Leïla und Damien lieben sich sehr. Er lebt nach dem Rhythmus seiner bipolaren Störung, und Leïla ist an seiner Seite. Bis sie eines Tages die nächste manische Krise kommen sieht: Damiens Stimmungsschwankungen nehmen zu, die Exzesse wie auch seine entgrenzte Begeisterung. Wieder einmal erscheint ihm das Leben viel zu eng. Während Damien implodiert, explodiert seine Beziehung. Leïla stößt an ihre eigenen Grenzen und kann ihre Rollen als Geliebte, Ehefrau, Mutter und Krankenschwester kaum mehr jonglieren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2022Wie man einen Schub vorausahnt
Wie erzählt man im Kino von einer psychischen Erkrankung ohne Lebenshilfekitsch? "Die Ruhelosen" von
Joachim Fosse hat einen ganz eigenen Zugang.
Das Steuerrad auf einem Boot ist ein guter Ort, an dem ein Vater seinem Sohn etwas über das Leben beibringen kann. Einer muss die Richtung vorgeben, und welche Familie wünschte sich nicht einen souveränen und gelassenen Kapitän, der mit ruhigen Bewegungen die richtigen Ziele ansteuert?
Eine ganze Reihe von Männerklischees spielen hinein in die erste Szene des Films "Die Ruhelosen" von Joachim Lafosse, in der ein Maler namens Damien mit seinem Sohn Amine aufs Meer hinaustuckert.
Der Junge trägt das Haar eher genderflüssig, einen künftigen Macker wird man in ihm nicht vermuten. Damien hingegen ist groß und stark und ein echter "Wassermann", wie er später einmal von sich bekundet. Kaum hat das Boot einen schönen Ort am Rande einer Bucht erreicht, springt Damien ins Wasser und ruft nur noch, er werde jetzt ans Ufer schwimmen. Amine ist nun plötzlich der Kapitän, er erweist sich der Aufgabe gewachsen. Aber natürlich ist das eine paradoxe Intervention, die so im Buch der familiären Pädagogik eher unter den warnenden Beispielen firmieren würden. Denn ein Kind mit einer nicht altersgemäßen Aufgabe auf dem Meer, wenn auch in Rufweite zur Küste, einfach allein zu lassen, das ist nicht gutzuheißen.
In "Die Ruhelosen" fungiert die Szene als Vorzeichen. Denn der Film erzählt von einem Mann an einer unklaren Grenze. Damien ist voller Energie und Ideen, er will das Chaos malen, er will mit Amine verrückte Dinge tun, er will das Leben in einer südfranzösischen Gegend in vollen Zügen auskosten.
Er wird dabei allerdings genau beobachtet, in erster Linie von seiner Frau Leila, die am ehesten deuten kann, was mit Damien geschieht. Sie sagt zuerst einmal nur: "Du bist aufgedreht."
Da liest sie allerdings schon argwöhnisch die Zeichen für einen manischen Schub, sie möchte keineswegs den Zeitpunkt verpassen, an dem es losgeht, und das Gleiche erwartet sie auch von Damien. Der könnte spüren, wann seine Energien ein Eigenleben erlangen, dessen er nicht mehr Herr wird.
Er könnte vorher Lithium nehmen, das würde ihn beruhigen. Aber Damien ist ja im Inneren seiner Bewegung, er genießt sie und kostet sie aus, er findet seine überschießenden Ideen überzeugend (zum Beispiel das Klassenzimmer von Amine mit Muffins für alle stürmen), er merkt auch gar nicht, dass er abenteuerlich Auto fährt und vollkommen distanzlos durch das Dorf fegt. Damien ist bipolar, und "Die Ruhelosen" erzählt davon, wie man mit einem Menschen zusammenleben kann, der mit dieser Krankheit konfrontiert ist. Es kommt dabei vor allem darauf an, einen Schub zu erkennen, bevor er sich verselbständigt. Damien Bonnard spielt diese Unklarheit mit großartiger, liebenswürdiger Wucht.
Man versteht sofort, dass Leila mit ihm dieses Leben teilen möchte, diese Familie, diesen Traum von einer künstlerischen und handwerklichen Existenz in einer Region, in der andere Menschen Urlaub machen.
