Zum gleichen Zeitpunkt, 300 Kilometer voneinander entfernt: Inspektor Pierre Niémans wird an eine abgelegene Universität hoch in den Alpen gerufen, wo sich ein grausamer Mord ereignete, das Opfer wurde unvorstellbar misshandelt und verstümmelt. Parallel dazu untersucht Kommissar Max Kerkerian eine Friedhofsschändung. Das Grab eines vor Jahren mysteriös ums Leben gekommenen Mädchens wurde geschändet. Diese zunächst ohne Zusammenhang erscheinenden Ereignisse verweben sich im Laufe der Zeit immer mehr, weitere nicht minder rätselhafte Leichen tauchen auf. Die Wege der beiden sehr verschiedenen Polizisten kreuzen sich und zusammen suchen sie an der Grenze des Todes und des ewigen Eises nach dem Geheimnis der purpurnen Flüsse...
"Gelungenes Wechselbad aus Schock, Action und Humor!" (Kinonews)
Inspektor Pierre Niemans (Jean Reno) und Kommissar Max Kerkerian (Vincent Cassel) untersuchen an zwei verschiedenen Orten unterschiedliche Verbrechen, die auf geheimnsivolle Weise miteinander verknüpft sind. Während Kerkerian eine Grabschändung mit scheinbar neonazistischem Hintergrund in Sarzac untersucht, wird Niemans aus Paris in die abgelegene Universitädtsstadt Guernon in den Alpen gerufen. Dort ereignete sich ein bizarrer Mord, bei dem das Opfer grausam gefoltert und verstümmelt wurde. Es bleibt nicht bei einer einzigen Leiche, und alle Opfer sind Mitarbeiter des Lehrinstituts in Guernon.
Schon bald kreuzen sich die Fäden der Ermittlungen, und der erfahrene Niemans macht sich gemeinsam mit dem hitzköpfigen Kerkerian auf die Suche nach dem eiskalten Mörder. Bei den Nachforschungen an der Eliteuniversität stösst das gegensätzliche Duo auf mysteriöse genetische Experimente. Mit ihrem Wissen bringen sich die beiden Polizisten schließlich selbst in Lebensgefahr. Bei einem Kampf auf Leben und Tod enthüllen sie im ewigen Eis der Gletscher das Geheimnis der purpurnen Flüsse...
"Gelungenes Wechselbad aus Schock, Action und Humor!" (Kinonews)
Inspektor Pierre Niemans (Jean Reno) und Kommissar Max Kerkerian (Vincent Cassel) untersuchen an zwei verschiedenen Orten unterschiedliche Verbrechen, die auf geheimnsivolle Weise miteinander verknüpft sind. Während Kerkerian eine Grabschändung mit scheinbar neonazistischem Hintergrund in Sarzac untersucht, wird Niemans aus Paris in die abgelegene Universitädtsstadt Guernon in den Alpen gerufen. Dort ereignete sich ein bizarrer Mord, bei dem das Opfer grausam gefoltert und verstümmelt wurde. Es bleibt nicht bei einer einzigen Leiche, und alle Opfer sind Mitarbeiter des Lehrinstituts in Guernon.
Schon bald kreuzen sich die Fäden der Ermittlungen, und der erfahrene Niemans macht sich gemeinsam mit dem hitzköpfigen Kerkerian auf die Suche nach dem eiskalten Mörder. Bei den Nachforschungen an der Eliteuniversität stösst das gegensätzliche Duo auf mysteriöse genetische Experimente. Mit ihrem Wissen bringen sich die beiden Polizisten schließlich selbst in Lebensgefahr. Bei einem Kampf auf Leben und Tod enthüllen sie im ewigen Eis der Gletscher das Geheimnis der purpurnen Flüsse...
