spazieren ließen, setzt sich an den Flügel und wird erfahren, warum dieser so heißt: Das Instrument schwebt durch den Raum, der Schwerkraft unterworfen und dennoch scheinbar über sie erhaben, niemals aneckend im riesigen Ballsaal. Dann aber durchbricht es eine Scheibe, rast einen Gang entlang, hinein in die Kapitänskajüte. Doch die musikalische Meuterei löst sich in Wohlgefallen auf, denn sie wurde von einem begnadeten Pianisten angestimmt.
Giuseppe Tornatores Verfilmung von Alessandro Bariccos Theaterstück "Novecento" lässt die Lebensgeschichte eines Mannes (gespielt von Tim Roth) Revue passieren, der am ersten Morgen des Jahres 1900 als Findelkind an Bord des Ozeandampfers "Virginian" aufgefunden wird, dort aufwächst und nicht weiß, ob er das Gefühl, festen Boden unter den Füßen zu haben, wirklich je kennen lernen will. Den Augenblick, als er auf der Gangway steht, die Skyline New Yorks vor sich sieht und Stufe um Stufe herabsteigt, inszeniert Tornatore wie ein Ereignis, das der Mondlandung gleichkommt. Alle erdenklichen Standpunkte nimmt die Kamera in dieser Sequenz ein, als gelte es , nicht die kleinste Kleinigkeit zu verpassen. Doch "1900", wie der Mann getauft wurde, hat Angst vor der weiten Welt.
In der ersten Einstellung seines Films "Cinema Paradiso" lässt Tornatore die Kamera über das Meer schweben, dann einen Balkon überqueren und schließlich in einer Wohnung zur Ruhe kommen. Der Mann, der darin wohnt, wird bald darauf eine lange Reise antreten. Zu Beginn von Tornatores nachfolgendem Film "Allen geht's gut" steht Marcello Mastroianni, der im Laufe der Handlung seine Kinder besuchen wird, die in verschiedenen Städten Italiens wohnen, am Strand. Die Kamera setzt sich in Bewegung, bis die wild tosenden Wellen das Bild füllen. Das Meer hat die Kraft, Menschenleben zu verändern, die Dinge in Fluss zu bringen. In "Die Legende vom Ozeanpianisten" erzählt ein Auswanderer, der in Amerika eine zweite Chance sucht, dass er in seiner italienischen Heimat Haus und Hof verlor, seine Kinder nacheinander starben und er danach mit dem Leben abschloss, bis er eines Tages auf das Meer blickte und einen Silberstreifen am Horizont sah.
Doch für "1900" kann das Meer kein Medium der Veränderung sein, weil er das Land nicht kennt. Er erlebt tagtäglich nur Menschen, die sich voller Hoffnungen im Transit zwischen ihrer alten Heimat und der Neuen Welt befinden, während für ihn selbst die Passage das Zuhause ist. Ständig unterwegs, ist er im Stillstand gefangen. Nur wenn er am Klavier sitzt, überschreitet er Grenzen. In einer sehr schön geschnittenen Sequenz überwindet er die Klassenschranken, zwischen Ober- und Unterdeck spielend: Dort der mondäne Flügel, hier das klapprige Klavier, man merkt kaum, wie sich Instrument und Publikum verändern, weil die Emphase des Pianisten keinen Unterschied zwischen mit Schmuck behangenen und ungewaschenen Ohren macht.
Leider steuert der Regisseur das Pathos ebenso direkt an wie die "Virginian" zu Beginn des Films die Freiheitsstatue (angesichts der armseligen Computeranimation wünscht man sich sehnlich die offensive Künstlichkeit von "Fellinis Schiff der Träume" zurück). Doch Tornatore sorgt nicht - wie in "Cinema Paradiso" - durch Humor für die notwendige Kurskorrektur. Er tut so, als verstehe sich die Begeisterung, mit der die Passagiere die Vereinigten Staaten begrüßen, von selbst und als müsse jeder von der Musik des Pianisten sofort verzaubert sein. Wenn "1900" nach einem musikalischen Wettstreit mit der Jazz-Legende Jelly Roll Morton (Clarence Williams III) eine Zigarette an den heiß gespielten Saiten anzündet, blitzt jener Funke Ironie, der viel zu selten ist.
Man merkt dem Film auch Tornatores Schwierigkeit an, die manchmal fast koboldhaft überzeichnete Darstellung von Tim Roth sinnvoll zu integrieren. In einer Szene interpretiert "1900" die Gesichter der Zuhörer, deren Mienen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Während er dies tut, kann man in seinem eigenen Gesicht lesen wie in einem offenen Buch. Wenn er bei einer Plattenaufnahme durch ein Bullauge ein wunderschönes Mädchen erspäht, den Blick von ihr nicht mehr lösen kann und seine Finger anfangen, die Tasten zu liebkosen, lässt der schauspielerische Anschlag von Roth das nötige Feingefühl vermissen. Er kann während des gesamten Films nicht das Vakuum im Leben dieses Mannes vermitteln. Wenn der Pianist am Ende das sinkende Schiff nicht verlässt, wirkt dieses tragische Ende gewollt. Hier entscheidet keine Figur über ihr Schicksal. Einem Sklaven der Dramaturgie wird das Leben verweigert.
LARS-OLAV BEIER
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