Deutschland in den 70er Jahren. Mit ihrem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, einer politischen Ambitioniertheit und dem leichten Hang zur Anarchie kommt Rita Vogt (Bibiana Beglau) sehr schnell mit linken politischen Gruppierungen in Berührung. Ihr Freund Andi hat sich einer terroristischen Vereinigung angeschlossen, und auch Rita macht aktiv bei dieser Bewegung mit. Doch die Dinge geraten aus dem Gleis, und Rita muss untertauchen. In der DDR baut sie sich mit Unterstützung der Stasi unter einem anderen Namen eine neue Existenz auf. Als im Westfernsehen eine dringende Fahndungsmeldung nach Rita gesendet wird, muss sie jedoch erneut untertauchen und ein weiteres Mal ihre Identität wechseln. Einige Jahre später, nach dem Mauerfall 1989, wird Rita von ihrer Vergangenheit radikal eingeholt.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Trailer von anderen Filmen - Kapitel- / Szenenanwahl - Audio-Kommentar des Regisseurs Volker Schöndorff - Dokumentation - Audiodeskription für BlindeFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2000Die Verwirrung des Zöglings Rita
Volker Schlöndorff erzählt im Kino die deutsch-deutsche Geschichte einer sensiblen Terroristin
Als Rita Vogt ihrem Freund Jochen eröffnet, daß sie eine polizeilich gesuchte westdeutsche Terroristin sei, nimmt er gerade ein Bad. "Du sollst wissen, wer die Frau ist, die du zur Mutter deiner Kinder machen willst." Jochens Miene erstarrt, dann läßt er sich von Rita das Handtuch reichen. "Ich dachte immer, Terroristen sind Leute, die Unschuldige erschießen." - "Das habe ich gemacht." Draußen scheint die Sommersonne auf die Balkons der Plattenbauten. Von irgendwoher plärrt Musik.
Volker Schlöndorffs Film über Rita Vogt war umstritten, noch ehe er das Licht einer Leinwand erblickte. Die ehemalige RAF-Terroristin Inge Viett, aus deren Biographie der Film einige wichtige Motive übernimmt, warf Schlöndorff und seinem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase vor, sie hätten ihr Leben in ein Stück Kolportage verwandelt. Als "Die Stille nach dem Schuß" auf der Berlinale uraufgeführt wurde, monierten die Kritiker, der Film vernachlässige die politische Dimension seines Sujets, er sei gefällig, populistisch, banal. Das alles ist wahr, und auch Frau Viett hat womöglich nicht ganz unrecht. Dennoch singt der publizistische Klagechor sein Lied vergebens. Natürlich kann man einem Maultier vorwerfen, daß es nicht fliegt. Man kann sich aber auch auf seinen Rücken schwingen und sehen, wohin es einen trägt. Schlöndorffs Film trägt vielleicht nicht allzuweit, dafür aber hoch hinauf und tief hinab ins deutsche Seelengebirge.
Berlin-Schönefeld, irgendwann in den siebziger Jahren. Die braunhaarige Frau im hellen Mantel ist mit der Maschine aus Beirut gekommen. Zwei Herren nehmen sie in Empfang. "Guten Tag, Frau Vogt." In Rita Vogts Paß steht ein falscher Name, doch die Staatssicherheit ist über sie im Bilde. "Bin ich verhaftet?" Nein, erklärt der Mann hinter dem Schreibtisch, während er Ritas Revolver entlädt, man wolle sie nicht festhalten, sondern nur hin und wieder wissen, wohin sie reise und warum. Dann reicht er Rita einen Zettel mit einer Telefonnummer. "Fragen Sie einfach nach Erwin." Die Reisende ist entlassen.
