Jacek liebt Heavy Metal, die Spritztouren mit seinem Auto und seinen Hund. Er genießt das Dasein als cooler Außenseiter in einem ansonsten eher spießigen Umfeld. In der Nähe seines Heimatortes an der polnisch-deutschen Grenze soll die größte Jesusstatue der Welt entstehen, und auch Jacek arbeitet auf der Großbaustelle. Doch ein schwerer Arbeitsunfall lässt ihn entstellt zurück. Unter reger Anteilnahme der polnischen Öffentlichkeit wird daraufhin die erste Gesichtstransplantation im Land vollzogen. Jacek wird als Nationalheld und Märtyrergefeiert, die Jesusstatue wird höher und höher, aber er selbst erkennt sich nicht mehr im Spiegel wieder. Während sein Konterfei zur Maske wird, zeigen die Menschen um ihn herum ihr wahres Gesicht...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2019Der Mann mit dem Schweinegesicht
In Malgorzata Szumowkas Film "Die Maske" verwirrt ein Entstellter ein ganzes Dorf
Gier ist geil. So könnte man die erste Szene in Malgorzata Szumowskas Film "Die Maske" in einen Satz fassen. Vor einem Warenhaus mit Elektrogeräten wartet eine Menschenmenge auf die Öffnung der Türen. Es gibt einen Deal: Wer unbekleidet kommt, darf etwas mitnehmen. Einen Fernseher zum Beispiel, wie ihn Jacek erwischt. Ganz nackt ist er nicht, die Unterwäsche dürfen die Leute anbehalten, es ist aber nicht so, dass es ihnen einen Rest von Würde verleihen würde.
Selten wurden Menschen so deutlich als Konsumzombies markiert, eine balgende Menge in Zeitlupe, die sich schließlich wieder in die Dörfer verläuft, die in Polen wie überall sonst auch von überregionalen Einkaufszentren zusammengehalten werden. Für Jacek ergibt die Beute im Grunde wenig Sinn. Denn er will sowieso weg. Beim Abendessen nervt er die Familie mit seinem Gerede von England. Vorerst geht er mit Musik auf Abstand. Er hört Heavy Metal. Das Getöse schützt ihn, wie auch das kleine Auto, mit dem er unterwegs ist. Für die idyllische Lage des Bauernhofs, auf dem er lebt, hat Jacek keinen Sinn. Er sieht nur Abgelegenheit und Rückständigkeit.
Oder ist es die Regisseurin, die ihr Land so sieht? Malgorzata Szumowska hat sich über die Jahre - seit ihrem Debüt mit "Happy Man" - beharrlich den Status als wichtigste Vertreterin des polnischen Kinos erarbeitet, neben der kein bisschen weniger grimmigen Agnieszka Holland. Mit "Die Maske" nimmt sie die ganze Gesellschaft ihres Landes in den Blick, nicht nur die tiefe Provinz, in der Jacek lebt. Im Dorf leben die Menschen zwar nach alten Regeln. Der Pfarrer ist die wichtigste Gestalt im sozialen Leben, er trifft die Leute in aller Öffentlichkeit, kennt sie aber auch aus Beichtgesprächen. Vorurteile, vor allem gegen "Zigeuner", sind allgegenwärtig.
Jacek ist mit seinem Traum von einem Leben in einer anderen Welt aber nicht allein. Er liebt Dagmara, die schon konkrete Pläne hat. Sie wird sich als Tänzerin versuchen, sie sucht nach einer anderen Nacktheit als der bei der Schnäppchenjagd. Jacek und Dagmara machen noch ein Foto von sich als glückliches Paar, dann besteigt sie den Bus, und er bleibt zurück. Denn er hat noch etwas zu tun. Jacek arbeitet an einer gigantischen Statue, an einem Christus aus Beton, größer als der Cristo Redentor in Rio de Janeiro.
In Polen gibt es so eine Statue auch wirklich, sie steht in Swiebodzin, ist sechsunddreißig Meter hoch und damit ein mächtiges Sinnbild eines tief katholischen Landes. Malgorzata Szumowska hat da nichts erfunden, aber sie verknüpft dieses Bild mit einem anderen, weniger triumphalen, und Jacek wird die Figur, die diese Verknüpfung am eigenen Leib erleiden muss: Er stürzt bei den Bauarbeiten in ein tiefes Loch (in das Innere der noch unvollendeten Statue), und geht daraus als neuer Mensch hervor. Zu einem neuen Menschen wird er durch die moderne Medizin: Sie verschafft ihm ein neues Gesicht. Jacek trägt nach einer Transplantation ein neues "Antlitz" (auch so kann man den polnischen Originaltitel übersetzen: "Twarz"), eine "Maske". Man hat ihm das Leben gerettet, aber er bleibt entstellt. Jacek ist nicht mehr er selbst, wenn man diese unwillkürliche Unterstellung ernst nimmt, dass das Angesicht eines Menschen dessen Identität offenbart. Jacek ist ein Fremder geworden, für sich selbst und für seine Nachbarn. Er trägt ein "Schweinegesicht", das rufen die Kinder ihm nach.
