Der 19-jährige Jakob teilt mit seinem Bruder und dessen schwangerer Freundin Karo eine Wohnung in Köln und lebt in den Tag hinein. Mit seiner Videokamera hält er obsessiv sein driftendes Leben fest: Er filmt sich beim Masturbieren, beobachtet heimlich mit der Kamera seinen Bruder beim Sex mit Karo und zeichnet die Rap-Auftritte seines Freundes Phillip auf. Er befriedigt am Flussufer ein Mädchen aus seiner Clique; er schnorrt Passanten um Geld an; er betrinkt sich mit der Mutter eines Kumpels, dringt in ein fremdes Haus ein und zertrümmert zusammen mit Phillip das Mobiliar.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Kapitel- / Szenenanwahl - InterviewsFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2004Die tausend Gesichter des deutschen Films
Auch die 38. Internationalen Hofer Filmtage sind vor allem eine nationale Angelegenheit, bei der das einheimische Kino einen Zuspruch erfährt, der ihm im wirklichen Leben selten zuteil wird
Früher tröstete man sich in Hof, daß es in Bayern ganz oben liege, heute ist es einfach nur noch ein Ort auf halber Strecke zwischen München und Berlin. Und wenn nicht Festivalleiter Heinz Badewitz vor 37 Jahren die ulkige Idee gehabt hätte, seine Kollegen aus München in seine Heimatstadt einzuladen, um dort ihre Filme zu zeigen, dann würde der Ort wahrscheinlich nur noch denen was sagen, die sich an die besseren Zeiten der Fußballmannschaft von Bayern Hof erinnern. So aber kommt seit 38 Jahren Ende Oktober die deutsche Filmbranche nach Hof, pflegt dort den Nachwuchs und die immergleichen Rituale: Filme gucken, Bratwürste essen und trinken, als gäbe es kein Morgen. Und wenn nicht zwischen den beiden Kinokomplexen, die das Festival beherbergen, ein kleiner Spaziergang mit ein wenig Höhenunterschied zu bewältigen wäre, dann wären die Hofer Filmtage eine noch ungesündere Angelegenheit.
Vor jeder Vorstellung dürfen junge Ansager die Regisseure vorstellen und das Publikum mit dem immer selben Sprüchlein zu den "38. Internationalen Hofer Filmtagen" begrüßen, was nicht nur ein kleiner Zungenbrecher ist, sondern stets auch etwas hochfliegend klingt. Aber es stimmt: Es laufen tatsächlich auch ausgewählte Werke aus ferneren Ländern, deren Regisseure oft auch anwesend sind, sowie klug ausgewählte Retrospektiven von Leuten abseits des kritischen Kanons. Dieses Jahr war John McNaughton an der Reihe, der es mit "Henry - Portrait of a Serial Killer" zu einiger Bekanntheit gebracht hat, aber auch mit Schauspielern wie Robert De Niro, Uma Thurman, Bill Murray, Ashley Judd oder Richard Dreyfuss gedreht hat. Der Mann aus Chicago lief also mit gleichmütigem Gesichtsausdruck fünf Tage durch das seltsam gesichtslose Städtchen im mitteleuropäischen Irgendwo und wird sich wohl wie mancher seiner Vorgänger manchmal gefragt haben, welches seltsame Geschick dazu geführt hat, daß er ausgerechnet hier seine Karriere Revue passieren lassen muß. Die Antwort ist natürlich einfach: Weil es bei Badewitz und den Seinen eine Leidenschaft fürs Kino gibt, die sich nie nur auf das Nächstliegende beschränkt.
So international können die Filmtage indes gar nicht sein, daß ihr Hauptaugenmerk nicht doch immer auf dem deutschen Kino läge, als dessen Schaufenster sich Hof zwischen den Festivals von München, Saarbrücken und Berlin immer noch behauptet - und sei es nur wegen der hier möglichen Konzentration und eines Andrangs auf ohnehin überfüllte Säle, den es in der deutschen Kinolandschaft so sonst nicht gibt. Fünf Tage lang kennt das deutsche Kino keine Krise, denn so unbekannt kann ein Debütant gar nicht sein, daß der Saal bei seinem Erstlingsfilm nicht trotzdem voll wäre. So hat Hof schon in manchem Regisseurstalent die Hoffnung genährt, unter diesen Umstände lohne es sich doch, hierzulande Filme zu machen.