In West-Berlin überfällt Rita Vogt (Bibiana Beglau) mit ihren Kumpanen eine Bank: Pistolen, Perücken, flotte Sprüche ("Dieses Geld gehört der Arbeiterklasse!") und flatternde Scheine. Ein Kinderspiel. "Das war die heitere Zeit." Rita erinnert sich, und man sieht, wie aus der heiteren Zeit die bleierne wurde. Bei der Befreiung von Andreas Klein (Harald Schrott) aus einem Berliner Gefängnis wird ein Anwalt getötet; Rita, der verletzte Klein, die verstörte Friederike (Jenny Schily) und der dumpfe Klatte (Mario Irrek) flüchten zum Bahnhof Friedrichstraße, Reiseziel: DDR. "Fragen Sie einfach nach Erwin." Und Erwin Hull (Martin Wuttke) tut seine Pflicht: Er ruft seinen Vorgesetzten an. Der Stasi-Offizier und sein General beraten, wie man mit den Terroristen aus dem Westen verfahren soll. Man verständigt sich darauf, das Gespräch mit den jungen Leuten zu suchen. Ein Grillfest auf dem Lande, mit Würstchen und Wodka, wird ausgerichtet; man trinkt auf die Werktätigen, und Andreas Klein sagt: "Die Knarre löst die Starre."
In diesen fünfzehn Filmminuten stecken drei Filme. Der erste ist eine wilde Farce über die Mitglieder der "Rote-Armee-Fraktion", ihre Untaten, ihre Sprüche und ihre Elternhäuser, und Rainer Werner Fassbinder hat ihn vor zwanzig Jahren gedreht: "Die dritte Generation". Der zweite ist ein Dokudrama, das Heinrich Breloer vielleicht irgendwann einmal drehen wird: Stadtguerrilla und Stasi, Terroristen und Genossen aus zeitgeschichtlicher Perspektive; ein Geisterspiel. Der dritte Film dagegen handelt nur von Rita Vogt, ihrer Angst und ihrer Verwirrung, ihrem Weg von der Kommune ins Kombinat, ihrem Leben unter falschem Namen und ihrem namenlosen Tod. Diesen Film wollte Volker Schlöndorff drehen mit "Die Stille nach dem Schuß", und das ist ihm geglückt.
Paris, Ende der siebziger Jahre. Die Parolen klingen hohl, der Terror hat sich erledigt. Von der Polizei gejagt, laufen Rita Vogt und ihre Freunde wie Außerirdische durch die Stadt. Eines Tages werden Rita und Jenny von einer Motorradstreife angehalten. Jenny kann fliehen, Rita wird gestellt und erschießt einen Polizisten. Als sie feuert, schließt sie die Augen. Als sie sie wieder öffnet, ist sie in der DDR.
Schon einmal, 1975 in "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", hat Schlöndorff einer Frau eine Pistole in die Hand gegeben, und deshalb hat die Kritik den neuen Film gern mit dem alten verglichen, zuungunsten des ersteren. Tatsächlich ist "Die Stille nach dem Schuß" eher so etwas wie eine Fortsetzung von "Katharina Blum": Wo Katharinas Drama aufhört, fängt der Terrorismus an, und wo dieser an sein Ende kommt, beginnt die Geschichte von Rita Vogt. Das lange Vorspiel, das von Ritas Taten im Untergrund erzählt, dient in Wahrheit nur dazu, ihren Weg in die Schattenwelt des Arbeiter-und-Bauern-Staats plausibel zu machen. Im Grunde fängt der Film erst an, als Rita, die jetzt Susanne heißt, auf dem Balkon ihrer Ost-Berliner Wohnung steht.
Was sieht sie? Eine Märklin-Welt. Betonmauern im Gleichschritt, von hellem Grün umbuscht, Trabis und Apfelbäume, schnucklige Häuschen am Waldrand und Gemütlichkeit unter Linden. Dahinter die graue Gefräßigkeit des Betriebs, Alltag im VEB Modedruck: Die eine lästert, die andere lauscht, und Tatjana (Nadja Uhl) säuft und sehnt sich fort. Rita freundet sich mit ihr an, ein Frauenglück im Winkel scheint möglich, doch dann wird die Exterroristin von einer Kollegin erkannt. Wieder muß sie untertauchen, einen fremden Namen annehmen, eine fiktive Biographie auswendig lernen. Im dritten Versuch scheint die komplizierte Gleichung ihres Lebens endlich aufzugehen; doch der Physiker Jochen (Alexander Beyer) ist der Wahrheit über Rita nicht gewachsen. Abermals flüchtet sie zu Erwin Hull, bis auch er ihr im November 1989 nicht mehr helfen kann.