Von einer Auswanderung nach England ist nun keine Rede mehr. Dagmara kehrt auch zurück, es hat wohl nicht so geklappt für sie in der Fremde. Und so muss das Dorf, das sich am liebsten mit diesem stolzen Betonkönig identifizieren würde, sich auch mit einem aus seiner Mitte identifizieren, der nicht minder berühmt ist, aber auf den man nicht so richtig stolz sein kann. Jacek macht Sensation, das Fernsehen berichtet über die spektakuläre Operation, die eine oder andere Marke möchte sogar mit ihm werben. Auch ein Freak kann ein Idol sein, wenn nackte Gier geil ist.
Malgorzata Szumowska und der Kameramann Michal Englert haben "Die Maske" auf eine besondere Weise gefilmt: eine sogenannte Tilt-Shift-Ästhetik bringt es mit sich, dass immer nur ein Teil des Bildes scharf gestellt ist, das Drumherum bleibt verschwommen, die geläufigen Hierarchien von Vordergrund und Hintergrund (oder deren Auflösung in tiefenscharfen Einstellungen) lösen sich auf. Man kann das als einen billigen Effekt abtun, oder aber als ein allegorisches Angebot nehmen.
Zentrum und Peripherie, eines der gesellschaftlichen Themen des Films, werden hier also schon auf der Ebene des Bildes verunklart. Und auch das Verhältnis zur Welt insgesamt gerät mit diesem tendenziell "grotesken" Bild in die Krise: "Die Maske" ist ein Film, der die Entstellung der Hauptfigur gleichsam in seine Form aufgenommen hat. Genau genommen ist die Entstellung auch gar nicht individuell: in den ersten Bildern von der gierigen Meute waren schon alle davon betroffen. Und an diesen Entstellungen (zur besseren Kenntlichkeit?) hält Szumowska dann auch unbeirrt fest.
Man kann sich gut vorstellen, wie das Publikum in Polen auf diesen Film reagieren wird - mindestens ambivalent. International aber gilt Szumowska als bedeutende Künstlerin, auf der Berlinale war sie mit ihren letzten Arbeiten immer im Wettbewerb, für "Die Maske" gab es einen Großen Preis der Jury. Das sind typische Tauschverhältnisse im Weltkino. Kritik an einem Polen, das sich von der Welt abkehrt, wenn sie nicht gerade in Form billiger Fernsehshows daherkommt, ist zweifellos legitim - und sie kann auch die Form einer überdeutlichen Satire annehmen, in der schließlich dem Christuskönig der Betonkopf verrückt werden muss, damit er die Himmelsrichtung zur Schwarzen Madonna in Czestochowa einnimmt.
Aber über die erste Szene kommt "Die Maske" im Grunde nie hinweg. Dass Menschen sich zum Narren machen lassen, von Konzernen und von der Kirche, das ist keine Sache, die das Kino in Zeitlupe als Entblößungsspektakel auswalzen sollte - auch und gerade wenn es solche "runs" in Wirklichkeit tatsächlich gibt. Jacek kommt aus dem schwarzen Loch der polnischen Traditionen mit einem Schweinegesicht zurück, aber der Film hat da schon nicht mehr die Mittel, ihm jene Würde zu geben, derer er dann umso mehr bedürfte. Der König des Himmels breitet seine Arme aus über einer heillos verzerrten Welt.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Malgorzata Szumowkas Film "Die Maske" verwirrt ein Entstellter ein ganzes Dorf
Gier ist geil. So könnte man die erste Szene in Malgorzata Szumowskas Film "Die Maske" in einen Satz fassen. Vor einem Warenhaus mit Elektrogeräten wartet eine Menschenmenge auf die Öffnung der Türen. Es gibt einen Deal: Wer unbekleidet kommt, darf etwas mitnehmen. Einen Fernseher zum Beispiel, wie ihn Jacek erwischt. Ganz nackt ist er nicht, die Unterwäsche dürfen die Leute anbehalten, es ist aber nicht so, dass es ihnen einen Rest von Würde verleihen würde.
