Frankreich, 1721: Um den Frieden mit Spanien zu besiegeln, fädelt der Regent Herzog Philipp von Orléans einen Prinzessinnentausch ein. Er will den elfjährigen französischen König Ludwig XV mit der erst vier Jahre alten Tochter des spanischen Königs, Infantin Maria Anna Victoria, verheiraten. Im Gegenzug soll die Tochter Philipps, die zwölfjährige Louise Elisabeth, die Gemahlin des jungen spanischen Thronfolgers Ludwig werden. Madrid willigt ein und schon bald findet der Austausch der beiden Prinzessinnen an der Grenze zwischen den Ländern statt. Doch die königlichen Strategen haben die Rechnung ohne die Vermählten gemacht - denn diese haben ihren eigenen Willen.
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- Trailer - WendecoverFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2019Prinzessin, wechsel dich
Paarpolitiken vor dem technischen Zeitalter: Marc Dugain zeigt in seinem Historienfilm "Ein königlicher Tausch" das frühe achtzehnte Jahrhundert als prachtvolles Gefängnis.
Im 18. Jahrhundert gab es in Europa schon eine Art Tinder. Die heutige, digitale Applikation für die zügige Partnerwahl hatte eine sehr exklusive Vorform in Ölbildern, die jungen Menschen besonderer Herkunft vorgelegt wurden: Voilà, das ist Louise-Élisabeth d'Orléans, sie ist zwölf Jahre alt, älteste Tochter des regierenden Königs von Frankreich. Der junge Mann, der in diesem Moment einen ersten, flüchtigen Eindruck von künftigen Freuden bekam, hatte allerdings nur theoretisch die Wahl, nach links zu wischen, also eine Absage zu erteilen. Dazu war der Prinz von Asturien, ein Bourbone namens Luis oder Louis, je nach präferierter Sprache, viel zu stark in die dynastischen Machtverhältnisse im gerade noch vormodernen Europa eingebunden. Don Luis war 1721 eine der begehrtesten Partien in einem Zusammenhang, der bis heute große Faszination ausübt: die Heiratspolitik der ersten Häuser. Dieser Tage hängt kaum mehr etwas davon ab, wenn sich der englische Prinz Harry für eine amerikanische Schauspielerin niederen Standes (dafür aber hoher Popularität) entscheidet, und vermutlich wäre alternativ nicht einmal mit einer Traumhochzeit zwischen Haus Windsor und Familie Schaumburg-Lippe der Brexit zu verhindern gewesen.
Vor dreihundert Jahren hingegen gab es zwischen zwei anderen europäischen Mächten, zwischen Frankreich und Spanien, so viele Zerwürfnisse, entstanden aus engen familiären Verwandtschaftsbeziehungen und denkbaren transnationalen Thronansprüchen, dass eine Doppelhochzeit für Ruhe sorgen sollte. Von dieser Konstellation erzählt der Film "Ein königlicher Tausch" (wieder einmal ist der Originaltitel klarer: "L'échange des princesses", der Tausch der Prinzessinnen) von Marc Dugain. Grundlage ist ein historischer Roman von Chantal Thomas, die unter anderem mit einem Buch über die Vorleserin von Marie-Antoinette bekannt wurde. "Leb wohl, meine Königin" wurde von Benoit Jacquot mit Diane Kruger und Lea Seydoux in den Hauptrollen auch sehr erfolgreich verfilmt.
"Ein königlicher Tausch" zählt zu dem Typus von Historienfilmen, die über die Fremdheit früherer Zustände auf eine Gegenwart zielen, die dadurch ebenfalls unvertraut werden könnte - im idealen Fall tauchen so wieder einmal Fragen politischer Repräsentanz und diplomatischer Strategien auf. Und zwar ganz einfach dadurch, dass man sich über die Zustände damals wundert. Marc Dugain schildert das frühe 18. Jahrhundert vor allem als ein prachtvolles Gefängnis. Für die Fürstenmenschen wird alles getan, um ihnen das Leben genüsslich und verträglich zu machen - ein Bild für die einschlägige Komplexität ist der Abort, der einer ersten Dame schon untergeschoben wird, während sie noch an den köstlichen Bissen kaut, die zum Mahl gereicht wurden.
