Der vom Pech verfolgte Familienvater Paul Matthews (Nicolas Cage) muss feststellen, dass sein Leben plötzlich Kopf steht, als Millionen Fremde anfangen, von ihm zu träumen. Da sein nächtliches Erscheinen jedoch zunehmend alptraumhafte Formen annimmt, ist der über Nacht zum Star gewordene Paul gezwungen, sich mit den Konsequenzen seines unverhofften Ruhms auseinanderzusetzen.
Bonusmaterial
Audiokommentar Featurette unveröffentlichte SzenenFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2024Aufgebäumt und ausgeträumt
Im Kinofilm "Dream Scenario" sucht Nicolas Cage unsere Träume heim - mit schrecklichen Folgen
Ein Traum geht in Erfüllung. Das war ein Albtraum. Träumst du? Was man eben so sagt, wenn man neben der konkreten Wirklichkeit eine zweite Sphäre vermutet, in die sich das Ich davonstehlen kann. Eine Welt der Fiktion und Phantasie. Träume sind seit der Antike ein Phänomen der Kunst und deren Hermeneutik; die Psychologie kam erst später, ab dem 19. Jahrhundert, dazu. Freud hat das Traumgeschehen für seine Lektüren gekapert und damit alte Auslegungsideen und moderne Wissenschaftsmethoden verklammert. Geblieben ist von seiner "Traumdeutung" wesentlich nur der Gassenhauer, der Traum chiffriere uneingestandene Wünsche in einem mentalen Szenario.
"Dream Scenario", Kristoffer Borglis schlauer, fieser und melancholischer Film, knüpft an diese doppelte Signatur des Traums als Theater des Unbewussten und per close reading zu deutendes Textgenre an. Aus Träumen lernen wir das je Individuelle des Träumers in chiffrierter Form kennen, und diese Verzifferung im Traumgeschehen geschieht vermittels sprachlicher Muster. Metapher, Metonymie, Vergleich - was die Literatur an Figuren hergibt, wird in Traumnarrationen angewandt. Träumer sind Rhetoriker, die sich den Text ihrer Affekte bildhaft erzählen.
Ein abgehalfterter Zoologe, der seit Jahren an einem wissenschaftlichen Werk herumdoktert, seine erfolgreichen Kollegen beneidet und darüber immer biestiger wird: Von was wird so jemand träumen? Für diesen von Nicolas Cage gespielten Mann hat es sich ausgeträumt. Die Karriere wird nicht mehr in Gang kommen, die Ehe ist fad, die Kinder haben keinen Respekt. Dass ausgerechnet dieser Verlierer dann in den Träumen anderer erscheint, nicht zufällig und ab und zu, sondern in endemischer Verbreitung, ist ein Erzählkniff, den "Dream Scenario" in vielen Facetten bis zur grausamen Pointe am Ende ausspielen wird.
Dr. Paul Matthews, der vom akademischen Betrieb annähernd ausgemusterte Intellektuelle, wird mehrheitsfähig als Akteur des kollektiven Unbewussten. Alle träumen von ihm. Alle kennen ihn, alle fragen sich, wer er ist. Das ist die Idee des Stars, wie sie uns von den Bewusstseinsindustrien verordnet wird. Allbekannt und doch mysteriös, omnipräsent und fern wie der Stern einer fremden Galaxie. Matthews hat diesen Status nach ein paar Wochen als Star in den Unterbewusstseinsfilmen der Weltgemeinde.
Was dann in Gang kommt, ist auf Handlungsebene eine brutale Posse, in kulturdiagnostischer Perspektive eine Inspektion unserer medial überformten Verhältnisse. Wenn du in den Träumen potentieller Zielgruppen rund um den Globus präsent bist, dann steigst du zum ultimativen Werbeträger auf. Das geschieht zwangsläufig, gerade jetzt, da Märkte die Impulse von Käufern und Käuferinnen effektiver steuern können als je zuvor. Die obersten Marktschreier des digitalen Kaufhauses namens Internet machen keinen Hehl mehr aus ihrem Auftrag. Sie sind Beeinflusser. Influencer.
Entsprechend wird aus Matthews, dem kauzigen Ameisenforscher - Spezialgebiet: Adaption! -, der medial perfekt adaptierte Superinfluencer. Eine aus allen Albträumen postmodernen Marketings entsprungene Werbeagentur will ihn für große Kampagnen verwerten. Sprite, Coca-Cola - die Möglichkeiten sind grenzenlos.
Das tauschlogische Kalkül, hier personifiziert von einem schmierig-beflissenen Michael Cera, hat die Rechnung ohne das Unbewusste gemacht. Marketingleute lesen Freud eben nur oberflächlich und vergessen, dass die Welt unterhalb der Bewusstseinsschwelle eine Terra incognita, nicht ein per Angebot und Nachfrage regulierbarer Marktplatz ist. War Matthews eine Zeit lang das kuriose Maskottchen im Assoziationsspiel der Schlafenden, sucht er sie später als Folterknecht und Mörder heim. Am Anfang der Applaus, am Ende des Canceln: Matthews ist nicht mehr der allseits begehrte Traumtyp schrulliger Prägung, sondern der meistgehasste Mann der Welt. Er taucht ab, versucht ein Comeback als Autor und wird schließlich zur Ein-Mann-Freakshow, der mit Freddy-Krüger-Klauenhand für Horrorfans posieren muss.