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - L'Enquete (Making of) - Entstehung der Pathologieszene - Interview mit Jean Reno - Film/Storyboardvergleich "Verfolgungsszene" - Storyboardabbildungen - Cast & Crew InformationenFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2001Tränen aus dem Schnee von gestern
Ein Herz im Winter: Mathieu Kassowitz verfilmt "Die purpurnen Flüsse"
Nackt, gefesselt und geschunden liegt die Leiche eines jungen Mannes auf dem Seziertisch. Am ganzen Körper hat er tiefe Einschnitte. Die Hände wurden ihm abgeschlagen. All dies geschah, wie der Pathologe erklärt, bei lebendigem Leibe. Ein Polizist nähert sich mit seiner Hand dem Gesicht des Toten - im selben Augenblick quillt Wasser zwischen den geschlossenen Lidern hervor. Es hat eine lange Strecke hinter sich. Seitdem Douglas Sirk in seinem Kriegsmelodram "Zeit zu leben und Zeit zu sterben" (1958) das winterliche Eis über einer Leiche unter den Strahlen der Frühlingssonne schmelzen ließ, hat diese Einstellung, in der ein Toter über sei eigenes Schicksal Tränen vergießt, einen Bilderflußlauf durch viele Filme hinter sich. Doch manche Ideen bleiben erstaunlich lange frisch. Bis jemand wie der Regisseur Mathieu Kassowitz sich daranmacht.
Die Augen, fährt der Pathologe fort, wurden dem Toten ausgestochen. Die leeren Höhlen füllte der Mörder anschließend mit Schnee. Das Wasser, das aus ihnen fließt wie ein Bach in einer verkarsteten Landschaft, wird untersucht. Der Säuregehalt, so ergibt die Analyse, läßt darauf schließen, daß der Niederschlag in den frühen achtziger Jahren gefallen sein muß. So macht sich der Polizist im ewigen Eis daran, den Schnee von gestern zu finden. An einem Seil läßt er sich herab in eine Gletscherspalte. Wie Jahresringe eines Baumes erzählen die Schichten des Eises vom Lauf der Dinge, die Zeit wird, räumlich verdichtet, sichtbar. Dann arretiert der Polizist das Seil. Nun baumelt er vor den frühen Achtzigern. Genauer: vor dem Jahr 1982.
Das war die Zeitenwende im französischen Kriminalfilm. José Giovanni drehte in diesem Jahr "Der Rammbock", Bob Swaim "La Balance": schlackeloses Kino mit oft einfachen, aber gut konstruierten Geschichten, das sich ganz auf seine schroffen Charaktere einließ und sie knapp und präzise beschrieb. Doch 1980, mit "Diva" von Jean-Jacques Beineix, hatte das Genre angefangen, sich in reflektierenden Oberflächen bewundernd zu betrachten und sich schön zu finden. Fünf Jahre später war kaum mehr geblieben als die Lust an der großen Geste: In "Subway" von Luc Besson begab sich der französische Kriminalfilm weit unter sein über Jahrzehnte errungenes Niveau.
"Die purpurnen Flüsse", von Kassowitz nach dem gleichnamigen Roman Jean-Christoph Grangès inszeniert, lassen Schicht für Schicht durch diese Verfallsgeschichte blicken. Wer sich von der schillernden Oberfläche nicht blenden läßt, kann in den ersten dreißig Minuten des Films auf dem Grund noch die Reste der großen Tradition erkennen. Seine zwei Protagonisten ermitteln zunächst, wie es scheint, in verschiedenen Fällen: Kommissar Niémans (Jean Reno) wird in ein Dorf in den französischen Alpen geschickt, um den Mörder des verstümmelten Studenten einer Eliteuniversität zu finden, an der das intellektuelle dem geographischen Niveau entspricht. Dreihundert Kilometer westlich, viele Hunderte Meter tiefer, begibt sich Max Kerkerian (Vincent Cassel) in die Niederungen des Verbrechens: Die Gruft eines Mädchens, das 1982 bei einem Autounfall starb, wurde mit Hakenkreuzen geschändet.
Das große und das kleine Verbrechen - sie hängen zusammen, und die beiden Polizisten werden sich begegnen. Doch der Film nimmt nicht den kürzesten Weg dorthin. Sorgsam zieht er die Parallelen. In einer komplexen Fahrt begeitet die Kamera Niémans, als er einem Augenarzt aus dem Untersuchungszimmer folgt, bis man am Ende nicht weiß, ob man sich noch in der Praxis oder bereits in der Wohnung befindet. Bei dieser Bewegung, in der wir Räume durchmessen, in denen die Zeit stillgestanden zu sein scheint, werden die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben unklar. Bald darauf begleitet die Kamera Kerkerian in einer langen Einstellung durch die Gänge einer Schule, und mit jedem Schritt begibt er sich weiter zurück in die Vergangenheit, um dort den Schlüssel für seinen aktuellen Fall zu finden.