Aber "Die Ruhelosen" verzichtet auf einen Moment rückblickender Idealisierung, es gibt keinen Punkt, von dem aus die Härten der Gegenwart sich anders beleuchten ließen. Lafosse erzählt von einer beispielhaften Bewegung durch einen Schub, die früheren müssen wir uns hinzudenken, auch den Moment, an dem Leila erfahren haben muss, dass es mit dem Vitalismus von Damien eine besondere Bewandtnis hat.
Jetzt aber ist einfach Stress. Damien folgt seinem Schub bis an einen Punkt, an dem Amine vor ihm versteckt werden muss, und an dem Sanitäter kümmerliche Anstalten machen, ihn einzufangen.
Von dem Moment, an dem es losging, bis zu dem, in dem Damien von seiner eigenen Verausgabung erschöpft wieder erreichbar ist, lässt Lafosse sehr bewusst ein Soziogramm erkennbar werden, in dessen Mittelpunkt immer stärker Leila rückt (Leïla Bekhti, auch sie großartig besetzt und gespielt), dazu der Galerist und Mentor Serge, der Vater von Damien, und als hellwacher, beobachtender und auf seine Weise sehr bewusst eingreifender "Spielball" der kleine Amine (Gabriel Merz Chammah). Ein Spielball ist er manchmal für Damien, der ständig etwas ausheckt, aber Lafosse lässt sehr deutlich auch die Intelligenz des Kindes zu einem Faktor von Therapie oder zumindest Lösungsfindung werden.
Im Kern geht es in "Die Ruhelosen" schließlich um die Frage, ob eine Familie überhaupt die Kraft haben kann, mit einem solchen Syndrom zu leben. Damien ist als Künstler und Freiberufler ohnehin näher dran an den Mythen der Schizophrenie ("ohne Druck kann er nicht malen") als Menschen mit ruhigeren bürgerlichen Lebenswegen.
Es ergibt deswegen Sinn, dass sich allmählich die Perspektive ändert, dass Leila stärker in den Mittelpunkt rückt, dass Fragen gestellt werden wie diese: "Was machen wir, wenn wir alle die Nase voll haben?" Oder was macht eine Frau konkret, wenn ihr Mann nicht mehr der energische Kreative ist, sondern ein schlaffer Fleischberg, den sie kaum aus der Badewanne bekommt?
Das ist dann die Phase, in der Damien "Ruhe und Frieden" braucht, und aus der er schließlich in einen neuen Alltag erwacht, von dem durchaus unklar bleibt, ob es ihn noch geben kann.
Von dieser Unklarheit gibt "Die Ruhelosen" mit einem starken Ensemble einen präzise reflektierten, im Spiel aber radikal offenen Eindruck. BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie erzählt man im Kino von einer psychischen Erkrankung ohne Lebenshilfekitsch? "Die Ruhelosen" von
Joachim Fosse hat einen ganz eigenen Zugang.
Das Steuerrad auf einem Boot ist ein guter Ort, an dem ein Vater seinem Sohn etwas über das Leben beibringen kann. Einer muss die Richtung vorgeben, und welche Familie wünschte sich nicht einen souveränen und gelassenen Kapitän, der mit ruhigen Bewegungen die richtigen Ziele ansteuert?
Eine ganze Reihe von Männerklischees spielen hinein in die erste Szene des Films "Die Ruhelosen" von Joachim Lafosse, in der ein Maler namens Damien mit seinem Sohn Amine aufs Meer hinaustuckert.
Der Junge trägt das Haar eher genderflüssig, einen künftigen Macker wird man in ihm nicht vermuten. Damien hingegen ist groß und stark und ein echter "Wassermann", wie er später einmal von sich bekundet. Kaum hat das Boot einen schönen Ort am Rande einer Bucht erreicht, springt Damien ins Wasser und ruft nur noch, er werde jetzt ans Ufer schwimmen. Amine ist nun plötzlich der Kapitän, er erweist sich der Aufgabe gewachsen. Aber natürlich ist das eine paradoxe Intervention, die so im Buch der familiären Pädagogik eher unter den warnenden Beispielen firmieren würden. Denn ein Kind mit einer nicht altersgemäßen Aufgabe auf dem Meer, wenn auch in Rufweite zur Küste, einfach allein zu lassen, das ist nicht gutzuheißen.
In "Die Ruhelosen" fungiert die Szene als Vorzeichen. Denn der Film erzählt von einem Mann an einer unklaren Grenze. Damien ist voller Energie und Ideen, er will das Chaos malen, er will mit Amine verrückte Dinge tun, er will das Leben in einer südfranzösischen Gegend in vollen Zügen auskosten.