Der in Schrecken und Gewalt umschlagende Traum von Anerkennung und Wertschätzung verweist auf den Kulturanspruch, dem sich jeder und jede auszusetzen hat, insofern Gesellschaftsfähigkeit das Klassenziel ist. Man muss die grandiosen Triebe, die ungestüme Lust nach Größe und Macht, auf ein sozial verträgliches Maß herunterstufen. Diese Anpassung ist zugleich Verzichtsübung und Integrationsleistung. Die meisten kommen um sie nicht herum, was ganz gut so ist, da Durchschnittlichkeit eben auch durchschnittlich zufrieden, intakt und gesellschaftlich operabel meint.
Nicolas Cage personifiziert als Matthews die Entgleisung der Durchschnittlichkeit. Und weil er dies mit Triefaugen, schlechter Haut und schütterem Haar als Jedermann tut, zeigt er uns, den Zuschauenden, auch das Durchschnittliche der Selbstüberhöhung. Das ist weniger ein moralisches Versagen als die Konsequenz aus medialen Dispositiven und wie sie sich einschreiben bis in unsere innersten Regungen hinein. Einfacher gesagt: Pass auf, was du träumst, denn wer groß träumt, kann in Zeiten hyperintelligenter Technologien im großen Stil unter die Räder kommen.
Cage läutet mit diesem Film die nächste Phase seiner Karriere ein. Er war schon alles und alles auf höchstem, das heißt auch: nach oben depraviertem Niveau. Heiliger Trinker in "Leaving Las Vegas", postmoderner Gegenkultur-Rebell in "Wild at Heart", Action-Gestaltwandler in "Face off", das waren ein paar Höhepunkte dieses Method-Actors, dessen Methode stets mehr Wahnsinn als Sublimierung und Kontrolle war. Später dann Genreklamotten wie "Wicker Man" und "Ghost Rider", alles in allem ein Steinbruch für schräge Internetmemes. Cage: ein Superstar der Filmtheaterschmiere.
In "Dream Scenario" wirkt er wie erschöpft von diesem Rollenparcours, der ihn von Oscar-Höhen zu Video-on-Demand-Tiefen führte. Das passt perfekt, weil sein Part den modernen Menschen im Zustand der Erschöpfung zeigt, ausgezehrt von einem verwalteten Leben, das seine Akteure selbst für Träume zur Kasse bittet. DANIEL HAAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Kinofilm "Dream Scenario" sucht Nicolas Cage unsere Träume heim - mit schrecklichen Folgen
Ein Traum geht in Erfüllung. Das war ein Albtraum. Träumst du? Was man eben so sagt, wenn man neben der konkreten Wirklichkeit eine zweite Sphäre vermutet, in die sich das Ich davonstehlen kann. Eine Welt der Fiktion und Phantasie. Träume sind seit der Antike ein Phänomen der Kunst und deren Hermeneutik; die Psychologie kam erst später, ab dem 19. Jahrhundert, dazu. Freud hat das Traumgeschehen für seine Lektüren gekapert und damit alte Auslegungsideen und moderne Wissenschaftsmethoden verklammert. Geblieben ist von seiner "Traumdeutung" wesentlich nur der Gassenhauer, der Traum chiffriere uneingestandene Wünsche in einem mentalen Szenario.
"Dream Scenario", Kristoffer Borglis schlauer, fieser und melancholischer Film, knüpft an diese doppelte Signatur des Traums als Theater des Unbewussten und per close reading zu deutendes Textgenre an. Aus Träumen lernen wir das je Individuelle des Träumers in chiffrierter Form kennen, und diese Verzifferung im Traumgeschehen geschieht vermittels sprachlicher Muster. Metapher, Metonymie, Vergleich - was die Literatur an Figuren hergibt, wird in Traumnarrationen angewandt. Träumer sind Rhetoriker, die sich den Text ihrer Affekte bildhaft erzählen.
Ein abgehalfterter Zoologe, der seit Jahren an einem wissenschaftlichen Werk herumdoktert, seine erfolgreichen Kollegen beneidet und darüber immer biestiger wird: Von was wird so jemand träumen? Für diesen von Nicolas Cage gespielten Mann hat es sich ausgeträumt. Die Karriere wird nicht mehr in Gang kommen, die Ehe ist fad, die Kinder haben keinen Respekt. Dass ausgerechnet dieser Verlierer dann in den Träumen anderer erscheint, nicht zufällig und ab und zu, sondern in endemischer Verbreitung, ist ein Erzählkniff, den "Dream Scenario" in vielen Facetten bis zur grausamen Pointe am Ende ausspielen wird.