Eröffnet wurden die Filmtage mit Dennis Gansels "Napola - Elite für den Führer", der 2003 schon einen Bundesfilmpreis für das beste unverfilmte Drehbuch gewonnen hatte und im Windschatten von "Der Untergang" hier nun auf vermehrtes Interesse stieß. Gansel erzählt von einem jungen Boxer (Max Riemelt), der gegen den Willen seines Vaters in eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt kommt, wo er lernen soll, sein Talent mit dem nötigen Killerinstinkt zu verbinden. Gansel hat mit "Mädchen, Mädchen" bewiesen, daß er Genres bedienen kann, und so begreift er auch Burg Allenstein erst mal als Schauplatz pubertärer Wechselspiele. Als Internatsfilm macht "Napola" denn auch nichts falsch, die Guten sind gut und die Bösen böse, und das Schicksal des sensiblen besten Freundes (Tom Schilling) mit lyrischer Ader ist entsprechend dem "Club der toten Dichter" nachempfunden. Aber der Hintergrund der Erziehungsanstalt bleibt eben immer nur Kulisse, was das Drama bisweilen ähnlich frivol wirken läßt wie der Untertitel "Elite für den Führer", dessen Anführungszeichen man sich wohl dazudenken muß.
Tom Schillings eigentümlich irrlichternde Präsenz steht auch im Mittelpunkt von "Egoshooter", einem inszenierten Videotagebuch, das so wirkt, als habe Schilling seine Rolle als Herbert Knaups Sohn in "Agnes und seine Brüder" hier fortgesetzt. Die Regisseure Christian Becker und Oliver Schwabe hatten bei einem ähnlichen Projekt mit realen Jugendlichen festgestellt, wo die Grenzen dieser Methode und wo ihre Möglichkeiten liegen. So haben sie mit Schilling ihr Sendeformat nachinszeniert, haben Situationen geschaffen, innerhalb deren sich der Schauspieler frei bewegen konnte. Entstanden ist ein interessanter Zwitter, Porträt einer Jugend einerseits, aber auch Dokument des Mutes eines Schauspielers, sich auf dieses Experiment einzulassen.
Überhaupt sind es unter lauter Debüts vor allem die Schauspieler, die Konstanz ins deutsche Kino bringen: Matthias Schweighöfer und Jessica Schwarz in "Kammerflimmern", Hendrik Hölzemanns faszinierender Rettungsfahrer-Odyssee zwischen Leben und Tod, die inmitten der Grenzerfahrungen stets genau den richtigen Ton treffen; Stipe Erceg und Fabian Busch, die in Cyril Tuschis "SommerHundeSöhne" im Wohnmobil auf Vatersuche nach Marokko gehen und der abenteuerlustigen Stilsuche Zusammenhalt geben; oder Arndt Schwering Sohnrey und Eckhard Preus, die Gil Mehmerts auf Spielfilmlänge überdehnter Tipp-Kick-Phantasie "Aus der Tiefe des Raums" ein Gesicht verleihen; und vor allem Lavinia Wilson, die in Thomas Durchschlags "Allein" die Blicke bannt. Da paßt es dann auch, daß der Filmpreis der Stadt Hof in diesem Jahr an Laura Tonke ging, die sich für die Laudatio des Filmkritikers Rainer Gansera ihrerseits mit einer Dankesrede auf ihn revanchierte. Das nennt man Glück.
MICHAEL ALTHEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auch die 38. Internationalen Hofer Filmtage sind vor allem eine nationale Angelegenheit, bei der das einheimische Kino einen Zuspruch erfährt, der ihm im wirklichen Leben selten zuteil wird
Früher tröstete man sich in Hof, daß es in Bayern ganz oben liege, heute ist es einfach nur noch ein Ort auf halber Strecke zwischen München und Berlin. Und wenn nicht Festivalleiter Heinz Badewitz vor 37 Jahren die ulkige Idee gehabt hätte, seine Kollegen aus München in seine Heimatstadt einzuladen, um dort ihre Filme zu zeigen, dann würde der Ort wahrscheinlich nur noch denen was sagen, die sich an die besseren Zeiten der Fußballmannschaft von Bayern Hof erinnern. So aber kommt seit 38 Jahren Ende Oktober die deutsche Filmbranche nach Hof, pflegt dort den Nachwuchs und die immergleichen Rituale: Filme gucken, Bratwürste essen und trinken, als gäbe es kein Morgen. Und wenn nicht zwischen den beiden Kinokomplexen, die das Festival beherbergen, ein kleiner Spaziergang mit ein wenig Höhenunterschied zu bewältigen wäre, dann wären die Hofer Filmtage eine noch ungesündere Angelegenheit.
Vor jeder Vorstellung dürfen junge Ansager die Regisseure vorstellen und das Publikum mit dem immer selben Sprüchlein zu den "38. Internationalen Hofer Filmtagen" begrüßen, was nicht nur ein kleiner Zungenbrecher ist, sondern stets auch etwas hochfliegend klingt. Aber es stimmt: Es laufen tatsächlich auch ausgewählte Werke aus ferneren Ländern, deren Regisseure oft auch anwesend sind, sowie klug ausgewählte Retrospektiven von Leuten abseits des kritischen Kanons. Dieses Jahr war John McNaughton an der Reihe, der es mit "Henry - Portrait of a Serial Killer" zu einiger Bekanntheit gebracht hat, aber auch mit Schauspielern wie Robert De Niro, Uma Thurman, Bill Murray, Ashley Judd oder Richard Dreyfuss gedreht hat. Der Mann aus Chicago lief also mit gleichmütigem Gesichtsausdruck fünf Tage durch das seltsam gesichtslose Städtchen im mitteleuropäischen Irgendwo und wird sich wohl wie mancher seiner Vorgänger manchmal gefragt haben, welches seltsame Geschick dazu geführt hat, daß er ausgerechnet hier seine Karriere Revue passieren lassen muß. Die Antwort ist natürlich einfach: Weil es bei Badewitz und den Seinen eine Leidenschaft fürs Kino gibt, die sich nie nur auf das Nächstliegende beschränkt.