Selten wurden Menschen so deutlich als Konsumzombies markiert, eine balgende Menge in Zeitlupe, die sich schließlich wieder in die Dörfer verläuft, die in Polen wie überall sonst auch von überregionalen Einkaufszentren zusammengehalten werden. Für Jacek ergibt die Beute im Grunde wenig Sinn. Denn er will sowieso weg. Beim Abendessen nervt er die Familie mit seinem Gerede von England. Vorerst geht er mit Musik auf Abstand. Er hört Heavy Metal. Das Getöse schützt ihn, wie auch das kleine Auto, mit dem er unterwegs ist. Für die idyllische Lage des Bauernhofs, auf dem er lebt, hat Jacek keinen Sinn. Er sieht nur Abgelegenheit und Rückständigkeit.
Oder ist es die Regisseurin, die ihr Land so sieht? Malgorzata Szumowska hat sich über die Jahre - seit ihrem Debüt mit "Happy Man" - beharrlich den Status als wichtigste Vertreterin des polnischen Kinos erarbeitet, neben der kein bisschen weniger grimmigen Agnieszka Holland. Mit "Die Maske" nimmt sie die ganze Gesellschaft ihres Landes in den Blick, nicht nur die tiefe Provinz, in der Jacek lebt. Im Dorf leben die Menschen zwar nach alten Regeln. Der Pfarrer ist die wichtigste Gestalt im sozialen Leben, er trifft die Leute in aller Öffentlichkeit, kennt sie aber auch aus Beichtgesprächen. Vorurteile, vor allem gegen "Zigeuner", sind allgegenwärtig.
Jacek ist mit seinem Traum von einem Leben in einer anderen Welt aber nicht allein. Er liebt Dagmara, die schon konkrete Pläne hat. Sie wird sich als Tänzerin versuchen, sie sucht nach einer anderen Nacktheit als der bei der Schnäppchenjagd. Jacek und Dagmara machen noch ein Foto von sich als glückliches Paar, dann besteigt sie den Bus, und er bleibt zurück. Denn er hat noch etwas zu tun. Jacek arbeitet an einer gigantischen Statue, an einem Christus aus Beton, größer als der Cristo Redentor in Rio de Janeiro.
In Polen gibt es so eine Statue auch wirklich, sie steht in Swiebodzin, ist sechsunddreißig Meter hoch und damit ein mächtiges Sinnbild eines tief katholischen Landes. Malgorzata Szumowska hat da nichts erfunden, aber sie verknüpft dieses Bild mit einem anderen, weniger triumphalen, und Jacek wird die Figur, die diese Verknüpfung am eigenen Leib erleiden muss: Er stürzt bei den Bauarbeiten in ein tiefes Loch (in das Innere der noch unvollendeten Statue), und geht daraus als neuer Mensch hervor. Zu einem neuen Menschen wird er durch die moderne Medizin: Sie verschafft ihm ein neues Gesicht. Jacek trägt nach einer Transplantation ein neues "Antlitz" (auch so kann man den polnischen Originaltitel übersetzen: "Twarz"), eine "Maske". Man hat ihm das Leben gerettet, aber er bleibt entstellt. Jacek ist nicht mehr er selbst, wenn man diese unwillkürliche Unterstellung ernst nimmt, dass das Angesicht eines Menschen dessen Identität offenbart. Jacek ist ein Fremder geworden, für sich selbst und für seine Nachbarn. Er trägt ein "Schweinegesicht", das rufen die Kinder ihm nach.
Von einer Auswanderung nach England ist nun keine Rede mehr. Dagmara kehrt auch zurück, es hat wohl nicht so geklappt für sie in der Fremde. Und so muss das Dorf, das sich am liebsten mit diesem stolzen Betonkönig identifizieren würde, sich auch mit einem aus seiner Mitte identifizieren, der nicht minder berühmt ist, aber auf den man nicht so richtig stolz sein kann. Jacek macht Sensation, das Fernsehen berichtet über die spektakuläre Operation, die eine oder andere Marke möchte sogar mit ihm werben. Auch ein Freak kann ein Idol sein, wenn nackte Gier geil ist.
Malgorzata Szumowska und der Kameramann Michal Englert haben "Die Maske" auf eine besondere Weise gefilmt: eine sogenannte Tilt-Shift-Ästhetik bringt es mit sich, dass immer nur ein Teil des Bildes scharf gestellt ist, das Drumherum bleibt verschwommen, die geläufigen Hierarchien von Vordergrund und Hintergrund (oder deren Auflösung in tiefenscharfen Einstellungen) lösen sich auf. Man kann das als einen billigen Effekt abtun, oder aber als ein allegorisches Angebot nehmen.