Das Leben vor dem technischen Zeitalter ist geprägt von Kausalitäten und Zusammenhängen, die noch viel undurchschaubarer sind als uncharmante Verdauungssysteme. Philipp V., der König von Spanien, fürchtet sich vor den Strafen im Jenseits und behandelt sich vorsorglich mit der Rute. Die größte Bedrohung aber gerade auch für den Umgang in den ersten Häusern sind übertragbare Krankheiten. Die Pocken kennen keine Standesgrenzen. Dynastien aber sind endlich, die Personalreserven müssen klug genützt und sorgfältig geschützt werden.
Der "Tausch der Prinzessinnen" führt vier junge Menschen zusammen: den schon erwähnten Don Luis mit Louise-Élisabeth und in einem komplementären Manöver die spanische Infantin Maria Anna Viktoria mit dem französischen Pendant Ludwig XV. Sie ist drei Jahre alt, er ist zehn - und bereits König. Zwei Trosse machen sich auf den Weg, in der Mitte (an der Grenze) kommt es zu einem ausgeklügelten Ritual (man könnte von einer samtenen Zollfreizone als Vorgriff auf künftige Ganzkörperdurchleuchtungen sprechen), danach hat Europa eine adlige Doppelhelix zum Zwecke besserer Integration zwischen zwei bedeutenden Mächten.
Die ganze Prozedur soll einen Kontinent befrieden, der seit den Tagen des Sonnenkönigs Ludwig XIV. nicht nur viel Pomp entfaltet, sondern auch viele tausend Menschen auf und neben Schlachtfeldern verschlissen hat. Leider sind die vier jungen Leute für ihre anspruchsvolle Aufgabe unterschiedlich begabt. Die Aufgabe besteht in etwa darin, die eigene erwachende Subjektivität (und, zumindest bei dem einen Paar: Sexualität) mit den Bedingungen einer arrangierten Beziehung unter den Argusaugen einer hochnervösen höfischen Gesellschaft zusammenzubringen.
Die beste Pointe von "Ein königlicher Tausch" besteht wohl darin, dass die kleine Infantin sich am besten für die Aufgabe eignet, und zwar nicht, weil sie noch am formbarsten wäre, sondern weil sie ein Naturtalent ist: Sie hat Charisma und Witz, und sie wirkt schon im zartesten Alter wie eine potentielle Landesmutter. Marc Dugain hat mit der Wahl von Juliane Lepoureau zwar ein wenig geschwindelt, denn die Darstellerin ist ein wenig älter, als die historische Infantin es anno 1721 war, aber sie trifft mit ihrer Rolle perfekt den Kern der Geschichte: den Stellenwert der Persönlichkeit in einem System, das einsame Souveräne an die Spitze von kaum beeinflussbaren (weil als natürlich missverstandenen) Zusammenhängen setzte.
Das etwas ältere Paar bietet sich hingegen für Heranwachsende zur Identifikation an. Vor allem Louise-Élisabeth (Anamaria Vartolomei) nimmt mit ihrer Verweigerungshaltung etwas vorweg, was dann schon deutlich an das heraufziehende Zeitalter der Romane und der Bildungswege gemahnt: Sie sagt erst einmal zu allem nein, selbstverständlich vergeblich, und als der ihr zugeteilte, unbeholfene Gatte sie nach ihren Vorlieben fragt, antwortet sie keck: "Nichts." Die Auswahl war aber auch gering: Jagen? Sticken?
