17,99 €
inkl. MwSt.

Sofort lieferbar
  • DVD

Mahin (Lily Farhadpour) lebt seit dem Tod ihres Mannes und der Ausreise ihrer Tochter nach Europa allein in Teheran. Ein geselliger Nachmittagstee mit Freundinnen gibt den Anstoß dazu, ihren einsamen und monotonen Alltag hinter sich zu lassen. In Mahin reift der Wunsch ihr Liebesleben wieder zu aktivieren. Auf der Suche nach einem neuen Partner, öffnet sie spontan ihr Herz für den gleichaltrigen Taxifahrer Faramarz (Esmail Mehrabi). Aus der zufälligen Begegnung wird eine ebenso überraschende wie unvergessliche Nacht.

  • Anzahl: 1 DVD
Produktbeschreibung
Mahin (Lily Farhadpour) lebt seit dem Tod ihres Mannes und der Ausreise ihrer Tochter nach Europa allein in Teheran. Ein geselliger Nachmittagstee mit Freundinnen gibt den Anstoß dazu, ihren einsamen und monotonen Alltag hinter sich zu lassen. In Mahin reift der Wunsch ihr Liebesleben wieder zu aktivieren. Auf der Suche nach einem neuen Partner, öffnet sie spontan ihr Herz für den gleichaltrigen Taxifahrer Faramarz (Esmail Mehrabi). Aus der zufälligen Begegnung wird eine ebenso überraschende wie unvergessliche Nacht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2024

Schritte über die Rolle hinaus

In einem Taxi gibt es häufig eine unausgesprochene Abmachung: Vorn sitzt der Lenker, der Gast sitzt hinten. Wenn es sich nicht um eine große Gruppe handelt, wird so die Konvention gewahrt, dass vorn die Arbeit ist, auf dem Rücksitz ein privates Leben. Unzählige Filmszenen haben diese Konstellation durchgespielt, in der meistens der Rückspiegel große Bedeutung gewinnt.

Denn natürlich wird oft nach hinten geschielt, auch deswegen gibt es Taxis, in denen die beiden Bereiche durch einen Sichtschutz getrennt sind. In dem Film "Ein kleines Stück vom Kuchen" von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha treffen zwei alte Menschen im Gewirr der Millionenstadt Teheran aufeinander. Sie begegnen einander zuerst in einem Restaurant, in das die siebzigjährige Mahin manchmal geht, weil sie dort ihre Essensgutscheine einlösen kann. An einem anderen Tisch sitzt Faramarz, auch er ist allein, ein schmächtiger Mann im selben Alter wie Mahin.

In Deutschland wäre es prinzipiell kein Problem, wenn Mahin nun an den Tisch von Faramarz treten und ihn ansprechen würde. Im Iran, wo es viele Regeln für das Verhalten von Frauen in der Öffentlichkeit gibt, ist das undenkbar. Mahin aber ist eindeutig auf der Suche. Sie will aus ihrer Einsamkeit ausbrechen. Und so trifft es sich gut, dass Faramarz als Taxifahrer arbeitet. Auf diese Weise können die beiden alleinstehenden Menschen (sie ist seit vielen Jahren Witwe, er ebenfalls schon seit Ewigkeiten geschieden) gemeinsam Zeit in einem Raum verbringen. Und dann begeht Mahin, im Schutz der Nacht und des Regens, sogar noch eine kleine Transgression: Sie setzt sich zu Faramarz nach vorn.

Seit 1979 ist der Iran eine Islamische Republik. Vorgeblich gottgewollte Regeln bestimmen den Alltag bis ins kleinste Detail, wie zuletzt der Film "Irdische Verse" deutlich gemacht hat.

Die Revolution sollte den Menschen ein besseres Leben bringen, sie brachte aber vor allem einen neuen Machtapparat. Und den Frauen, die damals in großer Zahl auf die Straße gingen, brachte der schiitische Klerus einen strengen Verhaltenskodex, in dem ihnen - wie nun aus "Ein kleines Stück vom Kuchen" wieder deutlich wird - die Wahl bleibt zwischen (arrangierter) Ehe und Einsamkeit.

Mahin hat ihren Mann schon vor dreißig Jahren bei einem Verkehrsunfall verloren. Die Kinder haben das Land verlassen, Kontakt besteht nur über gelegentliche Videotelefonate.