Zentrum und Peripherie, eines der gesellschaftlichen Themen des Films, werden hier also schon auf der Ebene des Bildes verunklart. Und auch das Verhältnis zur Welt insgesamt gerät mit diesem tendenziell "grotesken" Bild in die Krise: "Die Maske" ist ein Film, der die Entstellung der Hauptfigur gleichsam in seine Form aufgenommen hat. Genau genommen ist die Entstellung auch gar nicht individuell: in den ersten Bildern von der gierigen Meute waren schon alle davon betroffen. Und an diesen Entstellungen (zur besseren Kenntlichkeit?) hält Szumowska dann auch unbeirrt fest.
Man kann sich gut vorstellen, wie das Publikum in Polen auf diesen Film reagieren wird - mindestens ambivalent. International aber gilt Szumowska als bedeutende Künstlerin, auf der Berlinale war sie mit ihren letzten Arbeiten immer im Wettbewerb, für "Die Maske" gab es einen Großen Preis der Jury. Das sind typische Tauschverhältnisse im Weltkino. Kritik an einem Polen, das sich von der Welt abkehrt, wenn sie nicht gerade in Form billiger Fernsehshows daherkommt, ist zweifellos legitim - und sie kann auch die Form einer überdeutlichen Satire annehmen, in der schließlich dem Christuskönig der Betonkopf verrückt werden muss, damit er die Himmelsrichtung zur Schwarzen Madonna in Czestochowa einnimmt.
Aber über die erste Szene kommt "Die Maske" im Grunde nie hinweg. Dass Menschen sich zum Narren machen lassen, von Konzernen und von der Kirche, das ist keine Sache, die das Kino in Zeitlupe als Entblößungsspektakel auswalzen sollte - auch und gerade wenn es solche "runs" in Wirklichkeit tatsächlich gibt. Jacek kommt aus dem schwarzen Loch der polnischen Traditionen mit einem Schweinegesicht zurück, aber der Film hat da schon nicht mehr die Mittel, ihm jene Würde zu geben, derer er dann umso mehr bedürfte. Der König des Himmels breitet seine Arme aus über einer heillos verzerrten Welt.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Unglaublich komisch." Der Spiegel
"Film der Woche: eine bitterböse, aber nie bösartige Studie über das Polen auf dem Lande, das stramm konservativ wählt und denkt, gerne zotige Witze über Ausländer und Frauen reißt und mit dem "Fremden", dem "Anderen" nichts anzufangen weiß. Das ist eigenwillig gefilmt, ausgezeichnet gespielt und rasant inszeniert!" Deutschlandfunk
"Bewegt sich zwischen böser Satire mit staubtrockenem Humor und bitter ernstem Realismus." EPD Film
"Die Stärke von Szumowskas Film besteht darin, den Irrsinn, der sich momentan in Polen abspielt, mit souveräner Beiläufigkeit vorzuführen." Tagesspiegel
"Mit starkem Humor gesalzen, aber im Grunde ernst und intelligent." Perlentaucher
"Eine gelungene Satire mit kreativen Kamerabildern. Gleichzeitig ein Film über Lebensfreude, verkörpert vom Protagonisten, der stark genug ist, sich nicht von der ihm widerfahrenen Ausgrenzung unterkriegen zu lassen." Der Freitag
"Einer der stärksten Filme im Berlinale-Wettbewerb." rbb24
"Film der Woche: eine bitterböse, aber nie bösartige Studie über das Polen auf dem Lande, das stramm konservativ wählt und denkt, gerne zotige Witze über Ausländer und Frauen reißt und mit dem "Fremden", dem "Anderen" nichts anzufangen weiß. Das ist eigenwillig gefilmt, ausgezeichnet gespielt und rasant inszeniert!" Deutschlandfunk
"Bewegt sich zwischen böser Satire mit staubtrockenem Humor und bitter ernstem Realismus." EPD Film
"Die Stärke von Szumowskas Film besteht darin, den Irrsinn, der sich momentan in Polen abspielt, mit souveräner Beiläufigkeit vorzuführen." Tagesspiegel
"Mit starkem Humor gesalzen, aber im Grunde ernst und intelligent." Perlentaucher
"Eine gelungene Satire mit kreativen Kamerabildern. Gleichzeitig ein Film über Lebensfreude, verkörpert vom Protagonisten, der stark genug ist, sich nicht von der ihm widerfahrenen Ausgrenzung unterkriegen zu lassen." Der Freitag
"Einer der stärksten Filme im Berlinale-Wettbewerb." rbb24