Er wird dabei allerdings genau beobachtet, in erster Linie von seiner Frau Leila, die am ehesten deuten kann, was mit Damien geschieht. Sie sagt zuerst einmal nur: "Du bist aufgedreht."
Da liest sie allerdings schon argwöhnisch die Zeichen für einen manischen Schub, sie möchte keineswegs den Zeitpunkt verpassen, an dem es losgeht, und das Gleiche erwartet sie auch von Damien. Der könnte spüren, wann seine Energien ein Eigenleben erlangen, dessen er nicht mehr Herr wird.
Er könnte vorher Lithium nehmen, das würde ihn beruhigen. Aber Damien ist ja im Inneren seiner Bewegung, er genießt sie und kostet sie aus, er findet seine überschießenden Ideen überzeugend (zum Beispiel das Klassenzimmer von Amine mit Muffins für alle stürmen), er merkt auch gar nicht, dass er abenteuerlich Auto fährt und vollkommen distanzlos durch das Dorf fegt. Damien ist bipolar, und "Die Ruhelosen" erzählt davon, wie man mit einem Menschen zusammenleben kann, der mit dieser Krankheit konfrontiert ist. Es kommt dabei vor allem darauf an, einen Schub zu erkennen, bevor er sich verselbständigt. Damien Bonnard spielt diese Unklarheit mit großartiger, liebenswürdiger Wucht.
Man versteht sofort, dass Leila mit ihm dieses Leben teilen möchte, diese Familie, diesen Traum von einer künstlerischen und handwerklichen Existenz in einer Region, in der andere Menschen Urlaub machen.
Aber "Die Ruhelosen" verzichtet auf einen Moment rückblickender Idealisierung, es gibt keinen Punkt, von dem aus die Härten der Gegenwart sich anders beleuchten ließen. Lafosse erzählt von einer beispielhaften Bewegung durch einen Schub, die früheren müssen wir uns hinzudenken, auch den Moment, an dem Leila erfahren haben muss, dass es mit dem Vitalismus von Damien eine besondere Bewandtnis hat.
Jetzt aber ist einfach Stress. Damien folgt seinem Schub bis an einen Punkt, an dem Amine vor ihm versteckt werden muss, und an dem Sanitäter kümmerliche Anstalten machen, ihn einzufangen.
Von dem Moment, an dem es losging, bis zu dem, in dem Damien von seiner eigenen Verausgabung erschöpft wieder erreichbar ist, lässt Lafosse sehr bewusst ein Soziogramm erkennbar werden, in dessen Mittelpunkt immer stärker Leila rückt (Leïla Bekhti, auch sie großartig besetzt und gespielt), dazu der Galerist und Mentor Serge, der Vater von Damien, und als hellwacher, beobachtender und auf seine Weise sehr bewusst eingreifender "Spielball" der kleine Amine (Gabriel Merz Chammah). Ein Spielball ist er manchmal für Damien, der ständig etwas ausheckt, aber Lafosse lässt sehr deutlich auch die Intelligenz des Kindes zu einem Faktor von Therapie oder zumindest Lösungsfindung werden.
Im Kern geht es in "Die Ruhelosen" schließlich um die Frage, ob eine Familie überhaupt die Kraft haben kann, mit einem solchen Syndrom zu leben. Damien ist als Künstler und Freiberufler ohnehin näher dran an den Mythen der Schizophrenie ("ohne Druck kann er nicht malen") als Menschen mit ruhigeren bürgerlichen Lebenswegen.
Es ergibt deswegen Sinn, dass sich allmählich die Perspektive ändert, dass Leila stärker in den Mittelpunkt rückt, dass Fragen gestellt werden wie diese: "Was machen wir, wenn wir alle die Nase voll haben?" Oder was macht eine Frau konkret, wenn ihr Mann nicht mehr der energische Kreative ist, sondern ein schlaffer Fleischberg, den sie kaum aus der Badewanne bekommt?
Das ist dann die Phase, in der Damien "Ruhe und Frieden" braucht, und aus der er schließlich in einen neuen Alltag erwacht, von dem durchaus unklar bleibt, ob es ihn noch geben kann.
Von dieser Unklarheit gibt "Die Ruhelosen" mit einem starken Ensemble einen präzise reflektierten, im Spiel aber radikal offenen Eindruck. BERT REBHANDL
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