Das Jahr 1968 ging in die Geschichte ein. Von Paris aus breitete sich die studentische Rebellion in Europa aus. Angefangen hatten die Demonstrationen mit der Schließung der berühmten Cinémathèque Francaise im Palais de Chaillot. Hier hockten Abend für Abend die Filmfreaks der damaligen Zeit und konnten nicht genug kriegen von alten Hollywoodfilmen und neuen der Nouvelle Vague. Als Henri Langlois, der Leiter der Cinémathèque von de Gaulles Kulturminister André Malraux entlassen wird, empören sich die Filmfreaks und demonstrieren friedlich für Langlois.
Auch Theo und seine Zwillingsschwester Isabelle sind erbost. Gemeinsam mit dem schüchternen Amerikaner Matthew, der das bourgeoise und blasierte Pärchen verehrt, stehen sie vor den geschlossenen Türen ihres Kino-Paradieses. Am nächsten Tag lassen sich Theo und Isabelle etwas einfallen: Warum nicht wie in Jean-Luc Godards "Die Aussenseiterbande" durch den Louvre stürmen und einen neuen Rekord aufstellen? Sie überzeugen den zögernden Matthew und rennen los - vorbei an Touristengruppen, Museumswächtern und Meisterwerken und schaffen es, den Filmrekord um fünfzehn Sekunden zu unterbieten. Ein klitzekleines Stück subversive Freiheit!
Da die Cinémathèque noch geschlossen ist und die Demonstrationen sie nur wenig interessieren, lädt das Geschwisterpaar Matthew ein, bei ihnen zu Hause zu essen. Dort zeigt sich die Mutter nicht gerade begeistert, stellt aber doch ein zusätzliches Gedeck auf, der Papa, ein liberaler Literat, erklärt dem Gast in einem Monolog das "philosophische Haberland". Der findet es einfach toll, in einer französischen Familie eingeladen zu sein und lehnt nicht ab, als man ihm anbietet, in der Wohnung zu übernachten. Als er nachts die Toilette sucht, öffnet er mehr durch Zufall eine Tür und sieht Theo und Isabelle mit verschlungenen Gliedmaßen auf dem Bett liegen. Matthew betrachtet sie reglos von der Türschwelle her, ist angezogen vom Rätsel des Androgynen und empfindet gleichzeitig ein diffuses Gefühl der Eifersucht. Da die Eltern ans Meer in Urlaub fahren, schlagen die Geschwister Matthew vor, doch bei ihnen zu logieren und so das Hotel zu sparen. Er nimmt das Angebot gerne an und schon bald zieht er mit Sack und Pack in die großbürgerliche Wohnung im Quartier Latin. Den ersten Tag verbringen die beiden jungen Männer plaudernd in Theos Zimmer und testen in diversen Ratespielen ihr Filmwissen.
Nachdem die Eltern weggefahren sind, haben die Drei irgendwann keine Lust mehr, in die Schule oder zum Einkaufen zu gehen, schotten sich von der Außenwelt total ab. Sie stöbern in den "Cahiers du Cinema", wühlen in alten Zeitungsausschnitten, diskutieren über Film und beginnen ein Ratequiz. Abwechselnd stellt einer von ihnen Filmszenen nach, die anderen müssen den Film raten. Wer verliert, zahlt ein paar Francs in die Gemeinschaftskasse. Aber irgendwann bleibt es nicht beim Geld und das zunächst harmlose Film-Ratequiz wandelt sich peu à peu in ein gefährliches Spiel um Lust und Begierde. Es gibt weder Tabus noch Pardon in dieser "Ménage à trois", die Träumer überschreiten die Grenzen bürgerlicher Moral, stellen in ihrer hermetisch abgeschlossenen Welt eigene Regeln auf. Ohne sich darum zu kümmern, was draußen passiert, lieben und quälen sie sich, entdecken die Freiheit der Sexualität, entblößen nicht nur ihren Körper, sondern auch die Seele.