Bibiana Beglau als Rita ist die Entdeckung dieses Films. Wie sie mit ihren fragenden Augen die fremde deutsche Welt umarmt, süchtig nach einer Geborgenheit, die nur um den Preis der Selbstverleugnung zu haben ist, wird sie zur Ikone jener inneren Wiedervereinigung, die nicht gelang. Aber auch der Blick, mit dem Schlöndorffs Kamera (Andreas Höfer) die DDR betrachtet, ist ein Ereignis. Man wünschte sich, die Bundesrepublik der achtziger Jahre fände einen solchen Regisseur - und ein vergleichbares Sujet, das nicht nur, wie im vergangenen Jahr Hans-Christian Schmids "23", die Perspektive einer Generation, sondern die ganze Wahrheit des Landes einfinge. Der sozialistische Kleingarten, der seine Bewohner mit Grenztruppen und Stacheldraht vor der Außenwelt abschirmte, sieht bei Schlöndorff aus wie die albtraumhafte Verwirklichung jener utopischen Plattheiten, die Klatte, Klein und Genossen in ihren konspirativen Wohnungen herunterleiern. So ist "Die Stille nach dem Schuß" eben doch eine Abrechnung mit dem bundesrepublikanischen Terrorismus geworden, nur anders, als es die deutsche Filmkritik sich erhofft hat.
Bei Schlöndorff bleibe von der Neugier Inge Vietts auf den realen ostdeutschen Sozialismus nur "ein Gefühlsknäuel" übrig, "gewoben aus Liebesbeziehungen und Selbstfindungsproblemen", schrieb Mark Siemons in dieser Zeitung (F.A.Z. vom 17. Februar). Mag sein. Aber das Kino hat die souveräne Macht, Geschichte und Politik in Gesten und Emotionen zu übersetzen, und manchmal reicht sein Blick tiefer als die gewiefteste Theorie. Margarethe von Trotta hat so in "Die bleierne Zeit" (1981) die Lebensmuster Gudrun Ensslins gelesen, und Volker Schlöndorff entwirrt nun mit demselben Recht die Gefühlsknäuel der Inge Viett.
"Alles ist so gewesen. Nichts war genau so." Als diese Sätze auf der Leinwand erscheinen, liegt Rita Vogt an der deutsch-deutschen Grenze im Schnee, eine Polizeikugel im Rücken. Einen glücklicheren Ausgang konnte sich Schlöndorff für Ritas Geschichte nicht vorstellen, sowenig wie für den "Unhold" des Franzosen Michel Tournier, dessen Fiebervision von Nazideutschland er vor vier Jahren in einem halbherzig inszenierten Film nacherzählte. "Der Unhold" war der Tiefpunkt von Schlöndorffs Regisseurskarriere. "Die Stille nach dem Schuß" ist nun ein unverhofftes Comeback. Mit Volker Schlöndorff wird im deutschen Film wieder zu rechnen sein.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Volker Schlöndorff erzählt im Kino die deutsch-deutsche Geschichte einer sensiblen Terroristin
Als Rita Vogt ihrem Freund Jochen eröffnet, daß sie eine polizeilich gesuchte westdeutsche Terroristin sei, nimmt er gerade ein Bad. "Du sollst wissen, wer die Frau ist, die du zur Mutter deiner Kinder machen willst." Jochens Miene erstarrt, dann läßt er sich von Rita das Handtuch reichen. "Ich dachte immer, Terroristen sind Leute, die Unschuldige erschießen." - "Das habe ich gemacht." Draußen scheint die Sommersonne auf die Balkons der Plattenbauten. Von irgendwoher plärrt Musik.
Volker Schlöndorffs Film über Rita Vogt war umstritten, noch ehe er das Licht einer Leinwand erblickte. Die ehemalige RAF-Terroristin Inge Viett, aus deren Biographie der Film einige wichtige Motive übernimmt, warf Schlöndorff und seinem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase vor, sie hätten ihr Leben in ein Stück Kolportage verwandelt. Als "Die Stille nach dem Schuß" auf der Berlinale uraufgeführt wurde, monierten die Kritiker, der Film vernachlässige die politische Dimension seines Sujets, er sei gefällig, populistisch, banal. Das alles ist wahr, und auch Frau Viett hat womöglich nicht ganz unrecht. Dennoch singt der publizistische Klagechor sein Lied vergebens. Natürlich kann man einem Maultier vorwerfen, daß es nicht fliegt. Man kann sich aber auch auf seinen Rücken schwingen und sehen, wohin es einen trägt. Schlöndorffs Film trägt vielleicht nicht allzuweit, dafür aber hoch hinauf und tief hinab ins deutsche Seelengebirge.