Dr. Paul Matthews, der vom akademischen Betrieb annähernd ausgemusterte Intellektuelle, wird mehrheitsfähig als Akteur des kollektiven Unbewussten. Alle träumen von ihm. Alle kennen ihn, alle fragen sich, wer er ist. Das ist die Idee des Stars, wie sie uns von den Bewusstseinsindustrien verordnet wird. Allbekannt und doch mysteriös, omnipräsent und fern wie der Stern einer fremden Galaxie. Matthews hat diesen Status nach ein paar Wochen als Star in den Unterbewusstseinsfilmen der Weltgemeinde.
Was dann in Gang kommt, ist auf Handlungsebene eine brutale Posse, in kulturdiagnostischer Perspektive eine Inspektion unserer medial überformten Verhältnisse. Wenn du in den Träumen potentieller Zielgruppen rund um den Globus präsent bist, dann steigst du zum ultimativen Werbeträger auf. Das geschieht zwangsläufig, gerade jetzt, da Märkte die Impulse von Käufern und Käuferinnen effektiver steuern können als je zuvor. Die obersten Marktschreier des digitalen Kaufhauses namens Internet machen keinen Hehl mehr aus ihrem Auftrag. Sie sind Beeinflusser. Influencer.
Entsprechend wird aus Matthews, dem kauzigen Ameisenforscher - Spezialgebiet: Adaption! -, der medial perfekt adaptierte Superinfluencer. Eine aus allen Albträumen postmodernen Marketings entsprungene Werbeagentur will ihn für große Kampagnen verwerten. Sprite, Coca-Cola - die Möglichkeiten sind grenzenlos.
Das tauschlogische Kalkül, hier personifiziert von einem schmierig-beflissenen Michael Cera, hat die Rechnung ohne das Unbewusste gemacht. Marketingleute lesen Freud eben nur oberflächlich und vergessen, dass die Welt unterhalb der Bewusstseinsschwelle eine Terra incognita, nicht ein per Angebot und Nachfrage regulierbarer Marktplatz ist. War Matthews eine Zeit lang das kuriose Maskottchen im Assoziationsspiel der Schlafenden, sucht er sie später als Folterknecht und Mörder heim. Am Anfang der Applaus, am Ende des Canceln: Matthews ist nicht mehr der allseits begehrte Traumtyp schrulliger Prägung, sondern der meistgehasste Mann der Welt. Er taucht ab, versucht ein Comeback als Autor und wird schließlich zur Ein-Mann-Freakshow, der mit Freddy-Krüger-Klauenhand für Horrorfans posieren muss.
Der in Schrecken und Gewalt umschlagende Traum von Anerkennung und Wertschätzung verweist auf den Kulturanspruch, dem sich jeder und jede auszusetzen hat, insofern Gesellschaftsfähigkeit das Klassenziel ist. Man muss die grandiosen Triebe, die ungestüme Lust nach Größe und Macht, auf ein sozial verträgliches Maß herunterstufen. Diese Anpassung ist zugleich Verzichtsübung und Integrationsleistung. Die meisten kommen um sie nicht herum, was ganz gut so ist, da Durchschnittlichkeit eben auch durchschnittlich zufrieden, intakt und gesellschaftlich operabel meint.
Nicolas Cage personifiziert als Matthews die Entgleisung der Durchschnittlichkeit. Und weil er dies mit Triefaugen, schlechter Haut und schütterem Haar als Jedermann tut, zeigt er uns, den Zuschauenden, auch das Durchschnittliche der Selbstüberhöhung. Das ist weniger ein moralisches Versagen als die Konsequenz aus medialen Dispositiven und wie sie sich einschreiben bis in unsere innersten Regungen hinein. Einfacher gesagt: Pass auf, was du träumst, denn wer groß träumt, kann in Zeiten hyperintelligenter Technologien im großen Stil unter die Räder kommen.
Cage läutet mit diesem Film die nächste Phase seiner Karriere ein. Er war schon alles und alles auf höchstem, das heißt auch: nach oben depraviertem Niveau. Heiliger Trinker in "Leaving Las Vegas", postmoderner Gegenkultur-Rebell in "Wild at Heart", Action-Gestaltwandler in "Face off", das waren ein paar Höhepunkte dieses Method-Actors, dessen Methode stets mehr Wahnsinn als Sublimierung und Kontrolle war. Später dann Genreklamotten wie "Wicker Man" und "Ghost Rider", alles in allem ein Steinbruch für schräge Internetmemes. Cage: ein Superstar der Filmtheaterschmiere.
In "Dream Scenario" wirkt er wie erschöpft von diesem Rollenparcours, der ihn von Oscar-Höhen zu Video-on-Demand-Tiefen führte. Das passt perfekt, weil sein Part den modernen Menschen im Zustand der Erschöpfung zeigt, ausgezehrt von einem verwalteten Leben, das seine Akteure selbst für Träume zur Kasse bittet. DANIEL HAAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main