Erst ein Stein, der durchs Fenster fliegt, holt sie in die Wirklichkeit zurück. Zu jungen Erwachsenen gereift, verlassen sie das Haus und reihen sich spontan ein in die Demonstrantenschar, stürzen sich in den Straßenkampf. Die Wirklichkeit hat sie eingeholt.
Auch Theo und seine Zwillingsschwester Isabelle sind erbost. Gemeinsam mit dem schüchternen Amerikaner Matthew, der das bourgeoise und blasierte Pärchen verehrt, stehen sie vor den geschlossenen Türen ihres Kino-Paradieses. Am nächsten Tag lassen sich Theo und Isabelle etwas einfallen: Warum nicht wie in Jean-Luc Godards "Die Aussenseiterbande" durch den Louvre stürmen und einen neuen Rekord aufstellen? Sie überzeugen den zögernden Matthew und rennen los - vorbei an Touristengruppen, Museumswächtern und Meisterwerken und schaffen es, den Filmrekord um fünfzehn Sekunden zu unterbieten. Ein klitzekleines Stück subversive Freiheit!
Da die Cinémathèque noch geschlossen ist und die Demonstrationen sie nur wenig interessieren, lädt das Geschwisterpaar Matthew ein, bei ihnen zu Hause zu essen. Dort zeigt sich die Mutter nicht gerade begeistert, stellt aber doch ein zusätzliches Gedeck auf, der Papa, ein liberaler Literat, erklärt dem Gast in einem Monolog das "philosophische Haberland". Der findet es einfach toll, in einer französischen Familie eingeladen zu sein und lehnt nicht ab, als man ihm anbietet, in der Wohnung zu übernachten. Als er nachts die Toilette sucht, öffnet er mehr durch Zufall eine Tür und sieht Theo und Isabelle mit verschlungenen Gliedmaßen auf dem Bett liegen. Matthew betrachtet sie reglos von der Türschwelle her, ist angezogen vom Rätsel des Androgynen und empfindet gleichzeitig ein diffuses Gefühl der Eifersucht. Da die Eltern ans Meer in Urlaub fahren, schlagen die Geschwister Matthew vor, doch bei ihnen zu logieren und so das Hotel zu sparen. Er nimmt das Angebot gerne an und schon bald zieht er mit Sack und Pack in die großbürgerliche Wohnung im Quartier Latin. Den ersten Tag verbringen die beiden jungen Männer plaudernd in Theos Zimmer und testen in diversen Ratespielen ihr Filmwissen.
Nachdem die Eltern weggefahren sind, haben die Drei irgendwann keine Lust mehr, in die Schule oder zum Einkaufen zu gehen, schotten sich von der Außenwelt total ab. Sie stöbern in den "Cahiers du Cinema", wühlen in alten Zeitungsausschnitten, diskutieren über Film und beginnen ein Ratequiz. Abwechselnd stellt einer von ihnen Filmszenen nach, die anderen müssen den Film raten. Wer verliert, zahlt ein paar Francs in die Gemeinschaftskasse. Aber irgendwann bleibt es nicht beim Geld und das zunächst harmlose Film-Ratequiz wandelt sich peu à peu in ein gefährliches Spiel um Lust und Begierde. Es gibt weder Tabus noch Pardon in dieser "Ménage à trois", die Träumer überschreiten die Grenzen bürgerlicher Moral, stellen in ihrer hermetisch abgeschlossenen Welt eigene Regeln auf. Ohne sich darum zu kümmern, was draußen passiert, lieben und quälen sie sich, entdecken die Freiheit der Sexualität, entblößen nicht nur ihren Körper, sondern auch die Seele.