Berlin-Schönefeld, irgendwann in den siebziger Jahren. Die braunhaarige Frau im hellen Mantel ist mit der Maschine aus Beirut gekommen. Zwei Herren nehmen sie in Empfang. "Guten Tag, Frau Vogt." In Rita Vogts Paß steht ein falscher Name, doch die Staatssicherheit ist über sie im Bilde. "Bin ich verhaftet?" Nein, erklärt der Mann hinter dem Schreibtisch, während er Ritas Revolver entlädt, man wolle sie nicht festhalten, sondern nur hin und wieder wissen, wohin sie reise und warum. Dann reicht er Rita einen Zettel mit einer Telefonnummer. "Fragen Sie einfach nach Erwin." Die Reisende ist entlassen.
In West-Berlin überfällt Rita Vogt (Bibiana Beglau) mit ihren Kumpanen eine Bank: Pistolen, Perücken, flotte Sprüche ("Dieses Geld gehört der Arbeiterklasse!") und flatternde Scheine. Ein Kinderspiel. "Das war die heitere Zeit." Rita erinnert sich, und man sieht, wie aus der heiteren Zeit die bleierne wurde. Bei der Befreiung von Andreas Klein (Harald Schrott) aus einem Berliner Gefängnis wird ein Anwalt getötet; Rita, der verletzte Klein, die verstörte Friederike (Jenny Schily) und der dumpfe Klatte (Mario Irrek) flüchten zum Bahnhof Friedrichstraße, Reiseziel: DDR. "Fragen Sie einfach nach Erwin." Und Erwin Hull (Martin Wuttke) tut seine Pflicht: Er ruft seinen Vorgesetzten an. Der Stasi-Offizier und sein General beraten, wie man mit den Terroristen aus dem Westen verfahren soll. Man verständigt sich darauf, das Gespräch mit den jungen Leuten zu suchen. Ein Grillfest auf dem Lande, mit Würstchen und Wodka, wird ausgerichtet; man trinkt auf die Werktätigen, und Andreas Klein sagt: "Die Knarre löst die Starre."
In diesen fünfzehn Filmminuten stecken drei Filme. Der erste ist eine wilde Farce über die Mitglieder der "Rote-Armee-Fraktion", ihre Untaten, ihre Sprüche und ihre Elternhäuser, und Rainer Werner Fassbinder hat ihn vor zwanzig Jahren gedreht: "Die dritte Generation". Der zweite ist ein Dokudrama, das Heinrich Breloer vielleicht irgendwann einmal drehen wird: Stadtguerrilla und Stasi, Terroristen und Genossen aus zeitgeschichtlicher Perspektive; ein Geisterspiel. Der dritte Film dagegen handelt nur von Rita Vogt, ihrer Angst und ihrer Verwirrung, ihrem Weg von der Kommune ins Kombinat, ihrem Leben unter falschem Namen und ihrem namenlosen Tod. Diesen Film wollte Volker Schlöndorff drehen mit "Die Stille nach dem Schuß", und das ist ihm geglückt.
Paris, Ende der siebziger Jahre. Die Parolen klingen hohl, der Terror hat sich erledigt. Von der Polizei gejagt, laufen Rita Vogt und ihre Freunde wie Außerirdische durch die Stadt. Eines Tages werden Rita und Jenny von einer Motorradstreife angehalten. Jenny kann fliehen, Rita wird gestellt und erschießt einen Polizisten. Als sie feuert, schließt sie die Augen. Als sie sie wieder öffnet, ist sie in der DDR.
Schon einmal, 1975 in "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", hat Schlöndorff einer Frau eine Pistole in die Hand gegeben, und deshalb hat die Kritik den neuen Film gern mit dem alten verglichen, zuungunsten des ersteren. Tatsächlich ist "Die Stille nach dem Schuß" eher so etwas wie eine Fortsetzung von "Katharina Blum": Wo Katharinas Drama aufhört, fängt der Terrorismus an, und wo dieser an sein Ende kommt, beginnt die Geschichte von Rita Vogt. Das lange Vorspiel, das von Ritas Taten im Untergrund erzählt, dient in Wahrheit nur dazu, ihren Weg in die Schattenwelt des Arbeiter-und-Bauern-Staats plausibel zu machen. Im Grunde fängt der Film erst an, als Rita, die jetzt Susanne heißt, auf dem Balkon ihrer Ost-Berliner Wohnung steht.