Als Niémans mit dem Wagen erstmals vor der Uni hält, hören wir im Hintergrund die Geräusche eines Hubschraubers. Während die Kamera langsam an das Auto heranzoomt, fängt das Bild an zu zittern: Wir spüren, daß in dieser Welt alles Neue und Moderne sofort starke Erschütterungen auslöst. Als Kerkerian kurze Zeit später in seiner ersten Szene von zwei Dorfpolizisten zum Tatort gefahren ist, verweilt die Kamera sehr lange frontal auf der Windschutzscheibe; danach verschwimmt die Landschaft hinter ihm: Kassowitz und sein Kameramann Thierry Arbogast zeigen uns schon hier, daß ihre Hauptfigur die Welt, die sie bisher kannte, im Verlauf der Geschichte hinter sich lassen muß und etwas erleben wird, was weit über ihren Erfahrungshorizont hinausgeht.
Doch dann zieht es den Film hoch hinaus. Niémans fliegt mit einem Helikopter auf einen Gletscher. Eine junge Frau (Nadia Farès), für die das ewige Eis ein zweites Zuhause ist, begleitet ihn und zeigt ihm, aus welcher Schicht der Schnee in den Augen des Toten stammt. Niémans ist begeistert. Irgendwo in der Nähe, sagt er, müsse der Mörder ein Zeichen hinterlassen haben. Der Zuschauer ist völlig verwirrt: wie? In den ganzen Alpen ist das die einzige Gletscherspalte, aus der der Mörder das gefrorene Material entnommen haben könnte? Niémans läßt sich am Seil weiter herab und findet in einer Eishöhle flugs eine weitere Leiche. Das Wasser, das am Fundort tropft und plätschert, erklärt ihm die junge Frau, treibe das Kraftwerk der Uni an. Der Motor des Films, der bisher wie geschmiert lief, muß dagegen den ersten Stromausfall verkraften.
Doch es kommt weit schlimmer: Fortan geht die Glaubwürdigkeit gänzlich den Wildbach runter. Denn in der nächsten Szene mischt Kerkerian ohne Not mehrere Skinheads auf. Hakenkreuze, Skinheads - paßt ja zusammen. Kassowitz inszeniert dies als eine artistische Kampfsport-Einlage, in der alles, was den Film bisher auszeichnete, mit Füßen getreten wird. Der Zuschauer, der das Gefühl hat, er solle gewaltsam aufgeweckt werden, obwohl er doch die ganze Zeit hellwach war, wird vor den Kopf gestoßen. Niémans' Ausflug in die Alpen und Kerkerians Prügelei mit den Skins machen ein Grundproblem des neuen französischen Kriminalfilms deutlich: Für Schauwerte sind die Regisseure oft bereit, alles zu opfern: die Schlüssigkeit der Geschichte wie die Stimmigkeit der Figuren.
Der Film konfrontiert das Publikum mit extremen Grausamkeiten. Das ist an sich weder begrüßens- noch verdammenswert. Doch schon in "Sieben" boten die Todsünden nur einen notdürftigen intellektuellen Überbau für die Gewalttaten. In "Die purpurnen Flüsse" wird in einem fort davon geredet, daß der Mörder in der Art seines Vorgehens Botschaften verberge. Nur werden sie leider bis zum Ende nicht entschlüsselt. Mal ersetzt der Täter die Augen eines Opfers durch Schnee, mal durch Glasaugen, dann wiederum gar nicht - nichts fügt sich hier zusammen.
Aus einer Bluttat wird ein Blutbad; aus verschrobenen Dorfpolizisten werden Trottel, und zwei clevere Ermittler werden von Drehbuch und Regie gezwungen, ausgetretenen Pfaden zu folgen und sich aus läppischen Gründen zu streiten, statt ihre Erkenntnisse zusammenzulegen. Eine krude Geschichte, die sich um die Qual der Zuchtwahl dreht, findet ihre abstrusen dramatischen Höhepunkt, der jeder Beschreibung spottet, auf dem Gipfel eines Berges. Hier nun darf der französische Kriminalfilm zeigen, daß er auch technisch auf dem neuesten Stand ist: Eine computeranimierte Lawine löst sich, rast auf die Helden zu und begräbt zum Glück den ganzen groben Unfug unter sich.