Erst ein Stein, der durchs Fenster fliegt, holt sie in die Wirklichkeit zurück. Zu jungen Erwachsenen gereift, verlassen sie das Haus und reihen sich spontan ein in die Demonstrantenschar, stürzen sich in den Straßenkampf. Die Wirklichkeit hat sie eingeholt.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit Soundeffekten - Interviews - Featurette - Cast & Crew Infos - B-Roll - AudiokommentarFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2003Die Liebenden des Kinos
"Träumer": Bernardo Bertolucci verzaubert den Lido
VENEDIG, 1. September
Bernardo Bertoluccis vorletzter Film "Stealing Beauty" erlebte in Cannes ein Debakel, danach kam "Besieged", der es noch nicht einmal mehr in unsere Kinos schaffte, und Bertoluccis neuem Film "Dreamers" eilte ebenfalls ein verheerender Ruf voraus. Konnte es sein, daß der Italiener nach den Oscars für den "Letzten Kaiser" alles verlernt hatte, was den "Letzten Tango", den "Konformisten" oder "1900" zu Meisterwerken gemacht hatte? Oder ist es doch eher so, daß die Leute blind geworden sind für alles, was die Schönheit so eines Alterswerks ausmacht, für jene Abgeklärtheit, die sich paart mit der Bereitschaft, noch einmal alles aufs Spiel zu setzen? "Dreamers" ist jedenfalls eine der schönsten Liebeserklärungen ans Kino überhaupt, eine Ode an die Jugend und ein Märchen aus dem Pariser Frühling des Jahres 68.
Ein junger Amerikaner lernt in der Cinemathèque das Geschwisterpaar Isa und Theo kennen, Filmverrückte wie er, die stets in den ersten Reihen sitzen, um den Bildern so nah wie möglich zu sein. Kino ist ihr Leben, und als Isa gefragt wird, woher sie komme, sagt sie, sie sei 1959 auf den Champs-Elysées geboren worden. Und wer nicht weiß, daß genau dort die Nouvelle Vague begann, begreift es, als Isa beginnt, "New York Herald Tribune!" zu rufen und wie ein Echo Jean Seberg in "Außer Atem" auftaucht, die 1959 dasselbe rief, als sie mit Belmondo über die Champs-Elysées lief.
Die Art, wie Bertolucci unvermittelt Filmausschnitte in die Erzählung schneidet, ist von so verblüffender Direktheit und von solcher Demut, daß einem wirklich die Augen übergehen vor lauter Glück. Da streicht dann Isa durchs Zimmer und an den Wänden entlang wie einst Greta Garbo, und im nächsten Augenblick sieht man diese in "Königin Christina"; oder Theo beschwört das letzte Bild von "Lichter der Großstadt", und schon taucht Charlie Chaplin auf; oder all drei beschließen, den Rekord von Godards "Außenseiterbande" zu brechen, die es in 9 Minuten 45 Sekunden durch den Louvre geschafft hat, und während die drei an den Gemälden vorbeirasen, laufen synchron ihre Vorbilder durchs Bild. Diese unverstellte Cinephilie findet sich schon in Gilbert Adairs Vorlage, aber in der Verfilmung entwickelt sie eine ganz andere Kraft, weil das Trio tatsächlich mit seiner Traumwelt zu verschmelzen scheint.
Den spielerischen Zugang zum Kino verquickt das Geschwisterpaar mit erotischen Spielereien, in deren Netz sich auch der Amerikaner Matthew verfängt. Wer eine Filmfrage nicht beantworten kann, muß einen Preis zahlen. Als Theo "Blonde Venus" nicht erkennt, muß er auf ein Bild Marlenes aus dem "Blauen Engel" onanieren; und als Matthew "Scarface" nicht schnell genug einfällt, muß er mit Isa schlafen. So verwandelt sich die große elternfreie Wohnung langsam in einen Spielplatz der Begierden, wo alles erlaubt ist, aber nichts wirklich erlebt wird.
Die Cinephilie ist ein süßes Gift, welches das Leben durchtränkt, aber die Welt ausblendet. Die Geschwister, die Cocteaus schrecklichen Kindern ähneln, haben sich eingesponnen in ein Traumreich, wo sie alle Emotionen in Schach halten können. Doch irgendwann durchschaut Mathew das Spiel und fordert mehr als nur die Nebenrolle. Als die drei in der Wirklichkeit ankommen, kämpfen die Studenten auf den Barrikaden gegen die Polizei. Die Geschwister halten auch das für ein gefährliches Spiel, bei dem sie mitmischen können, doch Matthew wendet sich ab. Damit keiner auf die Idee kommt, Bertolucci würde damit der eigenen revolutionären Vergangenheit den Rücken zukehren, läßt er die Piaf über das Schlußbild singen "Non, je ne regrette rien . . .". Einen schöneren Film über das Dreieck von Kino, Liebe und Leben kann man sich hier am Lido gar nicht vorstellen.