Was sieht sie? Eine Märklin-Welt. Betonmauern im Gleichschritt, von hellem Grün umbuscht, Trabis und Apfelbäume, schnucklige Häuschen am Waldrand und Gemütlichkeit unter Linden. Dahinter die graue Gefräßigkeit des Betriebs, Alltag im VEB Modedruck: Die eine lästert, die andere lauscht, und Tatjana (Nadja Uhl) säuft und sehnt sich fort. Rita freundet sich mit ihr an, ein Frauenglück im Winkel scheint möglich, doch dann wird die Exterroristin von einer Kollegin erkannt. Wieder muß sie untertauchen, einen fremden Namen annehmen, eine fiktive Biographie auswendig lernen. Im dritten Versuch scheint die komplizierte Gleichung ihres Lebens endlich aufzugehen; doch der Physiker Jochen (Alexander Beyer) ist der Wahrheit über Rita nicht gewachsen. Abermals flüchtet sie zu Erwin Hull, bis auch er ihr im November 1989 nicht mehr helfen kann.
Bibiana Beglau als Rita ist die Entdeckung dieses Films. Wie sie mit ihren fragenden Augen die fremde deutsche Welt umarmt, süchtig nach einer Geborgenheit, die nur um den Preis der Selbstverleugnung zu haben ist, wird sie zur Ikone jener inneren Wiedervereinigung, die nicht gelang. Aber auch der Blick, mit dem Schlöndorffs Kamera (Andreas Höfer) die DDR betrachtet, ist ein Ereignis. Man wünschte sich, die Bundesrepublik der achtziger Jahre fände einen solchen Regisseur - und ein vergleichbares Sujet, das nicht nur, wie im vergangenen Jahr Hans-Christian Schmids "23", die Perspektive einer Generation, sondern die ganze Wahrheit des Landes einfinge. Der sozialistische Kleingarten, der seine Bewohner mit Grenztruppen und Stacheldraht vor der Außenwelt abschirmte, sieht bei Schlöndorff aus wie die albtraumhafte Verwirklichung jener utopischen Plattheiten, die Klatte, Klein und Genossen in ihren konspirativen Wohnungen herunterleiern. So ist "Die Stille nach dem Schuß" eben doch eine Abrechnung mit dem bundesrepublikanischen Terrorismus geworden, nur anders, als es die deutsche Filmkritik sich erhofft hat.
Bei Schlöndorff bleibe von der Neugier Inge Vietts auf den realen ostdeutschen Sozialismus nur "ein Gefühlsknäuel" übrig, "gewoben aus Liebesbeziehungen und Selbstfindungsproblemen", schrieb Mark Siemons in dieser Zeitung (F.A.Z. vom 17. Februar). Mag sein. Aber das Kino hat die souveräne Macht, Geschichte und Politik in Gesten und Emotionen zu übersetzen, und manchmal reicht sein Blick tiefer als die gewiefteste Theorie. Margarethe von Trotta hat so in "Die bleierne Zeit" (1981) die Lebensmuster Gudrun Ensslins gelesen, und Volker Schlöndorff entwirrt nun mit demselben Recht die Gefühlsknäuel der Inge Viett.
"Alles ist so gewesen. Nichts war genau so." Als diese Sätze auf der Leinwand erscheinen, liegt Rita Vogt an der deutsch-deutschen Grenze im Schnee, eine Polizeikugel im Rücken. Einen glücklicheren Ausgang konnte sich Schlöndorff für Ritas Geschichte nicht vorstellen, sowenig wie für den "Unhold" des Franzosen Michel Tournier, dessen Fiebervision von Nazideutschland er vor vier Jahren in einem halbherzig inszenierten Film nacherzählte. "Der Unhold" war der Tiefpunkt von Schlöndorffs Regisseurskarriere. "Die Stille nach dem Schuß" ist nun ein unverhofftes Comeback. Mit Volker Schlöndorff wird im deutschen Film wieder zu rechnen sein.
ANDREAS KILB
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