LARS-OLAV BEIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Herz im Winter: Mathieu Kassowitz verfilmt "Die purpurnen Flüsse"
Nackt, gefesselt und geschunden liegt die Leiche eines jungen Mannes auf dem Seziertisch. Am ganzen Körper hat er tiefe Einschnitte. Die Hände wurden ihm abgeschlagen. All dies geschah, wie der Pathologe erklärt, bei lebendigem Leibe. Ein Polizist nähert sich mit seiner Hand dem Gesicht des Toten - im selben Augenblick quillt Wasser zwischen den geschlossenen Lidern hervor. Es hat eine lange Strecke hinter sich. Seitdem Douglas Sirk in seinem Kriegsmelodram "Zeit zu leben und Zeit zu sterben" (1958) das winterliche Eis über einer Leiche unter den Strahlen der Frühlingssonne schmelzen ließ, hat diese Einstellung, in der ein Toter über sei eigenes Schicksal Tränen vergießt, einen Bilderflußlauf durch viele Filme hinter sich. Doch manche Ideen bleiben erstaunlich lange frisch. Bis jemand wie der Regisseur Mathieu Kassowitz sich daranmacht.
Die Augen, fährt der Pathologe fort, wurden dem Toten ausgestochen. Die leeren Höhlen füllte der Mörder anschließend mit Schnee. Das Wasser, das aus ihnen fließt wie ein Bach in einer verkarsteten Landschaft, wird untersucht. Der Säuregehalt, so ergibt die Analyse, läßt darauf schließen, daß der Niederschlag in den frühen achtziger Jahren gefallen sein muß. So macht sich der Polizist im ewigen Eis daran, den Schnee von gestern zu finden. An einem Seil läßt er sich herab in eine Gletscherspalte. Wie Jahresringe eines Baumes erzählen die Schichten des Eises vom Lauf der Dinge, die Zeit wird, räumlich verdichtet, sichtbar. Dann arretiert der Polizist das Seil. Nun baumelt er vor den frühen Achtzigern. Genauer: vor dem Jahr 1982.
Das war die Zeitenwende im französischen Kriminalfilm. José Giovanni drehte in diesem Jahr "Der Rammbock", Bob Swaim "La Balance": schlackeloses Kino mit oft einfachen, aber gut konstruierten Geschichten, das sich ganz auf seine schroffen Charaktere einließ und sie knapp und präzise beschrieb. Doch 1980, mit "Diva" von Jean-Jacques Beineix, hatte das Genre angefangen, sich in reflektierenden Oberflächen bewundernd zu betrachten und sich schön zu finden. Fünf Jahre später war kaum mehr geblieben als die Lust an der großen Geste: In "Subway" von Luc Besson begab sich der französische Kriminalfilm weit unter sein über Jahrzehnte errungenes Niveau.
"Die purpurnen Flüsse", von Kassowitz nach dem gleichnamigen Roman Jean-Christoph Grangès inszeniert, lassen Schicht für Schicht durch diese Verfallsgeschichte blicken. Wer sich von der schillernden Oberfläche nicht blenden läßt, kann in den ersten dreißig Minuten des Films auf dem Grund noch die Reste der großen Tradition erkennen. Seine zwei Protagonisten ermitteln zunächst, wie es scheint, in verschiedenen Fällen: Kommissar Niémans (Jean Reno) wird in ein Dorf in den französischen Alpen geschickt, um den Mörder des verstümmelten Studenten einer Eliteuniversität zu finden, an der das intellektuelle dem geographischen Niveau entspricht. Dreihundert Kilometer westlich, viele Hunderte Meter tiefer, begibt sich Max Kerkerian (Vincent Cassel) in die Niederungen des Verbrechens: Die Gruft eines Mädchens, das 1982 bei einem Autounfall starb, wurde mit Hakenkreuzen geschändet.
Das große und das kleine Verbrechen - sie hängen zusammen, und die beiden Polizisten werden sich begegnen. Doch der Film nimmt nicht den kürzesten Weg dorthin. Sorgsam zieht er die Parallelen. In einer komplexen Fahrt begeitet die Kamera Niémans, als er einem Augenarzt aus dem Untersuchungszimmer folgt, bis man am Ende nicht weiß, ob man sich noch in der Praxis oder bereits in der Wohnung befindet. Bei dieser Bewegung, in der wir Räume durchmessen, in denen die Zeit stillgestanden zu sein scheint, werden die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben unklar. Bald darauf begleitet die Kamera Kerkerian in einer langen Einstellung durch die Gänge einer Schule, und mit jedem Schritt begibt er sich weiter zurück in die Vergangenheit, um dort den Schlüssel für seinen aktuellen Fall zu finden.