So international können die Filmtage indes gar nicht sein, daß ihr Hauptaugenmerk nicht doch immer auf dem deutschen Kino läge, als dessen Schaufenster sich Hof zwischen den Festivals von München, Saarbrücken und Berlin immer noch behauptet - und sei es nur wegen der hier möglichen Konzentration und eines Andrangs auf ohnehin überfüllte Säle, den es in der deutschen Kinolandschaft so sonst nicht gibt. Fünf Tage lang kennt das deutsche Kino keine Krise, denn so unbekannt kann ein Debütant gar nicht sein, daß der Saal bei seinem Erstlingsfilm nicht trotzdem voll wäre. So hat Hof schon in manchem Regisseurstalent die Hoffnung genährt, unter diesen Umstände lohne es sich doch, hierzulande Filme zu machen.
Eröffnet wurden die Filmtage mit Dennis Gansels "Napola - Elite für den Führer", der 2003 schon einen Bundesfilmpreis für das beste unverfilmte Drehbuch gewonnen hatte und im Windschatten von "Der Untergang" hier nun auf vermehrtes Interesse stieß. Gansel erzählt von einem jungen Boxer (Max Riemelt), der gegen den Willen seines Vaters in eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt kommt, wo er lernen soll, sein Talent mit dem nötigen Killerinstinkt zu verbinden. Gansel hat mit "Mädchen, Mädchen" bewiesen, daß er Genres bedienen kann, und so begreift er auch Burg Allenstein erst mal als Schauplatz pubertärer Wechselspiele. Als Internatsfilm macht "Napola" denn auch nichts falsch, die Guten sind gut und die Bösen böse, und das Schicksal des sensiblen besten Freundes (Tom Schilling) mit lyrischer Ader ist entsprechend dem "Club der toten Dichter" nachempfunden. Aber der Hintergrund der Erziehungsanstalt bleibt eben immer nur Kulisse, was das Drama bisweilen ähnlich frivol wirken läßt wie der Untertitel "Elite für den Führer", dessen Anführungszeichen man sich wohl dazudenken muß.
Tom Schillings eigentümlich irrlichternde Präsenz steht auch im Mittelpunkt von "Egoshooter", einem inszenierten Videotagebuch, das so wirkt, als habe Schilling seine Rolle als Herbert Knaups Sohn in "Agnes und seine Brüder" hier fortgesetzt. Die Regisseure Christian Becker und Oliver Schwabe hatten bei einem ähnlichen Projekt mit realen Jugendlichen festgestellt, wo die Grenzen dieser Methode und wo ihre Möglichkeiten liegen. So haben sie mit Schilling ihr Sendeformat nachinszeniert, haben Situationen geschaffen, innerhalb deren sich der Schauspieler frei bewegen konnte. Entstanden ist ein interessanter Zwitter, Porträt einer Jugend einerseits, aber auch Dokument des Mutes eines Schauspielers, sich auf dieses Experiment einzulassen.
Überhaupt sind es unter lauter Debüts vor allem die Schauspieler, die Konstanz ins deutsche Kino bringen: Matthias Schweighöfer und Jessica Schwarz in "Kammerflimmern", Hendrik Hölzemanns faszinierender Rettungsfahrer-Odyssee zwischen Leben und Tod, die inmitten der Grenzerfahrungen stets genau den richtigen Ton treffen; Stipe Erceg und Fabian Busch, die in Cyril Tuschis "SommerHundeSöhne" im Wohnmobil auf Vatersuche nach Marokko gehen und der abenteuerlustigen Stilsuche Zusammenhalt geben; oder Arndt Schwering Sohnrey und Eckhard Preus, die Gil Mehmerts auf Spielfilmlänge überdehnter Tipp-Kick-Phantasie "Aus der Tiefe des Raums" ein Gesicht verleihen; und vor allem Lavinia Wilson, die in Thomas Durchschlags "Allein" die Blicke bannt. Da paßt es dann auch, daß der Filmpreis der Stadt Hof in diesem Jahr an Laura Tonke ging, die sich für die Laudatio des Filmkritikers Rainer Gansera ihrerseits mit einer Dankesrede auf ihn revanchierte. Das nennt man Glück.
MICHAEL ALTHEN
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