Würde man den "Tausch der Prinzessinnen" als diplomatische Kampagne sehen wollen, dann bliebe als Fazit nur ein Befund: vollkommen gescheitert. Bei der Rückabwicklung der Mädchenlieferung fällt dann schon das Protokoll im Wesentlichen aus, man sieht nur noch zwei Kutschenprozessionen am Horizont. Das ist auch filmisch klug, und ein abschließender Beleg dafür, dass Marc Dugain und Chantal Thomas mit dieser Heiratssache aus einer fernen Zeit etwas Sinnreiches geschaffen haben: ein bedeutsames Kapitel Selbsterfahrung des modernen Europas auf dem Weg zu sich selbst.
BERT REBHANDL
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Paarpolitiken vor dem technischen Zeitalter: Marc Dugain zeigt in seinem Historienfilm "Ein königlicher Tausch" das frühe achtzehnte Jahrhundert als prachtvolles Gefängnis.
Im 18. Jahrhundert gab es in Europa schon eine Art Tinder. Die heutige, digitale Applikation für die zügige Partnerwahl hatte eine sehr exklusive Vorform in Ölbildern, die jungen Menschen besonderer Herkunft vorgelegt wurden: Voilà, das ist Louise-Élisabeth d'Orléans, sie ist zwölf Jahre alt, älteste Tochter des regierenden Königs von Frankreich. Der junge Mann, der in diesem Moment einen ersten, flüchtigen Eindruck von künftigen Freuden bekam, hatte allerdings nur theoretisch die Wahl, nach links zu wischen, also eine Absage zu erteilen. Dazu war der Prinz von Asturien, ein Bourbone namens Luis oder Louis, je nach präferierter Sprache, viel zu stark in die dynastischen Machtverhältnisse im gerade noch vormodernen Europa eingebunden. Don Luis war 1721 eine der begehrtesten Partien in einem Zusammenhang, der bis heute große Faszination ausübt: die Heiratspolitik der ersten Häuser. Dieser Tage hängt kaum mehr etwas davon ab, wenn sich der englische Prinz Harry für eine amerikanische Schauspielerin niederen Standes (dafür aber hoher Popularität) entscheidet, und vermutlich wäre alternativ nicht einmal mit einer Traumhochzeit zwischen Haus Windsor und Familie Schaumburg-Lippe der Brexit zu verhindern gewesen.
Vor dreihundert Jahren hingegen gab es zwischen zwei anderen europäischen Mächten, zwischen Frankreich und Spanien, so viele Zerwürfnisse, entstanden aus engen familiären Verwandtschaftsbeziehungen und denkbaren transnationalen Thronansprüchen, dass eine Doppelhochzeit für Ruhe sorgen sollte. Von dieser Konstellation erzählt der Film "Ein königlicher Tausch" (wieder einmal ist der Originaltitel klarer: "L'échange des princesses", der Tausch der Prinzessinnen) von Marc Dugain. Grundlage ist ein historischer Roman von Chantal Thomas, die unter anderem mit einem Buch über die Vorleserin von Marie-Antoinette bekannt wurde. "Leb wohl, meine Königin" wurde von Benoit Jacquot mit Diane Kruger und Lea Seydoux in den Hauptrollen auch sehr erfolgreich verfilmt.
"Ein königlicher Tausch" zählt zu dem Typus von Historienfilmen, die über die Fremdheit früherer Zustände auf eine Gegenwart zielen, die dadurch ebenfalls unvertraut werden könnte - im idealen Fall tauchen so wieder einmal Fragen politischer Repräsentanz und diplomatischer Strategien auf. Und zwar ganz einfach dadurch, dass man sich über die Zustände damals wundert. Marc Dugain schildert das frühe 18. Jahrhundert vor allem als ein prachtvolles Gefängnis. Für die Fürstenmenschen wird alles getan, um ihnen das Leben genüsslich und verträglich zu machen - ein Bild für die einschlägige Komplexität ist der Abort, der einer ersten Dame schon untergeschoben wird, während sie noch an den köstlichen Bissen kaut, die zum Mahl gereicht wurden.