Als Niémans mit dem Wagen erstmals vor der Uni hält, hören wir im Hintergrund die Geräusche eines Hubschraubers. Während die Kamera langsam an das Auto heranzoomt, fängt das Bild an zu zittern: Wir spüren, daß in dieser Welt alles Neue und Moderne sofort starke Erschütterungen auslöst. Als Kerkerian kurze Zeit später in seiner ersten Szene von zwei Dorfpolizisten zum Tatort gefahren ist, verweilt die Kamera sehr lange frontal auf der Windschutzscheibe; danach verschwimmt die Landschaft hinter ihm: Kassowitz und sein Kameramann Thierry Arbogast zeigen uns schon hier, daß ihre Hauptfigur die Welt, die sie bisher kannte, im Verlauf der Geschichte hinter sich lassen muß und etwas erleben wird, was weit über ihren Erfahrungshorizont hinausgeht.
Doch dann zieht es den Film hoch hinaus. Niémans fliegt mit einem Helikopter auf einen Gletscher. Eine junge Frau (Nadia Farès), für die das ewige Eis ein zweites Zuhause ist, begleitet ihn und zeigt ihm, aus welcher Schicht der Schnee in den Augen des Toten stammt. Niémans ist begeistert. Irgendwo in der Nähe, sagt er, müsse der Mörder ein Zeichen hinterlassen haben. Der Zuschauer ist völlig verwirrt: wie? In den ganzen Alpen ist das die einzige Gletscherspalte, aus der der Mörder das gefrorene Material entnommen haben könnte? Niémans läßt sich am Seil weiter herab und findet in einer Eishöhle flugs eine weitere Leiche. Das Wasser, das am Fundort tropft und plätschert, erklärt ihm die junge Frau, treibe das Kraftwerk der Uni an. Der Motor des Films, der bisher wie geschmiert lief, muß dagegen den ersten Stromausfall verkraften.
Doch es kommt weit schlimmer: Fortan geht die Glaubwürdigkeit gänzlich den Wildbach runter. Denn in der nächsten Szene mischt Kerkerian ohne Not mehrere Skinheads auf. Hakenkreuze, Skinheads - paßt ja zusammen. Kassowitz inszeniert dies als eine artistische Kampfsport-Einlage, in der alles, was den Film bisher auszeichnete, mit Füßen getreten wird. Der Zuschauer, der das Gefühl hat, er solle gewaltsam aufgeweckt werden, obwohl er doch die ganze Zeit hellwach war, wird vor den Kopf gestoßen. Niémans' Ausflug in die Alpen und Kerkerians Prügelei mit den Skins machen ein Grundproblem des neuen französischen Kriminalfilms deutlich: Für Schauwerte sind die Regisseure oft bereit, alles zu opfern: die Schlüssigkeit der Geschichte wie die Stimmigkeit der Figuren.
Der Film konfrontiert das Publikum mit extremen Grausamkeiten. Das ist an sich weder begrüßens- noch verdammenswert. Doch schon in "Sieben" boten die Todsünden nur einen notdürftigen intellektuellen Überbau für die Gewalttaten. In "Die purpurnen Flüsse" wird in einem fort davon geredet, daß der Mörder in der Art seines Vorgehens Botschaften verberge. Nur werden sie leider bis zum Ende nicht entschlüsselt. Mal ersetzt der Täter die Augen eines Opfers durch Schnee, mal durch Glasaugen, dann wiederum gar nicht - nichts fügt sich hier zusammen.
Aus einer Bluttat wird ein Blutbad; aus verschrobenen Dorfpolizisten werden Trottel, und zwei clevere Ermittler werden von Drehbuch und Regie gezwungen, ausgetretenen Pfaden zu folgen und sich aus läppischen Gründen zu streiten, statt ihre Erkenntnisse zusammenzulegen. Eine krude Geschichte, die sich um die Qual der Zuchtwahl dreht, findet ihre abstrusen dramatischen Höhepunkt, der jeder Beschreibung spottet, auf dem Gipfel eines Berges. Hier nun darf der französische Kriminalfilm zeigen, daß er auch technisch auf dem neuesten Stand ist: Eine computeranimierte Lawine löst sich, rast auf die Helden zu und begräbt zum Glück den ganzen groben Unfug unter sich.
LARS-OLAV BEIER
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