Beim bisherigen Publikums- und Kritikerfavoriten "Goodbye, Dragon Inn" von Tsai Ming-Liang geht es um dieselben Dinge, aber seine Schönheit ist eher theoretischer Natur. In endlosen Einstellungen wohnt man der letzten Vorstellung in einem großen Kino in Taipeh bei. Draußen regnet es in Strömen, drinnen verlieren sich ein paar Zuschauer, die den alten Schwertkämpferfilm "Dragon Inn" ansehen und zum Teil dessen Schauspielern so ähnlich sehen, als wären sie wie Geister von der Leinwand herabgestiegen. Die behinderte Kassiererin geht ihren Verrichtungen nach, der Vorführer versucht ihrer Zuneigung zu entgehen, und die Schwulen suchen auf der Toilette nach Gleichgesinnten.
Die Idee ist bestechend, die Bilder sind wunderschön, aber auch ermüdend langatmig, und nach kurzer Zeit ahnt man, daß die Kamera das Kino nie verlassen wird, sondern diese "Last Picture Show" schweigend bis zu Ende begleiten wird. Der Film gibt zu früh sein Strickmuster preis, kann die Spannung also nicht durchhalten, aber Tsai hat in Venedig für "Vive l'amour" schon einmal einen Goldenen Löwen und in Berlin für "The River" einen Silbernen Bären gewonnen, so daß "Goodbye, Dragon Inn" bis auf weiteres als Favorit gelten darf. Auf einem Filmfestival gibt es ohnehin nichts Schöneres, als wenn dem Kino selbst Kränze geflochten werden.
MICHAEL ALTHEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Träumer": Bernardo Bertolucci verzaubert den Lido
VENEDIG, 1. September
Bernardo Bertoluccis vorletzter Film "Stealing Beauty" erlebte in Cannes ein Debakel, danach kam "Besieged", der es noch nicht einmal mehr in unsere Kinos schaffte, und Bertoluccis neuem Film "Dreamers" eilte ebenfalls ein verheerender Ruf voraus. Konnte es sein, daß der Italiener nach den Oscars für den "Letzten Kaiser" alles verlernt hatte, was den "Letzten Tango", den "Konformisten" oder "1900" zu Meisterwerken gemacht hatte? Oder ist es doch eher so, daß die Leute blind geworden sind für alles, was die Schönheit so eines Alterswerks ausmacht, für jene Abgeklärtheit, die sich paart mit der Bereitschaft, noch einmal alles aufs Spiel zu setzen? "Dreamers" ist jedenfalls eine der schönsten Liebeserklärungen ans Kino überhaupt, eine Ode an die Jugend und ein Märchen aus dem Pariser Frühling des Jahres 68.
Ein junger Amerikaner lernt in der Cinemathèque das Geschwisterpaar Isa und Theo kennen, Filmverrückte wie er, die stets in den ersten Reihen sitzen, um den Bildern so nah wie möglich zu sein. Kino ist ihr Leben, und als Isa gefragt wird, woher sie komme, sagt sie, sie sei 1959 auf den Champs-Elysées geboren worden. Und wer nicht weiß, daß genau dort die Nouvelle Vague begann, begreift es, als Isa beginnt, "New York Herald Tribune!" zu rufen und wie ein Echo Jean Seberg in "Außer Atem" auftaucht, die 1959 dasselbe rief, als sie mit Belmondo über die Champs-Elysées lief.
