Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2007Der unsichtbare Grantler
Kino, das den Stil bewahrt und sich aufs schönste bewährt: "Herzen" von Alain Resnais
Es schneit und schneit über dem Tolbiac-Viertel von Paris. Draußen ragen die vier Türme der neuen Nationalbibliothek in die Höhe, drinnen versuchen die Menschen der Kälte Herzenswärme entgegenzusetzen. Vergebliches Bemühen. Selbst die Zwischenschnitte von Szene zu Szene hat Alain Resnais mit Schneetreiben unterlegt. Unter der betäubenden Decke des Pariser Winters friert alles ein.
Dabei wollen sie alle ausbrechen - Nicole und Dan, die eine neue Wohnung suchen, Thierry, der sie ihnen vermitteln will, Charlotte, die im Maklerbüro mit Thierry zusammenarbeitet, Lionel, der die tiefreligiöse Charlotte nach Feierabend als Pflegerin seines bettlägrigen Vaters beschäftigt, und Thierrys Schwester Gaëlle, die per Annonce einen Partner sucht und so auf Dan stößt, der sie in die Bar von Lionel mitnimmt . . . und so könnte man die gegenseitigen Bekannt- und Liebschaften immer weiter nacherzählen. Doch so gut sie einander auch bekannt und ineinander verliebt sind - kein Einziger dieser sieben Bewohner von Paris wird am Ende glücklich sein.
Es fehlt ihnen der Kern aller Liebe: die Freundschaft als wechselseitige Vertrautheit, verbunden mit der Fähigkeit, auch traurige Zeiten miteinander durchstehen zu können. Alles das weiß Alain Resnais besser als irgendein Regisseur sonst. Der mittlerweile Vierundachtzigjährige ist seit sechs Jahrzehnten im Filmgeschäft tätig, und mehr und mehr arbeitet er nur noch mit einem festen Kreis von Freunden. Diesmal sind die ihm schon seit langem verbundenen Schauspieler Sabine Azéma, Pierre Arditi, André Dussollier und Lambert Wilson in vier der sechs Hauptrollen besetzt (die siebte, die von Lionels Vater, ist auf die Stimme des bettlägrigen Grantlers beschränkt), und als Vorlage wählte Resnais nach dem grandiosen Doppelfilm "Smoking/No Smoking" von 1993 wieder ein neues Theaterstück des englischen Dramatikers Alan Ayckbourn: "Private Fears in Public Places". Der Titel jedoch, den Resnais seiner Filmadaption verlieh, ist weitaus schlichter: "Herzen".
In Venedig gewann er damit im vergangenen Jahr den Regiepreis - zu Recht, denn wie es Resnais gelingt, die Theatralik der Vorlage in seinen Studioaufnahmen zu bewahren, ja, sie sogar zu verstärken, indem er die Kamera über Kulissenwände schweben lässt oder ein enges Ladenlokal plötzlich nach hinten öffnet, um zwei Protagonisten in einer Totalen miteinander reden zu lassen, dabei aber die Montage als spezifische Stärke des Films einsetzt, um schon Trennungen anzudeuten, die noch gar nicht vollzogen sind, das ist - Resnais möge es verzeihen - altmeisterlich. So hat man in Frankreich in den fünfziger Jahren Filme gedreht, doch heute dreht so nur noch Alain Resnais.
Dabei kann er auch ganz anders: Der Flug der Kamera zu Beginn über das Tolbiac-Viertel ins Appartement hinein, das Nicole gerade von Thierry vorgeführt wird, ist eine wunderbare Reverenz an die Anfangssequenz aus "Der Himmel über Berlin" von Wim Wenders. Resnais war immer ein Bewunderer der entfesselten Kamera, gerade weil er selbst sie meist fixiert und ganz in den Dienst seiner Schauspieler stellt. Umso überraschender sind dann die Ausbrüche, und auch der Verzicht auf jegliche Tiefenschärfe ist in "Herzen" eine permanente optische Erinnerung daran, dass hier niemand auf einer gemeinsamen Ebene agiert.
Nach einer Viertelstunde ist alles am Platz, Rollen und Schauplätze sind klar, und man hat sich in den pointierten Ton der von Resnais selbst ins Französische übertragenen Ayckbourn-Texte hineingehört. Fortan ist jede Überraschung Sache entweder des Lichtzauberers Resnais, der die Innenräume erglühen lässt, während die Akteure immer mehr erkalten, oder des Ausstattungsfanatikers Resnais, der Kontraste setzt wie den zwischen der funkelnden Bar, wo Lionel arbeitet, und dessen karger Wohnung, oder des Menschenfängers Resnais, der zu seiner Stammtruppe zwei Schauspielerinnen hinzugewonnen hat, die sogar der grandiosen Sabine Azéma Paroli bieten können: Isabelle Carré und Laura Morante. Die Handlung dagegen überrascht kein einziges Mal.