Einmal im Jahr kommen ein paar Freundinnen, die "alten Mädels", dann wird groß aufgetischt, und als Geschenk gibt es ein Blutdruckmessgerät. Im Fernsehen hört Mahin von einer neuen Generation Pflegeroboter. Es scheint, als könnte dies auch ihr Schicksal sein. Doch sie schickt sich gerade an, ihre melancholische Routine zu durchbrechen. Die Taxifahrt mit Faramarz soll keine Episode bleiben. Sie lädt ihn zu sich nach Hause ein. Ein unerhörter Vorgang, von dem die Nachbarn nichts mitbekommen dürfen.

An einer Wand ihrer Wohnung hängt ein Foto, auf dem sie als junge Frau zu sehen ist. 1969 in den Flitterwochen am Kaspischen Meer. Aus dem Datum ist zu schließen, dass sie wohl ziemlich jung geheiratet hat und natürlich in einer anderen Epoche. Damals herrschte der Schah über den Iran, europäische und amerikanische Kultur war nicht verpönt.

Mahin erinnert sich daran, dass das italienische Musikerpaar Al Bano und Romina Power einmal in Teheran gespielt haben. Faramarz stammt offensichtlich aus Verhältnissen, in denen die Popkultur nicht so vertraut war. Aber er hat selbst Musik gemacht: Er spielt die Tar, ein traditionelles Saiteninstrument.

Schon nach wenig mehr als einer Stunde herrscht eine große Vertrautheit zwischen diesen beiden Menschen, die davor nichts von einander gewusst hatten. Ist es Liebe auf den ersten Blick? Im Alter ist der erste Blick immer schon angereichert mit dem reichen Lebenswissen, und im Grunde machen Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha nichts anderes, als diese Hoffnung, die sich in dem ersten Blick zu erkennen gab, für einige Stunden zu einer Entfaltung zu bringen.

Ihr Kammerspiel ist dabei deutlich in die gegenwärtige politische Situation im Iran eingebettet. Der Kampf der Frauen um eine Selbstbestimmung, die ohne Demokratie nicht denkbar ist, ist mit deutlichen Hinweisen als Kontext ausgewiesen. Mahin ist sicher keine Frauenrechtlerin, sie setzt einfach einige diskrete, aber auch mutige Schritte, die über die ihr zugewiesene Rolle hinausgehen.

Sie wird dadurch aber gleichwohl zu einer Verbündeten der "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung. Das Regime hat den Film auch eindeutig so verstanden und das Regie-Paar mit einem Reiseverbot belegt. "My Favorite Cake" (so der internationale Titel) lief dieses Jahr auf der Berlinale, Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha konnten ihn aber nicht persönlich präsentieren. Sie machten mit einem Statement die politischen Implikationen ihres Films auch ausdrücklich klar: Die Sittenpolizei überwacht im Iran nicht nur die Moral, sie schränkt nicht nur die persönlichen Bedürfnisse ein. Sie ist auch ein Instrument eines unterdrückerischen Staats.

Erstaunlicherweise hat der Iran in den Jahren seit der Revolution und trotz Zensur ein reiches Filmschaffen zu verzeichnen. Und es waren gerade die Codes, die aus dem kreativen Umgang mit den Regeln (zuvorderst das Verhüllungsgebot für Frauen, der Hijab-Zwang) entstanden, die vielfach zu originellen Dramaturgien und auch einer spezifischen Ästhetik führten.

Die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum ist dabei konstitutiv, wobei in "Ein kleines Stück vom Kuchen" deutlich wird, dass neugierige Nachbarn auch in die geschützten Räume dringen. Die Liebe, das persönlichste aller Gefühle, steht immer unter Aufsicht. Durch die Liebe treten Mahin und Faramarz aus der Anonymität: "Keiner sieht mich mehr", seufzt er zu Beginn noch. "Hier bist du richtig", begrüßt Mahin ihn, als er die Schwelle in ihr Leben übertritt.

Fast alles, was Liebende allmählich miteinander erleben können, ist in "Ein kleines Stück vom Kuchen" auf eine Nacht konzentriert: Sie trinken Wein miteinander (und ignorieren damit ein Verbot, mit dem die iranischen Autoritäten sich ohnehin lächerlich machen), sie tanzen, sie essen einen Kuchen. Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha erzeugen geschickt eine Stimmung, in der zwei Menschen die Zeit vergessen - und zugleich die ganze Zeit genau wissen, dass diese Zeit allzu beschränkt ist.

Denn Liebe erfüllt sich erst in einer Dauer, und auf Dauer erträgt niemand Heimlichtuerei. Es gäbe eine pragmatische Lösung für Mahin und Faramarz, aber das Regie-Paar hat sich für einen anderen Akkord entschieden: Ein einfaches Happy End würde den Gegebenheiten im Iran Hohn sprechen. BERT REBHANDL

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
…mehr