Die Art, wie Bertolucci unvermittelt Filmausschnitte in die Erzählung schneidet, ist von so verblüffender Direktheit und von solcher Demut, daß einem wirklich die Augen übergehen vor lauter Glück. Da streicht dann Isa durchs Zimmer und an den Wänden entlang wie einst Greta Garbo, und im nächsten Augenblick sieht man diese in "Königin Christina"; oder Theo beschwört das letzte Bild von "Lichter der Großstadt", und schon taucht Charlie Chaplin auf; oder all drei beschließen, den Rekord von Godards "Außenseiterbande" zu brechen, die es in 9 Minuten 45 Sekunden durch den Louvre geschafft hat, und während die drei an den Gemälden vorbeirasen, laufen synchron ihre Vorbilder durchs Bild. Diese unverstellte Cinephilie findet sich schon in Gilbert Adairs Vorlage, aber in der Verfilmung entwickelt sie eine ganz andere Kraft, weil das Trio tatsächlich mit seiner Traumwelt zu verschmelzen scheint.
Den spielerischen Zugang zum Kino verquickt das Geschwisterpaar mit erotischen Spielereien, in deren Netz sich auch der Amerikaner Matthew verfängt. Wer eine Filmfrage nicht beantworten kann, muß einen Preis zahlen. Als Theo "Blonde Venus" nicht erkennt, muß er auf ein Bild Marlenes aus dem "Blauen Engel" onanieren; und als Matthew "Scarface" nicht schnell genug einfällt, muß er mit Isa schlafen. So verwandelt sich die große elternfreie Wohnung langsam in einen Spielplatz der Begierden, wo alles erlaubt ist, aber nichts wirklich erlebt wird.
Die Cinephilie ist ein süßes Gift, welches das Leben durchtränkt, aber die Welt ausblendet. Die Geschwister, die Cocteaus schrecklichen Kindern ähneln, haben sich eingesponnen in ein Traumreich, wo sie alle Emotionen in Schach halten können. Doch irgendwann durchschaut Mathew das Spiel und fordert mehr als nur die Nebenrolle. Als die drei in der Wirklichkeit ankommen, kämpfen die Studenten auf den Barrikaden gegen die Polizei. Die Geschwister halten auch das für ein gefährliches Spiel, bei dem sie mitmischen können, doch Matthew wendet sich ab. Damit keiner auf die Idee kommt, Bertolucci würde damit der eigenen revolutionären Vergangenheit den Rücken zukehren, läßt er die Piaf über das Schlußbild singen "Non, je ne regrette rien . . .". Einen schöneren Film über das Dreieck von Kino, Liebe und Leben kann man sich hier am Lido gar nicht vorstellen.
Beim bisherigen Publikums- und Kritikerfavoriten "Goodbye, Dragon Inn" von Tsai Ming-Liang geht es um dieselben Dinge, aber seine Schönheit ist eher theoretischer Natur. In endlosen Einstellungen wohnt man der letzten Vorstellung in einem großen Kino in Taipeh bei. Draußen regnet es in Strömen, drinnen verlieren sich ein paar Zuschauer, die den alten Schwertkämpferfilm "Dragon Inn" ansehen und zum Teil dessen Schauspielern so ähnlich sehen, als wären sie wie Geister von der Leinwand herabgestiegen. Die behinderte Kassiererin geht ihren Verrichtungen nach, der Vorführer versucht ihrer Zuneigung zu entgehen, und die Schwulen suchen auf der Toilette nach Gleichgesinnten.
Die Idee ist bestechend, die Bilder sind wunderschön, aber auch ermüdend langatmig, und nach kurzer Zeit ahnt man, daß die Kamera das Kino nie verlassen wird, sondern diese "Last Picture Show" schweigend bis zu Ende begleiten wird. Der Film gibt zu früh sein Strickmuster preis, kann die Spannung also nicht durchhalten, aber Tsai hat in Venedig für "Vive l'amour" schon einmal einen Goldenen Löwen und in Berlin für "The River" einen Silbernen Bären gewonnen, so daß "Goodbye, Dragon Inn" bis auf weiteres als Favorit gelten darf. Auf einem Filmfestival gibt es ohnehin nichts Schöneres, als wenn dem Kino selbst Kränze geflochten werden.
MICHAEL ALTHEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main