Das aber ist Programm. Liebhaber des Kinos von Resnais wollen durch nichts von der Eleganz der Inszenierung abgelenkt werden. Deshalb wählt der Regisseur seine Stoffe aus Konversationsstücken oder Melodramen, bei denen es auf Präzision ankommt, nicht auf Originalität. Das Paradoxe ist, dass Alain Resnais mit diesem Rezept mittlerweile wieder originell erscheint.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kino, das den Stil bewahrt und sich aufs schönste bewährt: "Herzen" von Alain Resnais
Es schneit und schneit über dem Tolbiac-Viertel von Paris. Draußen ragen die vier Türme der neuen Nationalbibliothek in die Höhe, drinnen versuchen die Menschen der Kälte Herzenswärme entgegenzusetzen. Vergebliches Bemühen. Selbst die Zwischenschnitte von Szene zu Szene hat Alain Resnais mit Schneetreiben unterlegt. Unter der betäubenden Decke des Pariser Winters friert alles ein.
Dabei wollen sie alle ausbrechen - Nicole und Dan, die eine neue Wohnung suchen, Thierry, der sie ihnen vermitteln will, Charlotte, die im Maklerbüro mit Thierry zusammenarbeitet, Lionel, der die tiefreligiöse Charlotte nach Feierabend als Pflegerin seines bettlägrigen Vaters beschäftigt, und Thierrys Schwester Gaëlle, die per Annonce einen Partner sucht und so auf Dan stößt, der sie in die Bar von Lionel mitnimmt . . . und so könnte man die gegenseitigen Bekannt- und Liebschaften immer weiter nacherzählen. Doch so gut sie einander auch bekannt und ineinander verliebt sind - kein Einziger dieser sieben Bewohner von Paris wird am Ende glücklich sein.
Es fehlt ihnen der Kern aller Liebe: die Freundschaft als wechselseitige Vertrautheit, verbunden mit der Fähigkeit, auch traurige Zeiten miteinander durchstehen zu können. Alles das weiß Alain Resnais besser als irgendein Regisseur sonst. Der mittlerweile Vierundachtzigjährige ist seit sechs Jahrzehnten im Filmgeschäft tätig, und mehr und mehr arbeitet er nur noch mit einem festen Kreis von Freunden. Diesmal sind die ihm schon seit langem verbundenen Schauspieler Sabine Azéma, Pierre Arditi, André Dussollier und Lambert Wilson in vier der sechs Hauptrollen besetzt (die siebte, die von Lionels Vater, ist auf die Stimme des bettlägrigen Grantlers beschränkt), und als Vorlage wählte Resnais nach dem grandiosen Doppelfilm "Smoking/No Smoking" von 1993 wieder ein neues Theaterstück des englischen Dramatikers Alan Ayckbourn: "Private Fears in Public Places". Der Titel jedoch, den Resnais seiner Filmadaption verlieh, ist weitaus schlichter: "Herzen".
In Venedig gewann er damit im vergangenen Jahr den Regiepreis - zu Recht, denn wie es Resnais gelingt, die Theatralik der Vorlage in seinen Studioaufnahmen zu bewahren, ja, sie sogar zu verstärken, indem er die Kamera über Kulissenwände schweben lässt oder ein enges Ladenlokal plötzlich nach hinten öffnet, um zwei Protagonisten in einer Totalen miteinander reden zu lassen, dabei aber die Montage als spezifische Stärke des Films einsetzt, um schon Trennungen anzudeuten, die noch gar nicht vollzogen sind, das ist - Resnais möge es verzeihen - altmeisterlich. So hat man in Frankreich in den fünfziger Jahren Filme gedreht, doch heute dreht so nur noch Alain Resnais.
Dabei kann er auch ganz anders: Der Flug der Kamera zu Beginn über das Tolbiac-Viertel ins Appartement hinein, das Nicole gerade von Thierry vorgeführt wird, ist eine wunderbare Reverenz an die Anfangssequenz aus "Der Himmel über Berlin" von Wim Wenders. Resnais war immer ein Bewunderer der entfesselten Kamera, gerade weil er selbst sie meist fixiert und ganz in den Dienst seiner Schauspieler stellt. Umso überraschender sind dann die Ausbrüche, und auch der Verzicht auf jegliche Tiefenschärfe ist in "Herzen" eine permanente optische Erinnerung daran, dass hier niemand auf einer gemeinsamen Ebene agiert.
Nach einer Viertelstunde ist alles am Platz, Rollen und Schauplätze sind klar, und man hat sich in den pointierten Ton der von Resnais selbst ins Französische übertragenen Ayckbourn-Texte hineingehört. Fortan ist jede Überraschung Sache entweder des Lichtzauberers Resnais, der die Innenräume erglühen lässt, während die Akteure immer mehr erkalten, oder des Ausstattungsfanatikers Resnais, der Kontraste setzt wie den zwischen der funkelnden Bar, wo Lionel arbeitet, und dessen karger Wohnung, oder des Menschenfängers Resnais, der zu seiner Stammtruppe zwei Schauspielerinnen hinzugewonnen hat, die sogar der grandiosen Sabine Azéma Paroli bieten können: Isabelle Carré und Laura Morante. Die Handlung dagegen überrascht kein einziges Mal.
Das aber ist Programm. Liebhaber des Kinos von Resnais wollen durch nichts von der Eleganz der Inszenierung abgelenkt werden. Deshalb wählt der Regisseur seine Stoffe aus Konversationsstücken oder Melodramen, bei denen es auf Präzision ankommt, nicht auf Originalität. Das Paradoxe ist, dass Alain Resnais mit diesem Rezept mittlerweile wieder originell erscheint.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main