Das Leben vor dem technischen Zeitalter ist geprägt von Kausalitäten und Zusammenhängen, die noch viel undurchschaubarer sind als uncharmante Verdauungssysteme. Philipp V., der König von Spanien, fürchtet sich vor den Strafen im Jenseits und behandelt sich vorsorglich mit der Rute. Die größte Bedrohung aber gerade auch für den Umgang in den ersten Häusern sind übertragbare Krankheiten. Die Pocken kennen keine Standesgrenzen. Dynastien aber sind endlich, die Personalreserven müssen klug genützt und sorgfältig geschützt werden.
Der "Tausch der Prinzessinnen" führt vier junge Menschen zusammen: den schon erwähnten Don Luis mit Louise-Élisabeth und in einem komplementären Manöver die spanische Infantin Maria Anna Viktoria mit dem französischen Pendant Ludwig XV. Sie ist drei Jahre alt, er ist zehn - und bereits König. Zwei Trosse machen sich auf den Weg, in der Mitte (an der Grenze) kommt es zu einem ausgeklügelten Ritual (man könnte von einer samtenen Zollfreizone als Vorgriff auf künftige Ganzkörperdurchleuchtungen sprechen), danach hat Europa eine adlige Doppelhelix zum Zwecke besserer Integration zwischen zwei bedeutenden Mächten.
Die ganze Prozedur soll einen Kontinent befrieden, der seit den Tagen des Sonnenkönigs Ludwig XIV. nicht nur viel Pomp entfaltet, sondern auch viele tausend Menschen auf und neben Schlachtfeldern verschlissen hat. Leider sind die vier jungen Leute für ihre anspruchsvolle Aufgabe unterschiedlich begabt. Die Aufgabe besteht in etwa darin, die eigene erwachende Subjektivität (und, zumindest bei dem einen Paar: Sexualität) mit den Bedingungen einer arrangierten Beziehung unter den Argusaugen einer hochnervösen höfischen Gesellschaft zusammenzubringen.
Die beste Pointe von "Ein königlicher Tausch" besteht wohl darin, dass die kleine Infantin sich am besten für die Aufgabe eignet, und zwar nicht, weil sie noch am formbarsten wäre, sondern weil sie ein Naturtalent ist: Sie hat Charisma und Witz, und sie wirkt schon im zartesten Alter wie eine potentielle Landesmutter. Marc Dugain hat mit der Wahl von Juliane Lepoureau zwar ein wenig geschwindelt, denn die Darstellerin ist ein wenig älter, als die historische Infantin es anno 1721 war, aber sie trifft mit ihrer Rolle perfekt den Kern der Geschichte: den Stellenwert der Persönlichkeit in einem System, das einsame Souveräne an die Spitze von kaum beeinflussbaren (weil als natürlich missverstandenen) Zusammenhängen setzte.
Das etwas ältere Paar bietet sich hingegen für Heranwachsende zur Identifikation an. Vor allem Louise-Élisabeth (Anamaria Vartolomei) nimmt mit ihrer Verweigerungshaltung etwas vorweg, was dann schon deutlich an das heraufziehende Zeitalter der Romane und der Bildungswege gemahnt: Sie sagt erst einmal zu allem nein, selbstverständlich vergeblich, und als der ihr zugeteilte, unbeholfene Gatte sie nach ihren Vorlieben fragt, antwortet sie keck: "Nichts." Die Auswahl war aber auch gering: Jagen? Sticken?
Würde man den "Tausch der Prinzessinnen" als diplomatische Kampagne sehen wollen, dann bliebe als Fazit nur ein Befund: vollkommen gescheitert. Bei der Rückabwicklung der Mädchenlieferung fällt dann schon das Protokoll im Wesentlichen aus, man sieht nur noch zwei Kutschenprozessionen am Horizont. Das ist auch filmisch klug, und ein abschließender Beleg dafür, dass Marc Dugain und Chantal Thomas mit dieser Heiratssache aus einer fernen Zeit etwas Sinnreiches geschaffen haben: ein bedeutsames Kapitel Selbsterfahrung des modernen Europas auf dem Weg zu sich selbst.
BERT REBHANDL
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